L 11 KR 3439/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 302/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3439/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Fortführung des Klageverfahrens S 8 KR 4175/14 vor dem Sozialgericht Ulm (SG).

Im Zuge verschiedener Verwaltungs- und Klageverfahren zwischen den Beteiligten übersandte die Beklagte zu 1) dem Kläger mit Schreiben vom 18.08.2014 eine Übersicht über dessen Beitragskonto (Zeiträume 01.06.2013 bis 31.05.2014 und 01.06.2014 bis 31.07.2014, vgl Bl 106/104 Verwaltungsakte). Die dort aufgeführten Forderungen waren bereits Gegenstand anhängiger Rechtsstreitigkeiten vor dem SG (S 8 KR 2301/14, S 8 KR 2041/14, S 8 KR 2041/14, vgl Bl 112-114 Verwaltungsakte).

Gegen das Schreiben vom 18.08.2014 erhob der Kläger am 22.08.2014 Widerspruch (Bl 108 Verwaltungsakte).

Mit Schreiben vom 15.12.2014, beim SG am 23.12.2014 eingegangen, hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Sein Widerspruch vom 21.08.2014 gegen den Bescheid vom 18.08.2014 sei noch offen.

Mit Schreiben vom 05.01.2014 hat der Kläger dem SG in einer anderen Rechtssache mitgeteilt, es "werden Klagen u.s.w. zurückgenommen, die mit der Gesamtsendung vom 15.12.2014 an das SG gesandt wurden" (Bl 2 SG-Akte im Verfahren S 8 KR 4175/14).

Das SG hat dem Kläger hierauf mitgeteilt, dass der Rechtsstreit S 8 KR 4175/14 durch Klagerücknahme erledigt sei.

Hierauf hat der Kläger mit Schreiben vom 26.01.2016 mitgeteilt, die Klage sei nicht zurückgenommen worden. Das SG hat dies als Anfechtung einer verfahrensbeendenden Erklärung und darüber hinaus als erneute Erhebung einer Untätigkeitsklage gewertet.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das Schreiben vom 18.08.2014 sei kein Verwaltungsakt, sondern lediglich eine Übersicht des Beitragskontos des Klägers zu dessen Information ohne regelnden Inhalt. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2015 hat sie den Widerspruch des Klägers vom 22.08.2014 als unzulässig verworfen.

Der Kläger hat den Widerspruchsbescheid vom 01.06.2015 nicht zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, sich auf Nachfrage des SG zu etwaigen Prozesszielen nicht geäußert und auch an der mündlichen Verhandlung vom 10.08.2016 nicht teilgenommen.

Mit Urteil vom 10.08.2016 hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit S 8 KR 4175/14 durch Klagerücknahme beendet ist. Die mit Schreiben vom 26.01.2015 hilfsweise konkludent erhobenen Untätigkeitsklagen seien unzulässig. Mit Erlass des Widerspruchsbescheids sei ein erledigendes Ereignis eingetreten und das Rechtsschutzinteresse des Klägers entfallen.

Gegen das ihm am 22.08.2016 mit Postzustellungsurkunde zugestellte Urteil des SG hat der Kläger am 05.09.2016 Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Er hat eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt, da das SG nicht ausreichend begründet habe, weshalb die Klage als zurückgenommen gelte.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 10.08.2016 insoweit aufzuheben, als das Sozialgericht festgestellt hat, dass der Rechtsstreit S 8 KR 4175/14 durch Klagerücknahme beendet ist und das Verfahren S 8 KR 4175/14 fortzuführen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nehmen auf die Ausführungen des SG Bezug.

Mit Schreiben des Berichterstatters vom 15.11.2016 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass beabsichtigt ist, die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückzuweisen, da der Senat die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 09.12.2016 gegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet, denn das SG hat zu Recht die verfahrensbeendigende Wirkung der Klagerücknahme festgestellt.

Streitgegenstand ist nur, ob der Rechtsstreit S 8 KR 4175/14 wirksam durch Klagerücknahme beendet worden ist. Der Kläger hat im Berufungsschreiben vom 05.09.2016 den Streitgegenstand auf die Frage der wirksamen Klagerücknahme begrenzt. Der Begriff des Streitgegenstands im sozialgerichtlichen Verfahren deckt sich mit der Definition des Begriffs im zivilprozessualen Verfahren (BSGE 9, 17; 14, 99; 35, 6). Streitgegenstand ist der vom Kläger im Prozess erhobene Anspruch, nämlich das vom Kläger aufgrund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 95 RdNr 4 ff mwN). Danach wird der Streitgegenstand im Wesentlichen durch den vom Kläger erhobenen Anspruch bestimmt (Dispositionsmaxime). Der Kläger hat in der Begründung der Berufung gerügt, das SG habe nicht ausreichend dargelegt, weshalb die Klage als zurückgenommen gelte. Gegen die weitere vom SG entschiedene Frage der unzulässigen Untätigkeitsklage hat er sich nicht gewandt und sich auch auf Nachfrage des Senats hierzu nicht mehr geäußert.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gemäß § 153 Abs 4 SGG zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden.

Die Erklärung des Klägers im Schreiben vom 05.01.2015 ist als Klagerücknahme auszulegen. Der Kläger hat in diesem Schreiben eindeutig erklärt, dass diejenigen Klagen zurückgenommen werden, die mit Schreiben vom 15.12.2014 an das SG gesandt wurden. Hierzu gehörte auch die beim SG unter dem Az. S 8 KR 4175/15 erhobene Klage.

Gemäß § 102 Abs 1 Satz 1 und 2 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Entscheidend ist ein aus der gewählten Formulierung klar erkennbarer Wille, das Verfahren nicht fortsetzen zu wollen (vgl dazu Senatsbeschluss v. 12.09.2016, L 11 R 2363/16). Der Wortlaut des Schreibens vom 05.01.2015 ist eindeutig und lässt den Willen des Klägers erkennen, die unter Bezugnahme auf das Schreiben vom 15.12.2014 auch eindeutig bezeichnete Klage zurückzunehmen.

Der Kläger hat damit die Klage insgesamt zurückgenommen.

Diese Prozesserklärung konnte auch nicht wirksam angefochten werden. Die Erklärung der Klagerücknahme ist eine Prozesshandlung, die das Gericht und die Beteiligten bindet, selbst wenn der Rechtsstreit materiell nicht erledigt wurde. Sie kann grundsätzlich nicht widerrufen oder wegen Irrtums angefochten werden (Bundessozialgericht (BSG) 20.12.1995, 6 RKa 18/95, juris; BSG 04.11.2009, B 14 AS 81/08 B, juris; Bundesverwaltungsgericht 26.01.1981, 6 C 70/80, juris; Bundesfinanzhof (BFH) 19.01.1971, II B 26/69, BFHE 104, 291; Meyer-Ladewig, SGG, 11. Aufl 2014, § 102 RdNr 7c mwN). Ein Irrtum beim Kläger ist überdies nicht ersichtlich.

Die unwiderruflich verfahrensbeendende Wirkung der Rücknahme einer Klage dient der Rechtssicherheit, weil andernfalls ein die Beendigung des Verfahrens betreffender Schwebezustand bestände (vgl Bundesgerichtshof 26.09.2007, XII ZB 80/07, FamRZ 2008, 43; anders im finanzgerichtlichen Verfahren: BFH 06.07.2005, XI R 15/04, BFHE 210, 4).

Ein Widerruf der Klagerücknahme ist nur in den engen Grenzen des Vorliegens der Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens denkbar (§§ 179, 180 SGG). Danach kann ein rechtskräftig beendetes Verfahren entsprechend den Vorschriften des Vierten Buches der Zivilprozessordnung wieder aufgenommen werden (§ 179 Abs 1 SGG). Es fehlt hier an den Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß den Vorschriften der Nichtigkeitsklage oder Restitutionsklage (§§ 579, 580 ZPO). Die Anfechtungsgründe sind abschließend aufgeführt. Es handelt sich im Wesentlichen um schwerste Verfahrensmängel bzw um eine Entscheidung, die auf einer unrichtigen, insbesondere einer verfälschten Grundlage beruht, wie zB auf einer Urkundenfälschung oder einer strafbaren Urteilserschleichung. Die Wiederaufnahme ist ferner zulässig, wenn ein Beteiligter strafgerichtlich verurteilt worden ist, weil er Tatsachen, die für die Entscheidung der Streitsache von wesentlicher Bedeutung waren, wissentlich falsch behauptet oder vorsätzlich verschwiegen hat. Derartige Gründe liegen hier ersichtlich nicht vor und werden auch vom Kläger nicht behauptet.

Da das Verfahren durch die erstinstanzlich erklärte Klagerücknahme beendet wurde, ist dem Senat eine weitergehende Entscheidung in der Sache verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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