L 11 KR 2076/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 2 KR 1174/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2076/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Ulm vom 08.05.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit Cannabisblüten.

Die 1933 geborene Antragstellerin beantragte, vertreten durch ihren Enkel, mit Schreiben vom 02.03.2017 zur Behandlung ihrer chronischen Schmerzen die Genehmigung einer Versorgung mit Medizinalhanf. Beigefügt war ein Schreiben der behandelnden Hausärztin vom 02.03.2017. Darin führte die Fachärztin für Allgemeinmedizin B.-S. aus, die Antragstellerin habe sie um die Verordnung von Bedrocan oder Bediol, zweier Cannabis Flor Präparate gebeten. Im Prinzip würden die besondere somatische oder psychische oder auch finanzielle Situation der Antragstellerin den Einsatz des Mittels rechtfertigen. "Einfach so" sei ihr die Verordnung aber nicht gestattet. Sie bitte um Bestätigung der Erlaubnis für den Einsatz des og Mittels außerhalb jeglicher Regressforderung, wenn die Verordnung nicht den üblichen Vorschriften entspreche. Unter dem 10.03.2017 füllte die Hausärztin den Arztfragebogen zu Cannabinoiden aus, ohne sich jedoch auf einen konkreten Wirkstoff, einen konkreten Handelsnamen, eine konkrete Darreichungsform oder eine konkrete Dosis festzulegen.

Die Antragsgegnerin holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein und teilte dies der Antragstellerin mit. Mit Gutachten vom 24.03.2017 führte Dr. B. vom MDK aus, zwar könnten Cannabisblüten im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung eingesetzt werden. Bei dem chronischen Schmerz der Antragstellerin dürfte es sich auch um eine schwerwiegende Erkrankung iSv § 31 Abs 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) handeln, eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestehe. Jedoch sei noch eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Therapiealternative gegeben. Aus den Verordnungsdaten gehe hervor, dass bislang keine trizyklischen Antidepressiva eingesetzt worden seien; zumindest seit 2014 sei die zusätzliche Gabe eines Opioids allenfalls sporadisch erfolgt.

Mit Bescheid vom 31.03.2017 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für die Versorgung mit dem Arzneimittel Cannabis Flos var. Bedrocan sowie Cannabis Flos var. Bediol unter Hinweis auf das Ergebnis der MDK-Begutachtung ab.

Die Antragstellerin, vertreten durch ihren Enkel, legte am 01.04.2017 Widerspruch ein, der mit Schreiben vom 19.04.2017 begründet wurde.

Am 19.04.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Ulm (SG) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten beantragt. Ihr sei aufgrund der vorliegenden Schmerzen ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens nicht zuzumuten. Sie habe keine finanziellen Mittel, die Cannabinoide auch nur übergangsweise selbst zu übernehmen.

Mit Beschluss vom 08.05.2017 hat das SG den Antrag gestützt auf § 86b Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelehnt. Ein Anspruch gemäß § 31 Abs 6 Satz 1 SGB V sei nach summarischer Prüfung nicht begründet. Es fehle schon an einer Arzneimittelverordnung. Nach § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V umfasse die vertragsärztliche Versorgung ua die Verordnung von Arzneimitteln. Die gesetzlichen Krankenkassen seien nur leistungspflichtig, wenn das fragliche Arzneimittel durch einen Vertragsarzt verordnet werde. Erst durch die Verordnung finde die Konkretisierung des Leistungsinhalts statt. Auf das Erfordernis einer Verordnung nehme auch § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V Bezug, wenn es dort heiße, dass die Antragsgegnerin eine erstmalige Verordnung zu genehmigen habe. Nachdem vorliegend weder das Arzneimittel selbst (bzw der Wirkstoff und Dosis), noch die Form der Darreichung (oral bzw per Inhalation) konkret durch die Hausärztin B.-S. umschrieben worden sei, handele es sich weder bei dem Schreiben vom 02.03.2017 noch bei den Angaben im Arztfragebogen vom 10.03.2017 um eine Verordnung in diesem Sinne. Auf die im Gutachten des MDK dargestellten materiellen Genehmigungshindernisse, wonach die nach den Leitlinien gebotenen Therapiealternativen noch nicht ausgeschöpft seien, komme es deshalb nicht mehr an.

Gegen den ihrem Bevollmächtigten am 09.05.2017 zugestellten Beschluss richtet sich die mit Schreiben vom 23.05.2017 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Eine Verordnung iSv § 31 Abs 6 SGB V liege vor, der Verordnungswillen der Vertragsärztin sei unstreitig.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten, die Antragstellerin hat keinen Anspruch hierauf (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG).

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag zu Recht abgelehnt. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten.

Nach § 86b Abs 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Vorliegend begehrt die Antragstellerin die Versorgung mit Cannabisblüten (für alle zur Verfügung stehenden Sorten, so die Klarstellung in der Widerspruchsbegründung, Blatt 94 Verwaltungsakte) als Arzneimittel. Damit richtet sich die Gewährung des einstweiligen Rechtsschutzes auf den Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG.

Dies verlangt grundsätzlich die Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 der Zivilprozessordnung). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, 1 BvR 569/05, Breith 2005, 803). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl BVerfG [Kammer], 29.07.2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; 22.11.2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S 1236 f). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl BVerfG [Kammer], 02.05.2005, aaO, mwN); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl BVerfG [Kammer], 22.11.2002, aaO, S 1237; 29.11.2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365).

Ein Anordnungsanspruch auf Versorgung mit Cannabisblüten nach § 31 Abs 6 SGB V besteht nicht, da es schon an einer entsprechenden vertragsärztlichen Verordnung fehlt. Der Senat schließt sich insoweit der zutreffenden Ansicht des SG an und weist die Beschwerde aus den überzeugenden Gründen des angefochtenen Beschlusses zurück (§ 142 Abs 2 Satz 3 SGG).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln zu seiner Realisierung der Konkretisierung im Einzelfall bedarf, die eine vertragsärztliche Verordnung gemäß § 73 Abs 2 Nr 7 SGB V auf dem entsprechenden Formblatt erfordert (BSG 16.12.1993, 4 RK 5/92, BSGE 73, 271 = SozR 3-2500 § 13 Nr 4). Nichts anderes gilt für die hier streitige Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten, die seit 10.03.2017 (§ 31 Abs 6 SGB V idF vom 06.03.2017, BGBl I 403) zum Leistungsgegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Dies wird auch durch das in § 31 Abs 6 Satz 2 SGB V geregelte Genehmigungserfordernis bei erstmaliger Verordnung bestätigt. Eine derartige konkrete Verordnung liegt hier unabhängig von der Frage der Form auch inhaltlich nicht vor, da die Hausärztin B.-S. sich schon nicht festgelegt hat hinsichtlich des Mittels, der Dosis oder der Darreichungsform. Wie ergänzend aus einer E-Mail vom 15.03.2017 der Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, tätig in der Hauptverwaltung der Antragsgegnerin, an eine Sachbearbeiterin zu ersehen ist, hatte diese mit der Hausärztin telefoniert, welche angegeben habe, sich selbst mit dem Thema Cannabis nicht beschäftigt zu haben. Die Recherche und Produktwahl habe sie dem Enkel der Antragstellerin überlassen. Es sei ihr auch nicht klar, wie das beantragte Produkt, Cannabisblüten, angewendet werden solle (Blatt 50 Verwaltungsakte). Auch dies bestätigt, dass eine konkrete Verordnung zumindest derzeit nicht vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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