L 12 AS 1714/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 7 AS 2991/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 1714/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 16.03.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtlichen Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II; Arbeitslosengeld [Alg] II) für die Zeit vom 01.10.2007 bis 31.07.2010 aufheben und die dem Kläger für diesen Zeitraum gewährten Leistungen in Höhe von insgesamt 19.155,35 EUR zur Erstattung fordern durfte.

Der am in Polen geborene Kläger zog Ende 1987 als Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland zu. Nach Verbüßung einer längeren Haftstrafe zog er 1999 nach R. und war dort zunächst bei der Firma B. beschäftigt. Seit 2003 war er. arbeitslos. Im Dezember 2003 lernte der Kläger seine spätere (zweite) Ehefrau K. in Polen kennen. Diese ist die Mutter des am 06.08.1999 geborenen K ... Im März 2004 mietete das Paar zunächst eine gemeinsame Wohnung in S./Polen an. Im Sommer 2004 kaufte J. K. dann eine Wohnung in D., wobei auch der Kläger ins Grundbuch eingetragen wurde. Seine bisherige Wohnung in R. gab der Kläger auf. Am 09.10.2004 heirateten J. K. und der Kläger in Polen; am 06.01.2005 wurde das gemeinsame Kind N. geboren.

Am 21.09.2004 hatte der Kläger beim Beklagten einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gestellt. Bei Antragstellung hatte er angegeben, bei seiner Schwester in der -G.-Straße in R. zu wohnen. Der Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin Alg II für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.06.2005. Am 20.01.2005 sprach der Kläger beim Beklagten vor und beantragte die Gewährung von Leistungen für die gesamte Familie. Dabei gab er unter Vorlage entsprechender Meldebescheinigungen an, die Familie sei zum 20.01.2005 in die M. zu seinem Schwager S.i umgezogen. Mit Bescheid vom 11.03.2005 bewilligte der Beklagte daraufhin rückwirkend ab 01.01.2005 Alg II für die gesamte Bedarfsgemeinschaft. In der Folge bezog die Bedarfsgemeinschaft ohne Unterbrechung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Am 22.01.2008 wurde das gemeinsame Kind K. geboren, das fortan zur Bedarfsgemeinschaft gehörte und für das der Beklagte ebenfalls Leistungen bewilligte. Ende Juni 2010 trennten sich J. K. und der Kläger; das Paar ist zwischenzeitlich geschieden.

Im Jahr 2011 wurde dann gegen den Kläger ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Sozialleistungsbetruges eröffnet. Mit Anklageschrift vom 19.11.2012 (24 Js 3713/12) erhob die Staatsanwaltschaft T. Anklage und beschuldigte den Kläger, sich durch die beim Beklagten am 17.11.2006, am 10.05.2007, am 21.05.2007, am 22.11.2007, am 15.05.2008, am 11.11.2008, am 18.05.2009, am 17.11.2009 und am 25.05.2010 gestellten Anträge auf Alg II des Betruges in neun Fällen strafbar gemacht zu haben. Der Kläger habe in den Anträgen bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht. Die Familie sei erst am 28.06.2007 von Polen nach Deutschland übergesiedelt. Der Kläger habe zudem mit der Vermittlung polnischer Pflegekräfte in Deutschland Einkommen erzielt, dieses gegenüber der Beklagen aber nicht angegeben. Überdies sei die Familie regelmäßig durch den englischen Geschäftsmann C. unterstützt worden; dieser habe im Zeitraum vom 24.10.2007 bis 15.07.2012 Zahlungen in Höhe von insgesamt 165.951,00 EUR an die Familie geleistet. Für die Zeit vor Stellung des Fortzahlungsantrags vom 17.11.2006 wurde das Strafverfahren durch Verfügung des Staatsanwaltschaft vom 19.11.2012 wegen Verjährung eingestellt.

Durch rechtskräftigen Sitzungsstrafbefehl vom 28.01.2013 (7 Ds 24 Js 3713/12) wurde der Kläger wegen Betruges in fünf besonders schweren Fällen (betreffend die Leistungsanträge vom 17.11.2006, vom 10.05.2007, vom 21.05.2007, vom 22.11.2007 und vom 15.05.2008) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt; die Strafe wurde für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Im Bewährungsbeschluss wurde dem Kläger aufgegeben, sich um Schadenswiedergutmachung zu bemühen, sobald ein bestandskräftiger Rückforderungsbescheid vorliegt.

Mit Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 24.06.2013 nahm der Beklagte die Entscheidungen vom 15.05.2007, vom 02.06.2007, vom 28.11.2007, vom 05.12.2007, vom 01.02.2008, vom 12.02.2008, vom 27.05.2008, vom 13.11.2008, vom 25.05.2009, vom 06.06.2009, vom 19.11.2009, vom 22.01.2010, vom 28.05.2010 und vom 09.07.2010 über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.10.2007 bis 31.07.2010 gegenüber dem Kläger zurück und forderte vom Kläger die Erstattung von insgesamt 19.155,35 EUR. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.10.2013 wies der Beklagte den seitens der Klägers gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch zurück.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 08.11.2013 Klage beim Sozialgericht R. erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er habe nie eine selbständige Tätigkeit als Vermittler von Pflegekräften aufgenommen. Von den Zahlungen des Herrn C. an seine geschiedene Ehefrau habe er keinerlei Nutzen gehabt. Die Zahlungen seien auf ein Konto geflossen, das seine geschiedene Ehefrau unter ihrem Mädchennamen eingerichtet habe. Auf diese Konto habe er keinen Zugriff gehabt. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das SG hat die Akten des Strafverfahrens beigezogen und mit Gerichtsbescheid vom 16.03.2015 die Klage abgewiesen. Das Gericht sei davon überzeugt, dass der Kläger wegen seiner Einkünfte aus der Vermittlung von Pflegekräften und wegen der Zahlungen des C. während der streitgegenständlichen Zeit nicht hilfebedürftig gewesen sei.

Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten gemäß Empfangsbekenntnis am 17.03.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 15.04.2015 schriftlich beim SG eingelegte Berufung des Klägers. Er trägt vor, er habe über die Zahlungen des C. nicht verfügen können. Seine geschiedene Ehefrau habe die Zahlungen für eigene Zwecke verwendet und seine Verfügungsberechtigung über das ursprünglich gemeinsam angelegte Konto zum 17.04.2008 widerrufen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts R. vom 16.03.2015 und den Bescheid des Beklagten vom 24.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand der (isolierten) Anfechtungsklage ist der Bescheid vom 24.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.10.2013, mit dem der Beklagte die Zurücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II und die Pflicht zur Erstattung von in der Zeit vom 01.10.2007 bis 31.07.2010 bezogener Leistungen einschließlich der hierauf entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 19.155,35 EUR verfügt hat. Dieser Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in subjektiven Rechten.

Verfahrensrechtliche Grundlage für die Zurücknahme sämtlicher dem Kläger für die Zeit vom 01.10.2007 bis 31.07.2010 Alg II bewilligenden Bescheide ist § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II (in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er von Anfang an rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X u. a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2). Das Gleiche gilt, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser nach der zwingenden Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ohne dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre. Diese Vorschrift findet gemäß´§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verfahren nach dem SGB II entsprechende Anwendung.

Alle dem Kläger für die Zeit vom 01.10.2007 bis 31.07.2010 Alg II bewilligenden Bescheide waren von Anfang an rechtswidrig; dem Kläger standen für diesen Zeitraum keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu, denn der Kläger ist in der streitgegenständlichen Zeit nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften über die Grundsicherung für Arbeitsuchende gewesen und hatte deshalb keinen Anspruch auf Alg II.

Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in allen im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassungen der Norm) Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (ab 01.01.2008: Personen, die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben), (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach den §§ 19 ff. SGB erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Diese Leistungen sind in § 20 (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts), § 21 (Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt) und § 22 SGB II (Leistungen für Unterkunft und Heizung) näher ausgestaltet. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die Leistungen nach dem SGB II (nur) auf Antrag erbracht; bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt der Antrag allerdings auf den Ersten des Monats zurück (§ 37 Abs. 2 SGB II).

Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 9 Abs. 1 SGB II). Diese Voraussetzung liegt im Fall des Klägers nicht vor, denn er verfügte in der streitgegenständlichen Zeit durchgängig über Einkommen, dass seine Hilfebedürftigkeit ausgeschlossen hat. Der Senat ist in Übereinstimmung mit dem SG davon überzeugt, dass der Kläger während des streitgegenständlichen Zeitraumes polnische Pflegekräfte nach Deutschland vermittelt und hierfür Provisionen erhalten hat. Dies ist dem Kläger in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft konkret vorgeworfen werden. Der Kläger hat diesen Vorwurf im Rahmen des Strafverfahrens auch nicht bestritten und den Sitzungsstrafbefehl vom 28.01.2013 akzeptiert. Im Bewährungsbeschluss ist ihm ausdrücklich auferlegt worden, sich um eine Schadenswiedergutmachung zu bemühen, sobald ein bestandskräftiger Rückforderungsbescheid vorliegt. Den (späteren) Vortrag des Klägers, er habe die Vorwürfe im Rahmen des Strafverfahrens nur eingeräumt um eine Bewährungsstrafe zu erhalten, tatsächlich habe er jedoch niemals eine entsprechende Tätigkeit ausgeübt, wertet der Senat als reine Schutzbehauptung. Darüber hinaus verfügte die Bedarfsgemeinschaft über Einkommen bzw. Vermögen durch Zahlungen des C ... Jener hat, auch insoweit schließt sich der erkennende Senat dem Anklagevorwurf der Staatsanwaltschaft und der Beweiswürdigung des SG an, ab 24.10.2007 insgesamt 165.951,00 EUR auf ein Konto der damaligen Ehefrau des Klägers gezahlt, über das der Kläger zumindest zeitweise verfügen konnte. Diese Zahlungen standen der Bedarfsgemeinschaft als bereite Mittel für die Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Es kann dahinstehen, inwieweit der Kläger von allen Zahlungen Kenntnis hatte und über die gesamten Zuwendungen verfügen konnte; denn sie lassen als überschießendes Einkommen auch seine Hilfebedürftigkeit entfallen.

In welcher Höhe der Kläger in den einzelnen Monaten Einkommen tatsächlich erzielt hat, lässt sich nicht mehr aufklären. Zum einen stehen, nachdem das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, keinen geeigneten Ermittlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung, zum anderen handelt es sich um einen Sachverhalt, der weitgehend der Sphäre des Klägers zuzuordnen ist. Nachdem die heute bestehende Beweisnot – in welchem Umfang der Kläger durch die Vermittlung von Pflegekräften Einkommen erzielt hat, lässt ich nicht mehr feststellen – durch vorsätzlich falsche Angaben des Klägers bei den jeweiligen Antragstellungen verursacht worden ist, trägt dieser die Beweislast für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen, die Grundlage für den Leistungsbezug gewesen sind. Dieser Beweis ist nicht erbraucht; deshalb ist davon auszugehen, dass der Kläger während der gesamten streitgegenständlichen Zeit nicht hilfebedürftig gewesen ist und deshalb keinen Anspruch auf Alg II hatte.

Der Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Die Bewilligungsbescheide beruhten alle auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Der Kläger hat die in allen Anträgen auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II enthaltenen Fragen, ob er oder seine Ehefrau über Einkommen oder Vermögen verfügt, verneint, obwohl er wusste das diese Angaben objektiv falsch waren ... Ob der Kläger von allen Zahlungen des C. tatsächlich Kenntnis hatte, kann der Senat auch an dieser Stelle offen lassen; denn der Kläger wäre jedenfalls verpflichtet gewesen, auch die Vermögensverhältnisse seiner Ehefrau vor Unterzeichnung der Anträge auf Alg II zu klären und ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Durch diese Unterlassung hat der Kläger die Unrichtigkeit seiner Angaben und demzufolge auch die Rechtswidrigkeit der hierauf gestützten Bewilligungsentscheidungen zumindest billigend in Kauf genommen, denn ihm war bekannt, dass Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einkommens- und vermögensabhängig sind und auch Einkommen seiner Ehefrau den Anspruch auf Alg II ausschließen kann. Die Abhängigkeit der Leistungen vom Vorliegen von Hilfebedürftigkeit ist Grundsicherungsträgern regelmäßig bekannt. Zur Überzeugung des Senats wusste dies auch der Kläger. In jedem Fall ist das Verhalten des Klägers aber grob fahrlässig gewesen. Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich überschreitet; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 42, 184, 187; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273). Vorliegend findet sich zunächst keinerlei Anhalt, dass die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit des Klägers eingeschränkt war. Auch die Fragestellung in den Anträgen auf Alg II waren vollkommen eindeutig und klar. Dass das Verschweigen der tatsächlichen Einkommensverhältnisse der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu den fehlerhaften Bewilligungen beigetragen hat und diese darauf beruhen, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein und steht fest (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 14.02.1989 - 7 RAr 62/87 - in DBlR 3498a AFG/§ 137; BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 15). Die Rücknahme ist auch unter Einhaltung der Frist von zehn Jahren seit Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidungen verfügt worden (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X). Ebenfalls eingehalten ist die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, nachdem der Sachverhalt erst durch die Strafverhandlung am 28.01.2013 abschließend geklärt worden und der Rücknahme- und Erstattungsbescheid – nach vorheriger Anhörung des Klägers bereits am 24.06.2013 ergangen ist.

Die Erstattungspflicht folgt dem Umfang der Aufhebung des Alg II gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nach. Den Umfang der zu erstattenden Leistungen hat die Beklagte zutreffend ermittelt; der Senat nimmt insoweit auf die in der Leistungsakte der Beklagten enthaltenen Berechnungen Bezug und macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen. Die vom Kläger zu leistende Erstattung der vom Beklagten gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung ergibt sich mangels eines weiteren Krankenversicherungsverhältnisses aus § 40 Abs. 2 Nr. 5 SGB II in Verbindung mit § 335 Abs. 1 Satz 1 SGB III und ist in der Höhe ebenfalls nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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