Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 5175/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 1776/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.04.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2013.
Der 1966 geborene Kläger stammt aus dem Kosovo und hat keinen Beruf erlernt. Seit 1992 lebt er in der Bundesrepublik Deutschland, er ist inzwischen deutscher Staatsangehöriger. Zwischen 1999 und 2009 übte der Kläger mehrere ungelernte Tätigkeiten aus, unterbrochen durch Arbeitslosigkeit. Seither bezieht er nach Ende des Arbeitslosengeldbezugs durchgehend Arbeitslosengeld II. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 2008 und 40 seit 2009 ist anerkannt.
Einen ersten Rentenantrag stellte der Kläger am 02.02.2009. Die Beklagte holte Gutachten bei Dr. C. sowie der Ärztin für Nervenheilkunde Dipl.-Psych. B. ein. Diese diagnostizierten einen unzureichend eingestellten Bluthochdruck, hypertensive Herzkrankheit, Diabetes mellitus IIb sowie eine leicht- bis mittelgradige depressive Episode. Das Leistungsvermögen wurde auf mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten eingeschätzt. Mit Bescheid vom 10.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage (S 4 R 174/10) nahm der Kläger im September 2010 wieder zurück.
Am 05.11.2010 stellte der Kläger den nächsten Rentenantrag wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger internistisch und nervenärztlich begutachten. Die Allgemeinmedizinerin Dr. W. stellte erneut einen unzureichend eingestellten Bluthochdruck, hypertensive Herzkrankheit, Diabetes mellitus IIb mit leichter Polyneuropathie der Beine sowie Übergewicht fest. Frau B. beschrieb eine gegenüber der vorherigen Begutachtung massive Aggravationstendenz bei bekannter Neigung zu depressiven Verstimmungen. Insgesamt wurden bis zu mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht und übermäßigen Zeitdruck für zumutbar erachtet. Mit Bescheid vom 14.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im anschließenden Klageverfahren (S 11 R 3013/11) holte das SG nach Einholung sachverständiger Zeugenaussagen behandelnder Ärzte des Klägers ein Sachverständigengutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. ein. Dieser ging im Gutachten vom 28.06.2012 davon aus, dass unter Berücksichtigung des Gesamtzustands aus körperlichen Erkrankungen und mittelschwerer depressiver Störung eine regelmäßige Berufstätigkeit ausscheide, Beginn der Leistungseinschränkung sei Februar 2009. Mit Urteil vom 26.09.2013 verurteilte das SG die Beklagte gestützt auf das Gutachten von Dr. K. zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2010 bis 31.10.2013 und wies die Klage im Übrigen ab. Die Beklagte legte Berufung ein (L 10 R 4812/13). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) holte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. K. ein und befragte behandelnde Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Dr. P.-R. teilte mit, sie habe den Kläger zuletzt am 14.02.2014 behandelt. Der Neurologe Dr. O. berichtete über eine Besserung der Depression unter der Behandlung mit Venlafaxin (Schreiben vom 08.08.2014). Er halte den Kläger für in der Lage, seit Juni 2012 leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Die Beteiligten schlossen daraufhin unter dem 27.11.2014 vor dem LSG einen Vergleich, wonach die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.01. bis 31.12.2012 gewährte und der Kläger für die übrigen Zeiträume (bis 31.10.2013) Verzicht erklärte. Mit Bescheid vom 08.01.2015 setzte die Beklagte den Vergleich um (Zahlbetrag der Rente 179,44 EUR).
Bereits am 18.10.2013 hatte der Kläger die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2013 beantragt. Dr. F. stellte in ihrem von der Beklagten veranlassten internistischen Gutachten vom 29.04.2014 folgende Gesundheitsstörungen fest: metabolisches Syndrom mit Adipositas, Diabetes mellitus IIb, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie mit leichter Polyneuropathie. Auffällig sei die Gang- und Standunsicherheit, es bestehe dringender Verdacht auf Aggravation. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Absturzgefahr, hohen Zeitdruck und ständiges Stehen seien mindestens sechs Stunden täglich möglich. Mit Bescheid vom 05.06.2014 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, den Widerspruch vom 18.06.2014 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2014 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 07.11.2014 zum SG erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass er trotz des Vergleichs vom 27.11.2014 davon ausgehe, dass volle Erwerbsminderung vorliege, aus seiner Sicht sei eine Verschlimmerung eingetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei im maßgebenden Zeitraum ab 01.11.2013 in der Lage, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Damit sei er nicht erwerbsgemindert. Maßgebend seien die Einschränkungen auf internistischem Gebiet mit einem metabolischen Syndrom. Daneben bestünden leichte Polyneuropathie und eine depressive Verstimmung. Dies folge aus dem Gutachten von Dr. F. im Verwaltungsverfahren. Auch die dort abgeleiteten Funktionsbeeinträchtigungen und das danach geschätzte Leistungsvermögen seien schlüssig und plausibel. Das SG habe sich nicht davon überzeugen können, dass die von Dr. K. im vorigen Verfahren festgestellte mittelschwere Depression noch fortbestehe. Dies schließe die Kammer insbesondere aus der Auskunft von Dr. O. vom 08.08.2014. Der Kläger habe auch trotz Aufforderung durch das Gericht keine konkreten Angaben hinsichtlich der geltend gemachten Verschlimmerung gemacht.
Gegen den ihm am 13.04.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12.05.2016 eingelegte Berufung des Klägers. Das SG habe sich hauptsächlich auf das Gutachten von Dr. F. gestützt. Diese habe die psychiatrischen bzw neurologischen Fachgutachten völlig außen vor gelassen und reine Vermutungen in Hinsicht auf Aggravation getätigt. Nach dem Gutachten von Dr. K. sei davon auszugehen, dass volle Erwerbsminderung bestehe. Wegen der fortschreitenden Diabetes Erkrankung habe der Kläger Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen. Insgesamt sei eine erhebliche Verschlechterung eingetreten, inzwischen sei dem Kläger in einem Verfahren vor dem SG die Pflegestufe I zugesprochen worden (S 18 P 1601/15). Ergänzend hat der Kläger einen Arztbrief von Dr. Z vom 11.01.2017 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.04.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.11.2013 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Br ... Im Gutachten vom 18.10.2016 stellt Dr. Br. folgende Gesundheitsstörungen fest: Dysthyme Anpassungsstörung (F43.2), kombinierte Persönlichkeitsakzentuierung (F61.0), Va (herzphobisch geprägte) Panikstörung (F41.0/F40.2V), Diabetes mellitus ohne Anhalt für richtungsweisende polyneuropathische Störung, Adipositas, berichtete Beschwerden der LWS, Ellenbogengelenke, Fingergelenke und Venenerkrankung ohne organneurologische Ursachen oder Komplikationen, von Versorgungswünschen deutlich überlagertes Krankheitsverhalten. Körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, an gefährdenden Maschinen, unter Zeitdruck, mit besonderen Anforderungen an Konfliktfähigkeit, ohne regelmäßigen Publikumsverkehr und ohne Wechsel- oder Nachtschicht seien mindestens sechs Stunden arbeitstäglich möglich.
Ergänzend hat der Senat den behandelnden Hausarzt Dr. J. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser berichtet unter dem 05.11.2016, dass der Kläger regelmäßig über die gleichen Beschwerden klage (Schmerzen in den Beinen mit Gefühlsstörungen, chronische Beschwerden der Lendenwirbelsäule, Müdigkeit, Lustlosigkeit). Der Diabetes sei aktuell gut eingestellt, die Depression werde medikamentös durch Dr. O. mitbehandelt; hierunter sei die Stimmung seines Erachtens deutlich stabilisiert. Keine Verbesserung bestehe hinsichtlich des erheblichen Übergewichts sowie der Schmerzsymptomatik, hier allerdings auch keine Verschlechterung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten S 11 R 3013/11, S 13 R 5175/14, S 18 P 1601/15 und L 10 R 4812/13 sowie die Senatsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, denn er ist nicht erwerbsgemindert.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger täglich noch mindestens 6 Stunden arbeiten und verfügt über die erforderliche Wegefähigkeit, weshalb er nicht erwerbsgemindert ist. Zu vermeiden sind lediglich Tätigkeiten mit Absturzgefahr, an gefährdenden Maschinen, unter Zeitdruck, mit besonderen Anforderungen an Konfliktfähigkeit, regelmäßiger Publikumsverkehr und Wechsel- bzw Nachtschicht.
Diese Überzeugung schöpft der Senat im Wesentlichen aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Br. vom 18.10.2016 sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. F. vom 29.04.2014, das im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird. Beide Sachverständige haben übereinstimmend und für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass dem Kläger unter Beachtung der og Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine leichte körperliche Tätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich möglich ist.
Beim Kläger liegen in der Zusammenschau der umfangreich vorliegenden ärztlichen Unterlagen folgende Gesundheitsstörungen vor: - metabolisches Syndrom mit Adipositas (BMI 50,5 kg/m²), Diabetes mellitus IIb, arterieller Hypertonie, Hyperlipidämie, Fettleber und leichtgradige Polyneuropathie - Dysthyme Anpassungsstörung - kombinierte Persönlichkeitsakzentuierung - Va (herzphobisch geprägte) Panikstörung - Beschwerden der LWS ohne organneurologische Ursachen oder Komplikationen
Die auf internistischem Gebiet liegenden Erkrankungen sind in dem Gutachten von Dr. F. sowie den in früheren Verfahren eingeholten Gutachten von Dr. C. und Dr. W. umfassend gewürdigt worden. Zu keinem Zeitpunkt haben sich daraus Einschränkungen der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht ergeben. Bei einer kardiologischen Kontrolluntersuchung durch Dr. Ha.-W. zeigten sich in der Echokardiographie normal große Herzhöhlen, gute biventrikuläre Funktion ohne linksventrikuläre Hypertrophie (Arztbrief vom 18.12.2014). Es besteht eine Belastungsdyspnoe bei progredienter Adipositas mit erhaltener körperlicher Leistungsfähigkeit, wie sich dem Arztbrief von Dr. T. vom 25.10.2016 entnehmen lässt. Soweit Dr. Z in seinem Arztbrief vom 11.01.2017 eine Fettleber mit Hepatomegalie und Leberparenchymschaden beschreibt, empfiehlt er dringend eine Reduzierung des Körpergewichts insbesondere durch Optimierung der Ernährungsgewohnheiten und unterstützende Maßnahmen wie zB Wassergymnastik. Weitergehende Einschränkungen ergeben sich hieraus nicht. Ausdrücklich bestätigt der langjährig behandelnde Hausarzt als sachverständiger Zeuge auf Anfrage im Berufungsverfahren, dass bei gleichbleibender Beschwerdeangabe des Klägers keine Verbesserung oder Verschlechterung zu verzeichnen sei bei stabilisierter Stimmungslage. Auch in der Vergangenheit waren nicht die internistischen Beschwerden führend, sondern die Rentengewährung erfolgte aufgrund psychischer Beeinträchtigungen.
Eine mittelschwere Depression, wie sie der Gutachter Dr. K. im Verfahren S 11 R 3113/11 in seinem Gutachten vom 28.06.2012 festgestellt hatte, konnte im weiteren Verlauf nicht bestätigt werden. Der behandelnde Nervenarzt Dr. O. ging in seiner Aussage gegenüber dem LSG vom 08.08.2014 lediglich von einer depressiven Verstimmung aus und hielt leichte Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden zumutbar auch ab Juni 2012. Ob es sich bei der Beurteilung von Dr. K. lediglich um eine Momentaufnahme handelt, wie der beratungsärztliche Dienst der Beklagten angenommen hatte, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen. Streitig ist hier allein der Zeitraum ab 01.11.2013. Ab diesem Zeitpunkt und fortlaufend besteht keine gravierende depressive Erkrankung. Bei der Untersuchung durch Dr. Br. zeigte der Kläger akzentuierte Kommunikationsmuster mit dargestelltem extrem anstrengendem Nachdenken im Kontrast zu nachhaltig lebendig und präzisen Darlegungen in anderen Zusammenhängen. Auffällig war auch die Prüfung des Seiltänzerganges mit zunächst ganz grobem, völlig unsystematischem Schwanken und "fast stürzen" und in der Wiederholung dann extrem langsam dargeboten (was nach den Ausführungen des Gutachters eigentlich schwieriger ist als der flotte Seiltänzergang). Auffassung, Konzentration und Gedächtnisleistung waren in der mehrstündigen Untersuchung (von 9:00 bis 14:15 Uhr) ohne richtungsweisende Auffälligkeiten. Im psychischen Befund erschien der Kläger missmutig, themenbezogen auch gekränkt bei gut erhaltener inhaltlicher Auslenkbarkeit und lebendig abzubildender Antriebslage. Insoweit verweist Dr. Br. auf erhebliche Diskrepanzen zwischen den reklamierten Beschwerden und den seltenen, kurzen psychiatrischen Terminen sowie insbesondere zwischen beklagter Antriebs- und Lustlosigkeit und psychischem Befund. Aggravationstendenzen ergeben sich auch aus früheren Gutachten (insbesondere Frau B. und Dr. F.). Die von Dr. Br. festgestellte Anpassungsstörung bewirkt keine Leistungseinschränkung in zeitlicher Hinsicht, wie vom Gutachter überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt. Die Diagnose einer Anpassungsstörung wird im Übrigen auch vom Zentrum für Psychiatrie E. gestellt, wo der Kläger nach fremdaggressivem Verhalten vom 03. bis 05.07.2016 behandelt worden war, nachdem seine Familie aufgrund eines häuslichen Konflikts die Polizei gerufen hatte. Aus der von Dr. Br. gestellten Verdachtsdiagnose einer Panikstörung ergeben sich keine weitergehenden Einschränkungen. Der Gutachter begründet dies nachvollziehbar mit fehlendem Vermeidungsverhalten, so dass die Störung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht im Wege steht.
Der Kläger ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berück-sichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R (juris) mwN).
Die erforderliche Wegefähigkeit ist zur Überzeugung des Senats gegeben. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Gutachten von Dr. Br ... Die diabetische Polyneuropathie der Beine steht dem nicht entgegen, denn diese Erkrankung ist nur sehr leichtgradig ausgeprägt. Bei der Untersuchung durch Dr. Br. ergab die Elektroneurographie der unteren Extremitäten überhaupt keine Anhaltspunkte für eine motorisch-polyneuropathische Störung.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn – wie hier - Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände oder einfache Prüfarbeiten noch uneingeschränkt möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen. Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da der Kläger nach dem Stichtag 1966 geboren ist, kommt eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. Br. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; viel-mehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehen-den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für über-zeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2013.
Der 1966 geborene Kläger stammt aus dem Kosovo und hat keinen Beruf erlernt. Seit 1992 lebt er in der Bundesrepublik Deutschland, er ist inzwischen deutscher Staatsangehöriger. Zwischen 1999 und 2009 übte der Kläger mehrere ungelernte Tätigkeiten aus, unterbrochen durch Arbeitslosigkeit. Seither bezieht er nach Ende des Arbeitslosengeldbezugs durchgehend Arbeitslosengeld II. Ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 seit 2008 und 40 seit 2009 ist anerkannt.
Einen ersten Rentenantrag stellte der Kläger am 02.02.2009. Die Beklagte holte Gutachten bei Dr. C. sowie der Ärztin für Nervenheilkunde Dipl.-Psych. B. ein. Diese diagnostizierten einen unzureichend eingestellten Bluthochdruck, hypertensive Herzkrankheit, Diabetes mellitus IIb sowie eine leicht- bis mittelgradige depressive Episode. Das Leistungsvermögen wurde auf mindestens sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten eingeschätzt. Mit Bescheid vom 10.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.01.2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Die zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage (S 4 R 174/10) nahm der Kläger im September 2010 wieder zurück.
Am 05.11.2010 stellte der Kläger den nächsten Rentenantrag wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ den Kläger internistisch und nervenärztlich begutachten. Die Allgemeinmedizinerin Dr. W. stellte erneut einen unzureichend eingestellten Bluthochdruck, hypertensive Herzkrankheit, Diabetes mellitus IIb mit leichter Polyneuropathie der Beine sowie Übergewicht fest. Frau B. beschrieb eine gegenüber der vorherigen Begutachtung massive Aggravationstendenz bei bekannter Neigung zu depressiven Verstimmungen. Insgesamt wurden bis zu mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtschicht und übermäßigen Zeitdruck für zumutbar erachtet. Mit Bescheid vom 14.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.05.2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Im anschließenden Klageverfahren (S 11 R 3013/11) holte das SG nach Einholung sachverständiger Zeugenaussagen behandelnder Ärzte des Klägers ein Sachverständigengutachten bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. ein. Dieser ging im Gutachten vom 28.06.2012 davon aus, dass unter Berücksichtigung des Gesamtzustands aus körperlichen Erkrankungen und mittelschwerer depressiver Störung eine regelmäßige Berufstätigkeit ausscheide, Beginn der Leistungseinschränkung sei Februar 2009. Mit Urteil vom 26.09.2013 verurteilte das SG die Beklagte gestützt auf das Gutachten von Dr. K. zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.11.2010 bis 31.10.2013 und wies die Klage im Übrigen ab. Die Beklagte legte Berufung ein (L 10 R 4812/13). Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) holte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. K. ein und befragte behandelnde Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Dr. P.-R. teilte mit, sie habe den Kläger zuletzt am 14.02.2014 behandelt. Der Neurologe Dr. O. berichtete über eine Besserung der Depression unter der Behandlung mit Venlafaxin (Schreiben vom 08.08.2014). Er halte den Kläger für in der Lage, seit Juni 2012 leichte Tätigkeiten mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Die Beteiligten schlossen daraufhin unter dem 27.11.2014 vor dem LSG einen Vergleich, wonach die Beklagte dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.01. bis 31.12.2012 gewährte und der Kläger für die übrigen Zeiträume (bis 31.10.2013) Verzicht erklärte. Mit Bescheid vom 08.01.2015 setzte die Beklagte den Vergleich um (Zahlbetrag der Rente 179,44 EUR).
Bereits am 18.10.2013 hatte der Kläger die Gewährung von Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2013 beantragt. Dr. F. stellte in ihrem von der Beklagten veranlassten internistischen Gutachten vom 29.04.2014 folgende Gesundheitsstörungen fest: metabolisches Syndrom mit Adipositas, Diabetes mellitus IIb, arterielle Hypertonie, Hyperlipidämie mit leichter Polyneuropathie. Auffällig sei die Gang- und Standunsicherheit, es bestehe dringender Verdacht auf Aggravation. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Absturzgefahr, hohen Zeitdruck und ständiges Stehen seien mindestens sechs Stunden täglich möglich. Mit Bescheid vom 05.06.2014 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, den Widerspruch vom 18.06.2014 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 05.11.2014 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 07.11.2014 zum SG erhobene Klage. Zur Begründung hat der Kläger ausgeführt, dass er trotz des Vergleichs vom 27.11.2014 davon ausgehe, dass volle Erwerbsminderung vorliege, aus seiner Sicht sei eine Verschlimmerung eingetreten.
Mit Gerichtsbescheid vom 07.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger sei im maßgebenden Zeitraum ab 01.11.2013 in der Lage, leichte Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Damit sei er nicht erwerbsgemindert. Maßgebend seien die Einschränkungen auf internistischem Gebiet mit einem metabolischen Syndrom. Daneben bestünden leichte Polyneuropathie und eine depressive Verstimmung. Dies folge aus dem Gutachten von Dr. F. im Verwaltungsverfahren. Auch die dort abgeleiteten Funktionsbeeinträchtigungen und das danach geschätzte Leistungsvermögen seien schlüssig und plausibel. Das SG habe sich nicht davon überzeugen können, dass die von Dr. K. im vorigen Verfahren festgestellte mittelschwere Depression noch fortbestehe. Dies schließe die Kammer insbesondere aus der Auskunft von Dr. O. vom 08.08.2014. Der Kläger habe auch trotz Aufforderung durch das Gericht keine konkreten Angaben hinsichtlich der geltend gemachten Verschlimmerung gemacht.
Gegen den ihm am 13.04.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 12.05.2016 eingelegte Berufung des Klägers. Das SG habe sich hauptsächlich auf das Gutachten von Dr. F. gestützt. Diese habe die psychiatrischen bzw neurologischen Fachgutachten völlig außen vor gelassen und reine Vermutungen in Hinsicht auf Aggravation getätigt. Nach dem Gutachten von Dr. K. sei davon auszugehen, dass volle Erwerbsminderung bestehe. Wegen der fortschreitenden Diabetes Erkrankung habe der Kläger Schwierigkeiten beim Gehen und Stehen. Insgesamt sei eine erhebliche Verschlechterung eingetreten, inzwischen sei dem Kläger in einem Verfahren vor dem SG die Pflegestufe I zugesprochen worden (S 18 P 1601/15). Ergänzend hat der Kläger einen Arztbrief von Dr. Z vom 11.01.2017 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 07.04.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 01.11.2013 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. Br ... Im Gutachten vom 18.10.2016 stellt Dr. Br. folgende Gesundheitsstörungen fest: Dysthyme Anpassungsstörung (F43.2), kombinierte Persönlichkeitsakzentuierung (F61.0), Va (herzphobisch geprägte) Panikstörung (F41.0/F40.2V), Diabetes mellitus ohne Anhalt für richtungsweisende polyneuropathische Störung, Adipositas, berichtete Beschwerden der LWS, Ellenbogengelenke, Fingergelenke und Venenerkrankung ohne organneurologische Ursachen oder Komplikationen, von Versorgungswünschen deutlich überlagertes Krankheitsverhalten. Körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ohne Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten, an gefährdenden Maschinen, unter Zeitdruck, mit besonderen Anforderungen an Konfliktfähigkeit, ohne regelmäßigen Publikumsverkehr und ohne Wechsel- oder Nachtschicht seien mindestens sechs Stunden arbeitstäglich möglich.
Ergänzend hat der Senat den behandelnden Hausarzt Dr. J. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser berichtet unter dem 05.11.2016, dass der Kläger regelmäßig über die gleichen Beschwerden klage (Schmerzen in den Beinen mit Gefühlsstörungen, chronische Beschwerden der Lendenwirbelsäule, Müdigkeit, Lustlosigkeit). Der Diabetes sei aktuell gut eingestellt, die Depression werde medikamentös durch Dr. O. mitbehandelt; hierunter sei die Stimmung seines Erachtens deutlich stabilisiert. Keine Verbesserung bestehe hinsichtlich des erheblichen Übergewichts sowie der Schmerzsymptomatik, hier allerdings auch keine Verschlechterung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die beigezogenen Gerichtsakten S 11 R 3013/11, S 13 R 5175/14, S 18 P 1601/15 und L 10 R 4812/13 sowie die Senatsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG), in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 05.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.11.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, denn er ist nicht erwerbsgemindert.
Der geltend gemachte Anspruch richtet sich nach § 43 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - (SGB VI) in der ab 01.01.2008 geltenden Fassung des Art 1 Nr 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007 (BGBl I, 554). Versicherte haben nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie erwerbsgemindert sind (Nr 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr 3).
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs 1 und Abs 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs 3 SGB VI).
Zur Überzeugung des Senats kann der Kläger täglich noch mindestens 6 Stunden arbeiten und verfügt über die erforderliche Wegefähigkeit, weshalb er nicht erwerbsgemindert ist. Zu vermeiden sind lediglich Tätigkeiten mit Absturzgefahr, an gefährdenden Maschinen, unter Zeitdruck, mit besonderen Anforderungen an Konfliktfähigkeit, regelmäßiger Publikumsverkehr und Wechsel- bzw Nachtschicht.
Diese Überzeugung schöpft der Senat im Wesentlichen aus dem schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Br. vom 18.10.2016 sowie dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. F. vom 29.04.2014, das im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird. Beide Sachverständige haben übereinstimmend und für den Senat nachvollziehbar ausgeführt, dass dem Kläger unter Beachtung der og Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine leichte körperliche Tätigkeit im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich möglich ist.
Beim Kläger liegen in der Zusammenschau der umfangreich vorliegenden ärztlichen Unterlagen folgende Gesundheitsstörungen vor: - metabolisches Syndrom mit Adipositas (BMI 50,5 kg/m²), Diabetes mellitus IIb, arterieller Hypertonie, Hyperlipidämie, Fettleber und leichtgradige Polyneuropathie - Dysthyme Anpassungsstörung - kombinierte Persönlichkeitsakzentuierung - Va (herzphobisch geprägte) Panikstörung - Beschwerden der LWS ohne organneurologische Ursachen oder Komplikationen
Die auf internistischem Gebiet liegenden Erkrankungen sind in dem Gutachten von Dr. F. sowie den in früheren Verfahren eingeholten Gutachten von Dr. C. und Dr. W. umfassend gewürdigt worden. Zu keinem Zeitpunkt haben sich daraus Einschränkungen der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht ergeben. Bei einer kardiologischen Kontrolluntersuchung durch Dr. Ha.-W. zeigten sich in der Echokardiographie normal große Herzhöhlen, gute biventrikuläre Funktion ohne linksventrikuläre Hypertrophie (Arztbrief vom 18.12.2014). Es besteht eine Belastungsdyspnoe bei progredienter Adipositas mit erhaltener körperlicher Leistungsfähigkeit, wie sich dem Arztbrief von Dr. T. vom 25.10.2016 entnehmen lässt. Soweit Dr. Z in seinem Arztbrief vom 11.01.2017 eine Fettleber mit Hepatomegalie und Leberparenchymschaden beschreibt, empfiehlt er dringend eine Reduzierung des Körpergewichts insbesondere durch Optimierung der Ernährungsgewohnheiten und unterstützende Maßnahmen wie zB Wassergymnastik. Weitergehende Einschränkungen ergeben sich hieraus nicht. Ausdrücklich bestätigt der langjährig behandelnde Hausarzt als sachverständiger Zeuge auf Anfrage im Berufungsverfahren, dass bei gleichbleibender Beschwerdeangabe des Klägers keine Verbesserung oder Verschlechterung zu verzeichnen sei bei stabilisierter Stimmungslage. Auch in der Vergangenheit waren nicht die internistischen Beschwerden führend, sondern die Rentengewährung erfolgte aufgrund psychischer Beeinträchtigungen.
Eine mittelschwere Depression, wie sie der Gutachter Dr. K. im Verfahren S 11 R 3113/11 in seinem Gutachten vom 28.06.2012 festgestellt hatte, konnte im weiteren Verlauf nicht bestätigt werden. Der behandelnde Nervenarzt Dr. O. ging in seiner Aussage gegenüber dem LSG vom 08.08.2014 lediglich von einer depressiven Verstimmung aus und hielt leichte Tätigkeiten für mindestens sechs Stunden zumutbar auch ab Juni 2012. Ob es sich bei der Beurteilung von Dr. K. lediglich um eine Momentaufnahme handelt, wie der beratungsärztliche Dienst der Beklagten angenommen hatte, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen. Streitig ist hier allein der Zeitraum ab 01.11.2013. Ab diesem Zeitpunkt und fortlaufend besteht keine gravierende depressive Erkrankung. Bei der Untersuchung durch Dr. Br. zeigte der Kläger akzentuierte Kommunikationsmuster mit dargestelltem extrem anstrengendem Nachdenken im Kontrast zu nachhaltig lebendig und präzisen Darlegungen in anderen Zusammenhängen. Auffällig war auch die Prüfung des Seiltänzerganges mit zunächst ganz grobem, völlig unsystematischem Schwanken und "fast stürzen" und in der Wiederholung dann extrem langsam dargeboten (was nach den Ausführungen des Gutachters eigentlich schwieriger ist als der flotte Seiltänzergang). Auffassung, Konzentration und Gedächtnisleistung waren in der mehrstündigen Untersuchung (von 9:00 bis 14:15 Uhr) ohne richtungsweisende Auffälligkeiten. Im psychischen Befund erschien der Kläger missmutig, themenbezogen auch gekränkt bei gut erhaltener inhaltlicher Auslenkbarkeit und lebendig abzubildender Antriebslage. Insoweit verweist Dr. Br. auf erhebliche Diskrepanzen zwischen den reklamierten Beschwerden und den seltenen, kurzen psychiatrischen Terminen sowie insbesondere zwischen beklagter Antriebs- und Lustlosigkeit und psychischem Befund. Aggravationstendenzen ergeben sich auch aus früheren Gutachten (insbesondere Frau B. und Dr. F.). Die von Dr. Br. festgestellte Anpassungsstörung bewirkt keine Leistungseinschränkung in zeitlicher Hinsicht, wie vom Gutachter überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt. Die Diagnose einer Anpassungsstörung wird im Übrigen auch vom Zentrum für Psychiatrie E. gestellt, wo der Kläger nach fremdaggressivem Verhalten vom 03. bis 05.07.2016 behandelt worden war, nachdem seine Familie aufgrund eines häuslichen Konflikts die Polizei gerufen hatte. Aus der von Dr. Br. gestellten Verdachtsdiagnose einer Panikstörung ergeben sich keine weitergehenden Einschränkungen. Der Gutachter begründet dies nachvollziehbar mit fehlendem Vermeidungsverhalten, so dass die Störung einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht im Wege steht.
Der Kläger ist auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne. Zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (BSG 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2 mwN; 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R). Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 09.08.2001, B 10 LW 18/00 R, SozR 3-5864 § 13 Nr 2; 14.03.2002, B 13 RJ 25/01 R); das Defizit führt zur vollen Erwerbsminderung. Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (zB Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berück-sichtigen (BSG 17.12.1991, 13/5 RJ 73/90, SozR 3-2200 § 1247 Nr 10; 30.01.2002, B 5 RJ 36/01 R (juris) mwN).
Die erforderliche Wegefähigkeit ist zur Überzeugung des Senats gegeben. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Gutachten von Dr. Br ... Die diabetische Polyneuropathie der Beine steht dem nicht entgegen, denn diese Erkrankung ist nur sehr leichtgradig ausgeprägt. Bei der Untersuchung durch Dr. Br. ergab die Elektroneurographie der unteren Extremitäten überhaupt keine Anhaltspunkte für eine motorisch-polyneuropathische Störung.
Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend in der Person des Klägers eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben wäre bestehen nicht, ein Teil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG 30.11.1983, 5a RKn 28/82, BSGE 56, 64, SozR 2200 § 1246 Nr 110; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996, BSGE 80, 24, SozR 3-2600 § 44 Nr 8; siehe auch BSG 05.10.2005, B 5 RJ 6/05 R, SozR 4-2600 § 43 Nr 5). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, SozR 2200 § 1246 Nr 90). Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn – wie hier - Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände oder einfache Prüfarbeiten noch uneingeschränkt möglich sind. Einschränkungen, die dem entgegenstehen könnten, lassen sich den vorliegenden Gutachten nicht entnehmen. Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger noch leidensgerecht und zumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich und mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass er vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Da der Kläger nach dem Stichtag 1966 geboren ist, kommt eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nicht in Betracht.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Dr. Br. hat dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Das Gutachten geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthält keine unlösbaren inhaltlichen Widersprüche und gibt auch keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit des Gutachters zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachtenergebnisse oder unterschiedlicher ärztlicher Auffassungen zur Leistungsfähigkeit des Versicherten gehört wie die anderer sich widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. Eine Verpflichtung zu weiterer Beweiserhebung besteht auch bei einander widersprechenden Gutachtenergebnissen im Allgemeinen nicht; viel-mehr hat sich das Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung mit den einander entgegenstehen-den Ergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für über-zeugend, darf es sich diesem anschließen, ohne eine weitere Sachaufklärung zu betreiben. Bei einer derartigen Fallkonstellation ist für eine weitere Beweiserhebung regelmäßig kein Raum (BSG 08.12.2009, B 5 R 148/09 B, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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BWB
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