L 10 U 2676/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 U 902/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2676/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.05.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte neben der als Berufskrankheit (BK) anerkannten Lärmschwerhörigkeit als Begleitschaden einen Tinnitus anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente zu gewähren hat.

Der am 1952 geborene Kläger war im Zeitraum von November 1978 bis Juni 2005 unter Lärmexposition als Polsterer beschäftigt, hiervon ca. ein Jahr bei der D. und im Übrigen bei der Firma R. B. AG und Co. KG. Seit September 2012 bezieht der Kläger Rente wegen Erwerbsminderung.

Am 23.01.2012 stellte sich der Kläger bei dem HNO-Facharzt Dr. O. vor und berichtete anamnestisch von einem seit einem Autounfall am 13.09.2011 aufgetretenen linksbetonten Tinnitus beidseits bei bekanntem HWS-Syndrom, wobei der Tinnitus ein pfeifender und rauschender Dauerton sei. Als Befund beschrieb Dr. O. auf Grund des durchgeführten Tonaudiogramms eine wannenförmige Schallempfindungsschwerhörigkeit im Hochfrequenzbereich einer Lärmschwerhörigkeit entsprechend ab 1 kHz auf maximal 70 dB bei 4 kHz sowie links auf maximal 60 dB bei 3 und 4 kHz. Den Tinnitus habe der Kläger rechts bei 2246 Hz und links bei 1186 Hz angegeben. Dr. O. ging diagnostisch von einem Tinnitus beidseits aus und äußerte den Verdacht auf eine Lärmschwerhörigkeit beidseits. Der Tinnitus erschien ihm eher durch die HWS bedingt (vgl. Arztbrief vom 24.01.2012, Bl. 70 VerwA). Dr. O. zeigte bei der Beklagten sodann den Verdacht auf eine BK an, worauf diese weitere Ermittlungen u.a. zur Lärmexposition einleitete. In den Fragebogen der Beklagten äußerte sich der Kläger zu seiner Erkrankung dahingehend, dass seine Schwerhörigkeit im Jahr 2000 begonnen habe und seit 2005 in dem jetzigen Ausmaß bestehe. Er habe deshalb Dr. O. am 24.01.2012 aufgesucht. Die Ohrgeräusche hätten sich seit 2003 bemerkbar gemacht, seither verschlimmert und bestünden seit 2011 in dem jetzigen Ausmaß. Es handele sich um einen pfeifenden rauschenden Dauerton. Auf die Frage, wann und wie er sich durch die Ohrgeräusche belästigt fühle, gab der Kläger an, diese seien bei Stille unerträglich (vgl. Ausführungen vom 30.04.2012, Bl. 15, 26 VerwA).

Mit Bescheid vom 02.08.2012 anerkannte die Beklagte eine Lärmschwerhörigkeit als BK nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) an, einen Anspruch auf eine Rente wegen dieser BK verneinte sie und die Anerkennung von Ohrgeräuschen beidseits als BK lehnte sie ab. Zur Begründung führte sie aus, es liege eine geringgradige Innenohrhochtonschwerhörigkeit beidseits vor, die eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht bedinge. Die Ohrgeräusche beidseits seien nicht lärmbedingt. Diese seien im lärmuntypischen Frequenzbereich bei ca. 2200 Hz rechts und 1000 Hz links gesichert worden. Zudem habe der Kläger gegenüber Dr. O. angegeben, dass der Tinnitus seit einem Autounfall bestehe. Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, die Schwerhörigkeit und die Ohrgeräusche seien auf die massiven Lärmeinwirkungen am Arbeitsplatz zurückzuführen. Der Verkehrsunfall vom 13.09.2011 scheide als Ursache hierfür aus. Hierdurch habe sich allenfalls eine Verschlechterung ergeben. Mit Widerspruchsbescheid vom 06.02.2013, der den Bevollmächtigten des Klägers am 11.02.2013 zuging, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den beklagten Ohrgeräuschen und der beruflichen Lärmeinwirkung könne mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht nachgewiesen werden.

Am 11.03.2013 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, die Lärmschwerhörigkeit mit dem daraus entstandenen Tinnitus sei mit einer MdE um wenigstens 20 vom Hundert (v. H.) zu bewerten.

Das SG hat um Übersendung von Unterlagen zu den Ohrenleiden des Klägers seit dem Jahr 2000 bei dem Arzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde Dr. K. (keine Befunde), dem Allgemeinarzt Dr. D. (Vorlage des Arztbriefs des Dr. O. vom 24.01.2012), Dr. O. (Vorlage der Messergebnisse vom Januar 2012) und dem Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. B. (Vorlage von Befunden und Arztbriefen aus den Jahren 1981, 1983 und 1990) nachgesucht und sodann ein Gutachten bei dem Facharzt für HNO-Krankheiten Prof. Dr. S. auf Grund Untersuchung des Klägers im September 2013 eingeholt. Der Sachverständige hat unter Zugrundelegung der Königsteiner Empfehlungen nach dem Sprachaudiogramm einen beidseitigen Hörverlust von 40 % Prozent beschrieben, was einer gering- bis mittelgradigen Schwerhörigkeit entspreche. Allerdings sei die sich dadurch ergebende MdE um 20 v.H. wegen der Diskrepanz zum Tonschwellenaudiogramm (Hörverlust beidseits 20%) nach unten zu korrigieren. Unter integrierender Mitbewertung des Tinnitus, den er auf die Lärmschädigung zurückgeführt und als kompensiert beurteilt hat, hat er die MdE mit 20 v.H. bewertet. In der von der Beklagten hierzu vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme hat Prof. Dr. J. dargelegt, dass die Sprachaudiogramme des Prof. Dr. S. unrealistische Abweichungen zu jenen von Dr. O. zeigten. Eine derartige Verschlechterung in nur 21 Monaten sei zwar bei einem Hörsturz möglich, einen solchen könne der Kläger nach dem aktuellen Tonaudiogramm aber nicht gehabt haben. Die Messdaten des Prof. Dr. S. seien daher entweder aus messtechnischen Gründen oder auf Grund von Aggravation nicht korrekt. Einen lärmbedingten Tinnitus hat er verneint und auf die unterschiedlichen Angaben des Klägers zum Auftreten des Tinnitus hingewiesen. Die von Dr. O. beschriebene Lokalisierung sei für einen Lärm-Tinnitus zudem untypisch und im Übrigen auch von Prof. Dr. S. abweichend beschrieben worden. Zweifel an einem MdE-relevanten Tinnitus ergäben sich auch aus dem Umstand, dass in 13 Jahren kein Therapieversuch unternommen worden sei. Ohnehin sei der Tinnitus schon deshalb nicht Lärmfolge, weil bereits keine Lärmschwerhörigkeit vorliege. Hierzu hat sich der Sachverständige unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes ergänzend geäußert, worauf die Beklagte die weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Prof. Dr. J. vorgelegt hat, der gleichermaßen an seiner Auffassung festgehalten hat.

Mit Urteil vom 20.05.2014 hat das SG die Klage mit der Begründung abgewiesen, der von dem Sachverständige Prof. Dr. S. beschriebene Hörverlust bedinge lediglich eine MdE um 15 v.H. Soweit der Sachverständige unter Berücksichtigung des Tinnitus eine MdE um 20 v.H. vorgeschlagen habe, sei dem nicht zu folgen, da ein Tinnitus nicht als Unfallfolge anerkannt werden könne. So differierten die Angaben des Klägers sowohl hinsichtlich des erstmaligen Auftretens als auch hinsichtlich der Lage auf der Frequenzskala.

Gegen das seinen Bevollmächtigten am 10.06.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24.06.2014 beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und sein Begehren weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.05.2014 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 02.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2013 zu verurteilen, als Folge der Lärmschwerhörigkeit einen Tinnitus beidseits anzuerkennen und ihm Verletztenrente nach einer MdE um zumindest 20 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Senat das Gutachten des Prof. Dr. Z. , Ärztlicher Direktor in der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde mit Poliklinik des Universitätsklinikums T. , nebst ergänzenden Stellungnahmen auf Grund Untersuchung des Klägers im Juni 2015 eingeholt. Der Sachverständige hat tonaudiometrisch einen Hörverlust von 20 % beidseits und sprachaudiometrisch rechtsseitig von 20 % und linksseitig von 30 % beschrieben und ausgeführt, beim Kläger lägen zwei Ohrgeräusche vor, die mit der Frequenz 2 kHz bzw. 4 kHz ermittelt worden seien. Es sei deshalb nicht von einer - wie von Prof. Dr. J. moniert - Frequenzänderung des Ohrgeräuschs auszugehen, sondern davon, dass Dr. O. dem tieffrequenten Tinnitus und Prof. Dr. S. den hochfrequenten Tinnitus bestimmt habe. Für das hochfrequente Ohrgeräusch sei Lärm überwiegend wahrscheinlich Ursache. Der Hörverlust sei mit einer MdE um 15 v.H. zu bewerten; zusammen mit dem Ohrgeräusch liege die integrierende MdE um 20 v. H.

Hiergegen die Beklagte eingewandt, der von Prof. Dr. Z. ermittelte Hörverlust rechtfertige lediglich eine MdE um 10 v.H. Der Sachverständige habe die heranzuziehende Tabelle (Feldmann, 1995) falsch ausgewertet. Soweit Prof. Dr. Z. von zwei Ohrgeräuschen ausgehe und lediglich das im hochfrequenten Bereich für lärmbedingt halte, bestünden erhebliche Zweifel, ob dieses Ohrgeräusch schon seit vielen Jahren vorliege. Bei integrierender MdE-Einschätzung könne im Übrigen auch allenfalls eine MdE um 15 v. H. erreicht werden.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündliche Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 02.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2013 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Als Begleitschaden der anerkannten Lärmschwerhörigkeit ist kein Tinnitus festzustellen und die Lärmschwerhörigkeit rechtfertigt nicht die Bemessung mit einer MdE in einem rentenberechtigenden Grad. Entsprechend steht dem Kläger auch keine Verletztenrente zu.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt der Kläger die Abänderung der einen Tinnitus als Begleitschaden der BK nach Nr. 2301 versagenden Verwaltungsentscheidungen. Da der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung nach der Rechtsprechung des BSG (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG, vgl. hierzu u.a. BSG, Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 46/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 3) auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung einer BK als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen kann (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage; speziell zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles und damit auf eine Berufskrankheit übertragbar BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 8/11 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 20), ist er gleichermaßen auch berechtigt, die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung eines Begleitschadens einer anerkannten BK im Wege der Verpflichtungsklage geltend zu machen. Nachdem die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid auch einen Anspruch auf Verletztenrente ablehnte, ist die Klage auch insoweit zulässig.

Demgegenüber hat der Kläger weder Anspruch auf Feststellung eines Tinnitus als Begleitschaden der anerkannten Lärmschwerhörigkeit noch auf Gewährung von Verletztenrente.

Anspruchsgrundlage für die Gewährung von Verletztenrente ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperli¬chen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. BSG, Urteil vom 22.06.2004, B 2 U 14/03 R in SozR 4-2700 § 56 Nr. 1): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermö¬gens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust un¬ter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäuße¬rungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit aus¬wirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unent¬behrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich dar¬auf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletz¬ten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswir¬kungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtli¬chen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Bei der Beurteilung des Schweregrades einer Lärmschwerhörigkeit und auch für die Ermittlung der hierdurch bedingten MdE ist es gerichtliche Praxis und auch Praxis des Senats, die Grundsätze und Tabellen heranzuziehen, wie sie in der "Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr. 2301)" - Königsteiner Empfehlung - niedergelegt sind. Auch die am Verfahren beteiligten Sachverständigen und der von der Beklagten hinzugezogene Beratungsarzt haben diese Empfehlung herangezogen.

Nach diesen Grundsätzen rechtfertigt der beim Kläger vorliegende Hörschaden nicht die Bemessung mit einer MdE um 20 v.H. Hierin besteht Einigkeit in der Auffassung der Beklagten und den Einschätzungen der Sachverständigen Prof. Dr. S. und Prof. Dr. Z ... So gelangte die Beklagte nach Auswertung des Tonaudiogramms des Dr. O. vom 23.01.2012 nach Anwendung der Tabelle 2 (Berechnung des prozentualen Hörverlustes aus dem Tonaudiogramm nach der Drei-Frequenz-Tabelle [Röser, 1980]) zu einem prozentualen Hörverlust beim Kläger von 30 % rechtsseitig und 25 % linksseitig, woraus sie aus der Tabelle 3 (Berechnung der MdE aus den Schwerhörigkeitsgraden beider Ohren [Feldmann, 1995]) eine MdE um 15 v.H. ermittelte (vgl. Bl. 29 VerwA). Auch der Sachverständigen Prof. Dr. S. ist nicht zu einer MdE um wenigstens 20 v.H. gelangt. Denn ausgehend von dem anlässlich seiner Untersuchung gefertigten Sprachaudiogramm, anhand dessen er einen beidseitigen Hörverlust von 40 % ermittelt hat, und dem erheblich hiervon abweichenden Tonschwellenaudiogramm (Hörverlust 20 % beidseits) hat er sich veranlasst gesehen, die sich aus der Tabelle 3 an sich ergebende MdE um 20 v.H. nach unten zu korrigieren, wodurch er zu einer MdE um weniger als 20 v.H. gelangt ist (15 v.H., so seine ergänzende Stellungnahme). Diese Vorgehensweise ist angesichts der erheblich abweichenden Messwerte im Sprach- und Tonschwellenaudiogramm ohne weiteres nachvollziehbar. Denn wenn sich bei Anwendung der Tabelle 2 aus dem Tonaudiogramm zumeist ein etwas höherer prozentualer Hörverlust als aus dem Sprachaudiogramm ergibt (vgl. Nr. 4.3.2. der Königsteiner Empfehlung ), ist nicht plausibel, dass sich im Sprachaudiogramm sogar ein deutlich höherer Hörverlust ergeben soll. Zutreffend hat Prof. Dr. J. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahmen für die Beklagte daher auch darauf hingewiesen, dass sich der im Sprachaudiogramm gemessene Wert auch im Vergleich zu dem von Dr. O. im Januar 2012 gemessenen Wert als unrealistisch darstellt, da sich eine solche Verschlechterung nur durch einen Hörsturz erklären lasse, der durch das aktuelle Tonaudiogramm aber auszuschließen sei. Überzeugend ist er deshalb von einem Messfehler oder von einer Aggravation ausgegangen. Die Richtigkeit seiner Einschätzung hat dann auch die weitere Untersuchung des Sachverständigen Prof. Dr. Z. im Juni 2015 gezeigt. Denn die von diesem dokumentierten Messergebnisse seiner sprachaudiometrischen Untersuchung mit einem Hörverlust rechtsseitig von 20 % und linksseitig 30 % weisen einen deutlich geringeren Hörverlust aus, als er zuvor von Prof. Dr. S. gemessen worden ist. Unter Anwendung der Tabelle 3 ist der Sachverständige Prof. Dr. Z. dann von einer MdE um 15 v.H. ausgegangen, mithin ebenfalls von einer MdE, die den rentenberechtigenden Bereich nicht erreicht. Soweit die Beklagte hiergegen Einwendungen erhoben und geltend gemacht hat, der Sachverständige habe die Tabelle 2 fehlerhaft angewandt, kann dahingestellt bleiben, ob der von Prof. Dr. Z. ermittelte Hörverlust die Bemessung mit einer MdE um 15 v.H. rechtfertigt oder - wovon die Beklagte ausgeht - lediglich eine MdE um 10 v.H. bedingt. Denn jedenfalls wird eine MdE um wenigstens 20 v.H. nicht erreicht. Dies wäre nicht einmal dann der Fall, wenn der Hörverlust beim Kläger beidseits 30 % betragen würde. Erst bei einem Hörverlust von 40 % beidseits, was beim Kläger wie dargelegt nicht der Fall ist, ist die Bemessung mit einer MdE um 20 v.H. gerechtfertigt (Nr. 4.4.1 der Königsteiner Empfehlungen). Eine Verletztenrente steht dem Kläger somit nicht zu.

Der Lärmschaden des Klägers ist insbesondere auch nicht im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Tinnitus mit einer MdE um wenigstens 20 v.H. zu bewerten. Denn dass beim Kläger als Begleiterscheinung der Lärmschädigung des Innenohrs ein Ohrgeräusch auftrat, vermag der Senat nicht festzustellen. Dementsprechend hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Anerkennung des Tinnitus als BK-Folge.

Der Senat bezweifelt nicht, dass der Kläger zumindest seit Januar 2012 an einem Tinnitus beidseits leidet, wie dies von Dr. O. diagnostiziert wurde und was auch die Sachverständigen nicht in Zweifel gezogen und für den Zeitpunkt ihrer Untersuchung bestätigt haben. Allerdings sieht der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die vom Kläger beklagten Ohrgeräusche begleitend zu der Lärmschädigung entwickelt haben. Denn nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen hat der Kläger bei den in Anspruch genommenen Ärzten zu keinem Zeitpunkt über Ohrgeräusche geklagt. Entsprechende Beschwerden dokumentierten weder die Hals-Nasen-Ohrenärzte Dr. K. und Dr. B. noch der behandelnde Allgemeinarzt des Klägers Dr. Dudek. Vielmehr wurden Klagen über Ohrgeräusche erstmals von Dr. O. dokumentiert, den der Kläger im Januar 2012 aufsuchte. Dabei hat er jedoch nicht - wie später gegenüber der Beklagten vorgebracht - über seit dem Jahr 2003 bestehende Ohrgeräusche geklagt, sondern vielmehr angegeben, seit einem Autounfall am 13.09.2011 bestehe ein linksbetonter Tinnitus. Ein Zusammenhang zwischen dem berufsbedingten Lärm und dem Tinnitus des Klägers lässt sich vor diesem Hintergrund nicht feststellen.

Soweit der Kläger gegenüber der Beklagten in deren Fragebogen Ohrgeräusche seit 2003 angegeben hat, ist dies ebenso wenig belegt, wie die Angabe des Klägers, die Ohrgeräusche bestünden seit 2011 in dem seinerzeit, d.h. am 30.04.2012 bestehenden Ausmaß. Der Senat sieht sich insbesondere auch nicht in der Lage, diese Angaben des Klägers als wahr seiner Beurteilung zu Grunde zu legen. Denn im Widerspruch zu seinen Angaben im Fragebogen der Beklagte hat der Kläger gegenüber den Sachverständigen Prof. Dr. S. angegeben, er habe Dr. K. im Jahr 1996 wegen eines Geräuschs im linken Ohr aufgesucht, worauf dieser aus dem Gehörgang ein Haar entfernt habe, wodurch das Geräusch jedoch nicht besser geworden sei. Diese Angabe hat durch Beiziehung der Behandlungskarte durch den Sachverständigen wiederum keine Bestätigung gefunden. Zwar dokumentierte Dr. K. für den 25.04.1996 eine Vorstellung des Klägers wegen "Probleme mit dem li. Ohr" sowie darüber hinaus einen Fremdkörper im Gehörgang, Hinweise auf beklagte Ohrgeräusche finden sich jedoch nicht.

Auch soweit der Kläger die Angeben gegenüber Dr. O. vom Januar 2012, er leide seit dem Unfall vom 13.09.2011 unter Ohrgeräuschen, gegenüber den Sachverständigen relativiert und geltend gemacht hat, der vorbestehende Tinnitus habe sich im Zusammenhang mit dem Unfall lediglich verschlimmert und sei nachfolgend wieder auf das Ausmaß zurückgegangen, wie er vor dem Unfall bestanden habe, vermag sich der Senat nicht von der Richtigkeit dessen überzeugen. Denn diesbezüglich hat der Kläger gegenüber Prof. Dr. S. bzw. Prof. Dr. Z. angegeben, den Tinnitus nach dem Unfall für zwei Wochen (Prof. Dr. S. ) bzw. für zwei bis drei Monate (Prof. Dr. Z. ) stärker wahrgenommen zu haben. Diese Angaben widersprechen jedoch wiederum seinen Angaben gegenüber der Beklagten in deren unter dem 30.04.2012 unterzeichneten Formular, wonach die Ohrgeräusche seit 2011 in unverändertem Ausmaß bestünden und gleichermaßen auch seinen Angaben gegenüber Dr. O. , den er vier Monate nach dem Unfall aufsuchte und über einen seit dem Unfall bestehenden Tinnitus klagte.

Da somit weder Beginn noch Verlauf des vom Kläger behaupteten Tinnitus festzustellen ist, bleiben die von den Sachverständigen getroffenen Einschätzungen rein spekulativ, so dass sich ein Zusammenhang mit der Lärmschwerhörigkeit des Klägers nicht herstellen lässt.

Die Berufung des Klägers kann nach alledem keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 192 SGG.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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