Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 R 2100/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 5057/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.11.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 geborene Kläger erlernte den Beruf des Polsterers, in dem er jedoch nie gearbeitet hat. Nach dem Wehrdienst war er in wechselnden Berufen (Kranführer, Montagearbeiter, LKW-Fahrer) tätig. Zuletzt war er bis 1992 als Dachdeckerhelfer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss war der Kläger arbeitslos. Von August 1999 bis November 2000 bezog er eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Seit 01.03.2005 bezieht er Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Seit 27.01.2003 ist ein anerkannter Grad der Behinderung von 100 festgestellt.
Nachdem der Kläger am 02.09.1999, 22.10.2001, 04.09.2006 und 20.02.2009 erfolglos die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, beantragte er am 11.07.2013 bei der Beklagten erneut, ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung gab er an, unter einer Angststörung, Depressionen, einem Alkoholabusus sowie einer Polyneuropathie zu leiden. Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. U. untersuchen und begutachten. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 30.09.2013, nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 23.09.2013, nachfolgende Diagnosen:
1. Chronifizierender Verlauf einer Angst- und depressiven Störung 2. Soziale Phobie 3. Chronische Alkoholabhängigkeit 4. Nikotinabhängigkeit 5. Schädlicher Gebrauch von Cannabis, anamnestisch auch Kokain und LSD 6. Leichtgradige alkoholtoxische Polyneuropathie der Beine 7. Asthma bronchiale, derzeit beschwerdefrei.
Der Kläger verfüge über ein tägliches mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche für eine mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen.
Mit Bescheid vom 29.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab.
Hiergegen legte der Kläger am 18.11.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung legte er eine Stellungnahme des sozialpsychiatrischen Dienstes des Caritasverbandes B. vom 16.12.2013 vor, wonach er, der Kläger, aus sozialtherapeutischer Sicht wegen panikartiger Angst, Depressionen und grüblerischen Suizidideen nicht erwerbsfähig sei. Weiterhin legte er einen ärztlichen Bericht des Psychiatrischen Zentrums N. vom 11.03.2014 vor, wonach im Jahr 2013 zusätzlich zu der Abhängigkeitserkrankung und den bekannten depressiven Episoden eine soziale Phobie und später eine ;Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als Grunderkrankung diagnostiziert worden sei. Aufgrund der Schwere der Symptomatik sei er, der Kläger, nicht arbeitsfähig.
Die Beklagte veranlasste daraufhin die erneute Begutachtung des Klägers durch den Nervenarzt Dr. B ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 14.04.2014 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 08.04.2014 folgende Diagnosen:
1. Alkoholabhängigkeit mit jetzt anhaltender Abstinenz 2. Restsymptomatik damals offenbar ausgeprägterer zerebellärer Extremitätenataxie 3. Inzwischen remittierte, vorbeschriebene alkoholtoxische Polyneuropathie 4. Sporadischer Cannabisabusus 5. Kombinierte Persönlichkeitsstörung 6. Anklingende (sozio-) phobische Symptomatik.
Unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen bestehe ein tägliches mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche für mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Dies sei unabhängig von der abschließenden diagnostischen Formulierung oder der Befundbeschreibung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dem Kläger seien mittelschwere Tätigkeiten (mit qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden und mehr täglich zumutbar.
Hiergegen richtete sich die am 20.06.2014 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgte. Ausweislich des - schon im Widerspruchsverfahren vorgelegten - Befundberichts der behandelnden Ärztin H. vom Psychiatrischen Zentrum N. vom 11.03.2014 seien die Gesundheitsstörungen schwerwiegender als von der Beklagten angenommen. Lohnbringende Tätigkeiten seien auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen nicht mehr in einem Umfang von sechs und mehr Stunden möglich.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf die im Verwaltungsverfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen entgegen.
Das SG erhob Beweis durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. gab unter dem 06.10.2014 an, der Kläger sei wegen Beschwerden im körperlichen als auch im seelischen Bereich nur noch zwei bis drei Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistungsfähig. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie H. teilte unter dem 29.12.2014 mit, der Kläger sei wegen innerer Unruhe, verminderter Frustrationstoleranz, Bewegungsunruhe und hoher Ablenkbarkeit sowie Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen nur noch unter drei Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistungsfähig.
Das SG verfügte daraufhin die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 08.06.2015 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 01.06.2015 nachfolgende Diagnosen:
1. Vorbeschriebenes Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom 2. Alkoholabhängigkeit, derzeit abstinent 3. Soziale Phobie 4. Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und ängstlich vermeidenden Merkmalen 5. Rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert 6. Leichtgradige Polyneuropathie 7. Schwindel bei vorbeschriebener zerebellärer Ataxie 8. Tinnitus beidseits 9. Asthma bronchiale.
Auf dem Boden der Aufmerksamkeits-, Persönlichkeits- und sozialphobischen Störung sei von einer stärker ausgeprägten Einschränkung des Durchhaltevermögens auszugehen, so dass Tätigkeiten (mit qualitativen Einschränkungen) aktuell lediglich vier Stunden pro Arbeitstag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistbar seien. Dieser Gesundheitszustand bestehe zumindest seit März 2014. Es sei mit einer Besserung innerhalb der nächsten sechs Monate zu rechnen, wenn die begonnene medikamentöse Einstellung konsequent und auch die begleitende ambulante Psychotherapie fortgeführt werde.
Die Beklagte legte hierzu eine sozialmedizinische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 21.07.2015 vor. Aus psychiatrischer Sicht könne die Einschätzung von Dr. N. vom Eintritt eines Leistungsfalls im März 2014 nicht nachvollzogen werden. Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrome würden in Kindheit und Jugend beginnen und seien von der eigentlichen Konstruktion her Erkrankungen, die sich vormals in kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkreisen etabliert und erst jetzt im Laufe von Jahrzehnten einen Eingang in die Erwachsenenpsychiatrie gefunden hätten. Ein Leistungseintritt zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund eines Störungsbildes, welches den Kläger das ganze Leben über begleitet habe, sei weder aus psychiatrischer Sicht noch aus dem sozialmedizinischem Blickwinkel glaubhaft und nachzuvollziehen. Darüber hinaus habe Dr. N. im psychopathologischen Befund keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen gefunden.
Hierzu äußerte sich Dr. N. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.08.2015 dahingehend, dass richtigerweise eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung des Erwachsenenalters definitionsgemäß im frühen Kindesalter oder in der Adoleszenz beginne. Die Störung könne leicht ausgeprägt sein, könne aber auch den Schweregrad einer Krankheit mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebensführung erreichen. Der Verlauf werde häufig nicht durch die Ausprägung der Grundsymptome bestimmt, sondern vor allem durch soziale und psychische Folgen. So könnten oft ungünstige soziale Verhältnisse oder komorbide Störungen auch leichte Symptome einer ADHS klinisch relevant werden lassen. Als komorbide Störungen würden insbesondere affektive Störungen, Angststörungen mit insbesondere spezifischen Phobien und Missbrauch sowie Abhängigkeit von psychotropen Substanzen und auch Persönlichkeitsstörungen gelten. Bei dem Kläger seien solche ungünstigen Kontextfaktoren zweifelsfrei vorhanden. Es sei also durchaus nachvollziehbar, dass die Symptomatik einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung zunächst unerkannt geblieben sei und dann kontextabhängig zu stärker einschränkenden Symptomen geführt habe. Infolgedessen könne eine Leistungsminderung auch erst im späten Erwachsenenalter eintreten. Unaufmerksamkeit und Konzentrationsstörungen seien nur einige der Grundsymptome einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Hinzu träten noch Desorganisiertheit, Impulsivität, emotionale Instabilität und Hyperaktivität. Wenn sich bei der gutachtlichen Exploration am 01.06.2015 keine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen gezeigt hätten, schließe dies nicht zwangsläufig ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom aus. Des Weiteren sei mittlerweile (seit 06.05.2015) eine störungsspezifische Medikation hinsichtlich des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms eingeleitet worden. Es sei von einem wirksamen Effekt hinsichtlich der Symptomatik auszugehen. Die Diagnose sei vom Zentrum für Psychiatrie W. gestellt und auch im Rahmen der aktuellen stationären Behandlung von Frau H. bestätigt worden. Möglicherweise könne schon in drei oder vier Monaten ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestehen.
Die Beklagte legte hierauf eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. N. vom 07.09.2015 vor, in der dieser an seiner bisherigen Auffassung festhielt.
Mit Urteil vom 26.11.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Überzeugung der Kammer sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn sein arbeitstägliches Leistungsvermögen betrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich mindestens sechs Stunden. Die Kammer schließe sich der Leistungseinschätzung von Dr. U. und Dr. B. sowie den Ausführungen von Dr. N. an. Der Kläger leide unter folgenden für seine berufliche Leistungsfähigkeit bedeutsamen Erkrankungen: Alkoholabhängigkeit, derzeit abstinent; soziale Phobie; Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und ängstlich vermeidenden Merkmalen; rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert; leichtgradige Polyneuropathie; Schwindel bei vorbeschriebener zerebellärer Ataxie. Diese Gesundheitsstörungen schränkten die berufliche Leistungsfähigkeit lediglich in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Aus medizinischer Sicht seien dem Kläger noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde möglich. Ausgeschlossen seien Arbeiten an unmittelbar gefährdenden Maschinen, mit außergewöhnlicher nervlicher Belastung wie Akkord- und Fließbandarbeit oder Nacht- bzw. Wechselschicht, mit besonderer geistiger Beanspruchung oder hoher Verantwortung. Zu vermeiden seien auch Arbeiten mit Publikumsverkehr. Der Ansicht des Neurologen und Psychiaters Dr. N., demzufolge der Kläger aufgrund der psychischen Erkrankung nur über ein unter sechsstündiges arbeitstägliches Leistungsvermögen verfüge, vermochte sich die Kammer nicht anzuschließen. Dr. N. habe einen im Wesentlichen unauffälligen psychischen Befund erhoben. Er habe bei seiner Untersuchung keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen festgestellt. Insoweit habe er auch lediglich die Diagnose eines vorbeschriebenen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms übernommen. Auch die von Dr. N. im weiteren genannten Symptome eines ADHS wie Desorganisiertheit, Impulsivität, emotionale Instabilität und Hyperaktivität habe er in der Untersuchungssituation nicht erhoben. Unabhängig von der Bewertung der konkreten diagnostischen Formulierung und der von Dr. N. thematisierten Frage der Einbringung der Aufmerksamkeitsstörung in das Erwerbsleben habe Dr. N. eine solche Störung selbst nicht diagnostiziert. Auch affektiv sei es lediglich themenabhängig zu einer depressiven Stimmungsauslenkung gekommen, ansonsten habe der Kläger ablenkbar, auch aufheiterbar und gut mitschwingungsfähig gewirkt. Eine Antriebsstörung habe Dr. N. nicht festgestellt. Die depressive Störung sei auch nach den Ausführungen im Gutachten von Dr. N. remittiert. Ebenso wenig habe der Gutachter Auswirkungen einer phobischen Störung in der Untersuchung festgestellt. Für die Kammer sei anhand der erhobenen Befunde eine Einschränkung, die sich in zeitlicher Hinsicht auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers auswirke, daher nicht nachvollziehbar. Vielmehr deckten sich die erhobenen Befunde im Wesentlichen mit den Befunderhebungen durch Dr. U. und Dr. B., wobei festzuhalten sei, dass in keiner gutachtlichen Untersuchung bislang ein auffälliger psychischer Befund erhoben worden sei. Eine Verschlechterung seit Begutachtung durch Dr. U. bzw. Dr. B. habe auch weder Dr. N. noch die behandelnde Ärztin H. beschrieben. Auch die Alltagsaktivitäten, wie Radfahren, Kochen, das Erledigen von Hausarbeiten, Fernsehen und Freizeitaktivitäten wie regelmäßige Besuche am Badesee im Sommer sowie die gegenüber Dr. B. geschilderten Aktivitäten, die der Kläger gerne unternehmen würde, wenn es finanziell machbar wäre, wie Hallenbadbesuche, Urlaub mit der Bahn oder dem Auto in Italien, Theater-, Kino- oder Restaurantbesuche würden gegen eine quantitative Leistungseinschränkung sprechen. Im Hinblick darauf sei für die Kammer nachvollziehbar, dass nach den Ausführungen von Dr. U. und Dr. B. keine wesentliche Antriebsstörung oder Einschränkung der sozialen Kompetenzen und Alltagskompetenzen bestünden, die nicht mit zumutbarer Willensanspannung überwunden werden könnten. Die möglicherweise vielschichtigen aber schon vorbestehend akzentuierten Persönlichkeitszüge hätten bereits früher einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen gestanden und könnten sich zur Überzeugung der Kammer allenfalls qualitativ auswirken.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 01.12.2015 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt.
Hiergegen richtet sich die am 08.12.2015 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung des Klägers. Zutreffend habe Dr. N. ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen angenommen. Die hiergegen geäußerte Kritik könne nicht verfangen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.11.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01.07.2013 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG in seiner Entscheidung.
Der Senat hat die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 03.03.2017 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 08.02.2017 die Diagnose einer langjährigen Alkoholkrankheit auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, die seit mehreren Jahren jedoch hinreichend stabil erscheine, gestellt. Nicht hinreichend zu sichern sei eine wesentliche Sozialphobie und/oder ein ADHS. Gleiches gelte für die Verdachtsdiagnose einer Rückenmarksschädigung unklarer Ursache, die jedoch aktuell zu keinen belangvollen Funktionsstörungen führe. Die Durchführung eines spezifischen Beschwerdevalidierungs-Tests habe der Kläger abgelehnt. In den ergänzend durchgeführten Fragebögen ergäben sich deutliche Hinweise auf Inkonsistenzen. Zwar sei die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit nach 25-jähriger Absenz vom Arbeitsmarkt unwahrscheinlich, aus medizinischen Gründen lasse sich jedoch nicht begründen, warum der Kläger nicht in der Lage sein solle, körperlich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Folgen einer Sprunggelenks-, Wirbelkörper- und einer Rippenfraktur. Diese beträfen zwar maßgeblich das chirurgische Fachgebiet. Leichte Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg seien aber unproblematisch zumutbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakten des Senats sowie des SG und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Er hat darauf keinen Anspruch.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll- bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Der Kläger kann zur Überzeugung des Senats leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten, weshalb eine Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehen vorliegend die Erkrankungen des Klägers auf nervenärztlichem Fachgebiet. Insoweit hat der Senat insbesondere eine langjährigen Alkoholkrankheit auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsstörung zu berücksichtigen, die seit mehreren Jahren jedoch hinreichend stabil ist. Nicht hinreichend zu sichern ist eine wesentliche Sozialphobie und/oder ein ADHS. Zwar hat Prof. Dr. Dr. W. anamnestisch eine soziale Phobie eruiert. Auf der Befundebene lässt sich diese jedoch nicht nachweisen. Darüber hieraus hat Prof. Dr. Dr. W. auf zahlreiche Inkonsistenzen hingewiesen, so dass sich insbesondere keine Anhaltspunkte für eine schwergradigere Störung ergibt. Die Bewusstseinslage war ungestört. Der Kläger war örtlich, zeitlich, zur eigenen Person sowie zur Situation orientiert. Das Auffassungsvermögen, die Merkfähigkeit und das Gedächtnis waren nicht erkennbar vermindert, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit nicht ersichtlich beeinträchtigt. Bei wechselnden Themen in der Befragung war der Kläger gut umstellungsfähig. Eine Störung des Denkablaufs war nicht erkennbar. Anamnestisch war eine Neigung zu ängstlich-hypochondrischer Selbstbeobachtung erkennbar, Zwangshandlungen oder -impulse jedoch nicht ersichtlich. Die Affektivität war überwiegend ausgeprägt dysphorisch und auch moros verstimmt, jedoch auch auflockerbar. Der Kläger konnte adäquat reagieren. Der Antrieb war nur mäßig reduziert. Aufgrund der bestehenden psychischen Problematik sind Arbeiten, die mit besonderem Stress wie Akkord- oder Schichtarbeit einhergehen, nicht zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen ist der Kläger in der Lage, eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben. Der Senat folgt insoweit der Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Dr. W., der in seinem nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten zu einer entsprechenden Leistungseinschätzung kommt.
Nicht zu folgen vermochte der Senat der Leistungseinschätzung von Dr. N ... Dr. N. hat einen im Wesentlichen unauffälligen psychischen Befund erhoben. Insbesondere konnte er keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen feststellen. Auch die von Dr. N. genannten Symptome eines ADHS wie Desorganisiertheit, Impulsivität, emotionale Instabilität und Hyperaktivität hat er in der Untersuchungssituation nicht festgestellt. Affektiv kam es lediglich themenabhängig zu einer depressiven Stimmungsauslenkung. Ansonsten war der Kläger ablenkbar, auch aufheiterbar und gut mitschwingungsfähig. Eine Antriebsstörung hat Dr. N. ebenfalls nicht festgestellt. Eine depressive Störung ist auch nach den Ausführungen im Gutachten von Dr. N. remittiert. Ebenso wenig konnte der Gutachter Auswirkungen einer phobischen Störung in der Untersuchung feststellen. Anhand der erhobenen Befunde ist eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens daher nicht nachvollziehbar. Vielmehr decken sich die erhobenen Befunde im Wesentlichen mit den Befunderhebungen durch Prof. Dr. Dr. W., Dr. U. und Dr. B., die ebenfalls einen unauffälligen psychischen Befund erhoben haben. Auch die Alltagsaktivitäten sprechen gegen eine quantitative Leistungseinschränkung. Der Senat findet eine Bestätigung seiner Leistungseinschätzung daher auch in den Gutachten von Dr. U. und Dr. B., die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, wonach keine wesentliche Antriebsstörung oder Einschränkung der sozialen Kompetenzen und Alltagskompetenzen bestehen, die nicht mit zumutbarer Willensanspannung überwunden werden könnten. Die möglicherweise vielschichtigen aber schon vorbestehend akzentuierten Persönlichkeitszüge haben bereits früher einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen gestanden und wirken sich allenfalls qualitativ aus. Hierauf hat das SG zutreffend hingewiesen.
Soweit der Kläger darüber hinaus auf chirurgischem Fachgebiet an den Folgen einer Sprunggelenksfraktur, einer Wirbelkörperfraktur und einer Rippenfraktur leidet, sind lediglich noch leichte körperliche Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg zumutbar. Die Leistungsfähigkeit wird ansonsten durch das von Dr. U. darüber hinaus diagnostizierte Asthma bronchiale aufgrund der Beschwerdefreiheit nicht wesentlich eingeschränkt.
Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus den sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. Sch. und der Ärztin H ... Die genannten Ärzte haben keine Befunde mitgeteilt, aus denen sich eine derartige Einschränkung ergibt. Die sachverständigen Zeugenaussagen lassen aber auch eine Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Leistungseinschätzung vermissen. Darüber hinaus ist durch die gerichtlichen Sachverständigengutachten geklärt, dass die Erkrankungen des Klägers zu keiner quantitativen Leistungseinschränkung führen. Die Leistungseinschätzung der behandelnden Ärzte ist damit widerlegt. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st. Rspr. des Senats (statt vieler Urteil des Senats vom 22.02.2017, - L 5 R 791/15 -, n.v.; vgl auch LSG, Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10, n.v.) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens i.d.R. keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.
Auch die Feststellung eines Grades der Behinderung von 100 belegt nicht, dass der Kläger erwerbsgemindert ist. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 – 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung (geändert durch Art. 1a des Gesetzes vom 07.01.2015, BGBl. II, S. 15) auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verweist (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B –, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987, – 5b BJ 156/87 –, in juris, Rn. 3).
Aus den medizinischen Unterlagen ergibt sich ein klares und eindeutiges Bild der (lediglich qualitativen) Leistungseinschränkungen. Bei einer Gesamtbetrachtung sind dauerhafte gravierende Leistungseinschränkungen nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben sind, bestehen nicht. Ein Großteil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG, Urteil vom 30.11.1983, - 5 ARKn 28/82 - ; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, - GS 2/95 -; siehe auch BSG, Urteil vom 05.10.2005, - B 5 RJ 6/05 R -, alle in juris). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger leidensgerecht unzumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich oder mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass der Kläger vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Der Kläger ist 1960 und damit vor dem Stichtag geboren, er ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfang ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Der Kläger hat zwar einen Beruf erlernt, er war jedoch nur in verschiedenen ungelernten Tätigkeiten beschäftigt. Damit kann der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG, vgl. BSG, Urteile vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/96 -, vom 18.02.1998 - B 5 RJ 34/97 R -, jeweils m.w.N; beide in juris).
Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1960 geborene Kläger erlernte den Beruf des Polsterers, in dem er jedoch nie gearbeitet hat. Nach dem Wehrdienst war er in wechselnden Berufen (Kranführer, Montagearbeiter, LKW-Fahrer) tätig. Zuletzt war er bis 1992 als Dachdeckerhelfer sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Im Anschluss war der Kläger arbeitslos. Von August 1999 bis November 2000 bezog er eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Seit 01.03.2005 bezieht er Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Seit 27.01.2003 ist ein anerkannter Grad der Behinderung von 100 festgestellt.
Nachdem der Kläger am 02.09.1999, 22.10.2001, 04.09.2006 und 20.02.2009 erfolglos die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung beantragt hatte, beantragte er am 11.07.2013 bei der Beklagten erneut, ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung gab er an, unter einer Angststörung, Depressionen, einem Alkoholabusus sowie einer Polyneuropathie zu leiden. Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin durch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. U. untersuchen und begutachten. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 30.09.2013, nach einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 23.09.2013, nachfolgende Diagnosen:
1. Chronifizierender Verlauf einer Angst- und depressiven Störung 2. Soziale Phobie 3. Chronische Alkoholabhängigkeit 4. Nikotinabhängigkeit 5. Schädlicher Gebrauch von Cannabis, anamnestisch auch Kokain und LSD 6. Leichtgradige alkoholtoxische Polyneuropathie der Beine 7. Asthma bronchiale, derzeit beschwerdefrei.
Der Kläger verfüge über ein tägliches mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche für eine mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen.
Mit Bescheid vom 29.10.2013 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab.
Hiergegen legte der Kläger am 18.11.2013 Widerspruch ein. Zur Begründung legte er eine Stellungnahme des sozialpsychiatrischen Dienstes des Caritasverbandes B. vom 16.12.2013 vor, wonach er, der Kläger, aus sozialtherapeutischer Sicht wegen panikartiger Angst, Depressionen und grüblerischen Suizidideen nicht erwerbsfähig sei. Weiterhin legte er einen ärztlichen Bericht des Psychiatrischen Zentrums N. vom 11.03.2014 vor, wonach im Jahr 2013 zusätzlich zu der Abhängigkeitserkrankung und den bekannten depressiven Episoden eine soziale Phobie und später eine ;Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als Grunderkrankung diagnostiziert worden sei. Aufgrund der Schwere der Symptomatik sei er, der Kläger, nicht arbeitsfähig.
Die Beklagte veranlasste daraufhin die erneute Begutachtung des Klägers durch den Nervenarzt Dr. B ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 14.04.2014 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 08.04.2014 folgende Diagnosen:
1. Alkoholabhängigkeit mit jetzt anhaltender Abstinenz 2. Restsymptomatik damals offenbar ausgeprägterer zerebellärer Extremitätenataxie 3. Inzwischen remittierte, vorbeschriebene alkoholtoxische Polyneuropathie 4. Sporadischer Cannabisabusus 5. Kombinierte Persönlichkeitsstörung 6. Anklingende (sozio-) phobische Symptomatik.
Unter Berücksichtigung qualitativer Einschränkungen bestehe ein tägliches mindestens sechsstündiges Leistungsvermögen im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche für mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Dies sei unabhängig von der abschließenden diagnostischen Formulierung oder der Befundbeschreibung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.05.2014 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Dem Kläger seien mittelschwere Tätigkeiten (mit qualitativen Einschränkungen) sechs Stunden und mehr täglich zumutbar.
Hiergegen richtete sich die am 20.06.2014 zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger sein Rentenbegehren weiterverfolgte. Ausweislich des - schon im Widerspruchsverfahren vorgelegten - Befundberichts der behandelnden Ärztin H. vom Psychiatrischen Zentrum N. vom 11.03.2014 seien die Gesundheitsstörungen schwerwiegender als von der Beklagten angenommen. Lohnbringende Tätigkeiten seien auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen nicht mehr in einem Umfang von sechs und mehr Stunden möglich.
Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf die im Verwaltungsverfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen entgegen.
Das SG erhob Beweis durch schriftliche Befragung der behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. gab unter dem 06.10.2014 an, der Kläger sei wegen Beschwerden im körperlichen als auch im seelischen Bereich nur noch zwei bis drei Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistungsfähig. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie H. teilte unter dem 29.12.2014 mit, der Kläger sei wegen innerer Unruhe, verminderter Frustrationstoleranz, Bewegungsunruhe und hoher Ablenkbarkeit sowie Stimmungsschwankungen und Schlafstörungen nur noch unter drei Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistungsfähig.
Das SG verfügte daraufhin die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. N ... Dieser stellte in seinem Gutachten vom 08.06.2015 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 01.06.2015 nachfolgende Diagnosen:
1. Vorbeschriebenes Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom 2. Alkoholabhängigkeit, derzeit abstinent 3. Soziale Phobie 4. Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und ängstlich vermeidenden Merkmalen 5. Rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert 6. Leichtgradige Polyneuropathie 7. Schwindel bei vorbeschriebener zerebellärer Ataxie 8. Tinnitus beidseits 9. Asthma bronchiale.
Auf dem Boden der Aufmerksamkeits-, Persönlichkeits- und sozialphobischen Störung sei von einer stärker ausgeprägten Einschränkung des Durchhaltevermögens auszugehen, so dass Tätigkeiten (mit qualitativen Einschränkungen) aktuell lediglich vier Stunden pro Arbeitstag im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche leistbar seien. Dieser Gesundheitszustand bestehe zumindest seit März 2014. Es sei mit einer Besserung innerhalb der nächsten sechs Monate zu rechnen, wenn die begonnene medikamentöse Einstellung konsequent und auch die begleitende ambulante Psychotherapie fortgeführt werde.
Die Beklagte legte hierzu eine sozialmedizinische Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N. vom 21.07.2015 vor. Aus psychiatrischer Sicht könne die Einschätzung von Dr. N. vom Eintritt eines Leistungsfalls im März 2014 nicht nachvollzogen werden. Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrome würden in Kindheit und Jugend beginnen und seien von der eigentlichen Konstruktion her Erkrankungen, die sich vormals in kinder- und jugendpsychiatrischen Fachkreisen etabliert und erst jetzt im Laufe von Jahrzehnten einen Eingang in die Erwachsenenpsychiatrie gefunden hätten. Ein Leistungseintritt zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund eines Störungsbildes, welches den Kläger das ganze Leben über begleitet habe, sei weder aus psychiatrischer Sicht noch aus dem sozialmedizinischem Blickwinkel glaubhaft und nachzuvollziehen. Darüber hinaus habe Dr. N. im psychopathologischen Befund keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen gefunden.
Hierzu äußerte sich Dr. N. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 25.08.2015 dahingehend, dass richtigerweise eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung des Erwachsenenalters definitionsgemäß im frühen Kindesalter oder in der Adoleszenz beginne. Die Störung könne leicht ausgeprägt sein, könne aber auch den Schweregrad einer Krankheit mit erheblicher Beeinträchtigung der Lebensführung erreichen. Der Verlauf werde häufig nicht durch die Ausprägung der Grundsymptome bestimmt, sondern vor allem durch soziale und psychische Folgen. So könnten oft ungünstige soziale Verhältnisse oder komorbide Störungen auch leichte Symptome einer ADHS klinisch relevant werden lassen. Als komorbide Störungen würden insbesondere affektive Störungen, Angststörungen mit insbesondere spezifischen Phobien und Missbrauch sowie Abhängigkeit von psychotropen Substanzen und auch Persönlichkeitsstörungen gelten. Bei dem Kläger seien solche ungünstigen Kontextfaktoren zweifelsfrei vorhanden. Es sei also durchaus nachvollziehbar, dass die Symptomatik einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung zunächst unerkannt geblieben sei und dann kontextabhängig zu stärker einschränkenden Symptomen geführt habe. Infolgedessen könne eine Leistungsminderung auch erst im späten Erwachsenenalter eintreten. Unaufmerksamkeit und Konzentrationsstörungen seien nur einige der Grundsymptome einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Hinzu träten noch Desorganisiertheit, Impulsivität, emotionale Instabilität und Hyperaktivität. Wenn sich bei der gutachtlichen Exploration am 01.06.2015 keine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen gezeigt hätten, schließe dies nicht zwangsläufig ein Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom aus. Des Weiteren sei mittlerweile (seit 06.05.2015) eine störungsspezifische Medikation hinsichtlich des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms eingeleitet worden. Es sei von einem wirksamen Effekt hinsichtlich der Symptomatik auszugehen. Die Diagnose sei vom Zentrum für Psychiatrie W. gestellt und auch im Rahmen der aktuellen stationären Behandlung von Frau H. bestätigt worden. Möglicherweise könne schon in drei oder vier Monaten ein vollschichtiges Leistungsvermögen bestehen.
Die Beklagte legte hierauf eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme von Dr. N. vom 07.09.2015 vor, in der dieser an seiner bisherigen Auffassung festhielt.
Mit Urteil vom 26.11.2015 wies das SG die Klage ab. Zur Überzeugung der Kammer sei der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, denn sein arbeitstägliches Leistungsvermögen betrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich mindestens sechs Stunden. Die Kammer schließe sich der Leistungseinschätzung von Dr. U. und Dr. B. sowie den Ausführungen von Dr. N. an. Der Kläger leide unter folgenden für seine berufliche Leistungsfähigkeit bedeutsamen Erkrankungen: Alkoholabhängigkeit, derzeit abstinent; soziale Phobie; Persönlichkeitsstörung mit abhängigen und ängstlich vermeidenden Merkmalen; rezidivierende depressive Störung, derzeit remittiert; leichtgradige Polyneuropathie; Schwindel bei vorbeschriebener zerebellärer Ataxie. Diese Gesundheitsstörungen schränkten die berufliche Leistungsfähigkeit lediglich in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Aus medizinischer Sicht seien dem Kläger noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten zu ebener Erde möglich. Ausgeschlossen seien Arbeiten an unmittelbar gefährdenden Maschinen, mit außergewöhnlicher nervlicher Belastung wie Akkord- und Fließbandarbeit oder Nacht- bzw. Wechselschicht, mit besonderer geistiger Beanspruchung oder hoher Verantwortung. Zu vermeiden seien auch Arbeiten mit Publikumsverkehr. Der Ansicht des Neurologen und Psychiaters Dr. N., demzufolge der Kläger aufgrund der psychischen Erkrankung nur über ein unter sechsstündiges arbeitstägliches Leistungsvermögen verfüge, vermochte sich die Kammer nicht anzuschließen. Dr. N. habe einen im Wesentlichen unauffälligen psychischen Befund erhoben. Er habe bei seiner Untersuchung keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen festgestellt. Insoweit habe er auch lediglich die Diagnose eines vorbeschriebenen Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms übernommen. Auch die von Dr. N. im weiteren genannten Symptome eines ADHS wie Desorganisiertheit, Impulsivität, emotionale Instabilität und Hyperaktivität habe er in der Untersuchungssituation nicht erhoben. Unabhängig von der Bewertung der konkreten diagnostischen Formulierung und der von Dr. N. thematisierten Frage der Einbringung der Aufmerksamkeitsstörung in das Erwerbsleben habe Dr. N. eine solche Störung selbst nicht diagnostiziert. Auch affektiv sei es lediglich themenabhängig zu einer depressiven Stimmungsauslenkung gekommen, ansonsten habe der Kläger ablenkbar, auch aufheiterbar und gut mitschwingungsfähig gewirkt. Eine Antriebsstörung habe Dr. N. nicht festgestellt. Die depressive Störung sei auch nach den Ausführungen im Gutachten von Dr. N. remittiert. Ebenso wenig habe der Gutachter Auswirkungen einer phobischen Störung in der Untersuchung festgestellt. Für die Kammer sei anhand der erhobenen Befunde eine Einschränkung, die sich in zeitlicher Hinsicht auf die Erwerbsfähigkeit des Klägers auswirke, daher nicht nachvollziehbar. Vielmehr deckten sich die erhobenen Befunde im Wesentlichen mit den Befunderhebungen durch Dr. U. und Dr. B., wobei festzuhalten sei, dass in keiner gutachtlichen Untersuchung bislang ein auffälliger psychischer Befund erhoben worden sei. Eine Verschlechterung seit Begutachtung durch Dr. U. bzw. Dr. B. habe auch weder Dr. N. noch die behandelnde Ärztin H. beschrieben. Auch die Alltagsaktivitäten, wie Radfahren, Kochen, das Erledigen von Hausarbeiten, Fernsehen und Freizeitaktivitäten wie regelmäßige Besuche am Badesee im Sommer sowie die gegenüber Dr. B. geschilderten Aktivitäten, die der Kläger gerne unternehmen würde, wenn es finanziell machbar wäre, wie Hallenbadbesuche, Urlaub mit der Bahn oder dem Auto in Italien, Theater-, Kino- oder Restaurantbesuche würden gegen eine quantitative Leistungseinschränkung sprechen. Im Hinblick darauf sei für die Kammer nachvollziehbar, dass nach den Ausführungen von Dr. U. und Dr. B. keine wesentliche Antriebsstörung oder Einschränkung der sozialen Kompetenzen und Alltagskompetenzen bestünden, die nicht mit zumutbarer Willensanspannung überwunden werden könnten. Die möglicherweise vielschichtigen aber schon vorbestehend akzentuierten Persönlichkeitszüge hätten bereits früher einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen gestanden und könnten sich zur Überzeugung der Kammer allenfalls qualitativ auswirken.
Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 01.12.2015 mittels Empfangsbekenntnis zugestellt.
Hiergegen richtet sich die am 08.12.2015 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Berufung des Klägers. Zutreffend habe Dr. N. ein zeitlich eingeschränktes Leistungsvermögen angenommen. Die hiergegen geäußerte Kritik könne nicht verfangen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26.11.2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.10.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.05.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 01.07.2013 Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen des SG in seiner Entscheidung.
Der Senat hat die Begutachtung des Klägers durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. W. veranlasst. Dieser hat in seinem Gutachten vom 03.03.2017 aufgrund einer ambulanten Untersuchung des Klägers am 08.02.2017 die Diagnose einer langjährigen Alkoholkrankheit auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, die seit mehreren Jahren jedoch hinreichend stabil erscheine, gestellt. Nicht hinreichend zu sichern sei eine wesentliche Sozialphobie und/oder ein ADHS. Gleiches gelte für die Verdachtsdiagnose einer Rückenmarksschädigung unklarer Ursache, die jedoch aktuell zu keinen belangvollen Funktionsstörungen führe. Die Durchführung eines spezifischen Beschwerdevalidierungs-Tests habe der Kläger abgelehnt. In den ergänzend durchgeführten Fragebögen ergäben sich deutliche Hinweise auf Inkonsistenzen. Zwar sei die Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit nach 25-jähriger Absenz vom Arbeitsmarkt unwahrscheinlich, aus medizinischen Gründen lasse sich jedoch nicht begründen, warum der Kläger nicht in der Lage sein solle, körperlich leichte Tätigkeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der Folgen einer Sprunggelenks-, Wirbelkörper- und einer Rippenfraktur. Diese beträfen zwar maßgeblich das chirurgische Fachgebiet. Leichte Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg seien aber unproblematisch zumutbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen auf die Gerichtsakten des Senats sowie des SG und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch sonst zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren. Er hat darauf keinen Anspruch.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll- bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Der Kläger kann zur Überzeugung des Senats leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) mindestens sechs Stunden täglich verrichten, weshalb eine Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Im Vordergrund des Beschwerdebildes stehen vorliegend die Erkrankungen des Klägers auf nervenärztlichem Fachgebiet. Insoweit hat der Senat insbesondere eine langjährigen Alkoholkrankheit auf dem Boden einer kombinierten Persönlichkeitsstörung zu berücksichtigen, die seit mehreren Jahren jedoch hinreichend stabil ist. Nicht hinreichend zu sichern ist eine wesentliche Sozialphobie und/oder ein ADHS. Zwar hat Prof. Dr. Dr. W. anamnestisch eine soziale Phobie eruiert. Auf der Befundebene lässt sich diese jedoch nicht nachweisen. Darüber hieraus hat Prof. Dr. Dr. W. auf zahlreiche Inkonsistenzen hingewiesen, so dass sich insbesondere keine Anhaltspunkte für eine schwergradigere Störung ergibt. Die Bewusstseinslage war ungestört. Der Kläger war örtlich, zeitlich, zur eigenen Person sowie zur Situation orientiert. Das Auffassungsvermögen, die Merkfähigkeit und das Gedächtnis waren nicht erkennbar vermindert, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit nicht ersichtlich beeinträchtigt. Bei wechselnden Themen in der Befragung war der Kläger gut umstellungsfähig. Eine Störung des Denkablaufs war nicht erkennbar. Anamnestisch war eine Neigung zu ängstlich-hypochondrischer Selbstbeobachtung erkennbar, Zwangshandlungen oder -impulse jedoch nicht ersichtlich. Die Affektivität war überwiegend ausgeprägt dysphorisch und auch moros verstimmt, jedoch auch auflockerbar. Der Kläger konnte adäquat reagieren. Der Antrieb war nur mäßig reduziert. Aufgrund der bestehenden psychischen Problematik sind Arbeiten, die mit besonderem Stress wie Akkord- oder Schichtarbeit einhergehen, nicht zumutbar. Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Leistungseinschränkungen ist der Kläger in der Lage, eine Tätigkeit des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben. Der Senat folgt insoweit der Leistungseinschätzung von Prof. Dr. Dr. W., der in seinem nachvollziehbaren und schlüssigen Gutachten zu einer entsprechenden Leistungseinschätzung kommt.
Nicht zu folgen vermochte der Senat der Leistungseinschätzung von Dr. N ... Dr. N. hat einen im Wesentlichen unauffälligen psychischen Befund erhoben. Insbesondere konnte er keine Aufmerksamkeits-, Konzentrations- oder Auffassungsstörungen feststellen. Auch die von Dr. N. genannten Symptome eines ADHS wie Desorganisiertheit, Impulsivität, emotionale Instabilität und Hyperaktivität hat er in der Untersuchungssituation nicht festgestellt. Affektiv kam es lediglich themenabhängig zu einer depressiven Stimmungsauslenkung. Ansonsten war der Kläger ablenkbar, auch aufheiterbar und gut mitschwingungsfähig. Eine Antriebsstörung hat Dr. N. ebenfalls nicht festgestellt. Eine depressive Störung ist auch nach den Ausführungen im Gutachten von Dr. N. remittiert. Ebenso wenig konnte der Gutachter Auswirkungen einer phobischen Störung in der Untersuchung feststellen. Anhand der erhobenen Befunde ist eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens daher nicht nachvollziehbar. Vielmehr decken sich die erhobenen Befunde im Wesentlichen mit den Befunderhebungen durch Prof. Dr. Dr. W., Dr. U. und Dr. B., die ebenfalls einen unauffälligen psychischen Befund erhoben haben. Auch die Alltagsaktivitäten sprechen gegen eine quantitative Leistungseinschränkung. Der Senat findet eine Bestätigung seiner Leistungseinschätzung daher auch in den Gutachten von Dr. U. und Dr. B., die der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet hat, wonach keine wesentliche Antriebsstörung oder Einschränkung der sozialen Kompetenzen und Alltagskompetenzen bestehen, die nicht mit zumutbarer Willensanspannung überwunden werden könnten. Die möglicherweise vielschichtigen aber schon vorbestehend akzentuierten Persönlichkeitszüge haben bereits früher einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen gestanden und wirken sich allenfalls qualitativ aus. Hierauf hat das SG zutreffend hingewiesen.
Soweit der Kläger darüber hinaus auf chirurgischem Fachgebiet an den Folgen einer Sprunggelenksfraktur, einer Wirbelkörperfraktur und einer Rippenfraktur leidet, sind lediglich noch leichte körperliche Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg zumutbar. Die Leistungsfähigkeit wird ansonsten durch das von Dr. U. darüber hinaus diagnostizierte Asthma bronchiale aufgrund der Beschwerdefreiheit nicht wesentlich eingeschränkt.
Eine quantitative Leistungseinschränkung ergibt sich zur Überzeugung des Senats auch nicht aus den sachverständigen Zeugenaussagen von Dr. Sch. und der Ärztin H ... Die genannten Ärzte haben keine Befunde mitgeteilt, aus denen sich eine derartige Einschränkung ergibt. Die sachverständigen Zeugenaussagen lassen aber auch eine Unterscheidung zwischen quantitativer und qualitativer Leistungseinschätzung vermissen. Darüber hinaus ist durch die gerichtlichen Sachverständigengutachten geklärt, dass die Erkrankungen des Klägers zu keiner quantitativen Leistungseinschränkung führen. Die Leistungseinschätzung der behandelnden Ärzte ist damit widerlegt. Der Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit eines Versicherten durch gerichtliche Sachverständige kommt nach st. Rspr. des Senats (statt vieler Urteil des Senats vom 22.02.2017, - L 5 R 791/15 -, n.v.; vgl auch LSG, Urteil vom 17.01.2012, L 11 R 4953/10, n.v.) grundsätzlich ein höherer Beweiswert zu als der Einschätzung der behandelnden Ärzte. Bei der Untersuchung von Patienten unter therapeutischen Gesichtspunkten spielt die Frage nach der Einschätzung des beruflichen Leistungsvermögens i.d.R. keine Rolle. Dagegen ist es die Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen, die Untersuchung gerade im Hinblick darauf vorzunehmen, ob und in welchem Ausmaß gesundheitliche Beschwerden zu einer Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens führen. In diesem Zusammenhang muss der Sachverständige auch die Beschwerdeangaben eines Versicherten danach überprüfen, ob und inwieweit sie sich mit dem klinischen Befund erklären lassen.
Auch die Feststellung eines Grades der Behinderung von 100 belegt nicht, dass der Kläger erwerbsgemindert ist. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 – 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung (geändert durch Art. 1a des Gesetzes vom 07.01.2015, BGBl. II, S. 15) auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verweist (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 – B 9 SB 5/01 B –, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987, – 5b BJ 156/87 –, in juris, Rn. 3).
Aus den medizinischen Unterlagen ergibt sich ein klares und eindeutiges Bild der (lediglich qualitativen) Leistungseinschränkungen. Bei einer Gesamtbetrachtung sind dauerhafte gravierende Leistungseinschränkungen nicht ersichtlich. Anhaltspunkte dafür, dass beim Kläger eine Summierung ungewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen oder eine spezifische Leistungsbeeinträchtigung gegeben sind, bestehen nicht. Ein Großteil der qualitativen Beschränkungen wird bereits durch den Umstand, dass nur leichte Arbeiten zumutbar sind, mitberücksichtigt. Schließlich ist hier auch nicht von einem verschlossenen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des BSG und der dort aufgestellten Kriterien auszugehen (siehe BSG, Urteil vom 30.11.1983, - 5 ARKn 28/82 - ; siehe insbesondere auch hierzu den bestätigenden Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, - GS 2/95 -; siehe auch BSG, Urteil vom 05.10.2005, - B 5 RJ 6/05 R -, alle in juris). Es war im Übrigen im Hinblick auf das zur Überzeugung des Senats bestehende Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden pro Arbeitstag unter Berücksichtigung nicht arbeitsmarktunüblicher qualitativer Leistungseinschränkungen zu der Frage, inwieweit welche konkrete Tätigkeit dem Kläger leidensgerecht unzumutbar ist, keine Prüfung durchzuführen, da die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einer Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich oder mehr nicht zu berücksichtigen ist (§ 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI).
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI). Voraussetzung eines solchen Rentenanspruchs ist, dass der Kläger vor dem 02.01.1961 geboren und berufsunfähig ist. Der Kläger ist 1960 und damit vor dem Stichtag geboren, er ist jedoch nicht berufsunfähig. Berufsunfähig sind nach § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfang ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 240 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 240 Abs. 2 Satz 4 SGB VI). Der Kläger hat zwar einen Beruf erlernt, er war jedoch nur in verschiedenen ungelernten Tätigkeiten beschäftigt. Damit kann der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts verwiesen werden (zum Stufenschema des BSG, vgl. BSG, Urteile vom 22.10.1996 - 13 RJ 35/96 -, vom 18.02.1998 - B 5 RJ 34/97 R -, jeweils m.w.N; beide in juris).
Die Berufung konnte deshalb keinen Erfolg haben, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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