L 10 U 596/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 2476/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 596/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.01.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung von Unfallfolgen streitig.

Die am 1973 geborene Klägerin erlitt am 22.11.2010 im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als Altenpflegerin im Seniorenzentrum Haus der Generationen in U. einen Arbeitsunfall, während sie einen Inkontinenzwechsel bei einem Patienten vornahm. Dieser war sehr erregt, ergriff das linke Handgelenk der Klägerin und drückte dabei so fest zu, dass sie sich nicht allein aus dem Griff lösen konnte. Bei dem Versuch, die Hand frei zu bekommen, kratzte der Patient die Klägerin am Handgelenk auf. Erst mit Hilfe einer herbeigerufenen Kollegin gelang es, den Patienten zu beruhigen und die Hand aus dem Griff zu lösen. Die Klägerin desinfizierte die ca. 1 cm lange offene Stelle und versorgte sie mit einem Pflaster. An der Außenseite des Gelenks traten Schmerzen und eine leichte Schwellung auf (vgl. "Unfallmeldung" der Klägerin vom 04.12.2010, Bl. 11 VerwA).

Am 07.12.2010 stellte sich die Klägerin bei dem Durchgangsarzt Dr. P. vor, berichtete von dem genannten Ereignis (laut Durchgangsarztbericht "Beim Umlagern des Patienten von diesem fest am Unterarm/HG li. angefasst worden") und seither bestehenden Schmerzen und der Schwellung. Dr. P. schloss nach röntgenologischer Untersuchung des linken Handgelenks eine Fraktur aus und dokumentierte als Befund Druckschmerzen über dem ulnaren Kompartiment und die Ulnar-Abduktion als schmerzhaft; eine Sehnenscheidenstenose und sensible Auffälligkeiten verneinte er. Erstdiagnostisch ging er von einer Handgelenksdistorsion links aus. Er verordnete eine Unterarmschiene, bescheinigte Arbeitsunfähigkeit und erachtete die Klägerin voraussichtlich ab 20.12.2010 wieder für arbeitsfähig (vgl. Durchgangsarztbericht vom 07.12.2010, Bl. 1 VerwA). Wegen anhaltenden Schmerzen stellte sich die Klägerin am 18.01.2011 bei dem Handchirurgen Dr. L. vor, der auf Grund des erhobenen Befundes (u.a. erheblicher Druckschmerz über dem ulnaren Teil des Handgelenks, Ulnargrinding-Manöver massiv schmerzhaft, beim Verschiebemanöver des Radius gegenüber der Ulna im Seitenvergleich mäßig vermehrte Mobilität) den Verdacht auf eine traumatische Läsion des Diskus triangularis äußerte und eine kernspintomographische Untersuchung veranlasste, die am 21.01.2011 erfolgte und einen Riss im TFCC (Triangularfibrocardilage complex = triangulärer Faserkomplex) am ulnaren Ansatz, Flüssigkeit im distalen Radioulnargelenk sowie eine Distorsion des radiotriquetralen Bandes mit Flüssigkeit beidseits zeigte (vgl. Befundbericht des Dr. L. vom 19.01.2011, radiologische Beurteilung vom 24.01.2011, Bl. 2, 12 VerwA). Wegen der von Dr. L. für notwendig erachteten transossären Reinsertion des Diskus erfolgte am 08.02.2011 eine Arthroskopie, bei der sich ein kompletter ulnarer Diskusriss, erhebliche ulnarseitige Knorpelschäden, eine L-Ruptur sowie ein massiver synovialitischer Reizzustand ulnar zeigten. Da die transossäre Refixation des Diskus wegen einer leichten Ulna-Plus-Konstellation eine Ulnarverkürzungsosteotomie erforderte, dies präoperativ aber nicht besprochen worden war, wurde diese Maßnahme erst nachfolgend am 25.02.2011 im Rahmen einer weiteren Arthroskopie durchgeführt (vgl. OP-Berichte vom 08.02.2011 und 25.02.2011, Bl. 20, 30/31 VerwA).

Wegen anhaltenden Schmerzen stellte sich die Klägerin auf Veranlassung des Dr. L. im Mai 2011 in der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin des Klinikums L. vor, wobei die Funktionsoberärztin Dr. A. angesichts des Gesamtbeschwerdebildes die Diagnosekriterien für ein komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS; Synonym: Morbus Sudeck) erfüllt sah (fehlend sei allerdings eine Schwellung der ganzen Hand und eine Schmerzausbreitung über einen Nerven hinaus auf die gesamte Hand) und eine medikamentöse Therapie einleitete (vgl. Arztbrief vom 24.05.2011, Bl. 73 VerwA), die nachfolgend durch Physiotherapie, Ergotherapie und umfassende Schmerztherapie ergänzt wurden (vgl. Bl. 38 SG-Akte). Das eingebrachte Metall wurde schließlich am 18.02.2013 entfernt, wodurch sich die Beweglichkeit im Handgelenk deutlich besserte.

Zum Unfallzusammenhang der Arbeitsunfähigkeit/Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin ab 08.02.2011 holte die Beklagte die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie/Unfallchirurgie Dr. S. ein. Dieser verneinte einen Zusammenhang zwischen den operativen Eingriffen und dem Unfall. Der erste Arztbesuch mehr als 14 Tage nach dem angeschuldigten Ereignis spreche gegen die Annahme einer "gravierenden Gewalteinwirkung", die geeignet wäre, Zerreißungen im Bereich der Bänder der Handwurzel zu bewirken. Gegen eine traumatische Bandschädigung und des TFCC spreche auch der kernspintomographische Befund vom 21.01.2011, wonach sich ein Knochenmarködem (Bone bruise) an den Ansätzen der Bänder nicht gezeigt habe. Auch der intraoperative Befund vom 08.02.2011 weise nicht auf eine traumatische Veränderung hin. Dem gegenüber wiesen die beschriebenen erheblichen degenerativen Veränderungen, insbesondere ulnarseitig, auf eine Vorschädigung des Handgelenks hin, deren Ursache wahrscheinlich vor dem 22.11.2010 liege. Die beschriebene Ulna-Plus-Variante gelte als Wegbereiter einer Gewebsschädigung im Bereich der Handwurzel. Im Rahmen des Ereignisses sei es wahrscheinlich zu einer Quetschung des Handgelenks, eventuell auch einer Zerrung mit Rissquetschwunde gekommen.

Mit Bescheid vom 26.04.2011 erkannte die Beklagte den Unfall vom 22.11.2010 als Arbeitsunfall an und sie stellte fest, dass die Unfallverletzung (Quetschung/Zerrung des linken Handgelenks mit Rissquetschwunde) ohne wesentliche Folgen ausgeheilt sei und die ulnare (ellenseitige) Diskusruptur (Riss der Knorpelplatte) links, die ulnarseitigen Knorpelschäden und die Ulna-Plus-Variante (Elle im Verhältnis zur Speiche länger) nicht im Zusammenhang mit dem Unfall stünden. Kosten für die Heilbehandlung würden bis 21.01.2011 übernommen. Die Arbeitsunfähigkeit ab 08.02.2011 sei nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen. Ein Anspruch auf Rente wegen der Unfallfolgen bestehe nicht. Zur Begründung führte die Beklagte u.a. aus, die ulnare Diskusruptur links, die ulnarseitigen Knorpelschäden und die Ulna-Plus-Variante seien nicht rechtlich wesentlich durch das feste Zugreifen des Patienten verursacht worden, sondern maßgeblich auf die beschriebenen degenerativen (verschleißbedingten) Veränderungen im Bereich des linken Handgelenks zurückzuführen. Gegen eine unfallbedingte Bandschädigung spreche das Ergebnis der MRT-Untersuchung (kein Knochenmarködem an den Ansätzen der Bänder). Auch die interoperativ festgestellte Ulna-Plus-Variante gelte als Wegbereiter für unfallunabhängige Gewebeschädigungen im Bereich der Handwurzel. Im Rahmen des Ereignisses sei es zu einer Quetschung/Zerrung des linken Handgelenks mit Rissquetschwunde gekommen. Quetschungen und Zerrungen seien reversible Verletzungen, die innerhalb eines überschaubaren Zeitraums folgenlos ausheilten, weshalb unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bis längstens 21.01.2011 (MRT-Untersuchung) und unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit vom 07. bis 26.12.2010 anerkannt werde. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2011 zurück.

Im Januar 2012 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 26.04.2011 gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X) und machte geltend, nicht lediglich eine Quetschung/Zerrung am linken Handgelenk erlitten zu haben. Übersehen worden sei, dass sie einen Riss im TFCC am ulnaren Ansatz erlitten habe, der operativ behandelt worden sei. Ihre Beschwerden seien durch den Unfall verursacht worden. Mit Bescheid vom 27.03.2012 lehnte die Beklagte eine Überprüfung des Bescheids vom 26.04.2011 ab. An der Bindungswirkung dieses Bescheides werde festgehalten, da neue Tatsachen oder Beweismittel nicht vorgetragen worden seien. Der dagegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 29.06.2012).

Am 26.07.2012 hat die Klägerin dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, bei dem Unfall vom 22.11.2010 einen Riss im TFCC am ulnaren Ansatz erlitten zu haben. Sie sei vor diesem Unfall beschwerdefrei gewesen und intraoperativ sei ein ulnarer Diskusriss diagnostiziert worden. Zwischenzeitlich habe sich ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt, weshalb sie im Klinikum L. ambulant behandelt werde und zuletzt auch zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt habe.

Das SG hat das orthopädische Gutachten des Dr. H. auf Grund Untersuchung der Klägerin im März 2012 eingeholt. Der Sachverständige ist von einer traumatisch bedingten Schädigung des lokalen Kapselbandapparates (TFCC) durch Distorsion mit postoperativer Ausbildung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms ausgegangen, was auf den erlittenen Arbeitsunfall zurückzuführen sei. Die Einschätzung des Dr. S. hat er nicht für überzeugend erachtet. Dessen Einschätzung, wonach die biomechanische Belastung nicht geeignet gewesen sei, mehr als eine Quetschung oder Zerrung am Handgelenk auszulösen, sei spekulativ. Auch ignoriere er, dass ein Bone bruise nach einer Kapselbandverletzung nicht immer nachweisbar sei. Eine konkurrierende Ursache für die Schmerzsymptomatik hat er nicht gesehen und im Übrigen radiologisch eine bedeutsame Ulna-Plus-Variante verneint.

Die Beklagte ist dem Gutachten mit den Hinweis entgegen getreten, der Sachverständige habe seiner Beurteilung einen gänzlich anderen Hergang (" zog und.verdrehte ") zu Grunde gelegt als sie selbst auf der Grundlage der Schilderung der Klägerin (" drückte so fest zu ") und sei damit von einem anderen Sachverhalt ausgegangen. Auch sei nach dessen Ausführungen im Vollbeweis kein Primärschaden gesichert. Unberücksichtigt gelassen habe der Sachverständige zudem den intraoperativen Befund vom 21.02.2011 mit Beschreibung eines deutlichen Knorpelschadens, der für degenerative Veränderungen, nicht aber für einen Unfallschaden spreche. Zweifelhaft sei zudem die Diagnose eines CRPS. Hierzu hat sich der Sachverständige unter Aufrechterhaltung seines bisherigen Standpunktes ergänzend geäußert.

Mit Gerichtsbescheid vom 10.01.2014 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.03.2012 und des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2012 verurteilt, den Bescheid vom 26.04.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 28.07.2011 abzuändern und eine schmerzhafte Funktionsstörung des linken Handgelenks nach Distorsion mit Schädigung des lokalen Kapselbandapparates (TFCC) und Ausbildung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (Morbus Sudeck) als Folgen des Arbeitsunfalls vom 22.11.2010 anzuerkennen. Gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. H. ist es davon ausgegangen, dass bei der Klägerin durch den Unfall als Erstschaden eine Schädigung des lokalen Kapselbandapparates auftrat. Hierfür spreche die glaubhafte Unfallschilderung der Klägerin, die hierbei aufgetretene erhebliche Krafteinwirkung, die sich daran zeige, dass sich die Klägerin nicht alleine habe befreien können, die ab diesem Zeitpunkt vorhanden gewesenen Beschwerden und der Nachweis eines Risses im TFCC am 21.01.2011. Dass sich die Klägerin nicht sofort in ärztliche Behandlung begeben habe und Dr. P. den Erstschaden nicht vollständig diagnostiziert habe, stehe dem nicht entgegen, ebenso wenig das Fehlen eines knöchernden Begleitschadens, da ein Bone bruise nach einer Kapselbandverletzung nicht immer nachweisbar sei. Dieser Erstschaden sei auch ursächlich für die gegenwärtig bestehenden Beschwerden.

Am 07.02.2014 hat die Beklagte dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, der Gesundheitserstschaden sei nicht im Vollbeweis nachgewiesen. Nach der Schilderung der Klägerin habe der Patient ihr Handgelenk umfasst und so stark zugedrückt, dass sie sich nicht habe befreien können. Eine erste Behandlung sei erst 16 Tage nach dem Unfall erfolgt, wobei bereits der relativ lange Zeitraum zwischen Unfallereignis und erstmaligem Arztbesuch gegen das Vorliegen einer gravierenden Verletzung spreche. Der anlässlich der Arthroskopie des linken Handgelenks am 08.02.2011 festgestellte ulnarseitige drittgradige Knorpelschaden könne sich nicht in der Zeit vom 21.11.2010 bis zum 08.02.2011 entwickelt haben. Diese Knorpelschäden seien in Verbindung mit dem Ulnarvorschub maßgeblich dafür, dass eine Wiederanheftung des Diskus nicht möglich gewesen sei, mit der Folge, dass ein zweiter arthroskopischer Eingriff erforderlich geworden sei. Auch dies spreche gegen eine unfallbedingte Entstehung des Abrisses des Diskus triangularis.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10.01.2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig.

Der Senat hat das Gutachten des Priv.-Doz. Dr. E. , Chefarzt der Klinik für Hand-, Plastische und Mikrochirurgie im K. -Krankenhaus S. , auf Grund Untersuchung der Klägerin im Juni 2015 eingeholt. Der Sachverständige ist davon ausgegangen, dass die Klägerin bei dem in Rede stehenden Trauma eine komplette ulnare Abrissverletzung des TFCC mit vorliegender Instabilität des distalen Radioulnargelenks erlitt. Die deshalb erforderliche operative Versorgung sei - unabhängig von der Ulna-Plus-Variante - dem Unfallschaden zuzuordnen. Entsprechendes gelte für die nachfolgend aufgetretene Beschwerdesymptomatik im Sinne eines CRPS.

Hiergegen hat die Beklagte Einwendungen erhoben (als Unfallhergang sei die erste Unfallschilderung zu Grunde zu legen, Diagnose eines CRPS nicht im Vollbeweis gesichert, angegebene Bewegungseinschränkung und Kraftminderung der linken Hand sei nicht nachvollziehbar), zu denen sich der Sachverständige unter Aufrechterhaltung seiner zuvor getroffenen Einschätzung ergänzend geäußert hat.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagte sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig; die Berufung der Beklagte ist jedoch nicht begründet.

Die hier vorliegende kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig. Mit der Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG begehrt die Klägerin die Aufhebung der angefochtenen Bescheide, mit denen die Beklagte eine Rücknahme jenes Bescheides ablehnte, mit dem sie die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolge ablehnte. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann der Versicherte an Stelle gerichtlicher Feststellung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG auch die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung von Unfallfolgen als Element eines jeglichen Leistungsanspruchs im Wege der Verpflichtungsklage verlangen (Urteil vom 05.07.2011, B 2 U 17/10 R in SozR 4-2700 § 11 Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Anspruchsgrundlage). Dem entsprechend begehrt die Klägerin hier zulässigerweise zum einen die Verpflichtung der Beklagten zur Rücknahme des die Anerkennung weiterer Gesundheitsstörungen als Unfallfolge bestandskräftig ablehnenden Bescheides vom 26.04.2011 und zum anderen die Verpflichtung der Beklagten, nach erfolgter Rücknahme dieses Bescheides weitere Gesundheitsstörungen als Unfallfolge anzuerkennen. Soweit die Klägerin die Anerkennung einer "Schädigung des lokalen Kapselbandapparates (TFCC)" begehrt hat, hat sie zwar nicht die Anerkennung einer Unfallfolge geltend gemacht. Denn die Schädigung des TFCC wäre - einen ursächlichen Zusammenhang hier unterstellt - nicht Folge des Unfalles, sondern der dem Begriff des Unfalles immanente Primärschaden oder Gesundheitserstschaden (s. zur Unterscheidung von Gesundheitserstschaden und Unfallfolge BSG, Urteil vom 15.05.2012, B 2 U 16/11 R, Rdnr. 19). Allerdings hat das BSG die Regelung des § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG - ohne Problematisierung - auf die Feststellung von Gesundheitserstschäden erweitert (BSG, Urteil vom 24.07.2012, B 2 U 23/11 R, Rdnr. 14). Damit bestehen keine Bedenken gegen den Antrag der Klägerin, die Beklagte im Wege der Verpflichtungsklage (auch) zur Anerkennung eines Gesundheitserstschadens zu verurteilen.

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 27.03.2012 und des Widerspruchsbescheids vom 29.06.2012 zu Recht verurteilt, den Bescheid vom 26.04.2011 und den Widerspruchsbescheid vom 28.07.2011 abzuändern und als (weitere) Unfallfolge eine schmerzhafte Funktionsstörung des linken Handgelenks nach Distorsion mit Schädigung des lokalen Kapselbandapparates (TFCC) und Ausbildung eines komplexen regionalen Schmerzsyndroms (Morbus Sudeck) anzuerkennen. Denn entgegen den Feststellungen im Bescheid vom 26.04.2011 erlitt die Klägerin als Unfall(erst)schaden nicht lediglich eine - nachfolgend folgenlos ausgeheilte - Quetschung/Zerrung des linken Handgelenks mit Rissquetschwunde. Vielmehr kam es über die anerkannte Zerrung (Distorsion) hinaus als Gesundheitserstschaden auch zu einer Schädigung des TFCC, die eine Instabilität des distalen Radioulnargelenks bedingte, was einer operativen Behandlung bedurfte, als deren Folge sich ein CRPS entwickelte. Entsprechend ist Folge des Unfalls vom 22.11.2010 auch das postoperativ aufgetretene Schmerzsyndrom.

Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin ist § 44 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die Bestimmung ermöglicht eine Abweichung von der Bindungswirkung sozialrechtlicher Verwaltungsakte.

Zwar wurde im bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 26.04.2011 in Bezug auf die allein streitige Anerkennung von Unfallfolgen nicht über Leistungen entschieden, so dass durch diesen Bescheid insoweit unmittelbar nicht "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind", wie dies § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X voraussetzt. Für die Anwendung dieser Regelung spricht jedoch, dass es bei der Anerkennung von Unfallfolgen letztendlich in der Regel doch (mittelbar) um Leistungsansprüche geht. Dabei ist im Anwendungsbereich des Abs. 1 eine gebundene Entscheidung über die Korrektur mit Wirkung für die Vergangenheit zu treffen, während der Behörde im Anwendungsbereich des Abs. 2 insoweit, was die Vergangenheit anbelangt, ein Ermessensspielraum zusteht. Dadurch würde der die Feststellung von Unfallfolgen begehrende potentielle Leistungsempfänger - was die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides für die Vergangenheit anbelangt - schlechter gestellt, als wenn unmittelbar konkrete Leistungsansprüche abgelehnt worden wären. Ein Grund für diese unterschiedliche Behandlung von schlussendlich doch sozialleistungsbezogener Überprüfungsverfahren ist nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen für die (teilweise) Rücknahme des Bescheids vom 26.04.2011 sind vorliegend erfüllt, nachdem die Klägerin über die als Unfallfolge anerkannte Quetschung/Zerrung des linken Handgelenks mit Rissquetschwunde, die nach Auffassung der Beklagten folgenlos ausgeheilt sei, hinaus die - oben dargelegten - weiteren Gesundheitserst- bzw. Unfallfolgeschäden erlitt. Insoweit war der Bescheid vom 26.04.2011 demnach rechtswidrig, weshalb das SG die angefochtenen und den geltend gemachten Anspruch ablehnenden Bescheide zu Recht aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt hat.

Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung gilt wie allgemein im Sozialrecht für den ursächlichen Zusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsschaden die Theorie der wesentlichen Bedingung (hierzu und zum Nachfolgenden BSG, Urteil vom 12.04.2005, B 2 U 27/04 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 15). Diese setzt zunächst einen naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitsschaden voraus. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob der Gesundheitsschaden auch ohne das Unfallereignis eingetreten wäre. Ist dies der Fall, war das Unfallereignis für den Gesundheitsschaden schon aus diesem Grund nicht ursächlich. Andernfalls ist in einem zweiten, wertenden Schritt zu prüfen, ob das versicherte Unfallereignis für den Gesundheitsschaden wesentlich war. Denn als im Sinne des Sozialrechts ursächlich und rechtserheblich werden nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob neben der versicherten Ursache weitere Ursachen im naturwissenschaftlichen Sinn (erste Stufe) zum Gesundheitsschaden beitrugen. Gab es neben der versicherten Ursache noch andere, konkurrierende Ursachen (im naturwissenschaftlichen Sinn), z.B. Krankheitsanlagen, so war die versicherte Ursache wesentlich, sofern die unversicherte Ursache nicht von überragender Bedeutung war. Eine überwiegende oder auch nur gleichwertige Bedeutung der versicherten gegenüber der konkurrierenden Ursache ist damit für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht Voraussetzung.

Die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung und die als Unfallfolge geltend gemachte Gesundheitsstörung müssen erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O. auch zum Nachfolgenden). Diese liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Es genügt nicht, wenn der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Dabei ist zu beachten, dass der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Denn es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde. Es reicht daher zur Begründung des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, gegen diesen Zusammenhang sprechende Umstände auszuschließen.

Vorliegend ist wahrscheinlich, dass sich die Klägerin bei dem Ereignis vom 22.11.2010, als ein Patient während einer Pflegemaßnahme ihr linkes Handgelenk ergriff und dabei so fest zudrückte, dass sie sich aus dem Griff nicht mehr allein befreien konnte, im Bereich des TFCC des linken Handgelenks einen Riss zuzog. Bei dem TFCC handelt es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. H. (vgl. Bl. 36 f. SG-Akte) um eine Struktur aus Binde- und Knorpelgewebe, die einerseits den Außenrand des Handgelenks und andererseits die Verbindung zwischen Elle und Speiche handgelenksnah stabilisiert. In diesem Bindegewebskomplex befindet sich zwischen Handwurzelknochen und körperfernem Ende der Elle noch eine Knorpelstruktur, vergleichbar einem Meniskus (Diskus triangularis).

Der Senat teilt die Auffassung des SG, das auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. davon ausgegangen ist, dass die Klägerin bei dem in Rede stehenden Ereignis einen entsprechenden Strukturschaden erlitt. So berichtete die Klägerin in ihrer "Unfallmeldung" vom 04.12.2010 in Bezug auf dieses, von der Beklagten auch als Arbeitsunfall anerkannte Ereignis, dass im unmittelbarem Anschluss Schmerzen und eine Schwellung an der Außenseite des Gelenks auftraten. Auch anlässlich ihrer Erstvorstellung bei dem Durchgangsarzt Dr. P. am 07.12.2010 gab die Klägerin an, seit dem Unfall bestünden im linken Handgelenk Schmerzen und eine Schwellung. In Einklang hiermit dokumentierte Dr. P. als Untersuchungsbefund Druckschmerzen über dem ulnaren Kompartement sowie eine schmerzhafte Ulnarabduktion. Auch bei dem nachfolgend am 18.01.2011 wegen fortbestehender Beschwerden aufgesuchten Handchirurgen Dr. L. berichtete die Klägerin über anhaltende Schmerzen seit dem Unfallereignis, wobei Dr. L. bereits auf Grund seiner nun durchgeführten umfassenden und spezifischen Untersuchung des linken Handgelenks den Verdacht auf eine traumatische Läsion des Diskus triangularis äußerte und zur Verifizierung eine kernspintomografische Untersuchung veranlasste, die dann eine ulnarseitige Ruptur des Diskus triangularis bestätigte. Bei dem damit dokumentierten durchgehenden Beschwerdezustand seit dem Unfall, den trotz des spärlichen Untersuchungsbefundes bereits am 07.12.2010 vorhanden gewesenen Hinweisen auf eine ulnare Instabilität (so Piv.-Doz. Dr. E. Bl. 41 der Senatsakte), die Dr. L. mit seiner nachfolgenden spezifischen Untersuchung dann dokumentierte, erachtet es der Senat für hinreichend wahrscheinlich, dass die von Dr. L. am 18.01.2011 vermutete und durch MRT nachfolgend am 21.01.2011 bestätigte Diskusruptur Folge des Ereignisses vom 22.11.2010 war. Hierfür spricht auch der Umstand, dass die Klägerin bis zum Zeitpunkt des Unfallereignisses im Bereich des linken Handgelenks beschwerdefrei war und dies gerade auch vor dem Hintergrund des Umstandes, dass sie als Altenpflegerin im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit körperliche und durchaus auch handgelenksbelastende Tätigkeiten verrichtete.

Soweit der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren hinzugezogene Beratungsarzt Dr. S. seine gegenteilige Auffassung damit begründete, dass die Klägerin erst mehr als 14 Tage nach dem Ereignis erstmals einen Arzt aufsuchte und hieraus auf eine nicht gravierende Gewalteinwirkung auf das linke Handgelenk schloss, ist zwar einzuräumen, dass der Umstand, dass die Klägerin nicht unverzüglich nach dem Ereignis einen Arzt aufsuchte eher gegen eine schwerwiegende Handgelenksschädigung spricht. Allerdings hat Dr. H. darauf hingewiesen, dass die Klägerin - so ihre Angaben ihm gegenüber - zunächst auf eine spontane Besserung hoffte und es im Übrigen auch nicht ungewöhnlich ist, dass Patienten selbst nach schwerwiegenden unfallbedingten Körperschäden erst deutlich verzögert ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen, wobei Klassiker in dieser Hinsicht u.a. Kahnbeinfrakturen im Handgelenk sind, die mitunter erst nach Jahren zufällig entdeckt werden. Schon angesichts dessen überzeugt es nicht, wenn Dr. S. allein aus der zeitlich verzögerten Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe auf die Schwere der bei dem in Rede stehenden Ereignis auf das Handgelenk einwirkenden Kräfte schließt und ausgehend hiervon eine Strukturschädigung verneint.

Das Fehlen einer relevanten Gewalteinwirkung vermag der Senat auch nicht aus der Unfallschilderung der Klägerin in ihrer "Unfallmeldung" ( ... ergriff mein linkes Handgelenk und drückte so fest zu, dass ich mich nicht aus dem Griff lösen konnte.) oder dem von Dr. P. dokumentierten Unfallhergang ( von diesem fest am Handgelenk "angefasst worden") abzuleiten. Den Senat überzeugt es nicht, wenn die Beklagte ausgehend von den Erstangaben der Klägerin ihrer Beurteilung zu Grunde legt, dass sich das Ergreifen des linken Handgelenks der Klägerin durch den Patienten anders als im Klageverfahren vorgetragen ("das Handgelenk mit aller Gewalt drehte und quetschte") in einem Festhalten und Zusammenpressen des Handgelenks erschöpfte. Denn die Beschreibung der Klägerin, dass der Patient das ergriffene Handgelenk so fest drückte, dass sie sich nicht aus dem Griff habe lösen können, beinhaltet nach der Lebenserfahrung ohne weiteres den von ihr unternommenen Versuch, sich aus dem Griff zu lösen, was wiederum impliziert, dass sie dies mit einer (in erster Linie) Erfolg versprechenden Drehbewegung versuchte. Der Senat legt seiner Beurteilung daher zu Grunde, dass die Klägerin, bevor sie ihre Kollegin zu Hilfe rief, zunächst versuchte, sich mit einer Drehbewegung aus dem festen Griff des Patienten zu befreien. Von einem derartigen Geschehensablauf und einem dadurch erlittenen Verdrehtrauma ging die Beklagte im Verwaltungsverfahren auch selbst aus. Denn nur dadurch erklärt sich, dass die Beklagte nicht nur eine Quetschung, sondern auch eine Zerrung des linken Handgelenks als Unfallfolge anerkannte. Auch hat sie im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 21.12.2012 unmissverständlich ausgeführt, dass unstreitig sei, dass "der Klägerin am 22.11.2010 das linke Handgelenk verdreht wurde." Die Beklagte geht damit auf Grund der erfolgten Verdrehung selbst von einer so bedeutsamen Krafteinwirkung auf das Handgelenk aus, dass diese jedenfalls eine Zerrung verursachte. Damit erschließt sich nicht, weshalb das Verdrehtrauma nur zu der anerkannten Zerrung geführt haben soll, nicht jedoch darüber hinaus gleichermaßen zu dem nachfolgend kernspintomografisch gesicherten Substanzschaden im Bereich des TFCC. Schließlich lässt sich auch der Krankheitsverlauf mit dem dokumentierten durchgehenden Beschwerdezustand, der in die Operationen am 08. und 25.02.2011 mündete, nicht mit der Feststellung im Bescheid vom 26.04.2011 vereinbaren, die Zerrung sei folgenlos ausgeheilt und habe jedenfalls nach dem 21.01.2011 keiner Behandlung mehr bedurft.

Letztlich hat auch der im Berufungsverfahren hinzugezogene Handchirurg Priv.-Doz. Dr. E. die erlittene ulnare Abrissverletzung des TFCC für vereinbar mit einem Verdrehtrauma erachtet. Er hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass gerade die ulnaren Abrissverletzungen häufig durch ein Unfallereignis hervorgerufen werden und insbesondere der von Dr. L. intraoperativ gesehene komplette Abriss der ulnaren Anteile des TFCC weniger Folge einer chronischen Veränderung, als vielmehr Folge eines Unfallereignisses ist.

Soweit Dr. S. schließlich das im kernspintomografischen Befund fehlende Knochenmarködem (Bone bruise) als gegen eine traumatische Substanzschädigung sprechenden Gesichtspunkt aufgeführt hat, hat der Sachverständige Dr. H. zutreffend darauf hingewiesen, dass eine solche Flüssigkeitsanreicherung im lokalen Knochengewebe bei Kapselbandverletzungen zwar häufig, aber gleichwohl nicht immer nachzuweisen ist. Mit der fehlenden Darstellung eines Bone bruise im MRT lässt sich damit auch nicht ausschließen, dass die arthroskopisch bestätigte Substanzschädigung traumatisch bedingt ist. Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren wiederum geltend gemacht hat, der Gesundheitserstschaden sei nicht im Vollbeweis gesichert, ist dies nicht nachvollziehbar. Denn dass bei der Klägerin im Rahmen der Arthroskopie vom 08.02.2011 ein kompletter ulnarer Diskusriss objektiviert wurde, hat keiner der am Verfahren beteiligten Sachverständigen und insbesondere auch nicht der von der Beklagten im Verwaltungsverfahren hinzugezogene Beratungsarzt Dr. S. in Zweifel gezogen. Hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitserstschaden genügt - wie ausgeführt - der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit.

Soweit Dr. S. auf eine degenerative Vorschädigung im Bereich des Handgelenks, insbesondere ulnarseitig, und die beschrieben Ulna-Plus-Variante, die als Wegbereiter einer Gewebeschädigung im Bereich der Handwurzel gelte, hingewiesen hat, lässt sich hieraus nichts Abweichendes herleiten. Diesbezüglich hat der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. E. dargelegt, dass bei der Klägerin nicht nur linksseitig, sondern gleichermaßen auch rechtsseitig eine (unfallunabhängige) Ulna-Plus-Variante vorliegt, die zu einer vermehrten Druckbelastung des darüber liegenden TFCC und dann auch zu einer Irritation des Knorpels im Bereich des Os lunatum führen kann. Dabei muss die Ulna-Plus-Variante weder mit einer Schmerzsymptomatik noch mit einer Funktionseinschränkung verbunden sein. Ausgehend hiervon und dem Umstand, dass die Klägerin rechtsseitig weiterhin beschwerdefrei ist und linksseitig unabhängig von der Ulna-Plus-Variante erst nach dem Unfallereignis mit Abrissverletzung Schmerzen auftraten, hat der Sachverständige für den Senat überzeugend herausgearbeitet, dass die zur Operation führenden Schmerzen der Abrissverletzung zuzuordnen sind, nicht aber einem möglicherweise vorbestehenden Knorpelschaden. Damit ist die operative Behandlung rechtlich wesentlich auf diese Abrissverletzung zurückzuführen. Denn die Refixation des ulnaren Anteils des TFCC war für die Wiederherstellung der Stabilität im distalen Radioulnargelenk notwendig, wobei eine erfolgversprechende Behandlung eine Ulnaverkürzungsosteotomie erforderte. Dementsprechend ist nicht nur die Arthroskopie vom 08.02.2011, sondern auch die nachfolgend am 25.02.2011 wegen der noch erforderlich gewesenen, präoperativ jedoch nicht besprochenen, Ulnaverkürzungsosteotomie rechtlich wesentlich auf den in Rede stehenden Unfall zurückzuführen. Da sich im Anschluss an die operativen Eingriffe erschwerend ein CRPS entwickelte, ist es für den Senat überzeugend, wenn die Sachverständigen Dr. H. und Priv.-Doz. Dr. E. übereinstimmend auch diese Erkrankung als Folge des Unfalls vom 22.11.2010 beurteilt haben.

Soweit die Beklagte insoweit - ohne hierzu allerdings eine ärztliche Äußerung vorzulegen - geltend macht, die Klägerin leide nicht an einem CRPS, überzeugt dies nicht. Hierzu hat der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. E. unter Bezugnahme auf den von der Beklagten vorgelegen Beitrag ("Begutachtung komplexer regionaler Schmerzsyndrome [CRPS], MedSach 1/2014 S. 26 ff.) überzeugend dargelegt, dass die entsprechenden Diagnosekriterien erfüllt sind, da bei der Klägerin ein anhaltender Schmerz, der durch das Anfangstrauma nicht erklärt wird, eine Allodynie, eine Veränderung der Hautfarbe, eine Asymmetrie der Schweißproduktion sowie eine Bewegungseinschränkung vorliegt und die Schmerzen nicht anderweitig erklärt werden können. Entsprechend haben auch die behandelnden Ärzte der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin im Klinikum L. die Diagnose einer CRPS gestellt und - worauf der Sachverständige Priv.-Doz. Dr. E. hingewiesen hat - eine leitliniengerechte Therapie eingeleitet. Diese Beurteilung steht auch in Einklang mit den "Budapester Konsensus-Kriterien", auf die die Beklagte im Rahmen ihrer Ausführungen ausdrücklich verwiesen hat. Eine entsprechende Diagnosestellung setzt danach einen anhaltenden Schmerz, der durch das Ausgangstrauma nicht mehr erklärt wird (Nr. 1), in der Anamnese mindestens ein Symptom aus drei der vier Kategorien Sensorik, Vasomotorik, Sudomotorik/Ödem und Motorik/Trophik (Nr. 2) und zum Zeitpunkt der Untersuchung mindestens ein Symptom aus zwei der genannten vier Kategorien (Nr. 3) voraus sowie darüber hinaus, dass es keine andere Diagnose gibt, die diese Schmerzen erklärt (Nr. 4). Ausgehend hiervon ist nicht zu beanstanden, dass schon die behandelnden Ärzte des Klinikums L. die in Rede stehende Diagnose stellten, nachdem die Klägerin anamnestisch u.a. über eine Allodynie, eine Veränderung der Hautfarbe, eine Asymmetrie der Schweißproduktion und eine Bewegungseinschränkung berichtete, mithin über Symptome aus sämtlichen o.g. Kategorien und auch der von den behandelnden Ärzten erhobene Befund mit einer Allodynie im Nervenbereich, einer veränderten Haut, einem deutlich unterschiedlichen Schwitzen und einer kaum möglichen Dorsalflexion, d.h. einer reduzierten Beweglichkeit Symptome aus allen genannten Kategorien zeigte. Soweit Dr. A. im Arztbrief vom 24.05.2011 ausführte " fehlend ist allerdings eine Schwellung der ganzen Hand und eine Schmerzausbreitung über einen Nerven hinaus auf die gesamte Hand ", ändert dies an der gestellten Diagnose nichts. Denn Dr. A. stellte gleichwohl fest, dass das Krankheitsbild der Klägerin die Diagnosekriterien des CRPS erfüllt. Dies ist ohne weiteres nachvollziehbar, nachdem es sich bei der von ihr erwähnten, jedoch nicht vorliegenden Schwellung bzw. Schmerzausbreitung auf die gesamte Hand zwar um Symptome im Rahmen einer CRPS handelt, deren Vorliegen für eine entsprechende Diagnosestellung allerdings nicht zwingende Voraussetzung ist.

Soweit die Beklagte schließlich die von dem Sachverständigen bei der Bewegungsprüfung gemessene und von ihm dokumentierte Bewegungseinschränkung und Kraftminderung der linken Hand angesichts der gleichzeitig beschriebenen seitengleichen Bemuskelung der Arme und Beschwielung der Hände, was deutlich gegen eine Schonung der verletzten Extremität spreche, in Zweifel gezogen hat, teilt der Senat die insoweit erhobenen Bedenken nicht. Denn zum einen geht nicht jegliche Bewegungseinschränkung und Kraftminderung zwangläufig mit einer messbaren Muskelminderung einher und zum anderen hat die Klägerin gerade nicht geltend gemacht, dass sie den linken Arm und die linke Hand wegen der Beschwerdesymptomatik nur noch eingeschränkt einsetze, weil sie diese schone. Im Gegensatz hierzu gab sie anlässlich ihrer Vorstellung im Klinikum L. vielmehr sogar an, sie setze die kranke Hand im Alltag ganz bewusst ein. Dies hält der Senat vor dem Hintergrund des Umstandes, dass bei der Klägerin - wie im Zusammenhang mit der Diagnose eines CRPS dokumentiert - gerade keine Schwellung im Bereich der gesamte Hand vorliegt und der Schmerz sich auch nicht über einen Nerven hinaus auf die gesamte Hand ausbreitet auch ohne weiteres für glaubhaft und nachvollziehbar.

Letztlich vermag der Senat auch aus dem Einwand der Beklagten, der Sachverständige habe nicht begründet, weshalb die Bewegungseinschränkung und Kraftminderung gerade der unfallbedingten Abrissverletzung im TFCC zuzuordnen sei, nicht aber auf die unfallunabhängigen Veränderungen zurückzuführen sein soll, keine abweichende Beurteilung herzuleiten. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Bewegungseinschränkung und Kraftminderung - vom Sozialgericht unter dem Begriff der schmerzhaften Funktionsstörung zusammengefasst - aus dem CRPS resultieren, das - entgegen der Ansicht der Beklagten - bei der Klägerin als Folge des Arbeitsunfalls vorliegt. Einen ursächlichen naturwissenschaftlichen Zusammenhang mit unfallunabhängigen strukturellen Besonderheiten vermag der Senat daher schon auf der ersten Stufe der Kausalitätsprüfung nicht zu erkennen. Soweit die Beklagte auf aus ihrer Sicht degenerative Knorpelschäden verweist, hat bereits Dr. H. dargelegt, dass es sich bei diesen, von Dr. T. im OP-Bericht beschriebenen Schäden gerade nicht um unfallunabhängige Schäden handelt. Vielmehr geht der Senat - mit Dr. H. - davon aus, dass innerhalb des Zeitraumes von drei Monaten bis zur Operation hier sekundäre, also unfallbedingte Knorpelschäden entstanden. Aber selbst wenn - so Dr. H. weiter und ebenso Priv.-Doz. Dr. E. - diese Schäden unfallunabhängig (vor)bestanden haben sollten (wovon Priv.-Doz. Dr. E. jedenfalls für die Knorpelschäden im Bereich des Mondbeins ausgeht), hätten sie bis zum Unfall keinerlei Beschwerden verursacht. Dies gilt im Übrigen für die bei der Klägerin vorliegende unfallunabhängige Ulna-Plus-Variante gleichermaßen, worauf Priv.-Doz. Dr. E. zutreffend hingewiesen hat. Da diese Ulna-Plus-Variante bei der Klägerin beidseitig besteht, ohne dass hieraus auf der vom Unfall nicht betroffenen Seite Beschwerden resultieren, gibt es - so Priv.-Doz. Dr. E. überzeugend - keinen Grund, die einseitigen Beschwerden nicht auf den Arbeitsunfall und seine Folgen, sondern auf diese strukturelle Besonderheit zurückzuführen. Im Übrigen wäre auch bei Annahme einer naturwissenschaftlichen Kausalität unfallunabhängiger struktureller Besonderheiten - gleich ob in Bezug auf Knorpelschäden und/oder Ulna-Plus-Variante - ein wesentlicher Zusammenhang zwischen Arbeitsunfall und Funktionseinschränkungen zu bejahen. Denn dann wäre eine solche Schadensanlage durch den Unfall aktiviert worden und es bestünde gerade dadurch, durch die Aktivierung der Schadensanlage, ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall. Auch hierauf hat Dr. H. zu Recht - wenn auch mit nicht ganz zutreffender Formulierung (eine - definitionsgemäß stumme - Schadensanlage kann sich nicht verschlimmern, andernfalls wäre es ein - bereits mit Beschwerden verbundener - Vorschaden) - zutreffend hingewiesen. Angesichts der Beschwerdefreiheit auf der vergleichbar strukturierten Gegenseite wäre dann der Unfall auch als wesentliche Mitursache anzusehen.

Nach alledem kann die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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