L 1 AS 1593/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 22 AS 4346/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 AS 1593/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.02.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit.

Der 1979 geborene Kläger steht beim Beklagten im Leistungsbezug nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Am 15.07.2015 wies der Beklagte dem Kläger eine Arbeitsgelegenheit als Helfer (Lagerwirtschaft/Transport) für die Zeit vom 20.07.2015 bis 19.01.2016 mit einem Umfang von 30 Wochenstunden bei der P. L. zu. Der Kläger erhalte eine Mehraufwandsentschädigung von 1,50 EUR pro Stunde. Das Schreiben enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach ein Widerspruch hiergegen zulässig sei. Zudem enthielt das Schreiben eine Rechtsfolgenbelehrung, wonach der Kläger bei Weigerung der Arbeitsaufnahme eine Sanktion in Höhe von 30 % der Regelleistung erhalte.

Mit Schreiben vom 16.07.2015 legte der Kläger gegen die Zuweisung der Arbeitsgelegenheit Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, die gewährte Mehraufwandsentschädigung von 1,50 EUR sei nicht rechtmäßig, ihm müsse eine Mindestentlohnung von 8,50 EUR auf die Stunde zustehen.

Der Kläger nahm die Arbeitsgelegenheit nur am 20.07.2015 für 8 Stunden wahr. Ab dem 21.07.2015 fehlte er unentschuldigt.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2015 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 24.08.2015 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen, er hafte bei Ausübung der Arbeitsgelegenheit genauso wie ein Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und habe daher ebenso Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Der Kläger hat zudem geltend gemacht, die zugewiesene Arbeit sei weder zusätzlich, noch im öffentlichen Interesse und daher auch nicht wettbewerbsneutral.

Mit Urteil vom 19.02.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, die Klage sei bereits unzulässig. Eine grundsätzlich statthafte Anfechtungsklage komme nicht mehr in Betracht, da sich der angefochtene Verwaltungsakt durch Zeitablauf erledigt habe. Von dem Verwaltungsakt ginge keine Rechtswirkung mehr aus. Der Zeitraum der Arbeitsgelegenheit sei abgelaufen, eine Sanktion (als Folge der nicht aufgenommenen Arbeitsgelegenheit) sei gegen den Kläger nicht verhängt worden. Auch eine Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage komme nicht in Betracht. Es fehle an dem hierfür erforderlichen berechtigten (Feststellungs-)Interesse des Klägers. Die bloße Möglichkeit, dass dem Kläger wieder eine Arbeitsgelegenheit zugewiesen werde, genüge hierfür nicht. Im Übrigen sei die Klage auch unbegründet.

Gegen das am 08.04.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.04.2016 Berufung eingelegt. Zur Begründung der Berufung hat der Kläger ausgeführt, entgegen der Auffassung des SG sei eine Anfechtungsklage zulässig. Im Übrigen hat sich der Kläger auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren berufen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 19.02.2016 sowie den Bescheid des Beklagten vom 15.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte erachtet die Entscheidung des SG für zutreffend und hält im Übrigen an seiner Auffassung fest. Auf Nachfrage des Senats hat der Beklagte zudem mitgeteilt, der streitige Bescheid vom 15.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2015 sei nicht Gegenstand einer Sanktionsentscheidung geworden. Es sei auch nicht beabsichtigt, eine solche noch zu treffen. Des Weiteren teilte der Beklagte mit, es sei zwischenzeitlich kein gleichartiger Zuweisungsverwaltungsakt in eine Arbeitsgelegenheit ergangen und eine solche Zuweisung sei in naher Zukunft auch nicht geplant.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Absatz 1 Nummer 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der Senat folgt nicht der Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 26.11.2015, - L 7 AS 1560/15 B ER -, juris), wonach ein Eingliederungsbescheid nach § 16 SGB II, soweit er Handlungsobliegenheiten des Leistungsberechtigten betreffe, auf eine Geldleistung gerichtet sei, weil die einzige Rechtsfolge bei Nichtbefolgung eine Sanktion sein könne, und die Zulässigkeit der Berufung deshalb an § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zu messen sei. Diese Rechtsansicht vernachlässigt, dass bereits mit der bloßen Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit durch Verwaltungsakt eine Teilnahmepflicht auferlegt wird, die eine eigenständige rechtliche Belastung des Betroffenen darstellt (vgl. Vießmann, NZS 2011, 128, 129; Thüringer LSG, Beschluss vom 18.05.2016 - L 9 AS 449/16 B ER -, juris). Denn durch die Zuweisung mittels Verwaltungsakt wird dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen final, unmittelbar, rechtsförmig und individualisiert aufgegeben, einen bestimmten Ein-Euro-Job wahrzunehmen (Vießmann, a.a.O.). Der Kläger begehrt tatsächlich nicht eine höhere Entlohnung für die geleistete Arbeit am 20.07.2015, sondern macht die Rechtswidrigkeit der Zuweisungsentscheidung an sich geltend und begehrt deren Aufhebung. Im Gegensatz zu einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage auf eine höhere Vergütung für den 20.07.2015 betrifft die vorliegend erhobene reine Anfechtungsklage damit nicht eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Der Zulässigkeit der Berufung steht damit § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht entgegen.

Die zulässige Berufung ist jedoch nicht begründet. Zur Überprüfung steht der Bescheid des Beklagten vom 15.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.08.2015, mit dem der Beklagte dem Kläger eine Arbeitsgelegenheit als Helfer (Lagerwirtschaft/Transport) für die Zeit vom 20.07.2015 bis 19.01.2016 mit einem Umfang von 30 Wochenstunden bei der P. L. zugewiesen hat. Das SG hat die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

Statthafte Klageart hinsichtlich des Klagebegehrens ist grundsätzlich die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Die Zuweisung einer Arbeitsgelegenheit ist als Entscheidung der Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts gerichtet auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen zu qualifizieren und damit ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Soweit der Träger der Grundsicherung den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen - wie vorliegend - in eine konkret bestimmte Arbeitsgelegenheit zuweist, handelt es sich nach dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelungen regelmäßig um einen Verwaltungsakt (Verwaltungsaktqualität grds. bejahend: BSG, Urteil vom 27.08.2011 - B 4 AS 1/10 R -, SozR 4-4200, § 16 Nr. 9; SG Hamburg, Beschluss vom 28.06.2005 - S 51 AS 525/05 ER-, juris; Harks in jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 16d, Rn. 99; Kothe in Gagel, SGB II/SGB III, § 16d SGB II, Rn. 36, Stand Dezember 2013; Stölting in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 16d, Rn, 40; Voelzke in: Hauck/Noftz, SGB II, 11/16, Rn. 32; a.A. kein Verwaltungsakt: SG Berlin, Beschluss vom 18.07.2005 - S 37 AS 4801/05 ER -, juris; SG Hamburg, Beschluss vom 07.06. 2005, - S 62 AS 434/05 ER, juris). Der Gesetzgeber gibt für den Einsatz von Leistungsberechtigten bei im öffentlichen Interesse liegenden zusätzlichen Maßnahmen einen weit gesteckten Rahmen vor, der durch den konkreten Inhalt der Arbeitsgelegenheit und die Erbringung der Mehraufwandsentschädigung auszufüllen ist (Voelzke a.a.O., Rn. 53). Der Beklagte hat mit der Entscheidung vom 15.07.2015 Bestimmungen zum Maßnahmeträger, dem Arbeitsort, dem zeitlichen Umfang, dem Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit sowie zur Höhe der Mehraufwandsentschädigung und damit eine konkrete Regelung getroffen (vgl. zu einem gegenteilig gelagerten Sachverhalt, in dem im konkreten Fall die Verwaltungsakt-Qualität verneint wurde: BSG, Urteil vom 27.08.2011, a.a.O.), so dass auch im konkreten Fall eine Entscheidung durch Verwaltungsakt getroffen wurde.

Die diesbezügliche Regelung betraf allerdings nur die Zeit vom 20.07.2015 bis 19.01.2016 und hat sich damit zwischenzeitlich durch Zeitablauf gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erledigt (ebenso für die vergleichbare Situation einer Anfechtungsklage gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt: Bayerisches LSG, Urteil vom 21.07.2016 - L 7 AS 77/16 -, juris). Ein Verwaltungsakt erledigt sich u.a. dann, wenn entweder sein Regelungsgegenstand entfällt oder die Ausführung seines Hauptverfügungssatzes rechtlich oder tatsächlich unmöglich wird (BSG Urteil vom 24.03.2015 - B 8 SO 22/13 R, - juris; Schneider-Danwitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 39 SGB X, Rn. 41). Vorliegend ist der vom streitigen Zuweisungsbescheid betroffene Zeitraum mittlerweile abgelaufen. Der Kläger hat, mit Ausnahme des 20.07.2015, die ihm zugewiesene Arbeitsgelegenheit tatsächlich nicht ausgeübt und dies ist mittlerweile durch Zeitablauf auch nicht mehr möglich. Der Bescheid entfaltet daher keine Regelungswirkung mehr. Eine Anfechtungsklage in der Hauptsache könnte bei dieser Situation nur noch dann zulässig sein, wenn der Zuweisungsbescheid Grundlage eines noch nicht bestandskräftigen Sanktionsbescheides geworden ist (vgl. für die entsprechende Situation bei einem Eingliederungsbescheid: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2012 - L 3 AS 2192/12 -, juris). Letzteres ist jedoch vorliegend nicht der Fall.

Das Klagebegehren kann - wie das SG ebenfalls zutreffend entschieden hat - auch nicht im Wege einer Fortsetzungsfeststellungsklage weiterverfolgt werden. Die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG ist in der gegebenen prozessualen Situation grundsätzlich die statthafte Klageart. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist jedoch unzulässig, weil dem Kläger das "besondere Interesse" an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Zuweisungsentscheidung fehlt. Hat sich der Verwaltungsakt vor dem Urteil durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 131 Abs. 1 Satz 3 SGG). Das berechtigte Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes ist wie das berechtigte Interesse bei der allgemeinen Feststellungsklage zu behandeln (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2007 - B 7/7a AL 16/06 R -, juris). Es ist damit Zulässigkeitsvoraussetzung der Fortsetzungsfeststellungsklage. Ein für diese Feststellung vorausgesetztes schutzwürdiges Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art sein. Es kommt damit in Betracht bei einem Rehabilitationsinteresse, bei Wiederholungsgefahr bzw. bei Präjudiziabilität, d.h. wenn die Entscheidung in einem anderen Rechtsstreit von Bedeutung sein kann, insbesondere wenn ein Schadensinteresse geltend gemacht wird. Ausreichend ist hierbei, dass der Kläger entsprechende Tatsachen vorträgt, ohne dass große Anforderungen an die Substantiierungspflicht zu stellen sind. Der Rechtssuchende hat lediglich darzulegen, welche der oben genannten Umstände sein Feststellungsinteresse begründen (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2007, a.a.O., m.w.N.; Bayerisches LSG, Urteil vom 23.07.2015 - L 11 AS 47/14 -, juris ).

Ein Rehabilitationsinteresse wird vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich (siehe zur Substantiierungspflicht: BSG Urteil vom 28.08.2007, a.a.O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.02.2012 – L 19 AS 1996/11 –, juris). Auch eine Präjudiziabilität der Feststellung einer Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ist nicht gegeben. Verfahren, in deren Rahmen Präjudiziabilität bestehen könnte (vgl. dazu bspw. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., § 131, Rn. 10 a), werden vom Kläger nicht angegeben und sind auch im Übrigen nicht ersichtlich. Schließlich besteht auch keine Wiederholungsgefahr. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes unter dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr setzt die hinreichend bestimmte konkrete Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. BSG, Beschluss vom 16.05.2007 - B 7b AS 40/06 R -, juris, m.w.N.). Die Annahme einer Wiederholungsgefahr verlangt die konkret absehbare Möglichkeit, dass in naher Zukunft eine zumindest gleichartige Entscheidung zu Lasten des Klägers zu erwarten ist. Das setzt die konkrete Gefahr voraus, dass sich unter im Wesentlichen unveränderten Umständen ein gleichartiger Sachverhalt wiederholt oder dass trotz veränderter Verhältnisse zumindest eine auf gleichartigen Erwägungen beruhende Entscheidung zu erwarten ist, weil die Behörde eine entsprechende Absicht zu erkennen gegeben hat (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.02.2012 – L 19 AS 1996/11 –, juris). Umstände, die eine Wiederholungsgefahr in diesem Sinne begründen können, hat der Kläger jedoch weder mit der Klage noch im Berufungsverfahren vorgetragen. Die Beklagte wiederum hat mit Schreiben vom 10.04.2017 mitgeteilt, es sei zwischenzeitlich kein gleichartiger Zuweisungsverwaltungsakt in eine Arbeitsgelegenheit ergangen und eine solche Zuweisung sei in naher Zukunft auch nicht geplant. Eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht demnach nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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