L 11 KR 4869/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 1154/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4869/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.12.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld (Krg) für die Zeit vom 26.10.2015 bis 02.04.2017.

Die 1974 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Bis 14.10.2015 war sie bei der Firma C. A. W. in L. beschäftigt.

Ab 05.10.2015 war die Klägerin arbeitsunfähig krank, es wurde Harnblasenkrebs diagnostiziert. Folgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) und Auszahlscheine liegen vor: AU festgestellt am mit voraussichtl Ende der AU Aussteller 05.10.2015 AUB 09.10.2015 Dr. M.-G. 07.10.2015 AUB 11.10.2015 D.-Klinikum 12.10.2015 AUB 25.10.2015 (Sonntag) Dr. M.-G. 27.10.2015 Auszahlschein 09.11.2015 Dr. M.-G. 09.11.2015 Auszahlschein 17.11.2015 Dr. M.-G. 17.11.2015 Auszahlschein 30.11.2015 Dr. M.-G. 30.11.2015 und weitere Auszahlschein 28.12.2015 Dr. M.-G.

Die Klägerin erhielt im Oktober/November 2015 zwei Zyklen neoadjuvante Chemotherapie mit Gemcitabine und Cisplatin. Am 17.12.2015 erfolgte eine radikale Zysterektomie mit Adnexektomie und Hysterektomie und Neoblasenanlage. Im März/April 2016 erfolgten zwei weitere Zyklen Chemotherapie.

Die Beklagte gewährte der Klägerin bis 25.10.2015 Krg. Mit Bescheid vom 28.10.2015 lehnte die Beklagte die Weitergewährung von Krg ab. Der Anspruch auf Krg entstehe immer am Tag der ärztlichen Feststellung. Für eine lückenlose Gewährung von Krg hätte spätestens am 26.10.2015 die folgende Arbeitsunfähigkeit (AU) festgestellt werden müssen. Der neue Auszahlschein datiere jedoch vom 27.10.2015. Die beitragsfreie Mitgliedschaft ende daher am letzten Tag des Krg-Bezugs und mit dieser auch der Anspruch auf Krg.

Mit Widerspruch vom 18.11.2015 machte die Klägerin geltend, dass sie wegen der Chemotherapie mit großer Übelkeit und Schwindel am 26.10.2015 nicht in der Lage gewesen sei, einen Arzt aufzusuchen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.03.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei eine Obliegenheit des Versicherten, sich rechtzeitig um eine Folgebescheinigung zu bemühen, um seinen Krg-Anspruch aufrecht zu erhalten. Notfalls hätte die Klägerin den Notarzt rufen müssen, um AU feststellen zu lassen. Ab dem 26.10.2015 sei die Klägerin familienversichert ohne Anspruch auf Krg.

Hiergegen richtet sich die am 08.04.2016 zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage. Ein Notarzt komme nur bei einem medizinischen, nicht einem verwaltungstechnischen Notfall. Nach § 5 Abs 3 Satz 2 der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinien (AU-RL) sei auch eine Rückdatierung der AU um bis zu zwei Tage zulässig. Dies sei hier geboten, da ein Härtefall vorliege. Ergänzend hat die Klägerin ärztliche Unterlagen vorgelegt, aus denen sich das Vorliegen von Lebermetastasen und intrapulmonalen Metastasen ergibt sowie der Einschluss der Klägerin in eine Phase II Studie zur Sicherheit und Verträglichkeit in der Zweitlinientherapie bei schlecht differenziertem neuroendokrinem Karzinom ua an der Universitätsklinik H ...

Nach Erörterung des Rechtsstreits mit den Beteiligten am 01.12.2016 hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 20.12.2016 die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf Krg entstehe von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an. Die durch das Beschäftigungsverhältnis begründete Mitgliedschaft der Klägerin habe über den Krg-Bezug bis 25.10.2015 fortbestanden. Als die Klägerin am 27.10.2015 erneut ihre Ärztin zur Feststellung von AU aufgesucht habe, sei sie daher nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert gewesen. Es liege kein Sachverhalt vor, bei dem ausnahmsweise eine – rückwirkende – Feststellung hätte nachgeholt werden können. Es sei in ständiger Rechtsprechung anerkannt, dass das Unterlassen der AU-Feststellung einem Versicherten nicht entgegengehalten werden dürfe, wenn die rechtzeitige Feststellung durch Umstände verhindert werde, die nicht dem Verantwortungsbereich des Versicherten zuzurechnen seien. Dies sei zB bei Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit anzunehmen. Eine solche liege bei der Klägerin jedoch nicht vor. Die geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen führten nicht zu einer Handlungsunfähigkeit. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin nicht einmal den hausärztlichen Notdienst hätte rufen können. Im Übrigen hätte die Klägerin auch bereits am Freitag 23.10.2015 ihre Hausärztin aufsuchen können, an diesem Tag sei es ihr nach eigenem Vorbringen im Erörterungstermin noch nicht so schlecht gegangen. Die Klägerin habe nicht alles Zumutbare getan, um ihre Ansprüche zu wahren. Ein nachgehender Leistungsanspruch für einen Monat bestehe ebenfalls nicht, da die Klägerin familienversichert gewesen sei ohne Anspruch auf Krg.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 27.12.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 30.12.2016 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie bleibt dabei, dass in ihrem Fall wegen der schweren Chemotherapie ein Ausnahmefall anzuerkennen sei. Eine fehlende fortlaufende Bescheinigung von AU gehe insbesondere dann nicht zu Lasten des Versicherten, wenn sie auf einem der Krankenkasse zuzurechnenden Organisationsmangel beruhe oder der Versicherte aufgrund einer Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit nicht in der Lage gewesen sei, seinen Pflichten aus dem Versicherungsverhältnis nachzukommen. Dasselbe gelte auch, wenn sich der Versicherte in einer vergleichbaren Situation befinde, die aber so außergewöhnlich und dringlich sei, dass sie ihn gewissermaßen handlungsunfähig mache (unter Hinweis auf Sonnhoff in juris-PK SGB V, § 46 RdNr 42). Auf diese letzte Fallgruppe berufe sich die Klägerin.

Ergänzend hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Bescheid vom 12.04.2017 über die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.10.2015 vorgelegt (Nachzahlung für den Zeitraum 01.10.2015 bis 31.05.2017 iHv 4.450,54 EUR, laufende Zahlung ab 01.06.2017 iHv 226,18 EUR monatlich).

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 20.12.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 28.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin vom 26.10.2015 bis längstens 02.04.2017 Krankengeld zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ein Ausnahmefall nach dem Bundessozialgericht (BSG), wonach die AU dann rückwirkend festgestellt werden dürfe, wenn der Versicherte aufgrund der Handlungs- oder Geschäftsunfähigkeit besonders schutzbedürftig sei, liege nicht vor. Der Begriff der Geschäftsunfähigkeit sei in § 104 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) definiert als ein die freie Willensbestimmung ausschließender Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, sofern dieser nicht seiner Natur nach vorübergehend sei. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Unter Handlungsfähigkeit sei die Fähigkeit zu verstehen, rechtlich erhebliche Handlungen vornehmen zu können. Im Sozial- und Verwaltungsverfahrensrecht bilde dieser Begriff das Pendant zur zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit (§ 36 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), § 12 Nr 1 Verwaltungsverfahrensgesetz). Entsprechend liege auch Handlungsunfähigkeit nicht vor. Ein willensgesteuertes Handeln sei der Klägerin jederzeit möglich gewesen.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 14.03.2017 erörtert. Auf die Niederschrift (Blatt 31/32 Senatsakte) wird Bezug genommen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die nach den §§ 143, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid der Beklagten vom 28.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.03.2016 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Die Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Krg über den 25.10.2015 hinaus.

Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Krg sind die §§ 44 ff Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V). Nach § 44 Abs 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krg, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden. Der Anspruch auf Krg entsteht bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung von ihrem Beginn an, im Übrigen von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an (§ 46 Satz 1 Nr 2 SGB V idF des GKV-VSG vom 16.07.2015 mWv 23.07.2015, BGBl I, 1211). Der Anspruch auf Krg bleibt jeweils bis zu dem Tag bestehen, an dem die weitere AU wegen derselben Krankheit ärztlich festgestellt wird, wenn diese ärztliche Feststellung spätestens am nächsten Werktag nach dem zuletzt bescheinigten Ende der AU erfolgt; Samstage gelten nicht als Werktage (§ 46 Satz 2 SGB V). Grundsätzlich setzt daher der Anspruch auf Krg die vorherige ärztliche Feststellung der AU voraus. Dem Attest des behandelnden Arztes mit der Feststellung der AU kommt lediglich die Bedeutung einer gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krg-Bezug zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet, ohne dass Krankenkasse und Gerichte an den Inhalt der ärztlichen Bescheinigung gebunden sind (BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 7).

Die Voraussetzungen eines Krg-Anspruchs, also nicht nur die AU, sondern auch die ärztliche Feststellung der AU, müssen bei zeitlich befristeter AU-Feststellung und dementsprechender Krg-Gewährung für jeden Bewilligungsabschnitt jeweils erneut vorliegen (st Rspr BSG 26.06.2007, B 1 KR 8/07 R, SozR 4-2500 § 44 Nr 12; zuletzt BSG 16.12.2014, B 1 KR 19/14 R, B 1 KR 25/14 R und B 1 KR 37/14 R). Zudem muss der Versicherte die AU und deren Fortdauer grundsätzlich rechtzeitig ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse gemäß § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V melden (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R, SozR 4-2500 § 46 Nr 1).

Die ärztliche Feststellung der AU ist keine reine Formalität, sondern Voraussetzung der Entstehung des Anspruchs auf Krg. Mit dem Erfordernis vorgeschalteter ärztlich festzustellender AU sollen beim Krg Missbrauch und praktische Schwierigkeiten vermieden werden, zu denen die nachträgliche Behauptung der AU und deren rückwirkende Bescheinigung beitragen könnten. Als Regelfall geht das Gesetz davon aus, dass der in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigte Versicherte selbst die notwendigen Schritte unternimmt, um die mögliche AU feststellen zu lassen und seine Ansprüche zu wahren. Mit Blick darauf muss die AU nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krg auch dann angezeigt werden, wenn sie seit ihrem Beginn ununterbrochen bestanden hat. Auch dann muss der Versicherte die Fortdauer der AU grundsätzlich rechtzeitig spätestens am nächsten Werktag nach Ablauf der Befristung der bisherigen Attestierung ärztlich feststellen lassen und seiner Krankenkasse melden, wenn er das Erlöschen oder Ruhen des Leistungsanspruchs vermeiden will. Sowohl bei der ärztlichen Feststellung als auch der Meldung der AU handelt es sich um eine Obliegenheit des Versicherten; die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung oder Meldung sind deshalb grundsätzlich von ihm zu tragen. Regelmäßig ist danach die Regelung des § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V strikt zu handhaben (BSG 08.11.2005, B 1 KR 30/04, BSGE 95, 219, SozR 4-2500 § 46 Nr 1; vgl auch BSG 10.05.2012, B 1 KR 20/11 R, juris). Der Gesetzgeber hat mit der Änderung in § 46 SGB V durch das GKV-VSG diese Rechtslage und die Rechtsprechung des BSG ausdrücklich bestätigt und hierzu nur eine Erleichterung bezweckt (BT-Drs 18/4095, S 80), so dass diese Rechtsprechung ohne Einschränkung auch für die hier geltende Fassung des § 46 Satz 1 Nr 2 SGB V Anwendung findet.

Das bei Entstehen eines Anspruchs auf Krankengeld bestehende Versicherungsverhältnis bestimmt, wer in welchem Umfang als "Versicherter" Anspruch auf Krg hat. Die Mitgliedschaft der Klägerin als Beschäftigte (§ 5 Abs 1 Nr 1 SGB V) blieb über den Bezug von Krg nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V zunächst unstreitig bis 25.10.2015 erhalten. Will ein Versicherter seine Mitgliedschaft als Beschäftigter in der gesetzlichen Krankenversicherung über das Ende des Beschäftigungsverhältnisses hinaus durch einen Anspruch auf Krg aufrechterhalten, muss er seine AU für jeden Krankengeldbewilligungsabschnitt erneut rechtzeitig ärztlich feststellen lassen (vgl BSG 04.03.2014, B 1 KR 17/13 R, SozR 4-2500 § 192 Nr 6). Dies ist hier nicht erfolgt. Am Tag der erneuten ärztlicher Feststellung der AU, dem 27.10.2015, war die Klägerin nicht mehr mit Anspruch auf Krg versichert. Die Familienversicherung (§ 10 SGB V) umfasst keinen Anspruch auf Krg (§ 44 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB V).

Zur Überzeugung des Senats ist auch kein Sachverhalt gegeben, bei dem die AU-Feststellung für einen weiteren Bewilligungsabschnitt ausnahmsweise hätte nachgeholt werden können. Nach der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine verspätete Feststellung der AU dem Versicherten nicht entgegengehalten werden kann, wenn Geschäftsunfähigkeit besteht, ein gesetzlicher Vertreter nicht vorhanden war und wenn der Versicherte auf Grund dieses Umstandes nicht in der Lage gewesen ist, die für die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit obligatorischen Handlungen vorzunehmen (BSG 22.06.1966, 3 RK 14/64, BSGE 25,76). Ein solcher Fall lag hier ersichtlich nicht vor. Aber auch bei Erstreckung dieser Ausnahmefallgruppe auf (vorübergehende) zumindest vergleichbare Zustände, in welchen der Versicherte krankheitsbedingt zB im Rahmen einer schweren Depression (vgl hierzu SG Aachen 14.03.2017, S 13 KR 312/16, juris) nicht in der Lage zu den für eine Feststellung der AU erforderlichen Handlungen ist, ergibt sich für den konkreten Fall keine andere Beurteilung. Eine vergleichbar außergewöhnliche Situation, die den Versicherten gleichsam körperlich handlungsunfähig macht, wird in der Literatur etwa diskutiert bei Bergunfällen mit Rettung erst nach einigen Tagen oder bei Ohnmachtsanfällen Alleinstehender mit Auffindung Tage später (vgl Sonnhoff in juris-PK SGB V, § 46 RdNr 42). Ein derartiger Fall liegt hier indes nicht vor. Die Klägerin hat im Erörterungstermin am 14.03.2017 nochmals bestätigt, dass es ihr am Montag, 26.10.2015 nicht gutgegangen sei; sie habe unter Schwindel, Übelkeit und Erbrechen gelitten, sei auch sehr müde gewesen. Ihr Mann sei arbeiten und sie allein zuhause gewesen. Der Senat hat an diesen glaubhaften Angaben keinen Zweifel. Die Klägerin hat allerdings auch weiter ausgeführt, dass sie nicht gewusst habe, dass sich eine Lücke von einem Tag derartig auswirken würde – hätte sie dies gewusst, hätte sie vielleicht "etwas machen können". Erwähnt hat die Klägerin insoweit einen Anruf bei ihren Geschwistern, damit diese sie zum Arzt fahren. Damit bestätigt sich, dass die Klägerin grundsätzlich durchaus in der Lage war, für eine ärztliche Feststellung der AU auch am 26.10.2015 zu sorgen (ggf auch durch eine Taxifahrt zur Hausärztin oder Benachrichtigung des Notdienstes), dies allerdings im Hinblick auf die fehlende Kenntnis von der Bedeutung der rechtzeitigen Feststellung aus menschlich absolut nachvollziehbaren Gründen unterlassen hat, um am Folgetag ohne derartige Umstände und ohne fremde Hilfe selbst die Hausärztin aufzusuchen. Ein Zustand, der einer Handlungsunfähigkeit gleichkommt, ist nach alledem nicht nachgewiesen.

Die Klägerin ist auch nicht aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als habe sie rechtzeitig, also am 26.10.2015, die AU ärztlich feststellen lassen, weil die Beklagte sie nicht ausdrücklich auf die Notwendigkeit der erneuten ärztlichen AU-Feststellung vor Ablauf des schon festgestellten AU-Zeitraums hingewiesen habe. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch greift nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Auf der Rechtsfolgenseite muss durch die Vornahme einer Amtshandlung des Trägers ein Zustand hergestellt werden können, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (stRspr; vgl BSG 06.11.2008, B 1 KR 8/08 R, juris; BSG 28.09.2010, B 1 KR 31/09 R, BSGE 106, 296 = SozR 4-2500 § 50 Nr 2). Hier fehlt es bereits an einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung. Krankenkassen sind nicht gehalten, Hinweise auf den gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf erneut erforderlichen AU-Feststellung in den Formularen zur Bescheinigung der AU vorzusehen (BSG 10.05.2012, B 1 KR 19/11 R, BSGE 111, 9 = SozR 4-2500 § 192 Nr 5). Die differenzierende gesetzliche Regelung der Krg-Ansprüche mag zwar eine Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten wünschenswert erscheinen lassen. Der Herstellungsanspruch greift aber nicht schon dann ein, wenn eine allgemeine Aufklärung nach § 13 SGB I unterblieben ist (stRspr, vgl zB BSGE 67, 90, 93 f = SozR 3-1200 § 13 Nr 1 S 4 f; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 15 S 50; BSGE 104, 108 = SozR 4-2600 § 93 Nr 13, RdNr 28 mwN). Eine Situation, bei der die Beklagte eine Pflicht zur Spontanberatung (vgl dazu BSG 28.09.2010, B 1 KR 31/09 R, BSGE 106, 296 = SozR 4-2500 § 50 Nr 2 RdNr 19 mwN) gehabt hätte, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Beklagte konnte schon nicht erkennen, dass die Klägerin bei fortdauernder AU den in einer AU-Bescheinigung festgestellten Zeitraum verstreichen lassen wird, bevor sie erneut einen Arzt zur Feststellung der AU aufsuchen wird.

Es besteht auch kein nachgehender Leistungsanspruch für die Dauer von einem Monat aus § 19 Abs 2 Satz 1 SGB V. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des SG Bezug genommen und die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zurückgewiesen (§ 153 Abs 2 SGG).

Abgesehen von der fehlenden durchgehenden Feststellung von AU scheidet der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Krg auch bereits deshalb aus, weil der Klägerin rückwirkend ab 01.10.2015 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuerkannt worden ist. Nach § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V endet ein Anspruch auf Krg für Versicherte, die Rente wegen voller Erwerbsminderung beziehen, vom Beginn dieser Leistungen an; nach Beginn dieser Leistungen entsteht ein neuer Krg-Anspruch nicht. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber eine grundsätzliche Systementscheidung zur Zuordnung der Lohnersatzleistungen getroffen. Sie bezweckt, die Eintrittspflicht der Systeme der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung in Bezug auf Entgeltersatzleistungen einschließlich ihrer Anrechnungsvorschriften durch den rechtstechnischen Zeitpunkt des Rentenbeginns voneinander abzugrenzen. Dieser Zeitpunkt ist leicht und verwaltungspraktikabel feststellbar, da der Beginn der Rente notwendiger Verfügungssatz eines Bescheides über die Gewährung von Rente ist (BSG 28.09.2010, B 1 KR 31/09 R, BSGE 106, 296 = SozR 4-2500 § 50 Nr 2). Das über den 01.10. hinaus bis 25.10.2015 gezahlte Krg, welches die Rente der Höhe nach übersteigt, darf die Beklagte von der Klägerin nach § 50 Abs 1 Satz 2 SGB V nicht zurückfordern. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Krg kommt jedoch angesichts der bezogenen Erwerbsminderungsrente nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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