L 11 KR 3467/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 KR 6732/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3467/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.06.2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert wird auf 6.219,74 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für zwei stationäre Behandlungen iHv 6.219,74 EUR und dabei um die Frage, ob Versicherungsschutz bei der Beklagten bestand.

Der Kläger ist eine rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs 1 Nr 5 Gesetz zur Errichtung der Zentren für Psychiatrie vom 03.07.1995, GBl 1995, 510). Er betreibt ein zugelassenes Krankenhaus, in welchem die Patientin Frau A. (im Folgenden "Patientin") vom 14.09.2007 bis 28.09.2007 und vom 09.10.2007 bis 31.10.2007 jeweils stationär wegen paranoider Schizophrenie behandelt wurde. Die Patientin ist am 05.08.1978 geboren und kosovarische Staatsangehörige. Sie war bis zum 20.01.2007 bei der Beklagten als Arbeitnehmerin nach § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V pflichtversichert. Zum 01.04.2007 nahm sie eine Erwerbstätigkeit in der Schweiz auf, wobei sie ihren Wohnsitz in Deutschland beibehielt. Ihr in der Schweiz eingeräumtes Optionsrecht hinsichtlich einer Krankenversicherung übte sie dahingehend aus, dass sie eine private Krankenversicherung in der Schweiz bei der V. S. Ö., der Rechtsvorgängerin der S. Versicherungen AG (im Folgenden "S.V.") in B. abschloss. Die private Versicherung in der Schweiz bestand vom 01.04.2007 bis 30.10.2007 im Tarif mondial. Das Vertragsverhältnis wurde durch S.V. wegen verschwiegener psychiatrischer Vorerkrankungen der Patientin auf der Grundlage von Art. 6 des schweizerischen Bundesgesetzes über den Versicherungsvertrag (sVVG) zum 31.10.2007 gekündigt. Die Patientin gab ihre Erwerbstätigkeit in der Schweiz im Dezember 2007 auf und war ab dem 10.12.2007 wieder bei der Beklagten pflichtversichert.

Mit zwei Rechnungen vom 18.12.2007 machte der Kläger gegenüber der Patientin für die beiden Behandlungen insgesamt 6.219,74 EUR geltend. S.V. teilte mit Schreiben vom 16.01.2008 der Klägerin mit, dass eine Kostengutsprache nicht erfolgen könne, weil die Patientin zu keinem Zeitpunkt bezugsberechtigt gewesen sei. Mit Schreiben vom 01.12.2011 erläuterte S.V. die Ablehnung unter Hinweis auf Art 6 Abs 3 sVVG, wonach ein Versicherer nicht kostenpflichtig für Leistungen ist, die im Zusammenhang mit einer verschwiegenen Tatsache erbracht worden sind.

Bereits mit Schreiben vom 08.01.2010 zeigte der Kläger der Beklagten eine Pflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V an und bat um Kostenübernahme für die beiden stationären Aufenthalte. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 10.03.2010 lehnte die Beklagte gegenüber der Patientin die Feststellung der Versicherungspflicht ab. Mit Schreiben vom 30.03.2010 lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger die Kostenerstattung mangels Versicherungsschutz ab.

Der Kläger hat am 20.12.2011 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) auf Zahlung der Behandlungskosten zuzüglich Verzugszinsen erhoben. Mit Urteil vom 27.06.2014 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Voraussetzungen der Auffangversicherung gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V aufgrund der vom 01.04.2007 bis zum 30.10.2007 bestehenden privaten Versicherung der Patientin bei der S.V. in der Schweiz nicht erfüllt seien. Die Kündigung des privaten Versicherungsvertrages durch S.V. sei erst mit Zugang bei der Patientin wirksam geworden. Darüber hinaus entfalle gemäß Art 6 Abs 3 sVVG bei einer solchen Kündigung lediglich die Kostenpflicht für diejenigen Leistungen, die im Zusammenhang mit der pflichtwidrig verschwiegenen Tatsache erbracht worden seien. Damit habe in diesem Zeitraum in jedem Falle eine wirksame private Krankenversicherung in der Schweiz bestanden. Unabhängig davon, ob tatsächlich ein partieller Leistungsausschluss bestanden habe, habe ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall der Patientin vorgelegen. Es bestehe kein Zweifel, dass der Versicherungsschutz bei der S.V. grundsätzlich dem einer Vollversicherung entspreche. Dass die private Versicherung für einzelne Leistungen, die im Zusammenhang mit der Verletzung der Anzeigepflicht der Patientin stünden, unter Umständen nicht einstehen müsse, könne nicht zulasten der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bzw der Beklagten gehen. Für alle Leistungsfälle, die nicht im Zusammenhang mit der Verletzung der Anzeigepflicht stünden, habe nämlich zumindest bis zum 30.10.2007 eine andere Einstandspflicht der S.V. und damit ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall im Sinne des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V vorgelegen. Zudem sei die Patientin aufgrund ihrer vom 01.04.2007 bis zum 30.10.2007 bestehenden privaten Krankenversicherung in der Schweiz nicht zuletzt gesetzlich versichert gewesen. Deshalb käme selbst hypothetisch nur ein Anspruch auf Abschluss einer deutschen privaten Krankenversicherung im Basistarif nach § 193 Abs 5 VVG in Betracht.

Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 15.07.2014 zugestellte Urteil richtet sich die von ihm am 14.08.2014 erhobene Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg. Der Senat hat eine Auskunft bei der S.V. zum Versicherungsvertrag und -umfang der Patientin eingeholt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Patientin infolge fehlenden anderweitigen Versicherungsschutzes nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V ab 01.04.2007 bei der Beklagten pflichtversichert gewesen sei und diese deshalb die Behandlungskosten zu tragen habe. Es habe keine anderweitige Absicherung im Krankheitsfalle vorgelegen, weil aufgrund des tatsächlich fehlenden Versicherungsschutzes der Patientin für psychische Erkrankungen den Mindestanforderungen an eine Absicherung in der deutschen privaten Krankenversicherung (PKV) nicht genüge getan sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 27.06.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 6.219,74 EUR zzgl. Verzugszinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.02.2010 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass bei der Patientin das Schweizer Krankenversicherungsgesetz (KVG) anzuwenden sei und insofern durch die aktive Abwahl des KVG-Schutzes durch Sicherstellung des Versicherungsschutzes in der privaten Krankenversicherung eine Systemwahl getroffen worden sei. Eine Zugangsmöglichkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung sei deshalb nicht mehr gegeben.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 144 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Kosten für die stationären Behandlungen der Patientin vom 14.09.2007 bis 28.09.2007 und vom 09.10.2007 bis 31.10.2007.

Die Beklagte ist für den geltend gemachten Anspruch nicht passivlegitimiert. Denn in den streitgegenständlichen Zeiträumen bestand kein Versicherungsschutz bei ihr. Insbesondere sind die Voraussetzungen der Auffangversicherung gemäß § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V nicht erfüllt. Hiernach sind versicherungspflichtig in der GKV Personen, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall haben und a) zuletzt gesetzlich krankenversichert waren oder b) bisher nicht gesetzlich oder privat krankenversichert waren, es sei denn, dass sie zu den in Absatz 5 oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehören oder bei Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätten.

Die Patientin war vom 01.04.2007 bis zum 30.10.2007 in der Schweiz bei der S.V. privat krankenversichert. Sie hat von ihrem nach dem KVG eröffneten Optionsrecht Gebrauch gemacht und sich bei der S.V. in den Tarifen mondial basis, mondial allgemeiner Zusatz, mondial kombi und Ö. Tourist privat krankenversichert. Für den Tarif mondial basis, bei dem es sich um eine Grundversicherung nach dem sVVG handelt, galt der jeweilige Leistungskatalog des Basistarifs nach dem KVG. Es galt ein genereller Selbstbehalt (Franchise) iHv CHF 500,- pro Kalenderjahr. Für Kosten, die die Jahres-Franchise überstiegen, war ein Selbstbehalt in Höhe von 10% bis maximal CHF 700,- vereinbart. Die Leistungen, die im Tarif mondial im Krankheitsfall erbracht werden, sind nahezu gleichwertig zu den Leistungen aus dem KVG bzw. aus der deutschen GKV. Abgedeckt werden Krankheitsfolgekosten im Wohnstaat (Deutschland) als auch am Arbeitsort (Schweiz). Der Vertrag wurde auch tatsächlich zunächst durchgeführt, jedoch zum 30.10.2007 aufgrund einer Verletzung der Anzeigepflicht bei Vertragsschluss gekündigt. Dies steht fest aufgrund der Auskünfte der S.V. vom 20.09.2016 an den Senat und vom 01.12.2011 an den Klägerbevollmächtigten, an deren Richtigkeit der Senat nicht zweifelt.

Für den Senat steht deshalb fest, dass die Patientin im Zeitraum der stationären Behandlungen einen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatte und schon deshalb eine Auffangversicherung ausscheidet.

Eine die Auffangpflichtversicherung ausschließende anderweitige Absicherung im Krankheitsfall besteht auch bei im Inland realisierbaren Leistungsansprüchen gegen ein ausländisches Sicherungssystem, das im Wesentlichen den Mindestanforderungen an eine Absicherung in der deutschen privaten Krankenversicherung entspricht; eine Absicherung auf dem Niveau des Basistarifs ist dabei nicht erforderlich (BSG 20.03.2013, B 12 KR 14/11 R, BSGE 113, 160-166, SozR 4-2500 § 5 Nr 18). Um ein solches Sicherungssystem handelt es sich bei der Krankenversicherung nach dem KVG und der hier (aufgrund Optionsrecht) von der Patientin abgeschlossenen privaten Krankenversicherung im Tarif mondial basis bei der S.V. in der Schweiz. Dessen Leistungsumfang ist grundsätzlich mit dem der GKV und demnach jedenfalls mit dem des Basistarifs in der deutschen PKV nahezu vergleichbar.

Es bestand selbst dann ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall wenn tatsächlich - was der Senat offen lassen kann - gemäß Art 6 Abs 3 sVVG die Leistungspflicht der S.V. bzgl. der stationären psychiatrischen Behandlungen (wegen paranoider Schizophrenie) aufgrund des arglistigen Verschweigens von psychiatrischen Vorerkrankungen durch die Patientin und der deshalb erfolgten Kündigung des Vertrages auch für bereits eingetretene Schäden rückwirkend erloschen sein sollte. Denn für den anderweitigen Anspruch gem § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V spielt es keine Rolle, dass ggf nach den Umständen des Einzelfalls im System Leistungen ausgeschlossen sein können, oder ob Leistungen zu Unrecht erbracht wurden und im Nachhinein wieder erstattet werden müssen (BSG 29.06.2016, B 12 KR 23/14 R, SozR 4-2500 § 191 Nr 3).

Eine anderweitige Grundlage für einen Versicherungsschutz durch die Beklagte ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen. Nachdem folglich für die Zeiträume der streitgegenständlichen stationären Behandlungen kein Versicherungsschutz in der GKV bei der Beklagten bestanden hat, scheidet ein Vergütungsanspruch aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG, 154 Abs. 1 VwGO. Der Streitwert ergibt sich aus der Höhe der Vergütungsforderungen.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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