L 8 U 3128/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 2357/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 3128/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.06.2015 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente auf Grund einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) zusteht.

Der 1951 geborene Kläger absolvierte vom 01.04.1966 bis zum 15.08.1969 eine Ausbildung zum Zimmermann. Nach Tätigkeit als Zimmermann in einem Bauunternehmen, dem Grundwehrdienst beim Grenzschutz und der Bundeswehr sowie - in verschiedenen Arbeitsverhältnissen - als Fahrer war der Kläger ab dem 18.04.1977 bei der Fa. H. U. GmbH, einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten, unter Exposition mit Lärm tätig im Versand bzw. auch als Fahrer. Ab dem 15.02.2012 war er freigestellt: Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.04.2012 durch Aufhebungsvertrag (zu den Tätigkeiten im Einzelnen vgl. Blatt 76/79 der Senatsakte; s. auch Blatt 22 der Beklagtenakte).

Die Ärztin F. der Medizinischen Psychosomatischen Klinik G. A. in Bad A. zeigte unter Vorlage eine Audiogramms vom 29.04.2009 (Blatt 3 der Beklagtenakte) mit Bericht vom 20.05.2009 (Blatt 1 der Beklagtenakte) der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an. Beim Kläger bestehe eine Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits und ein Tinnitus aurium beidseits. Die Beschwerden seien ca. 1994 erstmals aufgetreten.

Der von der Beklagten befragte Kläger gab mit Schreiben vom 05.06.2009 (Blatt 17/18, 21/22 der Beklagtenakte) u.a. an, Ohrgeräusche hätten sich erstmals 1998 bemerkbar gemacht, seit 1999 (Blatt 17 der Beklagtenakte) bzw. 2007 (Blatt 21 der Beklagtenakte) bestünden sie im jetzigen Ausmaß. Er habe 1998 einen Hörsturz gehabt, 1999 einen Hörverlust. Es bestehe ein beidseitiges Pfeifen im hohen Ton. Beschwerden habe er immer, hauptsächlich aber abends beim Einschlafen, starke Schlafstörungen, zwei bis drei Stunden. Er trage seit 2008 ein Hörgerät.

Die Beklagte zog den Entlassbericht der Medizinisch-Psychosomatischen Klinik G. A. vom 22.06.2009 vom 22.06.2009 (Blatt 34/50 der Beklagtenakte) über eine zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung vom 27.04.2009 bis zum 29.05.2009 durchgeführte stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation sowie eine Auskunft des behandelnden HNO-Arztes Dr. W. bei. Dieser teilte in seiner Antwort vom 01.07.2009 (Blatt 51/53 der Beklagtenakte) mit, dass er den Kläger seit dem 02.02.1999 behandle. Damals habe über mehrere Wochen ein beidseitiger, links lauter werdende, surrender Tinnitus bestanden. Zusätzlich habe der Kläger über eine seit mehreren Monaten bestehende Hörminderung links geklagt. 2007 habe sich der Kläger wegen eines beidseitigen störenden Tinnitus vorgestellt. Audiometrisch bestehe ein zunehmender Hochtonabfall auf 90 dB, linksseitig Hochtonsteilabfalls bis 85 dB.

Die Beklagte zog Unterlegen der AOK bei (Blatt 63/71a der Beklagtenakte). Der Präventionsdienst der Beklagten untersuchte die berufliche Lärmeinwirkung (Stellungnahme vom 21.09.2009, Blatt 71b/71c der Beklagtenakte). Danach war der Kläger von 1977 bis zum 31.12.2002 einem Lärmexpositionspegel von 114 dB(A) ausgesetzt gewesen sowie vom 01.01.2003 bis zum 21.09.2009 einem solchen von 78 dB(A).

Der Hausarzt Dr. O. teilte mit Schreiben vom 26.09.2009 (Blatt 79/80 der Beklagtenakte) mit, dass der Tinnitus zu einer massiven depressiven Verfassung geführt habe, weswegen eine stationäre Reha durchgeführt worden sei.

Nach Auswahl durch den Kläger und im Auftrag der Beklagten erstellte der HNO-Arzt Dr. B. ein Gutachten über den Kläger. In seinem Gutachten vom 18.11.2009 (Blatt 108/117 der Beklagtenakte) gab dieser an, eine chronische Lärmbelastung sei bis Ende der Lärmtätigkeit 2002 ausreichend gegeben. Außer dem Hörsturz links mit Tinnitus von 1999 seien keine Ohrerkrankungen nachweisbar. Bei der Untersuchung habe eine rein innenohrbedingte Schallempfindungsschwerhörigkeit beidseits linksbetont mit Tinnitus festgestellt werden können. Es ergebe sich beiderseits ein prozentualer Hörverlust von 30 %. Daraus ergebe sich eine geringgradige Schwerhörigkeit beidseits und eine MdE von 15 %. Unter Berücksichtigung des stark belastenden Tinnitus ergebe sich eine Gesamt-MdE von 25 %. Bei Festlegung der MdE für das Jahr 2002 zum Ende der Lärmexposition könne nur die rechte Hörkurve Berücksichtigung finden, da zu diesem Zeitpunkt der Hörsturz links akut aufgetreten sei. Nach Auswertung dieses Tonaudiogramms ergebe sich rechts ein prozentualer Hörverlust von 0 %. Unter Berücksichtigung des Tinnitus ergebe sich ab 2002 eine Gesamt-MdE von 5 %.

Mit Bescheid vom 17.12.2009 (Blatt 117/122 der Beklagtenakte) anerkannte die Beklagte das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 BKVO. Ein Anspruch auf Rente bestehe nicht, ebenso kein Anspruch auf Hörgeräteversorgung. Die beginnende Innenohrhochtonschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen beidseits habe keine rentenberechtigende MdE zur Folge.

Hiergegen erhob der Kläger am 05.01.2010 (Blatt 124, 125 der Beklagtenakte) Widerspruch. Er habe auch 2003 in höherem Lärm gearbeitet. Von 2005 bis 2009 sei er zu ca. 50 % innerhalb der Firma tätig gewesen und habe sich seine Waren unter Lärmbelastung zusammenstellen müssen; 50 % der Arbeitszeit sei er dem Lärm eines 7,5-Tonner-LKW ausgesetzt gewesen. Auch enthalte das Gutachten Dr. B. Messfehler (Blatt 152/154 der Beklagtenakte).

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 07.05.2010 ein (Blatt 155a/155d der Beklagtenakte), wonach der Kläger bis zum 31.12.2004 einem Beurteilungspegel von 95 dB(A) ausgesetzt gewesen sei und bis zum 31.12.2009 einem Beurteilungspegel von 92 dB(A). Seit dem 01.01.2010 sei der Kläger zu 100 % in Kurzarbeit gewesen.

In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 03.06.2010 (Blatt 159/160 der Beklagtenakte) schätzte der Gutachter Dr. B. die MdE für die Lärmschwerhörigkeit mit 15 % ein. Aufgrund der psychischen Belastung durch den Tinnitus käme eine MdE von 10 % hinzu. Die Frage, ob der Tinnitus insgesamt als Folge der Berufskrankheit zu werten sei, könne nicht eindeutig beantwortet werden. Er setze eine Gesamt-MdE von 20 % inkl. Tinnitus an

Der Beratungsarzt Prof. Dr. S. (Facharzt für HNO-Heilkunde) ging in seiner Stellungnahme vom 25.06.2010 (Blatt 166 der Beklagtenakte) davon aus, dass nach dem vorliegenden Sprachaudiogramm ein Hörverlust von 30 % rechts und links von 20 % vorliege. Dies entspreche einer geringgradigen Schwerhörigkeit rechts und einer knapp geringgradigen Schwerhörigkeit links, was einer MdE von 10 % entspreche. Der Anteil des Hörsturzes von 1999 lasse sich kaum abgrenzen. Die hohe Lärmbelastung sei mit Wahrscheinlichkeit wesentliche Bedingung für den Innenohrschaden, obwohl der Versicherte laut Liste der Vorerkrankungen etliche Risiken wie Gicht, eine gemischte Hyperlipidämie, einen Bluthochdruck, Bandscheibenschäden im HWS-Bereich sowie eine mittelgradige Depression habe, alles Faktoren, die neben chronischer Lärmeinwirkung einen Tinnitus verursachen bzw. bemerkbar machen könnten. Selbst wenn der Tinnitus als rein durch Lärm entstanden angesehen werde, sei bei integrierender Betrachtung für die Hörstörung und den Tinnitus zusammen lediglich eine berufsbedingte MdE von 15 % anzunehmen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 05.07.2011 (Blatt 178/180 der Beklagtenakte) half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als dass sie einen Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen anerkannte, wies im Übrigen den Widerspruch jedoch zurück. Die Höminderung rechtfertige keine MdE in rentenberechtigendem Grade.

Der Kläger hat am 05.08.2011 beim Sozialgericht (SG) Reutlingen Klage erhoben. Von 1977 bis 2002 sei er im Versand einem Schallpegel von bis zu 114 dB (A) ausgesetzt gewesen, ab 2003 als LKW-Fahrer zu 50 % der Arbeitszeit daneben einem Lärm von 80 bis 114 dB (A). Die chronische Lärmbelastung über 31 Jahre habe zu einer entschädigungspflichtigen BK geführt. Er habe sich zwar vom 03.06.2009 bis zum 09.10.2010 in Kurzarbeit Null befunden, sei anschließend bis zum 15.02.2012 aber wieder dem Lärm ausgesetzt gewesen (Schreiben vom 27.04.2012, Blatt 27/28 = 29/30 der SG-Akte).

Das SG hat den behandelnden HNO-Arzt Dr. W. als sachverständigen Zeugen schriftlich befragt. Dieser hat in seiner Antwort vom 07.09.2012 (und ergänzend unter dem 20.03.2013, Blatt 34/35, 77 der SG-Akte) u.a. angegeben, dass sich eine Gesamt-MdE von 25 % ergebe.

In einem vom Kläger vorgelegten Bericht von Dr. W. vom 28.11.2012 (Blatt 45 der SG-Akte) hat dieser ausgeführt, der Klägers sei über 34 Jahre einem Beurteilungspegel von 95 dB bzw. 92 dB ausgesetzt gewesen. Der Kläger hat außerdem eine Lärmermittlung am Arbeitsplatz vom 12.06.2007 (Blatt 46/46/65 der SG-Akte) vorgelegt.

Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. Z ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 13.12.2013 (Blatt 92/109 der SG-Akte) mitgeteilt, beim Kläger bestehe eine beidseitige Schallempfindungsschwerhörigkeit ohne Hinweis auf eine Schallleitungskomponente. Tonaudiometrisch ermittle sich ein Hörverlust von 30 % für das rechte Ohr und für das linke Ohr ein Hörverlust von 40 %. Aufgrund des Hörverlustes von 40 % beidseits ergebe sich eine Gesamt-MdE von 15 %. Der Tinnitus aurium werde mit einer MdE von unter 10 % geschätzt. Die lange berufliche Lärmbelastung stelle eine Teilursache dar, sie solle mit 5 % Berücksichtigung finden, hierin sei der Tinitus aurium integrierend mitberücksichtigt.

Nachdem sich der Kläger zum Gutachten geäußert hatte (Schreiben vom 27.03.2014, Blatt 116/117 der SG-Akte) nahm Prof. Dr. Z. ergänzend Stellung (Schreiben vom 17.06.2014, Blatt 120/122 der SG-Akte). Bei der Frage der Ursächlichkeit des Lärms für die zweifellos bestehende Minderung der Erwerbsfähigkeit falle auf, dass der sogenannte Tieftonbereich bei der Schwerhörigkeit mitbetroffen sei. Dieser Tieftonbereich könne nicht lärmbedingt sein. Gleichzeitig lasse dies darauf schließen, dass auch ein Teil der Hochtonschwerhörigkeit nicht lärmbedingt sei. Zusammengefasst ergebe sich daraus, dass der überwiegende Teil der gesamten Schwerhörigkeit und damit auch der überwiegende Teil der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht auf den Berufslärm zurückzuführen sei.

Auf nochmalige Einwendungen des Klägers hin (Schreiben vom 23.07.2014, Blatt 124/125 der SG-Akte) nahm Prof. Dr. Z. erneut Stellung (Schreiben vom 15.09.2014, Blatt 129/130 der SG-Akte). Der Kläger äußerte sich mit Schreiben vom 24.02.2015 und 05.03.2014 (Blatt 140/141, 143/144 der SG-Akte) und untermauerte seinen Vortrag unter Hinweis auf die psychischen Folgen bzw. Erkrankungen.

Mit Urteil vom 18.06.2015 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 17.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2011 abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Verletztenrente aufgrund der BK 2301 nach einer MdE von 20 v.H. seit dem 15.02.2012 zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Für die Hörminderung sei eine berufskrankheitsbedingte MdE von 20 v.H. ab dem 15.02.2012 festzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe die berufliche Lärmbelastung des Klägers mit seinem Ausscheiden aus der zuvor ausgeübten Tätigkeit geendet. Sämtliche vor diesem Datum liegenden Audiogramme, das letzte aus dem Jahr 2009, wiesen eine Hörminderung aus, welche keine MdE von 20 v.H. bedinge. Das zum Ende der Lärmbelastung nächstgelegene Audiogramm vom 27.07.2012 von Dr. W. begegne erheblichen Bedenken, sodass auf die Erhebungen Prof. Dr. Z. zurückzugreifen sei, vor allem das dortige Sprachaudiogramm. Danach ergebe sich aus dem maßgeblichen Sprachaudiogramm aus dem gewichteten Gesamtwortverstehen ein Hörverlust links von 50 % und rechts von 40 %. Bei diesem Hörverlustwert links sei das ungewichtete Gesamtwortverstehen heranzuziehen. Aus diesem ergebe sich auch für links ein Hörverlust von 40 %. Durch diese faktische "Angleichung" an den Hörverlust der rechten Seite, sei der berufslärmunabhängige Anteil der Hörminderung links ausreichend berücksichtigt, bzw. ausgegrenzt. Aus dem beidseitigen Hörverlust von jeweils 40 % ergebe sich nach den Maßgaben der Königsteiner Empfehlung eine MdE von 20 % und nicht nur von 15 %. Gravierende psychische Beeinträchtigungen durch den Tinnitus bzw. dessen berufsbedingten Anteil seien nicht ersichtlich. Da der Tinnitus mithin sowohl in der Entstehung, der Entwicklung als auch hinsichtlich der Beeinträchtigungen nur teilweise mit der BK 2301 in einen einigermaßen gesicherten Zusammenhang zu bringen sei, erscheine der Ansatz einer diesbezüglichen MdE von 5 v.H. als angemessen. Bei integrierender Bewertung der MdE-Werte für die Hörminderung und die Ohrgeräusche sei daher eine Gesamt-MdE von 20 v.H. anzusetzen.

Gegen das der Beklagten am 30.06.2015 zugestellte Urteil hat diese am 27.07.2015 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Zur Einschätzung der lärmbedingten MdE sei grds. das dem Ende der Lärmexposition am nächsten gelegene Audiogramm zugrunde zu legen. Hierbei handele es sich um das von Dr. W. am 27.07.2012 angefertigte Tonaudiogramm. Eine Lärmschwerhörigkeit sei im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass es sich um eine reine Innenohrschwerhörigkeit mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen handele, welche sich üblicherweise seitengleich entwickele. Diesem Erfordernis entspreche allein der Kurvenverlauf auf dem rechten Ohr in dem Tonaudiogramm vom 02.02.1999, wobei sich der abweichende Kurvenverlauf auf dem linken Ohr mit einem im Jahre 1999 erlittenen Hörsturz zwanglos erklären lasse. Dagegen lasse sich bereits in dem Tonaudiogramm von Dr. B. vom 18.11.2009 keine eindeutige C-5-Senke mehr erkennen, während in dem Tonaudiogramm von Dr. W. vom 27.07.2012 und dem Tonaudiogramm von Prof. Dr. Z. vom 25.06.2013 überhaupt keine Senkenbildung erkennbar sei. Dies spreche eindeutig gegen das Vorliegen einer BK 2301. Die Diskrepanzen in den verschiedenen Tonaudiogrammen mit einer rasanten Verschlechterung der Hörvermögens in relativ kurzer Zeit gegenüber 2009 und einer danach wieder eintretenden geringfügigen Besserung sprächen dafür, dass nicht allein der Lärm rechtlich wesentlich ursächlich für die komplette Hörstörung des Klägers sei. Aufgrund der vorliegenden Tonaudiogramme erscheine es als gesichert, dass zumindest die in den Tonaudiogrammen aus dem Jahre 2012 und 2013 dokumentierten Verschlechterungen des Hörvermögens als lärmunabhängig eindeutig von der lärmbedingten Hörstörung abzugrenzen und daher bei der MdE-Bewertung nicht zu berücksichtigen seien. Denn eine derartige Verschlimmerung der Hörstörung sei mit einer lärmbedingten Verschlechterung - insbesondere auch aufgrund der Tatsache, dass der Kläger vom 01.10.2009 bis zum 07.07.2010 gar keinem berufsbedingten Lärm sowie vom 01.06. bis 30.09.2009 lediglich einem Beurteilungspegel von 85 dB(A) und vom 10.07.2010 bis 15.02.2012 einem Beurteilungspegel von 88 dB(A) ausgesetzt gewesen sei, nicht zu vereinbaren. Die Beklagte hat eine beratungsärztliche Stellungnahme von Prof. Dr. J. (Blatt 7/9 der Senatsakte), von dem sie mitgeteilt hat, er sei Facharzt für HNO-Heilkunde (Blatt 30 der Senatsakte), und eine Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 09.07.2015 (Blatt 5/6 der Senatsakte) vorgelegt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 18.06.2015 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten in einem nichtöffentlichen Termin am 04.12.2015 erörtert. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Termins wird auf die Niederschrift (Blatt 41/42 der Senatsakte) Bezug genommen.

Der Kläger hat daraufhin (Schreiben vom 19.01.2015, Blatt 48/50 der Senatsakte) nochmals seine Erwerbsbiografie mit den Lärmbelastungsfaktoren dargestellt. Die Beklagte hat sich hierzu unter Vorlage einer Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 11.02.2016 (Blatt 52/55 der Senatsakte) geäußert. Der Kläger hat sich daraufhin mit Schreiben vom 07.03.2016 (Blatt 60/63 der Senatsakte) ergänzend geäußert und mit Schreiben vom 14.04.2016 eine tabellarische Übersicht seiner Lärmexpositionen übersandt (Blatt 74/80 der Senatsakte).

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens bei Prof. Dr. B ... Dieser hat in seinem Gutachten vom 04.10.2016 (Blatt 86/131 der Senatsakte) ausgeführt, es bestehe beiderseits eine knapp geringgradige Innenohrschwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen. Die in den Akten enthaltenen audiometrischen Befunde wichen von denen seiner Untersuchung ab. Die beiderseitige Schwerhörigkeit sowie die Ohrgeräusche sei allein Folge beruflicher Lärmeinwirkung. Eine außerberufliche Schwerhörigkeitsursache sei nicht abgrenzbar. Die lärmbedingte MdE für die lärmbedingte Hörstörung allein schätze er auf 10 % und für die Ohrgeräusche wiederum auf 10 %. Die lärmbedingte MdE schätze er insgesamt integrierend auf 15 % seit dem letzten Tag der beruflichen Lärmexposition im Februar 2012 (15.02.2012).

Die Beklagte sah sich durch das Gutachten bestätigt (Schreiben vom 17.10.2016, Blatt 132 der Senatsakte). Der Kläger hat dagegen unter Vorlage eines Attestes von Dr. W. vom 20.12.2016 (Blatt 140 der Senatsakte), in dem dieser eine MdE von 20 % annimmt, bei der der Tinnitus noch nicht integriert sei, an seinem Begehren festgehalten.

Prof Dr. B. hat hierzu ergänzend Stellung genommen (Schreiben vom 18.01.2017, Blatt 142/152 der Senatsakte) und ausgeführt, die Hörverluste im Tieftonbereich anderer Untersucher seien unzutreffend. Es lägen lediglich Hörverluste von 10 bis 20 dB im Tieftonbereich vor, was durch die Messung der otoakustischen Emissionen objektiv bewiesen werden könne. Es handele sich weder um eine geringgradige Schwerhörigkeit noch um eine gering- bis mittelgradige Schwerhörigkeit, sondern um eine sog. "knapp geringgradige Schwerhörigkeit". Die MdE schätze er auf 15%.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet.

Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 17.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.07.2011, soweit mit diesem die Gewährung einer Rente abgelehnt wurde; die Feststellung der BK und die Versorgung des Klägers mit Hörgeräten ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits. Der Senat konnte bezüglich des Streitgegenstandes des vorliegenden Verfahrens feststellen, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat, weshalb die angefochtene Verwaltungsentscheidung der Beklagten nicht rechtswidrig ist und den Kläger nicht ins einen Rechten verletzt. Daher ist das Urteil des SG vom 18.06.2015 unzutreffend, aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (Stützrententatbestand). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern.

Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG SozR 4-2700 § 56 Nr. 2; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8, S 36 m.w.N.). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 22, 23; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8). Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der tägliche Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O.; BSG Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R - SozR 4-2700 § 56 Nr. 1). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, die aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend sind (BSG SozR 2200 § 581 Nr. 23 und 27; BSGE 82, 212 = SozR 3-2200 § 581 Nr. 5; BSG SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; BSG 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R -; BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr. 1; Burchardt in: Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, SGB VII, Stand 2005, § 56 RdNr 71). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R - veröffentlicht in juris m. H. auf BSG, SozR 3-2200 § 581 Nr. 8; Urteil vom 18.03.2003 a.a.O.).

Die unfallmedizinischen Bewertungsgrundsätze sind als Grundlage für die gleiche und gerechte Bewertung in allen Parallelfällen heranzuziehen (vgl. BSG 22.06.2004, a.a.O.), denn diese allgemein anerkannten arbeitsmedizinischen Erfahrungssätze bewirken nach dem grundgesetzlichen Gleichbehandlungsgebot über die daraus folgende Selbstbindung der Verwaltung die gebotene Gleichbehandlung aller Versicherten in allen Zweigen der gesetzlichen Unfallversicherung. Abweichungen von den zulässigerweise pauschalisierten Bewertungskriterien sind rechtlich nur dann geboten, wenn die zu bewertende funktionelle Beeinträchtigung des verletzten Organs von dem in der versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Literatur vorgegebenen, einschlägigen Bewertungsansatz nicht oder nicht vollständig erfasst wird (vgl. Senatsurteil vom 25.10.2013 - L 8 U 2828/12, juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid das Vorliegen einer BK nach Nr. 2301 BKVO anerkannt und damit eine Lärmschwerhörigkeit festgestellt. Damit kann sie sich nicht mehr darauf berufen, es liege keine berufsbedingte Schwerhörigkeit (mehr) vor. Der Senat konnte sich nach Prüfung und Würdigung aller vorliegenden Beweismittel davon überzeugen, dass die auf die BK-Folgen zurückzuführende MdE des Klägers insgesamt mit 15 v.H. anzunehmen ist.

Der Einschätzung der MdE durch den Gutachter Dr. B. konnte der Senat nicht beitreten. Insoweit hat dieser einen tonaudiometrischen Befund erhoben mit Hörverlusten von 30 bis 35 dB im Tieftonbereich sowie einen weiteren Hochtonschrägabfall ohne lärmtypische Senkenbildung. Dieser Befund entspricht nicht dem tatsächlichen Gehör und würde auf eine alleinige degenerative Schwerhörigkeit hinweisen. Die von ihm in seiner gutachterlichen Ergänzung vom 03.06.2010 vorgenommene Einschätzung der berufsbedingten Gesamt-MdE von 20 v.H. unter Auftrennung einer lärmbedingte MdE von 15 v.H für den Hörverlust und von 5 bis 10 v.H. für den Tinnitus mit Annahme der Lärmexposition als Teilursache ist rein subjektiv und lässt sich durch Befunde oder nachvollziehbare Überlegungen nicht begründen. Dies konnte der Gutachter Prof. Dr. B. zur Überzeugung des Senats feststellen. Auch hat Dr. B. , der den Kläger im Jahr 2009 begutachtet hatte, sich lediglich bezogen auf ein Ende der Lärmexposition im Jahr 2002. Tatsächlich war der Kläger – wenn auch mit Unterbrechung durch Kurzarbeit 0 im Jahr 2009 – bis zum 14.02.2012 einer berufsbedingten Lärmexposition ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat der Einschätzung des Gutachters Dr. B. nicht folgen.

Der Senat konnte sich auch nicht der Einschätzung von Prof. Dr. Z. anschließen. Dieser hat zwar sprachaudiometrisch rechts einen Hörverlust von 40 % und links von 50 % beschrieben und unter Zugrundelegung des ungewichteten Gesamtwortverstehens links ein Hörverlust von 40 % angenommen. Prof. Z. hat einen audiometrischen Befund dargelegt, den Prof. Dr. B. nicht bestätigen konnte. Prof. Dr. Z. hat Hörverluste von 30 bis 40 dB im Tieftonbereich sowie einen weiteren Schrägabfall beschrieben; ein lärmtypisches Bild lag dabei aber nicht vor. Insgesamt sind seine sprachaudiometrischen Befunde "zu schlecht" ausgefallen, was Prof. Dr. B. dargelegt hat. Insoweit konnte der Senat wegen dieser audiometrischen "Schwächen" bei der Befunderhebung die von Prof. Dr. Z. mitgeteilten Befunde nicht seiner rechtlichen Bewertung zugrunde legen. Auch der von ihm angenommenen MdE-Bewertung konnte der Senat nicht beitreten. Abgesehen davon, dass seine zuletzt, in seiner Stellungnahme vom 17.06.2014 dargelegte Beurteilung, der überwiegende Teil der Schwerhörigkeit des Klägers sei nicht lärmbedingt, was auch in seiner letzten MdE-Einschätzung Ausdruck findet, einen Rentenanspruch nicht hätte begründen können, ist seine gutachterliche Schlussfolgerung für die Feststellung der medizinischen Tatsachen eines abgrenzbaren lärmbedingten Hörschadens nicht hinreichend für die erforderliche Überzeugungsgewissheit des Senats belegt. Die von ihm vorgenommene MdE-Einschätzung entspricht nicht den rechtlichen Vorgaben. Er hat eine beruflich bedingte Teilursache mit einer MdE von 5 v.H. angenommen, dies aber nicht begründet. Diese Auftrennung in berufliche und außerberufliche Belastungsfaktoren lässt sich aber vorliegend nicht näher begründen. Insoweit hätte Prof. Dr. Z. , worauf auch Prof. Dr. J. hinweist, bei der Unmöglichkeit der Abgrenzung der konkurrierenden Ursachen - lärm- und nicht-lärmbedingte Anteile der Schwerhörigkeit - die wesentliche Bedingung nennen müssen. Durch die nicht statthafte Schätzung des lärmbedingten Anteils auf eine MdE von 5 v.H. macht er aber deutlich, dass der berufslärmbedingte Anteil an der Gesamtschwerhörigkeit des Klägers mit Tinnitus gegenüber dem berufslärmfremd verursachten deutlich geringere Anteile hat. Da das Gutachten von Prof. Dr. Z. unausräumbare Zweifel an der Validität seiner Befunderhebung begündet und auch seine MdE-Einschätzung nicht nachvollziehbar ist, konnte der Senat dieses Gutachten nicht seiner Entscheidung zugrunde legen.

Prof. Dr. B. hat in seinem Gutachten gegenüber dem Senat vielmehr ausgeführt, dass bei der Spiegeluntersuchung die Trommelfelle reizlos und geschlossen, die Mittelohrdruckverhältnisse normal waren. Umgangssprache wurde beiderseits von mehr als 6 m Entfernung und Flüstersprache von 2 m Entfernung verstanden. Bei der tonaudiometrischen Untersuchung zeigte sich eine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit bei dem inzwischen 65-jährigen Kläger. Im Tieftonbereich zeigten sich Hörverluste von 10 bis 20 dB und nicht von 30 bis 40 bis 50 dB, wie in früheren audiometrischen Befunden. Die leichten Hörverluste von 10 bis 20 dB sind noch durch eine hohe und jahrzehntelange Lärmbelastung erklärbar, worauf Prof. Dr. B. hingewiesen hat. Oberhalb 1500 Hz bzw. 2000 Hz zeigte sich dann ein Knick der Hörverlustkurve mit einer lärmtypischen Hochtonsenke. Der maximale Hörverlust betrug rechts 75 dB und links 85 dB. Damit entspricht dieses tonaudiometrische Bild eindeutig dem einer Lärmschwerhörigkeit, steht aber im Gegensatz zu den früheren audiometrischen Befunden, die auf eine degenerative Schwerhörigkeit hinweisen. Mittels der überschwelligen Hörtests (SISI-Test, Lüscher-Test) konnte Prof. Dr. B. ein Haarzellschaden der Innenohren nachweisen, wie dies für eine Lärmschwerhörigkeit typisch ist. Auch das Fehlen der otoakustischen Emissionen im Hochtonbereich lässt auf einen Haarzellschaden der Innenohren schließen und spricht andererseits dafür, dass es sich nicht um eine Hörnervenschwerhörigkeit handelt, so Prof. Dr. B ... Im tiefen bzw. mittleren Frequenzbereich waren eindeutig otoakustische Emissionen auslösbar, und zwar mit einer großen Amplitude. Dies spricht mit Prof. Dr. B. dafür, dass die Hörverluste in diesem Frequenzbereich nur geringfügig sein können und nicht so ausgeprägt wie in den meisten früheren Befunden. Bei der sprachaudiometrischen Untersuchung betrug der mittlere Hörverlust für Zahlwörter rechts 20 und links 21 dB. Dieser Wert korreliert gut mit dem durchschnittlichen Hörverlust im Tieftonbereich des Tonaudiogramms zwischen 250 und 1000 Hz. Insofern besteht eine gute Übereinstimmung zwischen Tonaudiogramm und Sprachaudiogramm. Das ungewichtete bzw. einfache Gesamtwortverstehen war rechts von 300 auf 260 und links auf 265 reduziert, das gewichtete Gesamtwortverstehen nach Feldmann ergab rechts einen Wert von 245 und links von 252,5.

Der Kläger hat die Ohrgeräusche bei einer Tinnitusanalyse durch Prof. Dr. B. im ganz hohen Frequenzbereich angegeben, höher als 12000 Hz. Lärmbedingte Ohrgeräusche finden sich aber in der Regel im Bereich des Maximums der Hörsenke, also nach den Befunden des Gutachters Prof. Dr. B. bei etwa 6000 Hz oder eine Oktave tiefer, d. h. zwischen 3000 und 4000 Hz, nicht aber bei 12000 Hz oder höher. Andererseits hat der Kläger die Ohrgeräusche bei früheren Untersuchungen bei einer etwas "tieferen" Frequenz angegeben. Insoweit weist Prof. Dr. B. darauf hin, dass es sich bei der Tinnitusanalyse um eine subjektive Messung handelt.

Ganz eindeutig sei, so Prof. Dr. B. , dass es sich nicht um lärmunabhängige Tief- tonohrgeräusche handele. Deshalb geht er unter Berücksichtigung der Vorbefunde davon aus, dass die Ohrgeräusche doch lärmbedingt sind. Unabhängig davon waren diese bei der audiometrischen Untersuchung verdeckbar. Bei der Verdeckungsmessung nach Feldmann zeigte sich allerdings eine Distanzkurve, was bedeutet, dass sehr große Lautstärken für eine Verdeckung der Ohrgeräusche notwendig sind. Dies spricht wiederum dafür, dass es sich um Ohrgeräusche handelt, die im Mittelpunkt der Beschwerden stehen.

Prof. Dr. B. sieht das tonaudiometrische Bild seiner Untersuchung eindeutig als mit dem Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit vereinbar. Es finde sich eine typische C5-Senke. Es zeige sich kein Schrägabfall und kein Flachabfall. Die Senke sei gekennzeichnet durch eine Knickbildung bei 1500 bzw. 2000 Hz und durch einen Wiederanstieg im ganz hohen Frequenzbereich. Insofern gehe er davon aus, dass die Schwerhörigkeit insgesamt Folge beruflicher Lärmeinwirkung sei. Ein lärmunabhängiger Anteil sei nicht abgrenzbar.

Der Senat konnte sich den Ausführungen von Prof. Dr. B. anschließen und dessen Befunde seiner Bewertung zugrunde legen. So hat er nicht nur subjektive Angaben des Klägers zur Grundlage seiner Untersuchungen und Bewertungen gemacht. Vielmehr hat er bei der Messung der otoakustischen Emissionen ein objektives Verfahren herangezogen. Die zur Abgrenzung von berufslärmbedingten Störungen von berufslärmunabhängigen Störungen, wie sie Dr. B. und Prof. Dr. Z. aber auch Prof. Dr. J. angestrengt haben, beruhen nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. B. auf einem ungenauen tonaudiometrischen Bild mit einem Befund, der einer degenerativen Schwerhörigkeit, aber nicht einer Lärmschwerhörigkeit entspricht. Diese Vorbefunde können daher nicht überzeugen.

Auf der Grundlage der im Sprachaudiogramm bei Prof. Dr. B. ermittelten Werte errechnet sich beiderseits ein prozentualer Hörverlust von 10 %. Legt man das gewichtete Gesamtwortverstehen nach Feldmann zugrunde, kommt man unverändert beiderseits auf eine prozentualen Hörverlust von 10. Für derartige Fälle sieht die Königsteiner Empfehlung vor, auch das Tonaudiogramm in die Bewertung einzubeziehen. Dies geschieht mittels der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser (1980). Bei 1000 Hz beträgt der Hörverlust beim Kläger beiderseits 20 dB, die Hörverlustsumme bei 2000 und 3000 Hz ergibt rechts einen Wert von 25 + 40 = 65 und links einen solchen von 20 + 50 = 70. Aus diesen Werten errechnet sich dann ebenfalls ein prozentualer Hörverlust von 10 %.

Dieser Wert entspricht eigentlich einer beginnenden Schwerhörigkeit. Prof. Dr. B. ist jedoch zugunsten des Klägers vom Vorliegen einer knapp geringgradigen Schwerhörigkeit, also einer stärkeren Schwerhörigkeit, ausgegangen, die an sich einen prozentualen Hörverlust von 20 % im Tonaudiogramm voraussetzt. Diese abweichende Einschätzung zugunsten des Klägers lässt sich mit den erheblichen Hochtonhörverlusten begründet, die selbst nicht mittels der Drei-Frequenz-Tabelle erfasst werden, die nur die Hörverluste zwischen 1000 und 3000 Hz berücksichtigt. Insoweit konnte sich der Senat aufgrund der weiter abfallenden Kurve zu den hohen Frequenzen der Einschätzung von Prof. Dr. B. anschließen, dass nicht nur eine beginnende Schwerhörigkeit vorliegt, sondern die Gehörsstörungen beim Kläger als knapp geringgradige Schwerhörigkeit zu werten ist.

Auf dieser Grundlage konnte der Senat mit Prof. Dr. B. die MdE bezüglich der Schwerhörigkeit auf 10 v.H. bestimmen.

Darüber hinaus konnte der Senat mit Prof. Dr. B. die beiderseitigen dauerhaften Ohrgeräusche als glaubhaft beeinträchtigend geschildert feststellen. Diese führen zu Schlafstörungen und werden als lästig empfunden. Sie waren bei der Untersuchung durch Prof. Dr. B. audiometrisch "objektivierbar". Nach der Königsteiner Empfehlung kann für belästigende Ohrgeräusche eine MdE von bis zu 10 % angesetzt werden, aber nicht additiv, sondern integrierend. Insoweit gehören Ohrgeräusche zwar nicht zu den beherrschenden, regelmäßig anzutreffenden Symptomen der Lärmschwerhörigkeit, sie können aber doch mit ihr vergesellschaftet und Begleiterscheinung der Lärmschädigung des Innenohres sein.

Vorliegend konnte der Senat feststellen, dass keine wesentlichen außerberuflichen Faktoren den Tinnitus verursachen bzw. unterhalten. Zwar hat der Kläger insoweit in der Rehabilitationsmaßnahme auch als Belastungsfaktoren z.B. den Suizid seiner Schwester, Belastungen am Arbeitsplatz usw. angegeben, doch konnte der Senat mit Prof. Dr. B. auch insoweit den Tinnitus der berufsbedingten Lärmexposition zuschreiben.

Jedoch ist der Tinnitus beidseits lediglich mit einer Einzel-MdE von 10 v.H. zu bewerten. Er stellt sich weder an sich noch im Hinblick auf seine Folgen als eigenständige psychische Erkrankung dar. Insoweit konnte das SG zutreffend herausarbeiten, dass nach der im Jahr 2009 stattgefundenen stationären Rehabilitation in Bad A. , die aufgrund akuter Belastungen, wie dem Suizid der Schwester, einer angespannten Arbeitssituation und der Mitarbeit beim Hausbau der Tochter, durchgeführt worden war, keinerlei weitere psychologische oder psychiatrische Behandlung mehr stattgefunden hat. Auch haben die behandelnden Ärzte, insbesondere nicht der Hausarzt Dr. O. eine psychische Erkrankung diagnostiziert bzw. entsprechende Befunde beschreiben können. Einen erheblichen Leidensdruck konnte der Senat insoweit nicht feststellen.

Ausgehend von der Bewertung der beidseitigen knapp geringgradigen Schwerhörigkeit und dem beidseitigen dauerhaften Tinnitus mit je Einzel-MdE-Werten von 10 konnte der Senat unter integrierender Betrachtung der einzelnen Funktionsstörungen aber auch unter Berücksichtigung ihrer gegenseitigen Auswirkungen eine Gesamt-MdE von lediglich 15 feststellen. denn die Schwerhörigkeit und Tinnitus verstärken sich nur in geringem Umfang, überlagern sich in ihren Funktionsfolgen aber erheblich, sodass lediglich eine geringe Erhöhung des Einzel-GdB gerechtfertigt ist.

Der Einschätzung des behandelnden HNO-Arztes Dr. W. konnte der Senat nicht folgen. Dieser hat auch zuletzt noch (vgl. Stellungnahme vom 20.12.2016, Blatt 140 der Senatsakte) die Hörverluste alleine anhand der Audiogramme aus den Jahren 2007 bis 2009 ermittelt und im Übrigen auf den Befund von Prof. Dr. Z. abgestellt. Nicht berücksichtigt hat er insoweit die bei Prof. Dr. Z. festgestellten Befundschwächen, die bereits oben dargestellt wurden. Dr. W. setzt sich insoweit auch nicht mit dem Gutachten von Prof. Dr. B. und dessen Befunden auseinander.

Dr. W. hat aus seinen eigenen audiometrischen Befunden von 2007 und 2008 einen prozentualen Hörverlust von 38 % rechts und 39 % links unter Berücksichtigung der Vier-Frequenz-Tabelle von Röser (1973) ermittelt. Nach der Königsteiner Empfehlung ist jedoch in Zweifelsfallen das Tonaudiogramm unter Berücksichtigung der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser (1980) heranzuziehen, wie von Prof. Dr. B. in seiner ergänzende Stellungnahme vom 18.01.2017 ausführt. Die Vier-Frequenz-Tabelle ist insoweit für andere Formen von Innenohrschwerhörigkeit entwickelt worden. Soweit Dr. W. jedoch die Vier-Frequenz-Tabelle zugrunde legt gehen seine Schlussfolgerungen daher in Leere. Soweit Dr. W. Hörverluste von 40 dB im Tieftonbereich aus der psychosomatischen Klinik G. A. zitiert, hat er übersehen, dass es derartige Hörverluste im Tieftonbereich bei der beruflichen Lärmschwerhörigkeit nicht gibt, was Prof. Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme darlegen konnte. Lediglich unter bestimmten Bedingungen können leichte Hörverluste von 20 bis 30 dB auftreten, was Dr. W. nicht berücksichtigt hat. Soweit Dr. W. Prof. Z. heranzieht, lagen die Hörverluste im Sprachaudiogramm dort höher als im Tonaudiogramm, was ganz untypisch ist für eine Lärmschwerhörigkeit ist, so Prof. Dr. B ... So wird in der Königsteiner Empfehlung auf die Möglichkeit hingewiesen, nach Berechnung des Hörverlustes aus dem Sprachaudiogramm auch das Tonaudiogramm mit in die Bewertung mittels der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser einzubeziehen, um festzustellen, ob nicht nach dem Tonaudiogramm ein höherer Hörverlust vorliegt. Hier liegen die Verhältnisse jedoch anders herum, was untypisch ist für eine Lärmschwerhörigkeit und von Dr. W. nicht berücksichtigt wurde.

Alle in den Akten enthaltenen tonaudiometrischen Befunde weichen in qualitativer und quantitativer Hinsicht von den Befunden des Prof. Dr. B. ab. Deshalb sind die Gutachter bzw. Beratungsärzte auch zu der Auffassung gekommen, dass es sich nicht oder nur teilweise um eine Lärmschwerhörigkeit handelt und haben in zum Teil rechtlich nicht nachzuvollziehender Weise die Schwerhörigkeit in einen lärmbedingten und einen nicht lärmbedingten Anteil aufgeteilt. Auch ist mit Prof. Dr. B. eine zusätzliche Schwerhörigkeitskomponente nicht abgrenzbar, insbesondere nicht im Tieftonbereich, da es sich hier um Fehlmessungen oder zumindest um aus ungeklärten Grunden bei diesen Messungen nicht reproduzierbare Hörbefunde handelt, die der Senat daher seiner Entscheidung nicht zugrunde legt.

Soweit bei Prof. Dr. B. die Hörverluste etwas geringer ausgefallen sind als in den anderen Audiometrien kann nicht eingewandt werden, die Befunde bei Prof. Dr. B. seien "zu gut" ausgefallen und entsprächen nicht dem tatsächlichen Gehör. Insoweit kann mit der in der Königsteiner Empfehlung vorgesehenen Plausibilitätsprüfung geprüft werden, ob das Tonaudiogramm zum Sprachaudiogramm passt. So hat Prof. Dr. B. in seinem Gutachten (Blatt 124 der Senatsakte = Seite 39 des Gutachtens ausgeführt, dass der mittlere Hörverlust für Zahlwörter bei der sprachaudiometrischen Untersuchung rechts 20 dB und links 21 dB betragen hatte. Insoweit entspricht dieser Wert dem durchschnittlichen Hörverlust im Tieftonbereich des Tonaudiogramms zwischen 250 und 1000 Hz. Es liegt damit eine gute Übereinstimmung zwischen Tonaudiogramm und Sprachaudiogramm vor, sodass die Messung von Prof. Dr. B. schlüssig ist. Im Übrigen waren bei der Messung der otoakustischen Emissionen objektive Verfahren eingesetzt worden. Insbesondere die Messung der TEOAE durch Prof. Dr. B. mit den ausgeprägten Potenzialen zwischen 1000 und 2000 Hz beiderseits spricht dafür, dass in diesem Bereich kein erheblicher Hörschaden vorliegt und insbesondere kein Hörverlust von 30 oder sogar 40 dB. Insofern sind die wechselnden und ungenauen Befunde der Voruntersuchungen durch diese objektive Messung bei Prof. Dr. B. widerlegt. Auch bei der sprachaudiometrischen Untersuchung hatte Prof. Dr. B. aufgrund seiner Befunde einen prozentualen Hörverlust von beiderseits 10 % festgestellt und unter Berücksichtigung der tonaudiometrischen Befunde mittels der Drei-Frequenz-Tabelle von Röser (1980) ebenso einen prozentualen Hörverlust von 10 %. Dieser Wert entspricht eigentlich einer beginnenden Schwerhörigkeit. Er war jedoch zugunsten des Klägers vom Vorliegen einer knapp geringgradigen Schwerhörigkeit, also einer stärkeren Schwerhörigkeit, ausgegangen, die einen prozentualen Hörverlust von 20 % im Tonaudiogramm voraussetzt. Diese abweichende Einschätzung zugunsten des Klägers ist mit den erheblichen Hochtonhörverlusten begründet, die selbst nicht mittels der Drei-Frequenz-Tabelle erfasst werden, die nur die Hörverluste zwischen 1000 und 3000 Hz berücksichtigt.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den sachverständigen Zeugenauskünften und den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für Beurteilung des quantitativen und qualitativen Leistungsvermögens. Das Gutachten von Prof. Dr. B. ist schlüssig und überzeugt. Hinweise für eine belangvolle und die Ereignisse des Jahres 2009 überdauernde psychische Erkrankung konnte der Senat trotz des Tinnitus und der im Jahr 2009 durchgeführten stationären Rehabilitationsmaßnahme nicht feststellen, sodass auch weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht angestrengt werden mussten.

Die beidseitige Schwerhörigkeit des Klägers und der beidseitige dauerhafte Tinnitus mit der vom Senat festgestellten Gesamt-MdE von 15 v.H. erreichen nicht eine rentenberechtigende MdE von mindestens 20 v.H., weshalb der Kläger bei fehlendem Stützrententatbestand keinen Anspruch auf eine Verletztenrente nach § 56 SGB VII hat. Die Klage war daher in vollem Umfang unbegründet, die Berufung der Beklagten dagegen begründet.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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