L 9 AS 1276/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 AS 1/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 1276/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 9. März 2017 aufgehoben.

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Monat Januar 2017 in Höhe von 68 Euro und für die Monate April bis einschließlich August 2017 in Höhe von 368 Euro zu zahlen, längstens jedoch bis zur bestandskräftigen Entscheidung über den Antrag vom 20.07.2016.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die Kosten des Antragstellers in beiden Rechtszügen zur Hälfte zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist im Wege der einstweiligen Anordnung, ob der Antragsteller Anspruch auf die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) hat.

Ergänzend zu den Ausführungen des Sozialgerichts Konstanz ([SG] siehe Beschluss vom 09.03.2017, dort Gründe zu I.), auf die der Senat um unnötige Wiederholungen zu vermeiden verweist, sind nach Erlass des erstinstanzlichen Beschlusses folgende Umstände zu berücksichtigen:

Mit Bescheid vom 07.03.2017 hat der Antragsgegner nunmehr die Gewährung der mit Antragstellung vom 20.07.2016 begehrten Leistungen ab 01.07.2016 ganz versagt. Zur Begründung hat der Antragsgegner u.a. ausgeführt, der Antragsteller habe die "mit Schreiben vom 10.08.2016, 06.09.2016, 04.10.2016, 12.10.2016, 02.11.2016, 13.12.2016, 18.01.2016 und 13.02.2017" angeforderten Unterlagen/Nachweise trotz Belehrung über die Rechtsfolgen nicht vollständig vorgelegt. Das geforderte Ermessen sei dahingehend ausgeübt worden, dass die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers berücksichtigt worden seien. Auch seien die Gesamtumstände berücksichtigt worden, sowie das Interesse der Allgemeinheit, mit Steuermitteln sparsam umzugehen "und zeitnah auszuzahlen". Mit einem weiteren Bescheid vom 07.03.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Zusicherung zum Umzug nach § 22 Abs. 4 SGB II ab, weil noch kein konkretes Wohnangebot vorliege.

Am 10.03.2017 hat der Antragsteller die Anlage EKS (betreffend das Gewerbe "H." im Zeitraum 30.07.2016 bis 04.10.2016 bzw. 31.12.2016) vorgelegt. Der Antragsgegner hat daraufhin mitgeteilt, "weitere zur Entscheidung notwendige Unterlagen wurden nicht mit eingereicht. Es verbleibt deshalb beim Versagungsbescheid vom 07.03.2017".

Unter dem 23.03.2017 hat der Antragsteller darauf hingewiesen, die Schreiben vom 04.10.2016 und 02.11.2016 nicht erhalten zu haben. In einem weiteren Schreiben vom selben Tag hat er gerügt, ihm sei nicht mitgeteilt worden, um was es sich für "notwendige Unterlagen" handele. Der Antragsgegner habe insoweit eine Begründungspflicht. Über einen beauftragten Rechtsanwalt hat der Antragsteller am 22.03.2017 Widerspruch "gegen den Bescheid vom 07.03.2017" einlegen lassen, mit der Begründung, er habe alle entsprechenden Unterlagen rechtzeitig übersandt bzw. der Antragsgegner habe bereits über die entsprechenden Unterlagen verfügt.

Hierauf hat der Antragsgegner in einem Schreiben an den Bevollmächtigten mitgeteilt (12.04.2017), dass aktuell eine "– schriftliche Stellungnahme zum Gewerbe (Privatverkäufe? Verkäufe aus Gewerbe? Nutzung (Mietvertrag) der Garage privat und/oder geschäftlich?), – Unterlagen zur Einkommenshöhe von Frau S. (es ist von einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft auszugehen; vgl. Beschluss des SG KN vom 09.03.2017) – Anlage EKS – liegt zwischenzeitlich vor – (Bl. 262-264)" benötigt würden. Auch eine vorläufige Bewilligung könne nicht erfolgen, da die Anspruchsvoraussetzungen weiterhin nicht geprüft werden könnten.

Am 21.04.2017 hat der Antragsteller beim Antragsgegner erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gestellt unter Vorlage der Anlagen KDU, VM, EK und EKS (in der er angab, keine selbständige Tätigkeit auszuüben) sowie einer eidesstattlichen Versicherung vom 21.04.2017 zu den Umständen des Zusammenlebens mit Frau S. und von teilweise geschwärzten Kontoauszügen für den Zeitraum 22.02.2017 bis 18.04.2017.

Am 28.04.2017 hat der Antragsteller beim SG erneut den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 3 AS 866/97 ER) gestellt. Über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 07.03.2017 ist bislang nicht entschieden worden. Mit Schreiben vom 27.04.2017 an den Antragsteller hat der Antragsgegner erneut Umstände, die aus seiner Sicht der Aufklärung bedürfen, dargelegt.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im tenorierten Umfang begründet. Dem Antragsteller sind im Wege der Folgenabwägung die tenorierten Leistungen zuzusprechen.

Gegenstand des Verfahrens ist der Versagungsbescheid vom 07.03.2017 geworden, der den Anspruch des Antragstellers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab 01.07.2016 (erneut) versagt. Eine Entscheidung über den vom Antragsteller gestellten weiteren Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 21.04.2017 liegt hingegen noch nicht vor.

Das SG hat den Antrag des nicht durch einen Bevollmächtigten vertretenen Antragstellers zu Recht im Sinne eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, gewürdigt, und nicht auf die Voraussetzungen der Gewährung eines Vorschusses beschränkt. Unabhängig davon, ob die Ablehnung eines solchen Anspruches durch den Antragsgegner bestandskräftig geworden ist oder nicht, macht der Antragsteller mit seinem am 19.12.2016 gestellten Antrag auf Gewährung eines Vorschusses in voller Höhe eine völlige Mittellosigkeit geltend und damit auch konkludent, dass Einkommen oder Vermögen nicht anrechenbar ist. Darüber hinaus ist im Rahmen des gestellten Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht zu klären, ob die Antragsgegner zu einer vorschussweisen Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit verpflichtet gewesen wäre.

Das Begehren des Antragstellers legt der Senat daher zumindest für das vorliegende Verfahren dahingehend aus, dass es ihm um eine dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren immanente vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zur Behebung einer aktuellen Notsituation geht. Dies gilt umso mehr, als der vom Antragsteller ausdrücklich beantragte Vorschuss nach § 42 SGB I von der spezielleren Regelung des § 41a SGB II (in der seit 01.08.2016 anwendbaren Fassung) verdrängt wird (§ 37 Satz 1 SGB I; vgl. zu dem zuvor geltenden Verweis in § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II auf die im Wesentlichen gleichlautende Regelung des § 328 SGB III: Eicher/Greiser, SGB II, 3. Aufl., § 40 Rdnr. 63).

Der Versagungsbescheid vom 07.03.2017, der noch nicht bestandskräftig geworden ist (zur anspruchshindernden Wirkung eines bestandskräftigen Versagungsbescheides vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.07.2012 – L 13 AS 124/12 B –; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18.05.2009 – L 25 AS 770/09 B ER –, Juris), steht einer Verpflichtung des Antragsgegners nicht entgegen, denn er ist offensichtlich rechtswidrig. Der Verwaltungsakt legt schon nicht dar, welche Obliegenheitsverletzung dem Antragsteller konkret vorgeworfen wird. So führt der Antragsgegner in der Begründung des Verwaltungsakts nur aus, der Antragsteller sei seinen Mitwirkungspflichten aus den Aufforderungen in den Schreiben vom 10.08.2016, 06.09.2016, 04.10.2016, 12.10.2016, 02.11.2016, 13.12.2016, 18.01.2016 und 13.02.2017 nicht vollständig nachgekommen. Insoweit bleibt unklar, welche der in den jeweiligen Schreiben geforderten Unterlagen oder Nachweise nicht (vollständig) vorliegen. Legt man die zuletzt genannte Aufforderung zugrunde, wurden Belege zu Paypal-Umsätzen im Zeitraum bis 31.12.2016, eine EKS ohne Vorbehaltserklärung und Erläuterungen zu Zahlungseingängen am 19.08.2016 und am 31.08.2016 sowie Erläuterungen zu Einkünften aus einem Mängelgewährleistungsanspruch gefordert. Es dürfte rechtswidrig sein, die Versagung nach § 66 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch auf Mitwirkungshandlungen zu erstrecken, die auf Aufforderungen beruhen, die zwischenzeitlich durch die Aufforderung vom 13.02.2017 überholt sein dürften und welche dort nicht (nochmals) konkret benannt worden sind. Jedenfalls enthält diese letzte Aufforderung keinen Verweis auf nicht erfüllte Mitwirkungsobliegenheiten, die mit den Schreiben vom 10.08.2016, 06.09.2016, 04.10.2016, 12.10.2016, 02.11.2016, 13.12.2016 und 18.01.2016 geltend gemacht wurden. Dies gilt umso mehr, wenn man die vom Antragsteller im Rahmen des Widerspruchsverfahrens geforderte Konkretisierung im Schreiben des Antragsgegners vom 12.04.2017 berücksichtigt. Denn dort werden vom Antragsteller eine schriftliche Stellungnahme zum Gewerbe (Privatverkäufe? Verkäufe aus Gewerbe? Nutzung (Mietvertrag) der Garage privat und/oder geschäftlich?) sowie Unterlagen zur Einkommenshöhe von Frau S. verlangt mit dem Vermerk, dass die Anlage EKS zwischenzeitlich vorliege. Damit werden vom Antragsteller nunmehr Unterlagen gefordert, die in der genannten letzten Aufforderung vom 13.02.2017 nicht enthalten waren. Es bleibt daher unklar, auf welche Verletzung von Mitwirkungsobliegenheiten der Antragsgegner die Versagung tatsächlich stützen will.

Schließlich bestehen Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes auch mit Blick auf die erforderliche Ermessensausübung. Dabei dürfte nach der hier erforderlichen summarischen Prüfung ein Ermessensfehler in Form eines Ermessens- bzw. Abwägungsdefizits vorliegen. Die Ermessensbetätigung ist gerichtlich auf Ermessensfehler hin zu kontrollieren. Insbesondere ist dabei zu prüfen, ob die Behörde für die zur Ausschöpfung ihres Ermessensspielraums notwendige Interessenabwägung alle nach Lage des Einzelfalls wesentlichen (öffentlichen und privaten) Abwägungsbelange ermittelt, in diese Abwägung eingestellt, mit dem ihnen zukommenden objektiven Gewicht bewertet und bei widerstreitenden (öffentlichen und privaten) Belangen einen angemessenen Ausgleich hergestellt hat. Dabei steht es der Behörde – in den gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens – grundsätzlich frei zu entscheiden, auf welche der abwägungsrelevanten Umstände sie die zu treffende Ermessensentscheidung im Ergebnis stützen möchte (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 30.10.2013 – B 12 R 14/11 R –, Juris). Eine solche Abwägung lässt sich dem Bescheid vom 07.03.2017 nicht entnehmen. Eine solche wird nur formelhaft dargestellt, ohne dass ausgeführt wird, welche konkreten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsgegner tatsächlich berücksichtigt hat (etwa Mittellosigkeit, anderweitige Sicherung des Lebensunterhalts durch Dritte, Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit etc.). Abgesehen von der Verpflichtung zum sparsamen Umgang mit Steuermitteln ist darüber hinaus nicht dargelegt worden, welche Gesamtumstände konkret den Ausschlag gegeben haben, die Leistungen (erneut) zu versagen. Dabei dürfte auch zu berücksichtigen sein, dass der Antragsgegner nunmehr bereits ein weiteres Mal über den Leistungsantrag vom 20.07.2016 entschieden hat und nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen auch für Teilzeiträume keine Leistungsgewährung in Betracht kommen soll. Dies ist schon deshalb relevant, weil die hier maßgebliche Aufforderung vom 13.02.2017 nur Angaben zu Tatsachen bis 31.12.2016 verlangt und der Zeitraum ab 01.01.2017 durch diese Aufforderung gerade nicht betroffen ist, weswegen die Versagung mit diesem Verwaltungsakt für diesen Zeitraum nicht auf die Verletzung von Mitwirkungsverpflichtungen gestützt werden kann, die mit der Aufforderung vom 13.02.2017 verlangt werden. Deshalb scheidet nach Auffassung des Senats bei summarischer Prüfung eine auf die Nichterfüllung einer Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 SGB I gestützte Leistungsversagung nach § 66 Abs. 1 SGB I aus.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht der Fall des Absatzes 1 des § 86b SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Vorliegend kommt nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz), ist von diesem Grundsatz eine Abweichung nur dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht mehr gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Eine solche Fallgestaltung ist anzunehmen, wenn es – wie hier – im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Sicherung des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums während eines Verfahrens geht. Ist während des Hauptsacheverfahrens das Existenzminimum nicht gedeckt, kann diese Beeinträchtigung nachträglich nicht mehr ausgeglichen werden, selbst wenn die im Rechtsbehelfsverfahren erstrittenen Leistungen rückwirkend gewährt werden (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05NVwZ 2005, 927, 928). Die Gerichte müssen in solchen Fällen, wenn sie sich einen Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren wollen, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend prüfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2003 – 2 BvR 311/03NVwZ 2004, 95, 96 –). Ist dem Gericht eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Auch in diesem Fall sind nach der Rechtsprechung des BVerfG (Kammerbeschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –, Juris) die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen. Dies gilt ganz besonders, wenn es um die Wahrung der Würde des Menschen geht. Eine Verletzung dieser grundgesetzlichen Gewährleistung, auch wenn sie nur möglich erscheint oder nur zeitweilig andauert, haben die Gerichte zu verhindern. Diese besonderen Anforderungen an Eilverfahren schließen andererseits nicht aus, dass die Gerichte den Grundsatz der unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache vermeiden, indem sie zum Beispiel Leistungen nur mit einem Abschlag zusprechen (vgl. SG Düsseldorf, Beschluss vom 16.02.2005 – S 35 SO 28/05 ER –, Juris). Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende dienen der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens. Diese Sicherstellung ist eine verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, die aus dem Gebot zum Schutze der Menschenwürde in Verbindung mit dem Sozialstaatsgebot folgt. Diese Pflicht besteht unabhängig von den Gründen der Hilfebedürftigkeit. Hieraus folgt, dass bei der Prüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums, soweit es um die Beurteilung der Hilfebedürftigkeit der Antragsteller geht, nur auf die gegenwärtige Lage abgestellt werden darf. Umstände der Vergangenheit dürfen nur insoweit herangezogen werden, als sie eindeutige Erkenntnisse über die gegenwärtige Lage des Anspruchstellers ermöglichen. Dies gilt sowohl für die Feststellung der Hilfebedürftigkeit selbst als auch für die Überprüfung einer Obliegenheitsverletzung nach §§ 60, 66 SGB I, wenn über den Anspruch anhand eines dieser Kriterien entschieden werden soll. Aus diesen Gründen dürfen existenzsichernde Leistungen nicht auf Grund bloßer Mutmaßungen verweigert werden, insbesondere wenn sich diese auf vergangene Umstände stützen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005 , a. a. O.).

Eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts ist im Rahmen des vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und der damit verbundenen zeitlichen Verzögerung nicht möglich. Der Sachverhalt ist nach Überzeugung des Senats auch noch nicht abschließend geklärt, was den Ermittlungen im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Hierfür spricht auch das vom Antragsgegner am 27.04.2017 an den Antragsteller gerichtete Schreiben, das für den Anspruch noch aufklärungsbedürftige Fragen benennt.

Dabei stimmt der Senat zunächst mit dem SG überein, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von vorläufigen Leistungen für einen Zeitraum vor der Antragstellung bei Gericht nicht vorliegen. Der Senat schließt sich dem uneingeschränkt an und verweist insoweit auf diese Ausführungen (§ 142 Abs. 2 SGG). Der Antragsteller hat zudem selbst angegeben, seinen Bedarf vor der Antragstellung aus den 3200 Euro, die er aus einem Vergleich erzielt hat, habe bestreiten können. Damit ist allein entscheidend, ob der Antragsteller für die Zeit ab Januar 2017 seine Bedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 3 und § 9 Abs. 1 und 2 SGB II glaubhaft gemacht hat, wobei der Senat davon ausgeht, dass die übrigen Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II vorliegen und Ausschlusstatbestände nicht gegeben sind. Nachdem der Antragsgegner bislang über den Neuantrag vom 21.04.2017 nicht entschieden hat, ist durch diesen Antrag auch keine Zäsur eingetreten, die eine Begrenzung des Anspruches im einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zuließe (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2012 – B 4 AS 29/12 R –, Juris). Der beim SG gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dürfte unzulässig sein, da über den geltend gemachten Anspruch im Rahmen dieses Verfahrens zu entscheiden ist.

Soweit der Antragsgegner noch Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit vermutet, wird dies vom Antragsteller bestritten, ohne dass der Antragsgegner noch hinreichend konkrete Tatsachen benennen kann, die auf laufende Einnahmen aus Gewerbebetrieben schließen lassen. So räumt er in seinem Schreiben vom 27.04.2017 ein, dass ein Gewerbe "Groß- und Einzelhandel mit Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik, Bürobedarf, Büromöbel, Textil-, Sport- und Freizeitartikel, Autoersatzteile und -Zubehör" zum 04.10.2016 abgemeldet wurde. Dass hieraus noch Einnahmen erzielt werden, ist nicht ersichtlich. Die zuletzt vom Antragsteller insoweit vorgelegte Anlage EKS (Bl. 263 ff. der Akten) wurde vom Antragsgegner auch nicht beanstandet. Hinsichtlich einer Tätigkeit unter der Firmierung "K." steht zwar nicht zweifelsfrei fest, dass dieses Gewerbe aufgegeben wurde, da der Antragsteller insoweit noch eine Garage angemietet hat, die zur Ausübung einer solchen Tätigkeit genutzt werden kann. Auch hat der Antragsteller hierfür bislang keine EKS vorgelegt. Der Antragsteller bestreitet aber Einnahmen aus dieser Tätigkeit, ohne dass es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Antragsteller tatsächlich seit Januar 2017 Einkünfte aus dieser Tätigkeit generiert. Dabei ist zuzugestehen, dass die Kontobewegungen auf der Einnahmenseite in der Zeit vom 01.01.2017 bis 30.03.2017 (Aufstellung Blatt 342 der Akten) nicht zweifelsfrei zugeordnet werden können, weil der Antragsteller diese pauschal nur als Einnahmen aus Privatverkäufen bezeichnet, ohne konkrete Belege für die einzelnen Verkaufserlöse darzulegen. Allerdings räumt auch der Antragsgegner ein, dass (nur) bis zum 28.11.2016 ein Internetauftritt des Antragstellers vorhanden war und hierüber Termine buchbar gewesen sind, sodass es für die Zeit ab Januar 2017 zumindest an hinreichenden Anhaltspunkten für Einnahmen aus einem Gewerbebetrieb fehlt. Auch dies dürfte der abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, der allein der aktuellen Behebung einer existentiellen Notlage dienen soll, sind aber die bislang ungeklärten Einnahmen der Existenzdeckung entgegen zu rechnen (siehe hierzu noch unten), da der vom Antragsteller behauptete Vermögenswert bereits zum Lebensunterhalt verbraucht wurde, was jedoch nicht ausschließt, dass der Antragsteller im Hauptsacheverfahren einen Anspruch auf Leistungen ohne Anrechnung dieser Einnahmen haben kann, sollte sich herausstellen, dass tatsächlich Vermögenswerte verkauft und zum Lebensunterhalt verbraucht worden sind. Soweit auf das Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft abgestellt wird und die Berücksichtigung von Einkommen des Partners gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c), Abs. 3a und § 9 Abs. 2 SGB II im Raum steht, ist ein solches Einkommen (oder ein die Bedürftigkeit ausschließendes Vermögen) bislang nicht festgestellt. Die Zeugin hat vor dem SG angegeben, als Verkäuferin zu arbeiten. Dies wird bestätigt durch die Angaben in der Anlage EK vom 31.08.2016 (Bl. 45 der Akten), worin zumindest Angaben zur Arbeitsstätte gemacht sind. Ausgehend von der Rechtsauffassung des SG hätte die Zeugin zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen befragt werden müssen, um Feststellungen der Bedürftigkeit des Antragsteller auch mit Blick auf anrechenbares Einkommen Dritter abzuklären. Darüber hinaus hätte die Zeugin aufgefordert werden müssen, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu belegen. Ein solcher Versuch wurde aber ausweislich der vorliegenden Niederschrift nicht unternommen. Auch dies wird daher im Hauptsacheverfahren nachzuholen sein. Es kann insoweit auch nicht auf eine Bedarfsgemeinschaft und eine nicht nachgewiesene Bedürftigkeit der Mitglieder einer solchen abgestellt werden, da der Antragsteller nur für sich und nicht auch für die Zeugin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt hat.

Eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung hat auch der Antragsgegner bislang nicht durchgeführt. Eine formelle Versagung der Leistung nach §§ 60, 66 SGB I ist in diesem Kontext nicht möglich, weil es keine Rechtsgrundlage dafür gibt, die eine Obliegenheit des Antragstellers begründet, Angaben zu Dritten zu machen oder Unterlagen Dritter vorzulegen. Eine Zurechnung des Verschuldens Dritter scheidet daher mangels einer normativen Grundlage aus (Blüggel in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 60 Rdnr. 59 m.w.N.). Eine Leistungsversagung wegen einer (angeblichen) Verletzung von Mitwirkungspflichten Dritter berechtigt nicht zur Versagung von Leistungen (vgl. hierzu LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.09.2016 – L 7 AS 3613/15 –, LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.04.2016 – L 7 AS 258/16 B ER –, beide Juris). Eine – unterstellte – Kenntnis des Antragstellers der Einkommensverhältnis führt daher nicht weiter, zumal diese in aller Regel dennoch nicht ausreichend sein dürfte, dass damit das anzurechnende Einkommen unter Berücksichtigung des § 11 und § 11b SGB II abschließend beurteilt werden kann.

Soweit der Antragsgegner die Zeugin mit Schreiben vom 11.10.2016 aufgefordert hat, Angaben zu machen, dürfte es daher ebenfalls unzutreffend sein, auf eine Bedarfsgemeinschaft abzustellen, weil hier – wie ausgeführt – keine Leistungen einer Bedarfsgemeinschaft geltend gemacht werden. Daher ist in der Aufforderung auf die Auskunftspflicht nach § 60 Abs. 4 SGB II abzustellen und sind die hierfür maßgeblichen Gründe mitzuteilen (Schoch in LPK-SGB II, 6. Aufl., § 60 Rdnr. 39 m.w.N.). Dabei ist der SGB II-Leistungsträger nach wohl herrschender Meinung berechtigt, die Auskunftsverpflichtung des Dritten durch Verwaltungsakt zu konkretisieren (str., vgl. Blüggel a.a.O., Rdnr. 56), wodurch die Auskunft als eine auf die Vornahme einer Handlung gerichtete Pflicht vollstreckbar ist. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kann der SGB II-Leistungsträger den Partner unabhängig davon als Zeugen vernehmen, ggfs. unter den Voraussetzungen des § 22 SGB X das Sozialgericht um eine eidliche Vernehmung ersuchen. Die Durchsetzung des Auskunftsanspruches nach § 60 Abs. 4 SGB II ist daher auch vom Antragsgegner bislang nicht ausreichend verfolgt worden.

Soweit der Antragsteller und die Zeugin bestreiten, die Voraussetzungen der o.g. Vorschriften zu erfüllen, dürfte nach der hier gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus der Zeugenvernehmung die Auffassung des SG nicht zu beanstanden sein, wobei auch diese Entscheidung letztlich dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt. Der Antragsteller und die Zeugin haben auch für den Senat nicht hinreichend glaubhaft machen können, dass die bei Zeugenvernehmung eingeräumte Partnerschaft zu Anfang des Zusammenwohnens zwischenzeitlich beendet ist. Auch wenn dies natürlich nicht ausgeschlossen ist, fehlt es an nachvollziehbaren Belegen hierfür. Denn der Verlauf wird nach einem anfänglichen Leugnen in der Zeugenvernehmung und der zugestandenen Beeinflussung der Zeugin durch den Antragsteller nicht plausibel. Danach soll man sich auseinandergelebt haben, eine Beziehung bestünde seit einem halben oder dreiviertel Jahr nicht mehr. Unabhängig davon, dass die behauptete Trennung zeitlich mit dem Antrag auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zusammenfällt, haben weder die Zeugin noch der Antragsteller Umstände geschildert, die sich seitdem geändert haben. Die positive Feststellung solcher Umstände verweigert der Antragsteller zudem dadurch, dass er einer Inaugenscheinnahme der Wohnung nicht zustimmt. Seine Einlassungen hierzu überzeugen zumindest bezogen auf die von ihm angemieteten Räumlichkeiten nicht, da hierfür kein Einverständnis der Hauptmieterin erforderlich sein dürfte. Auch die behauptete Wohnungssuche ist bislang nicht belegt, ein konkretes Angebot oder eine Ablehnung bislang nicht vorgelegt worden. Nachdem eine Partnerschaft eingeräumt ist, dürfte im Hauptsacheverfahren insoweit zu prüfen sein, ob bei einer weiteren Nichtaufklärbarkeit die Beweislast für eine zwischenzeitlich erfolgte Trennung beim Antragsteller liegt.

Im Rahmen der deshalb erforderlichen Interessenabwägung muss das Interesse des Antragsgegners im konkreten Fall hinter den Interessen der Antragstellerin zurücktreten. In Anbetracht dessen, dass die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II der Sicherstellung eines menschenwürdigen Lebens dienen und damit das Existenzminimum absichern, kann dem Antragsteller im Lichte des in Art. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG verankerten Gebots des effektiven Rechtsschutzes und der Menschenwürde nicht zugemutet werden, ohne jede staatliche Existenzsicherung eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Ohne die beantragten Leistungen drohen dem Antragsteller Nachteile, die er aus eigener Kraft nicht abwenden kann, da der Lebensunterhalt und insbesondere der Krankenversicherungsschutz nicht gesichert sind. Die überragende Bedeutung dieser Leistungen für den Empfänger muss mit der Folge beachtet werden, dass ihm im Zweifel die Leistungen – ggf. vermindert auf das absolut erforderliche Minimum – aus verfassungsrechtlichen Gründen vorläufig zuzusprechen sind (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.01.2007 – L 19 B 687/06 AS ER – Juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze legt der Senat der Bedarfsberechnung den Regelbedarf ab 01.01.2017 eines volljährigen Partners innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft mit 368 Euro zugrunde. Damit berücksichtigt der Senat aufgrund des bislang nicht abschließend geklärten Sachverhaltes auch zugleich einen Abschlag vom Regelbedarf eines Alleinstehenden im Rahmen der Entscheidung im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Vermeidung einer Vorwegnahme der Hauptsache.

Unter Berücksichtigung des Bedarfsdeckungsgrundsatzes ergibt sich für den Januar ein Anspruch auf vorläufige Leistungen in Höhe von 68 Euro (368 Euro abzüglich eines Barumsatzes am 15.01.2017 i. H. v. 300 Euro) und für Februar und März kein Leistungsanspruch (wegen SB-Einzahlungen i. H. v. insgesamt 730 Euro am 03.02., 09.02. und 13.02. und Zahlungseingängen am 01.03., 15.03., 21.03. und 30.03. i. H. v. insgesamt 777,20 Euro). Dabei ist auch die Einkommensteuerrückerstattung als einmalige Einnahme zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 11.02.2015 – B 4 AS 29/14 R –, Juris). Darüber hinaus sind für die Folgemonate bis einschließlich August 2017, bzw., sofern das Verfahren zuvor bestandskräftig abgeschlossen sein sollte, bis zu diesem Termin, 368 Euro monatlich als vorläufige Leistung zu erbringen.

Der Senat hat darüber hinaus keine Kosten der Unterkunft und Heizung berücksichtigt, da derzeit Wohnungslosigkeit nicht zu befürchten ist. Die vom SG vernommene Zeugin hat zwar die Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen, dennoch aber angegeben, dass sie den Antragsteller "nicht auf die Straße setzen" könne. Eine entsprechende Eilbedürftigkeit liegt somit für diese Kosten nicht vor, weswegen insoweit vorläufige Leistungen derzeit nicht erforderlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG und berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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