L 4 KR 4684/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 19 KR 4089/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 4684/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die (teilweise) Kostenzusage für eine stationäre Behandlung in einer Schmerzklinik in der Schweiz.

Die 1924 geborene, im Landkreis L. wohnhafte Antragstellerin leidet unter einem Lendenwirbelsäulensyndrom mit degenerativen Veränderungen der Lendenwirbelsäule und Lumboischialgien. Ihr Hausarzt, Arzt für Allgemeinmedizin Dr. H., verordnete im Juli 2016 eine stationäre Krankenhausbehandlung zur Schmerztherapie. Als nächst erreichbares geeignetes Krankenhaus gab er die "W." Klinik in B./Schweiz an. Die Antragstellerin bat daraufhin die Antragsgegnerin um Abgabe einer Kostenzusage für eine stationäre Behandlung in dieser Klinik. Die schweizerische Klinik sei in ihrer Wohnortnähe die am besten geeignetste Klinik für das bei ihr bestehende Krankheitsbild. Aufgrund ihres Alters und der Schmerzen sei ein längerer Transport im Pkw, beispielsweise nach Freiburg, nicht zumutbar. Allenfalls ein Krankenwagen könne einen solchen Transport übernehmen. Ihre private Krankenzusatzversicherung habe schon eine Kostenzusage erteilt. Gestützt auf das sozialmedizinische Gutachten des Dr. M., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), vom 18. August 2016, wonach adäquate – vorrangig ambulante – Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland bestünden, lehnte die Antragsgegnerin die Abgabe einer Kostenzusage ab (Bescheid vom 18. August 2016). Hiergegen legte die Antragstellerin Widerspruch ein. Wie sich aus der Verordnung des Dr. H. ergebe, sei eine ambulante Behandlung nicht ausreichend. Sie sei schon in der Vergangenheit in der Klinik in B. behandelt worden, weshalb ein besonderes Vertrauensverhältnis zu der Klinik bestünde. Ein vergleichbares Therapieangebot gebe es in ihrer Wohnortnähe nicht. Sie legte das Schreiben des Orthopäden Dr. C.-S., Ärztlicher Direktor der Klinik in B., vom 19. August 2016 vor, wonach die vorgesehene multimodale Schmerztherapie nur stationär möglich sei. Im daraufhin von der Antragsgegnerin eingeholten Gutachten vom 23. September 2016 führte Dr. W.-O., MDK, aus, er könne mangels aktueller medizinscher Befundberichte keine abschließende Beurteilung der Notwendigkeit einer stationären Behandlung abgeben. Jedenfalls bestünden aber zahlreiche wohnortnahe Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland, beispielsweise in Lörrach, Rheinfelden und Freiburg. Eine Entscheidung über den Widerspruch ist nicht bei den Akten.

Am 20. Oktober 2016 beantragte die Antragstellerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) einstweiligen Rechtsschutz und wiederholte zur Begründung ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren. Ergänzend legte sie Atteste des Dr. H. vor, wonach die von ihm durchgeführte Schmerztherapie nicht mehr ausreiche. Wegen der Mobilitätseinschränkungen und der Schmerzen der Antragstellerin sei eine stationäre Behandlung erforderlich. Eine 2014 begonnene Physiotherapie habe wegen Transportproblemen abgebrochen werden müssen.

Die Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Es sei nicht substantiiert vorgetragen, weshalb im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens eine stationäre Schmerzbehandlung in der Schweiz zu gewähren sei.

Mit Beschluss vom 14. November 2016 lehnte das SG den Antrag ab. Zur Begründung führte es aus, es könne offen bleiben, ob die Antragstellerin überhaupt Anspruch auf eine stationäre Behandlung habe. Jedenfalls sei eine gleichermaßen geeignete multimodale schmerztherapeutische Behandlung in zumutbarer Entfernung zum Wohnort der Antragstellerin möglich. Die Klinik in Bad Bellingen sei wohnortnäher als B. und biete ausweislich der Homepage die von der Antragstellerin gewünschte Therapie an. Jedenfalls könne in Freiburg eine gleichwertige Behandlung erbracht werden. Die Wegstrecke könne mittels Krankentransport zurückgelegt werden.

Gegen den ihr am 17. November 2016 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 19. Dezember 2016 Beschwerde eingelegt. Bis zuletzt hat die anwaltlich vertretene Antragstellerin – trotz Fristsetzung – weder einen Antrag formuliert noch ihre Beschwerde begründet.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 14. November 2016 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Kostenzusage für die stationäre Behandlung in der "W." Klinik in B. (Schweiz) abzüglich der Zahlung durch die private Krankenzusatzversicherung abzugeben.

Die Beklagte hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt und sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

1. Die gemäß § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft (§ 172 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGG). Die Beschwerde ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. In der Hauptsache bedürfte die Berufung nicht der Zulassung (§ 144 Abs. 1 SGG. Denn es ist davon auszugehen, dass die Kosten der begehrten stationären Behandlung deutlich über dem Beschwerdewert von EUR 750,00 liegen.

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren der Antragstellerin, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, eine Kostenzusage für die geplante stationäre Behandlung in der schweizerischen Klinik abzugeben. Ausweislich des erstinstanzlichen Vortrags begehrt die Antragstellerin keine Sachleistung und auch nicht lediglich die Abgabe einer Zustimmung zur stationären Behandlung in der Schweiz nach § 13 Abs. 5 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), sondern die Zusage, dass die Kosten der Behandlung von der Antragsgegnerin abzüglich der Zahlung durch die private Krankenzusatzversicherung übernommen werden.

3. Die Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris, Rn. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris, Rn. 9).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris, Rn. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris, Rn. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris, Rn. 4).

b) Bei Anwendung dieses Maßstabes fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch auf Abgabe einer Kostenzusage für die geplante stationäre Behandlung in der Schweiz ist nicht überwiegend wahrscheinlich.

Nach § 13 Abs. 1 SGB V darf die Krankenkasse anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses (das SGB V) oder das Neunte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) – im vorliegenden Fall nicht einschlägig, weil keine Leistungen zur Teilhabe streitig sind – vorsieht. Nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V in der ab 29. Juni 2011 geltenden Fassung des Art. 4 Nr. 3 Buchst. a Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22. Juni 2011 (BGBl. I, S. 1202) sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB V in der ab 29. Juni 2011 geltenden Fassung des Art. 4 Nr. 3 Buchst. b des zuvor genannten Gesetztes können abweichend von Abs. 4 in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 SGB V nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Nach Satz 2 der Vorschrift darf die Zustimmung nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland, d.h. bei einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus erlangt werden kann.

Neben diesen speziellen Voraussetzungen für den Anspruch auf Abgabe einer Kostenzusage müssen die Voraussetzungen des Primäranspruchs, hier des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V vorliegen. Denn ein Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 4 und 5 SGB V besteht nur "anstelle" der Sach- oder Dienstleistung (vgl. § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V). Versicherte haben nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V Anspruch auf vollstationäre Behandlung nur, wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann.

Die Antragstellerin hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen nicht glaubhaft gemacht. Den in erster Instanz vorgelegten Unterlagen kann schon nicht entnommen werden, dass eine stationäre Schmerztherapie erforderlich ist. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich allein nach den medizinischen Erfordernissen (vgl. Bundessozialgericht [BSG] Großer Senat, Beschluss vom 25. September 2007 – GS 1/06 – juris, Rn. 15). Dass solche medizinischen Gründe vorliegen, ist auf Grundlage des erstinstanzlichen Vortrags der Antragstellerin nicht überwiegend wahrscheinlich. Den Akten kann insbesondere nicht entnommen werden, dass bereits eine ambulante Schmerztherapie bei einem ausgewiesenen Schmerztherapeuten stattgefunden hat. Eine solche fachärztliche Behandlung wäre – wenn die hausärztliche Behandlung an ihre Grenzen gestoßen ist (so Dr. H. im vorgelegten Attest vom 1. Oktober 2016) – zunächst vorrangig gegenüber einer Krankenhausbehandlung. Dafür, dass die Antragstellerin nicht in der Lage ist, anstatt ihren Hausarzt Dr. H. einen Facharzt aufzusuchen, ist nichts ersichtlich.

Um einen Anordnungsanspruch begründen zu können, müsste darüber hinaus die gleiche oder eine ebenso wirksame stationäre Behandlung im Inland nicht zu erlangen sein. Nur für diesen Fall handelt es sich vorliegend um eine gebundene Entscheidung; andernfalls steht die Entscheidung im Ermessen der Antragsgegnerin ("darf nur versagt werden, wenn", § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Februar 2009 – L 4 KR 1697/07 – juris, Rn. 25). Dr. W.-O. hat im Gutachten vom 23. September 2016 verschiedene Kliniken in der Wohnumgebung der Antragstellerin benannt, die eine Behandlungsmöglichkeit bei den Diagnosen der Antragstellerin anbieten, u.a. die Krankenhäuser in Lörrach und Rheinfelden. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergibt sich nicht, warum eine stationäre Behandlung in diesen Kliniken nicht möglich wäre.

c) Auch einen Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit hat die Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht. Auf der Grundlage des Vortrags der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, dass ihr ein Abwarten der Entscheidung über ihren Widerspruch nicht zugemutet werden kann.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved