L 9 R 3885/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 2580/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 3885/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1967 geborene Kläger ist gelernter Zimmermann (01.09.1984 bis 07.05.1988 im Bergbau) und war von 1989 bis 1994 und ab 1996 – unterbrochen durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit – als Zimmermann bei einem Zimmerer beschäftigt. Im Anschluss daran war er als Maschinenführer und Anlagenfahrer im Dreischichtbetrieb tätig. Nach einem Arbeitsunfall am 18.01.2007 führte der Kläger im Zeitraum von Mai 2009 bis August 2010 eine Pension mit 12 Betten und übte im Anschluss daran bis 2013 eine selbstständige Tätigkeit als Gastronom aus. Im Anschluss daran bezog er Krankengeld und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch. Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (wegen einer zu Unrecht erfolgten Verurteilung des Kreisgerichts G. mit Freiheitsentziehung 07.06.1988 bis 03.05.1989). Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 40 anerkannt.

Auf seinen Antrag vom 02.12.2013 befand sich der Kläger im Rahmen einer von der Beklagten gewährten Leistung zur Teilhabe (medizinische Rehabilitation) im Klinikzentrum M., Fachklinik "A." und "I.", Bad W. (stationärer Aufenthalt vom 18.02.2014 bis 25.03.2014, Diagnose: Angst- und depressive Störung, gemischt, mit der Empfehlung einer zweijährigen Erwerbsminderungsrente bei stark ausgeprägten kognitiven Defiziten bei hirnorganischem Syndrom und Zustand nach Schädelhirntrauma).

Am 02.09.2014 beantragte der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und die Prüfung der Umdeutung des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe in einen Rentenantrag. Die Beklagte zog das Gutachten des Dr. G. vom 15.07.2011 aus einem vorangegangenen Rentenverfahren (Diagnosen: Posttraumatischer Kopfschmerz, Minderbelastbarkeit der linken Hand; unter Berücksichtigung näher ausgeführter qualitativer Einschränkungen sei eine Leistungsfähigkeit für leidensgerechte Tätigkeit mindestens sechs Stunden am Tag gegeben), das chirurgische Gutachten des Dr. R. vom 11.10.2007 für die Holz-Berufsgenossenschaft und den Bericht der Asklepios Kliniken Bad W. über die stationäre Aufnahme des Klägers am 01.08.2007 bei und beauftragte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. mit der Erstellung eines Gutachtens. Diese stellte in ihrem Gutachten vom 07.10.2014 ein funktionell leichtgradiges pseudoneurasthenisches-affektlabiles Syndrom im Rahmen des dringenden Verdachtes auf eine Alkoholkrankheit, Synkopen, funktionell leichtgradig bedeutsame Kopfschmerzen, den Ausschluss von funktionell bedeutsamen Affektstörungen oder "Angst und Depression" oder "hirnorganischen Schäden" sowie den Zustand nach Arbeitsunfall vom 18.01.2007 ohne überdauernde Folgen bis auf einen Zustand nach Handverletzung rechts mit Sensibilitätsstörung fest. Der Kläger sei noch sechs Stunden und mehr leistungsfähig, wenn besondere Anforderungen an Konzentration und Reaktion, an Umstellungs- und Anpassungsvermögen, an Verantwortung für Personen und Maschinen, Publikumsverkehr, Überwachung, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge oder Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr oder häufig wechselnde Arbeitszeiten vermieden würden. Als Verweisungstätigkeiten nannte sie Tätigkeiten als Küchenhelfer, Lagerarbeiter, Materialausgeber, Qualitätsprüfer an einem einfachen Prüfplatz.

Mit Bescheid vom 07.11.2014 lehnte die Beklagte die Umdeutung des Antrags auf Leistungen zur Teilhabe in einen Rentenantrag sowie den Antrag auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab, weil der Kläger nicht vermindert erwerbsfähig sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte unter Berücksichtigung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Dr. L. vom 27.04.2015 mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2015 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 08.06.2015 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben.

Das SG hat Beweis erhoben durch das Einholen sachverständiger Zeugenaussagen beim Internisten Dr. R., beim Facharzt für Neurologie/Psychiatrie/Psychotherapie Dr. R., dem Facharzt für Innere Medizin Dr. S. sowie durch Beiziehung der Behandlungs- und Entlassungsberichte des Klinikums F. Ferner hat das SG Privat-Dozent Dr. B., Chefarzt der Neurologischen Abteilung O. Klinik GmbH, R., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Der Kläger hat den Bericht des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. B. vom 19.08.2015 vorgelegt.

Dr. R. hat berichtet (17.08.2015) über eine Behandlung wegen häufigem Sodbrennen, das in den letzten zwei Jahren verstärkt aufgetreten sei und das unter Omeprazol weitgehend beschwerdefrei gewesen sei. Dr. R. hat unter dem 21.09.2015 und unter Verweis auf den seiner Aussage beigefügten Arztbrief des Dr. B. einen Verdacht auf dissoziative Anfälle auf dem Boden einer posttraumatischen Belastungsstörung gestellt, nachdem der Kläger häufige Stürze beklagt habe und umfangreiche Voruntersuchungen keine eindeutige Ursache der Stürze erbracht hätten. Gegenüber der Erstuntersuchung am 22.05.2013 sei eine deutliche Zunahme der Sturzanfälle und Bewusstlosigkeiten aufgetreten. Dr. S. hat unter dem 06.10.2015 mitgeteilt, dass sich der Kläger seit dem 25.07.2012 in seiner ständigen hausärztlichen Betreuung befinde. Die überwiegende Mehrzahl der Behandlungsanlässe hätte psychische Probleme betroffen und im Zusammenhang damit chronische Schmerzen. Insbesondere die rezidivierende depressive Störung mit ausgeprägter Antriebslosigkeit, sowie die anhaltende somatoforme Schmerzstörung hätten zu einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit geführt. Der Kläger leide an einer schweren Angststörung und an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die sich auf Grund einer knapp zweijährigen Haft wegen Republikflucht in einem DDR-Gefängnis entwickelt habe. Von Bedeutung sei auch ein schwerer Arbeitsunfall im Jahr 2007. Es komme seit dem Unfall immer wieder zu unklaren Ohnmachtsanfällen, welche mehrfach abgeklärt und zuletzt als dissoziative Anfälle im Rahmen einer bekannten posttraumatischen Belastungsstörung interpretiert worden seien.

Privat-Dozent Dr. B. hat in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 23.03.2016 eine Dysthymie, den Verdacht auf Alkoholabusus, schädliches Ausmaß, Tinnitus links, Migräne ohne Aura, Nervus ulnaris-Läsion rechts, ohne motorische Beteiligung, festgestellt, weshalb schwere und dauerhaft mittelschwere Tätigkeiten vom Kläger nicht mehr verrichtet werden könnten. Auf Grund der psychischen Labilität seien Tätigkeiten unter erhöhtem Zeitdruck, Fließband- und Akkordarbeiten sowie Schicht- und permanente Nachtarbeit ebenfalls nicht möglich. Jegliche Tätigkeiten, die ein hohes Maß an geistiger Beanspruchung, eine hohe Verantwortung für Mitarbeiter erforderten, sowie Arbeiten, die unter nervlicher Belastung durchgeführt werden müssten, seien ebenfalls nicht leidensgerecht. Sämtliche andere Tätigkeiten sollten jedoch auf Grund der erhobenen Befunde vom Kläger verrichtet werden können. Er stimme den Gutachten im Rentenverfahren zu. Widersprechen wolle er der Einschätzung der Rehabilitationsklinik Bad W., die bei kognitiven Defiziten, die entsprechend der durchgeführten Scores diagnostiziert worden seien, ein organisches Psychosyndrom abgeleitet hätten. Dies sei bei einem völligen Fehlen eines Nachweises einer strukturellen morphologisch fassbaren Schädel-Hirn-Verletzung nicht statthaft. Auch die Einschätzung des Hausarztes, der ein aufgehobenes Leistungsvermögen sehe, sei unter Zugrundelegung der sozialmedizinischen Bewertungskriterien nicht nachvollziehbar.

Mit Gerichtsbescheid vom 28.09.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Kammer hat sich dabei auf die Gutachten des Privat-Dozenten Dr. B. und der Dr. H. gestützt.

Gegen den seinen Bevollmächtigten am 06.10.2016 zugestellten Gerichtsbescheid haben diese am 19.10.2016 Berufung eingelegt, die nicht weiter begründet worden ist.

Der Kläger beantragt – sinngemäß –,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 28. September 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. November 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Beschluss vom 19.12.2016 hat der Senat den Antrag des Klägers, ihm für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren, abgelehnt. Die Bevollmächtigten des Klägers haben daraufhin ihr Mandat niedergelegt. Weiterer Sachvortrag ist nicht erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Akte der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, weil der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat.

Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI -). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (s. hierzu § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).

Darüber hinaus ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI generell nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigten (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2016, § 43 SGB VI Rdnr. 58 und 30 ff.).

Der Kläger ist, an diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, zur Überzeugung des Senats weder voll noch teilweise erwerbsgemindert.

Eine Erwerbsminderung des Klägers, das heißt ein Absinken seiner beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich im Wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere des Gutachtens von Dr. H., das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sowie des Gutachtens von Privat-Dozent Dr. B.

Nach diesen beiden Gutachten steht für den Senat fest, dass der Kläger nicht unter rentenrechtlich bedeutsamen Erkrankungen leidet. So hat die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. überzeugend belegt, dass eine funktional bedeutsame Affektstörung oder Angst und Depression oder hirnorganische Schäden auszuschließen sind. Dies ist unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde schlüssig, da der Kläger als wach und zu allen Qualitäten orientiert, das Denken inhaltlich sowie formal ungestört, die Stimmung neutral, der Affekt labil, die Psychomotorik lebhaft, das Antriebsverhalten normal, das Kontroll- und Steuerungsverhalten noch als ausreichend beschrieben wurde, bei einer zwischen dysphorisch und ablehnend sowie jovial und freundlich-heiter wechselnden Kontaktaufnahme mit der Sachverständigen. Darüber hinaus war die Intelligenz als im Durchschnitt liegend, die Sprache unauffällig und ohne Werkzeugstörung beurteilt worden. Ein Anhalt für Suizidalität oder Lebensüberdruss bestand nicht. Ein hirnorganischer Dauerschaden infolge des Arbeitsunfalles aus dem Jahr 2007 war weder klinisch noch unter Berücksichtigung des Ergebnisses einer kernspintomografischen Untersuchung des Kopfes der Fachklinik F., Bad W. (MRT vom 01.02.2007, Bericht hierüber in den Akten der Beklagten – Trenndeckel ärztliche Gutachten –), das unauffällig gewesen ist, festzustellen. Daneben beschreibt Dr. H. einen hochgradigen Verdacht auf eine Alkoholkrankheit, der sich aufgrund des klinischen Eindrucks, als auch aufgrund der erhobenen Laborwerte erhärtete. Unabhängig von dem fehlenden Beweis einer Alkoholkrankheit besteht beim Kläger eine psychische Labilität, die sich insbesondere in unzureichender Konflikt- und Problemlösestrategie (Weinerlichkeit bei der Erörterung von Verweisungstätigkeiten) äußert, wobei Dr. H. die beklagten Synkopen (Ohnmachtsanfälle) am ehesten "Alkoholentzugskrampfanfällen" zuordnet. Schließlich würdigt sie Beschwerden wie Kopfschmerzen, depressive Verstimmung, Konzentrationsstörungen, sozialer Rückzug als Begleitsymptome des täglichen Alkoholkonsums, die mit entsprechender Willensanspannung durch Abstinenz überwunden werden können.

Nichts wesentlich anderes hat Privat-Dozent Dr. B. in seinem Gutachten vom 23.03.2016 diagnostiziert, wenn er von einer Dysthymia, dem Verdacht auf Alkoholabusus, schädliches Ausmaß, einem Tinnitus links, einer Migräne ohne Aura und einer elekrophysiologisch bestätigten Nervus ulnaris-Läsion rechts, ohne motorische Beteiligung, ausgeht. Seine allgemein-körperliche Untersuchung zeigte keine nennenswerten Auffälligkeiten. Klinisch-neurologisch bestand lediglich eine leichtgradige Sensibilitätsstörung im Bereich des distalen Nervus ulnaris rechts (D4, D5 und laterale Handkante rechts). In psychischer Hinsicht ging er am ehesten von einer Dysthymie ohne Hinweis auf das Vorliegen einer depressiven Störung oder auf eine posttraumatische Belastungsstörung aus, was sich aus dem geschilderten Tagesablauf, der weitgehenden Eigenversorgung und der erhaltenen Tagesstruktur, dem erhobenen psychischen Befund und den durchgeführten psychologischen Testverfahren zwanglos ableiten lässt. Überzeugend hat Privat-Dozent Dr. B. der Annahme der behandelnden Ärzte widersprochen, der Kläger habe in der Folge der Haftsituation als Republikflüchtling eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt und leide auch heute noch unter dieser. Dieser Annahme steht schon entgegen, dass der Kläger über viele Jahre als Zimmermann und später als Hotelier und Weinlokalbetreiber tätig gewesen ist und sich nach der Trennung von der ersten Ehefrau neue Partnerschaften etabliert haben, weswegen eine psychopathologische Symptomatik in sozialmedizinisch bedeutsamem Ausmaß schon nicht belegt ist. Darüber hinaus hat er darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Folgen des Arbeitsunfalles vom 18.01.2007 zu keinem Zeitpunkt der Nachweis einer morphologisch fassbaren Schädigung des Gehirns oder des Nervensystems erbracht wurde und die veranlasste Kernspintomografie des Schädels einen völlig regelrechten Befund ergab, weswegen ein Schädel-Hirn-Trauma mit Hirnsubstanzschädigung ausgeschlossen werden kann.

Damit steht für den Senat auch fest, dass eine zeitliche Leistungsminderung in rentenberechtigendem Ausmaß nicht besteht. Auch die nach der Handverletzung verbliebenen Sensibilitätsstörungen an der rechten Hand, betreffend die Handkante und den Ring- und Kleinfinger, stehen einer wenigstens sechsstündigen Tätigkeit nicht entgegen, zumal der Kläger nach dem Arbeitsunfall - wie ausgeführt - in nicht unerheblichem Umfang selbstständig tätig gewesen ist. Unter Ausschluss von besonderen Anforderungen an Konzentration und Reaktion, Umstellungs- und Anpassungsvermögen, Verantwortung für Personen und Maschinen, Publikumsverkehr, Überwachung, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge oder Tätigkeiten mit erhöhter Unfallgefahr oder häufig wechselnder Arbeitszeiten, sind ihm noch wenigstens sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünftagewoche zumutbar. Dabei ist aber darauf hinzuweisen, dass diese Einschränkungen im Wesentlichen der Verdachtsdiagnose einer Alkoholkrankheit geschuldet sind, die aufgrund des fehlenden Nachweises leistungsrechtlich streng genommen nicht zu berücksichtigen ist. Gleiches gilt im Übrigen für die geltend gemachten Synkopen, die – worauf Privat-Dozent Dr. B. zu Recht hinweist – fremdanamnestisch nicht belegt sind und für die eine Ursache bislang nicht zweifelsfrei bestimmt werden konnte. Denn auch Dr. B. hat diese ebenfalls nur im Rahmen einer Verdachtsdiagnose als dissoziative Anfälle bezeichnet. Ohnehin sind hierdurch ebenfalls nur qualitative Einschränkungen (etwa Tätigkeiten ohne Eigen- und Fremdgefährdung) zu erwarten, eine zeitliche Leistungsminderung resultiert hieraus nicht.

Mit den Sachverständigen ist damit der Leistungseinschätzung der Ärzte in Bad W. nicht zu folgen, da sie offensichtlich von unzutreffenden Voraussetzungen ausgegangen sind (hirnorganisches Syndrom bei Zustand nach Schädelhirntrauma) und unberücksichtigt gelassen haben, dass der Kläger nach seinem Arbeitsunfall wieder leistungsfähig gewesen ist und mit einem Arbeitspensum von bis zu 16 Stunden arbeitstäglich nahezu ohne fremde Hilfe ein Wein- und Imbisslokal übernommen und über einen Zeitraum von zwei Jahren betrieben hat, was bei einem ausgeprägten organischen Psychosyndrom nicht möglich gewesen wäre, wie Privat-Dozent Dr. B. deutlich gemacht hat. Der Senat sieht diese Leistungseinschätzung sowie die der behandelnden Ärzte Dr. R., Dr. B. und Dr. S. damit als widerlegt an.

Für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten muss weder eine konkrete Tätigkeit benannt, noch die Frage geprüft werden, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Zahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996, GS 2/95 u. a.). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist. Dem Kläger ist somit keine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren und zwar unabhängig davon, ob die für ihn zuständige Arbeitsagentur einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten kann. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG, Urteil vom 25.06.1986, 4a RJ 55/84, Juris).

Bei dem Kläger liegen auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz des Leistungsvermögens von mehr als sechs Stunden täglich zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden. Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Restleistungsvermögen des Klägers reicht vielmehr noch für zumindest leichte körperliche Verrichtungen im Wechsel der drei Körperhaltungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats (GS) des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.12.1996 - GS 2/95 - SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33 f.). Auch liegt im Fall des Klägers kein Seltenheits- oder Katalogfall vor, der zur Pflicht der Benennung eines konkreten Arbeitsplatzes führen würde (vgl. BSG, GS, a.a.O. = S. 35). Vielmehr hat Dr. H. ausdrücklich dargelegt, dass der Kläger Tätigkeiten als Lagerarbeiter, Materialausgeber, Qualitätsprüfer am einem einfachen Prüfplatz ausüben kann.

Nachdem das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat, war auch die Berufung zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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