Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 VG 2199/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4322/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. September 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) auf Grund einer – anerkannten – Schädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG).
Die Klägerin ist 1977 geboren. Sie stammt aus dem Beitrittsgebiet, wo auch noch ihre Mutter und ihre Schwester mit zwei Kindern leben, zu denen sie guten Kontakt pflegt. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel. In den 2000-er Jahre zog sie zusammen mit ihrem damaligen Partner nach B.W. um. Sie war dort anfangs als Filialleiterin in einem Lebensmittelmarkt erwerbstätig. Nach ihren späteren Angaben in diesem Verfahren gab sie diese Stelle im Jahre 2003 auf, weil sie sehr anstrengend gewesen sei. Sie übernahm dann – in Teilzeit – die stellvertretende Marktleitung. Danach, auch schon zur Zeit der hier angeschuldigten Tat, war sie als Kassiererin mit einem Umfang von 50 bis 75 % einer Vollzeitstelle tätig. Die Beziehung zu dem genannten Partner hatte die Klägerin nach vier Jahren beendet. Später lernte die Klägerin über gemeinsame Bekannte den hier angeschuldigten späteren Täter kennen. Zu ihm bestand über mehrere Jahre eine lose Beziehung, zwischen 2005 und 2009 waren die Klägerin und er fest zusammen. Nach den späteren Angaben der Klägerin gehörte der Mann der rechten Szene an und sammelte "Antiquitäten" aus dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem sich die Klägerin von ihm getrennt hatte, suchte er mehrfach ihre Nähe. Sie zog deshalb etwa im Jahre 2010 in das Gebiet des beklagten Freistaats Bayern um. Nachdem sie dort einen anderen Mann kennengelernt hatte, schickte ihr der frühere Partner auch SMS-Nachrichten, zum Teil mit drohendem Inhalt. Die Klägerin empfand diese Vorgänge als Stalking. Sie erstattete am 24. Mai 2011 Anzeige bei der Polizei. Bis zur hier angeschuldigten Tat waren von dort aus jedoch keine Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen worden.
In den frühen Morgenstunden des 5. Juni 2011 stand der spätere Täter vor der Haustür, als die Klägerin und eine Freundin nach Hause kamen. Es kam zu einem Gespräch. Der Täter teilte auch mit, sich das Leben nehmen zu wollen. Später kletterte er auf den Balkon der Wohnung. Die Klägerin und ihre Freundin zogen sich in die Küche zurück. Der Täter schob den Rollladen hoch und schoss einmal in die Wohnung, das Projektil schlug direkt in die Glasscheibe des Backofens ein. Die Klägerin rief mehrfach über den Notruf bei der Polizei an. Etwa drei bis fünf Minuten später hörte sie einen weiteren Schuss. Als später die Polizei eintraf, bemerkte die Klägerin, dass sie getroffen worden war und im Bereich der linken Hüfte blutete. Den Täter fanden die Beamten der Polizei tot auf dem Balkon. Nach ihren späteren Feststellungen hatte er sich selbst erschossen.
Die Klägerin wurde zunächst ins Krankenhaus L. und noch am selben Morgen, da eine intensivmedizinische Behandlung für notwendig erachtet wurde, im Krankenhaus F. behandelt. Dort wurde sie operiert. In dem Entlassungsbericht waren als Diagnosen eine – operierte – subkutane (unter der Haut verlaufende) Streifschussverletzung am Gesäß rechts, eine post-traumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine allergische Rhinopathie durch Pollen verzeichnet. Sonographie und Computertomogramm (CT) hätten keine intraabdominellen Verletzungen und keine im Schusskanal verbliebenen Fremdkörper erbracht. Hinsichtlich der körperlichen Verletzungen trat eine Wundheilungsstörung auf.
Am 20. Juni 2011 ging bei dem Beklagten eine von der Klägerin bei der Polizei unterschriebene - vom 9. Juni 2011 datierende - "Erklärung auf Leistungen" nach dem OEG ein. Der ausgefüllte Formantrag wurde am 22. Juni 2011 gestellt. Die Krankenkasse der Klägerin (KKH) teilte Anfang Juli mit, die Klägerin habe die Übernahme von Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung bei der Heilpraktikerin H., einer Fachtherapeutin für Psychotherapie (HPG), beantragt. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Schwaben, der Rentenversicherungsträger der Klägerin, machte Erstattungsansprüche für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme geltend, die sie ab dem 16. August 2011 bewilligte hatte.
Versorgungsärztin B. verwies darauf, dass nach dem chirurgischen Bericht nur eine oberflächliche Wunde am Gesäß rechts mit Schusskanal vorliege, keinesfalls aber Verletzungen von Bauch- oder Beckenorganen, so dass Therapiebedarf nur hinsichtlich der Symptomatik einer PTBS bestehe, die Kostenerstattung der Therapie solle vorläufig erfolgen.
Der Beklagte erließ daraufhin unter dem 26. August 2011 einen "Vorläufigen Bescheid". Darin stellte er fest, die Klägerin sei nach den bisherigen Ermittlungen am 5. Juni 2011 Opfer einer Gewalttat geworden. Vorläufig werde eine PTBS im Sinne der Entstehung als Schädigungsfolge anerkannt. Für diese Gesundheitsstörung habe die Klägerin vorläufig Anspruch auf Heilbehandlung sowie "bis auf Weiteres Anspruch auf eine Versorgungsrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30" in Höhe von EUR 123,00 monatlich ab dem 1. Juni 2011. Die Entscheidung ergehe unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung. Später wurde der Klägerin auch Versorgungskrankengeld unter Abzug des von der KKH erhaltenen Krankengeldes bzw. des von der DRV Schwaben während der Rehabilitation gewährten Übergangsgeldes gewährt.
Die Klägerin wurde am 6. September 2011 aus der von der DRV bewilligten Rehabilitationsmaßnahme in der Höhenklinik B. als arbeitsunfähig entlassen. Der Entlassungsbericht nannte als Diagnosen eine PTBS (F43.1 nach der ICD-10 GM), psychische und Verhaltensstörungen durch Tabakkonsum (F17.1), den Zustand nach der Schussverletzung (T14.1) und eine nicht näher bezeichnete Myalgie (F79.18). Als psychische Belastungsfaktoren wies der Bericht darauf hin, dass sich der Vater der Klägerin im Jahre 2000 wegen Depressionen selbst das Leben genommen hatte, dass die Klägerin 2006 eine Schwangerschaft abgebrochen hatte und dass sie 2007 bei einem Verkehrsunfall eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Bei der Aufnahme in die Klinik hatte die Klägerin über Alpträume, Ein- und Durchschlafstörungen, Anspannungsgefühlen mit Hitzewallungen, häufigem Weinen, leichterer Reizbarkeit und Heißhungerattacken berichtet. Konzentrations- oder sonstige mnestische Störungen bestanden nicht, sie fühle sich im täglichen Leben bei vielfältigen Interessen und Freundeskreis kaum eingeschränkt. Bei der Entlassung waren die Ängste reduziert worden, die Entspannungsfähigkeit hatte sich gesteigert, mit nur leichten Verbesserungen bestanden der unruhige Schlaf und die Schweißausbrüche, jedoch wurden die für die Klägerin im Vordergrund stehenden Ein- und Durchschlafstörungen auch nach medikamentöser Behandlung als verbessert, zuletzt auch ohne Morgenmüdigkeit, beschrieben. Die Klägerin wurde als noch arbeitsunfähig entlassen, aber die Klinik gab an, in Kürze sei mit vollschichtiger Arbeitsfähigkeit zu rechnen, es beständen lediglich noch Einschränkungen im Publikumsverkehr. Eine ambulante Traumatherapie sei (weiterhin) empfohlen.
Die behandelnde Psychologische Psychotherapeutin R.-T. teilte unter dem 14. November 2011 mit, die Klägerin leide nach wie vor unter massiven Alpträumen und könne nur mit Schlaftabletten einschlafen. Sie sei extrem geräuschempfindlich und habe immer wieder flash-backs (plötzliche Wiedererinnerungen) mit Schweißausbrüchen. Im Dunkeln bekomme sie massive Angstzustände. Aus sozialen Beziehungen habe sie sich vollständig zurückgezogen.
Im November 2011 zog die Klägerin wieder nach B.-W ...
Der Beklagte zog die Ermittlungsakte der Kriminalpolizei bei.
Der Beklagte ließ die Klägerin am 16. Juli 2012 versorgungsärztlich begutachten. In chirurgischer Hinsicht führte Dipl.-Med. L. aus, die Klägerin schildere noch Schmerzen und Brennen im Bereich der Narbe. Eine Schmerzmedikation finde nicht statt. Die Klägerin verfüge über zahlreiche großflächige Tätowierungen im Bereich des Nackens, der Arme und der Beine und trage ein Nabelpiercing. Die Beweglichkeit beider Hüftgelenke sei frei. Als Schädigungsfolge bestehe noch eine reizlos verheilte, berührungsempfindliche Narbe am rechten Beckenkamm und Gesäß nach Streifschussverletzung, der GdS dafür sei mit 10 angemessen. In psychiatrischer Hinsicht teilte Dr. M. mit, die Klägerin habe – zusammengefasst – über gebesserte psychische Gesundheitsstörungen geklagt, jedoch noch über zeitweise auftretende Alpträume, immer wieder auflebende Erinnerungen an die Tat, allgemein vermehrte Ängstlichkeit ohne Vermeidungsverhalten, mehr Vorsicht, vermehrte Gereiztheit und Empfindlichkeit. Sie habe die psychotherapeutische Behandlung bei Dipl.-Psych. R.-T. abgebrochen, da sie sich von dieser Behandlerin nicht verstanden gefühlt habe. Sie bemühe sich zurzeit um einen anderen Therapeuten. Sie arbeite nach wie vor zu 75 % als Kassiererin. Sie sei weiterhin sportlich und besuche ein Fitness-Studio. Dr. M. führte aus, nach der deutlichen Besserung der Symptome bestehe das Vollbild einer PTBS nicht mehr. Das Krankheitsbild sei innerhalb der sechs Monate nach der Tat zurückgegangen. Die jetzt noch bestehenden Teilsymptome einer PTBS bedingten einen GdS von 20. Unter Einschluss des GdS von 10 für die somatischen Schädigungsfolgen betrage der Gesamt-GdS 20.
Nach einer Anhörung der Klägerin erließ der Beklagte den hier angegriffenen Bescheid vom 26. Oktober 2012. Darin erkannte er als Folge der Schädigung ab dem 5. Juni 2011 "Teilsymptome einer PTBS" und "reizlos verheilte Narben rechter Beckenkamm und Gesäß" im Sinne der Entstehung an, stellte fest, dass der GdS bis zum 31. Juli 2012 bei 30 gelegen habe und seitdem 20 betrage, dass daher Anspruch auf Versorgungsrente nur bis zum 31. Juli 2012 bestanden habe, dass weiterhin Anspruch auf Heilbehandlung bestehe und dass die laufende Zahlung der Verletztenrente mit Ablauf des November 2012 eingestellt sowie auf die Rückforderung der Überzahlung verzichtet werde. Zur Begründung verwies der Beklagte im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen der beiden Behördengutachten. Eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor.
Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, ihr Leben habe sich in versorgungsrechtlich relevantem Umfang auch über Juli 2012 hinaus verändert. Auf mehrere Nachfragen des Beklagten nach dem Fortgang der psychotherapeutischen Behandlung reagierten weder die Klägerin noch ihr Verfahrensbevollmächtigter.
Daraufhin erließ der Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2013, der am 30. Juli 2013 formlos zur Post gegeben wurde.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. August 2013 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Sie hat ausführlich zur Vorgeschichte der Tat und zum Ablauf des Anschlags vorgetragen. Zu den Verletzungsfolgen hat sie dargelegt, sie habe eine PTBS erlitten, die zwischenzeitlich chro¬nifiziert sei. Ferner habe sie wegen der "noch liegenden Kugel in Höhe der Steißbeinspitze rechts" bzw. "genauer gesagt wegen 20 Geschosssplittern" weiterhin Hüftschmerzen, dies könne mit einem Streifschuss absolut nicht in Einklang gebracht werden. Die Klägerin hat gemeint, der Beklagte habe die Folgen des Anschlags bereits in dem ersten Bescheid verniedlicht. Es sei daher eine Neubeurteilung "von Anfang" an notwendig.
Das SG hat die Behandler der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Die Heilpraktikerin R. hat am 7. Januar 2014 ausgeführt, medizinische Befunde lägen ihr nicht vor und würden von ihr als Heilpraktikerin auch nicht erhoben. Für sie habe sich als Diagnose eine chronifizierte PTBS ergeben. Es sei eine Besserung im Vergleich zu Beginn der Therapie zu verzeichnen, jedoch müsse die Behandlung dringend weitergeführt werden. Die Klägerin habe nach der Tat unter Mobbing an ihrer Arbeitsstelle gelitten und sei nunmehr gekündigt worden. Frau R. hat gemeint, der GdS liege bei etwa 35 %. Der Allgemeinmediziner D. hat am 9. Januar 2014 mitgeteilt, er habe eindeutige Hinweise einer PTBS festgestellt. Insoweit habe sich eine leichte Verbesserung und Stabilisierung eingestellt. Es bestehe eine stark reduzierte Stressverarbeitungsfähigkeit bei eingeschränkten strukturellen Fähigkeiten und insgesamt wenig vorhandenen Ressourcen. Die Heilpraktikerin M. hat angegeben, die Behandlung habe gerade erst begonnen, sodass noch keine Angaben gemacht werden könnten.
Das SG hat die Klägerin von Amts wegen unfallchirurgisch und psychiatrisch begutachten lassen.
Prof. Dr. St., Direktor der Unfallchirurgischen Klinik an der Universität T., ist am 29. Juli 2014 zu dem Ergebnis gelangt, es handele sich um einen Zustand nach subkutanem Durchschuss. Der Schusskanal durch das Gesäß sei bei der Operation vollständig saniert worden, alle Metallsplitter und Textilfasern seien entfernt worden. Die Narben im rechten vorderen (6 cm) und hinteren (2 cm) Beckenkamm sowie im Bereich des Gesäßes (2 cm) seien frei verschieblich und frei von Entzündungszeichen. Bewegungseinschränkungen beständen nicht, das Gangbild sei flüssig und raumgreifend, die Gangproben möglich. Die Kraft der unteren Extremitäten sei seitengleich. Schmerzempfindungen seien nicht erklärlich. Als Schädigungsfolgen seien reizlos verheilte Narben im Beckenbereich verblieben, die keinen GdS bedingten.
Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N.-Sch. hat in ihrem Gutachten vom 29. Januar 2015 unter anderem ausgeführt, die Klägerin habe 2013 ihre Tätigkeit im Einzelhandel gekündigt, um sich weiterzuentwickeln. Sie habe sich dann zur Alltagsbegleiterin in der Altenpflege weiterbilden lassen. Zurzeit arbeite sie an zwei Tagen in der Woche jeweils neun Stunden in einer Tagespflegeeinrichtung für Senioren und betreue dort überwiegend Demenzkranke. Weiterhin sei sie an drei oder vier Tagen jeweils von 17.00 bis 22.00 Uhr als Kassiererin in einem Supermarkt tätig. Daneben arbeite sie 1,5 Stunden pro Woche ehrenamtlich für das R. K ... Sie fahre Fahrrad und Pkw. Eine Partnerschaft sei sie nicht wieder eingegangen. Sie gehe ins Fitness-Studio, wo sie ihre Bekannten träfe. Einmal pro Monat besuche sie ihre Familie in T., mit der sie auch den Sommerurlaub verbracht habe. Auf diagnostischer Ebene hat Dr. N.-Sch. bekundet, eine PTBS im Vollbild liege nicht vor. Die Kriterien B und C (Intrusion, Vermeidung) seien nicht vollständig erfüllt. Die Unterkriterien für das B-Kriterium seien nur selten gegeben, ein Wiederdurchleben des Ereignisses finde gar nicht statt. Hinsichtlich des C-Kriteriums habe die Klägerin ihre Freude an Aktivitäten nicht verloren, Gefühle des Alleinseins und der Fremdheit träten nicht auf. Es beständen keine Gefühlstaubheit und keine Hoffnungslosigkeit. Da einige andere Kriterien für eine PTBS, insbesondere die Kriterien A1 und A2 (geeignetes Trauma, Gefühl der Hilflosigkeit bei der Tat) und D (Hyperarousal) – dieses knapp – erfüllt seien, könne die Diagnose eines Zustands nach (Z.n.) PTBS (F43.1 ICD-10 GM – Z) und verbliebener Teilsymptome (F43.8 GM ICD-10 – G) gestellt werden. Eine depressive Erkrankung bestehe nicht, auch andere psychische Erkrankungen lägen nicht vor. Soweit die behandelnde Psychotherapeutin eine chronifizierte PTBS diagnostiziert habe, sei dem nicht zu folgen, sie habe bereits die Begriffe Intrusion und flash-back nicht korrekt verwendet. Dagegen sei dem Hausarzt zu folgen, der ebenfalls kein Vollbild einer PTBS habe feststellen können. Bei der Klägerin lägen weder eine Chronifizierung noch eine Persönlichkeitsveränderung (nach Extrembelastung, F62.0 ICD-10 GM) vor. Die Klägerin sei in den drei Funktionsbereichen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sein könnten, jeweils leicht beeinträchtigt: Auf psychisch-emotionaler Ebene lägen erhöhte Wachsamkeit, vermehrte Schreckhaftigkeit und aufdrängende Erinnerungen vor, in sozial-kommunikativer Hinsicht ein vermehrtes Misstrauen und vermehrte Gereiztheit und auf körperlich-funktioneller Ebene Schmerzen im Narbenbereich und Schlafstörungen ohne Tagesmüdigkeit. Die Klägerin habe ihr Leben nach der Tat wenig eingeschränkt. Dass sie nur einer Teilzeittätigkeit und Nebenjobs nachgehe, sei nicht der Tat geschuldet, vielmehr habe sie ihre Berufstätigkeit schon zuvor in dieser Weise eingeschränkt. Der GdS auf psychiatrischem Fachgebiet sei daher auf 20 zu schätzen.
Am 8. Mai 2015 hat die Klägerin beantragt, auf ihre Kosten ein Wahlgutachten bei Dr. D. einzuholen. Sie hat ausgeführt, bei Attentatsopfern setze sich das Trauma regelmäßig im Stammhirn fest, sodass eine PTBS entstehe. Das SG hat der Klägerin Frist zur Einzahlung des Kostenvorschusses und zur Übersendung einer Verpflichtungserklärung bis 1. Juli 2015 gesetzt. Am 22. Juli 2015 hat es mitgeteilt, dass kein Vorschuss und keine Erklärung eingegangen sei, der Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens verbraucht sei und dass durch Gerichtsbescheid entschieden werden solle. Der Kostenvorschuss ist am 24. Juli 2015 bei der Landesoberkasse eingegangen, hiervon ist das SG am 29. Juli 2015 unterrichtet worden. Eine Übernahmeerklärung ist nicht eingegangen.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. September 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe zulässigerweise beantragt, den Beklagten zur Feststellung eines GdS von mindestens 30 zu verurteilen. Diese Klage sei unbegründet. Auf unfallchirurgischem Gebiet beständen keine GdS-relevanten Funktionseinbußen mehr. Entgegen den Behauptungen der Klägerin seien keine Fremdkörper mehr eingelagert. Auf psychiatrischer Ebene sei der GdS, wie sich insbesondere aus dem Gutachten von Dr. N.-Sch. ergebe, nicht höher als 20 festzusetzen, dies habe der Beklagte getan. Zu dem Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens hat das SG ausgeführt, der Vorschuss sei schuldhaft verspätet eingezahlt worden und die Einholung des Gutachtens hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Oktober 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Sie hat erneut umfangreiche Ausführungen zur Vorgeschichte und zum Ablauf der Tat gemacht. Entgegen den Behauptungen des Beklagten habe sie keinen Streifschuss, sondern einen Durchschuss der rechten Flanke erlitten. Ferner hat die Klägerin an ihrer Behauptung festgehalten, in ihrem Körper seien eine Kugel bzw. noch 20 Geschosssplitter bzw. Glassplitter der durchschossenen Terrassentür verblieben, die nicht entfernt werden könnten und sich nach den Angaben ihrer Ärzte "auswachsen" sollten. Dabei bestehe die Gefahr, dass innere Organe verletzt werden könnten. Die Klägerin trägt vor, auf Grund der Schussverletzung leide sie an einer Lumboischialgie und einer Periarthritis der Hüfte rechts. Ohne weitere konkrete Angaben trägt die Klägerin ferner weiterhin vor, es bestehe eine PTBS.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. September 2015 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen der Folgen der Schädigung vom 5. Juni 2011 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von wenigstens 30 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Die Klägerin hat auf Nachfrage des Senats erneut beantragt, Dr. D. als Wahlgutachter zu hören. Dieser Arzt hat am 10. März 2016 mitgeteilt, er sei nur noch neurologisch tätig und könne das Gutachten daher nicht erstellen. Der Senat hat die Klägerin daher am 15. März 2016 aufgefordert, bis zum 11. April 2015 einen anderen Arzt zu benennen, nachdem es nicht sinnvoll erscheine, einen Wahlgutachter durch Zwangsmittel zur Erstellung des Gutachtens anzuhalten. Eine Reaktion ist weder vor noch nach Fristablauf erfolgt.
Der Berichterstatter des Senats hat die Klägerin persönlich angehört und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten – dem Beklagten in Untervollmacht – erörtert. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 1. August 2016 Bezug genommen. In dem Erörterungstermin haben sich auch beide Beteiligte mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Feststellungen und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Akte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einvernehmen mit beiden Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Eine Entscheidung über die Berufung ist zulässig. Der zwischenzeitlich gestellte Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens nach § 109 Abs. 1 SGG hat sich erledigt, nachdem sich auch die Klägerin vorbehaltlos mit einem Urteil des Senats – ohne mündliche Verhandlung – einverstanden erklärt hat (vgl. Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 – L 6 U 124/14 –, juris, Rz. 61). Es ist daher nicht zu entscheiden, ob der Antrag der Klägerin in der Berufungsinstanz erneut zurückzuweisen wäre, nachdem innerhalb gesetzter Frist kein zur Gutachtenerstellung bereiter Arzt benannt worden ist (vgl. dazu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 5b, 10a).
Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG), insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, denn die Klägerin begehrt in der Sache – zur Auslegung ihres Antrags sogleich – laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Allerdings hätte die Klage in erster Instanz schon als unzulässig abgewiesen werden können. Das SG ist davon ausgegangen, die Klägerin habe – neben der Abänderung der angegriffenen Bescheide nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG – lediglich die Verurteilung zur Feststellung eines bestimmten GdS beantragt. Eine solche Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 SGG) wäre unzulässig gewesen. Weder eine Klage auf gerichtliche Feststellung nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 SGG noch eine solche auf Verurteilung zu einer entsprechenden behördlichen Feststellung kann sich isoliert auf einen bestimmten GdS beziehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Juli 2016 – L 13 VG 10/14 –, juris Rz. 28). Insoweit läge eine Elementenfeststellung vor, die in den Ausnahmevorschriften des § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 SGG nicht vorgesehen und daher mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist (so auch Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 VG 4703/13 –, juris Rz. 20 zur Feststellung eines schädigenden Ereignisses). Der Senat legt das Begehren der Klägerin daher nach § 123 SGG sachgerecht dahin aus, dass die Verurteilung zur Gewährung einer Beschädigtenversorgung in Form einer Grundrente begehrt wird. So verstanden, ist die Klage als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig. Insbesondere hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid vom 26. Oktober 2012 auch über eine solche Rente entschieden, indem er ausgeführt hat, dass ein Anspruch auf Versorgungsrente nur bis zum 31. Juli 2012 bestanden hat. Entsprechend war der Rentenanspruch auch Gegenstand des nach § 78 Abs. 1 SGG notwendigen Vorverfahrens.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Die angegriffenen Bescheide sind zunächst nicht an § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu messen. Der Beklagte konnte der Klägerin ab dem 1. August 2012 einen Anspruch auf Rente versagen, ohne dass sich die Sach- und Rechtslage wesentlich verändert haben musste. Mit dem Bescheid vom 26. August 2011 hatte der Beklagte ausdrücklich nur eine "vorläufige" Regelung getroffen. In rechtlicher Hinsicht relevant war, dass der Beklagte seine damalige Entscheidung unter den ausdrücklichen "Vorbehalt" einer späteren endgültigen Entscheidung gestellt hat. Bei einem solchen Vorbehalt handelt es sich um eine Nebenbestimmung im Sinne von § 32 Abs. 2 Nr. 5 SGB X. Entsprechend § 32 Abs. 1 SGB X war eine solche Nebenbestimmung hier, auch wenn der Beklagte nur gebundene Entscheidungen treffen konnte, nach § 22 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zulässig: Der Beklagte konnte nach § 22 Abs. 4 Satz 4 KOVVfG eine endgültige Entscheidung erlassen, ohne an die Feststellungen des vorläufigen Bescheids gebunden zu sein. Das KOVVfG war hier nach seinem § 1 Satz 1 anwendbar, da der Beklagte über Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG entschied.
Auch hat der Beklagte als zuständiger Träger gehandelt, die Klägerin hat ihre Klage zutreffenderweise gegen ihn gerichtet. Die angeschuldigte Tat hat auf seinem Gebiet stattgefunden (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Auch in der Sache hat die Klage keinen Erfolg. Der geltend gemachte Anspruch auf eine Beschädigtenrente (Beschädigtengrundrente) über den 31. Juli 2012 hinaus besteht nicht.
Das Begehren der Klägerin richtet sich nach § 1 OEG in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 BVG. Hiernach erhält, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente ab einem Grad der Schädigung (GdS) von 30. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der Senat orientiert sich in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 VG 2141/13 –, juris, Rz. 48) bei der Prüfung des GdS an der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV). Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG), während das schädigende Ereignis, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a) im Vollbeweis gesichert werden müssen (vgl. auch Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 VG 4685/14 –, juris, Rz. 38 ff.).
Bei der Klägerin sind der Angriff vom 5. Juni 2011 als schädigendes Ereignis und daraus folgend als Gesundheitsschädigungen "Teilsymptome einer PTBS" und "reizlos verheilte Narben rechter Beckenkamm und Gesäß" im Sinne der Entstehung anerkannt. Diese Feststellung der konkreten Gesundheitsschädigungen ist bindend, nachdem die Klägerin den Bescheid vom 26. Oktober 2012 insoweit nicht angegriffen hat. Sie entspricht auch den rechtlichen Anforderungen, wonach sich eine festgestellte Gesundheitsschädigung im Rahmen der anerkannten medizinischen Diagnosesysteme (vor allem der ICD-10 GM) halten und unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden muss (vgl. Urteile des Senats vom 17. Dezember 2015 - L 6 VS 2234/15 -, juris, Rz. 33 m. w. N., und vom 12. Januar 2017 - L 6 VU 2746/15 -, zur Veröffentlichung - auch in juris - vorgesehen). Hinsichtlich der Narben ist dabei auf L90.5 ICD-10 GM zu verweisen. Auf psychiatrischem Gebiet ist die Feststellung des Beklagten nach Ansicht des Senats als "sonstige Reaktion auf schwere Belastung" nach F43.8 der ICD-10 GM zu verstehen, die auch als "subsyndromale PTBS" bekannt ist (vgl. zu dieser - gegenüber der PTBS eigenständigen - Erkrankung Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 80).
Aus diesen Schädigungsfolgen ergibt sich jedoch kein Anspruch auf Rente. Die Funktionseinbußen auf Grund der Schädigungen erreichen bei der Klägerin keinen GdS von 30 und auch nicht einen solchen von 25.
Die körperlichen Folgen des Attentats haben bei der Klägerin überhaupt keine dauerhaften Funktionseinbußen zurückgelassen. Ihre Behauptung, nach der Operation seien die Kugel bzw. Geschosssplitter bzw. Glassplitter im Körper zurückgeblieben und könnten nicht entfernt werden, ist durch den Operationsbericht, der lediglich einen subkutanem Defekt beschreibt, und durch die Feststellungen des in erster Instanz gehörten unfallchirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. St. widerlegt. Er hat die Klägerin untersucht und auch bildgebend festgestellt, dass die Ausführungen des Operationsberichts zutreffen, wonach alle Fremdkörper – es handelte sich um Geschosssplitter und Faserreste der durchschossenen Hose der Klägerin – entfernt worden sind. Verblieben sind – wie festgestellt – lediglich reizlose Narben. Diese bedingen keinen GdS. Narben an sich sind in den Regelbeispielen in den VG, Teil B Nr. 17, nicht mit einem GdS belegt. Sie können nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn sie – z.B. durch Ausdehnung, Beschaffenheit (z.B. Verhärtung, Verdünnung, Narbenzüge), Sitz oder Einwirkung auf die Umgebung zu Störungen führen. Bei Entstellungen z.B. ist zu berücksichtigen, ob sich Schwierigkeiten im Erwerbsleben, Unannehmlichkeiten im Verkehr mit fremden Menschen oder seelische Konflikte ergeben können (VG, Teil B, Vorspann bei Nr. 17). Solche Folgen ergeben sich bei der Klägerin nicht. Dies gilt vor allem für die Teilhabe am sozialen Leben, denn die Narben sind klein und befinden sich an Körperstellen, die üblicherweise, sogar während Freizeit und Sport, verborgen zu werden pflegen. Sie sind frei beweglich und nicht schmerzhaft, wie Prof. Dr. St. auch für den Senat überzeugend dargestellt hat.
Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt der GdS der Klägerin nicht höher als 20.
Nach Nr. 3.7 VG ist für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen der GdS 0 bis 20. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100 (vgl. Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 VG 2141/13 –, juris, Rz. 49).
Der Senat legt weiterhin allein diese Regelungen aus den VG, die Rechtsnormqualität haben, zu Grunde. Er geht nicht davon aus, dass eine bestimmte medizinische Diagnose - hier etwa die einer PTBS - unter Abweichung von den VG einen bestimmten GdS bedingt. Ein solcher Zusammenhang folgt insbesondere nicht aus dem Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 6./7. November 2008 (vgl. dazu im Einzelnen Urteil des Senats vom 12. Januar 2016 - L 6 VU 2746/15 -, zur Veröffentlichung - auch in juris - vorgesehen). Insofern ist auch aus dem Gesichtspunkt der GdS-Bewertung nicht zu klären, welche psychische Erkrankung bei der Klägerin vorliegt.
Der genannte Sachverständigenbeirat beim BMAS hat in seinem Beschluss vom 18./19. März 1998 Abgrenzungskriterien für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten definiert. Dieser Beschluss betraf zwar noch die AHP, die aber insoweit mit den jetzt geltenden VG gleichlautend waren. Hiernach liegen leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließt. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Erforderlich ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis (vgl. im Einzelnen auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. April 2015 – L 7 VE 5/11 –, juris Rz. 49). Diese Anforderungen legt auch der Senat zu Grunde.
Hiernach ist bei der Klägerin von leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen auszugehen, die gegebenenfalls im oberen Bereich der dafür vorgesehenen Spanne eines GdS von 0 bis 20 angesiedelt werden können. Es liegen jedoch noch keine wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. Diese Einschätzung stützt der Senat im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen Dr. N.-Sch. in ihrem Gutachten vom 29. Januar 2015. Die Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass die Funktionseinbußen der Klägerin in den drei relevanten Leidensdimensionen – psychisch, physisch und vor allem sozial – als leicht einzustufen sind. Auf körperlicher Ebene liegen die von der Klägerin vorgetragenen Schmerzen im Narbenbereich vor, die allerdings nicht behandelt werden. Die ebenfalls angegebenen Ein- und Durchschlafstörungen führen nicht zu Tagesmüdigkeit, beeinträchtigen das Leben der Klägerin daher ebenfalls nur wenig. Als psychische Beeinträchtigungen gibt die Klägerin – auch bei der Anamnese durch Dr. N.-Sch. – im Wesentlichen erhöhte Wachsamkeit, vermehrte Schreckhaftigkeit und aufdrängende Erinnerungen an. Dies sind nur geringfügige Belastungen. Vor allem aber ist die sozial-kommunikative Ebene der Klägerin kaum beeinträchtigt. Sie ist weiterhin berufstätig, und zwar im selben zeitlichen Umfang wie vor der Tat. Sie hat sich sogar nach der Tat weitergebildet und arbeitet nunmehr in mehreren, höchst unterschiedlichen Teilzeitjobs, nämlich in der Altenpflege und als Kassiererin im Supermarkt. Hinzu kommt die ehrenamtliche Arbeit beim R. K ... Diese beruflichen Tätigkeiten stellen sogar erhöhte Anforderungen an den Kontakt mit anderen Menschen. Dies gilt insbesondere für ihre Arbeit mit demenzkranken Senioren. Dass die Klägerin diesen Arbeiten nicht gewachsen sei, hat sie nicht vorgetragen. Die Klägerin ist weiterhin sportlich und besucht ein Fitness-Studio. Sie hat von fortbestehenden sozialen Kontakten zur Familie in den neuen Ländern und zu Freunden bzw. Bekannten berichtet. Diese von der Sachverständigen erhobenen Befunde begründen auch nach der Auffassung des Senats noch keine "wesentlichen" Einbußen in der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, wie sie die VG für einen GdS von 30 oder mehr verlangen. Diese Einschätzung wird auch dadurch gestützt, dass die Klägerin während des gesamten Verfahrens nahezu ausschließlich zum Ablauf der Tat selbst und zu den körperlichen Folgen vorgetragen hat, wobei nicht nachvollziehbar erscheint, wie vehement sie an den Behauptungen zu den im Körper verbliebenen Fremdkörpern festhält. Ausführungen zu der verbliebenen psychischen Belastung hat sie erst auf Nachfragen in dem Erörterungstermin gemacht. Daraus kann im Rahmen eines zusätzlichen Indizes geschlossen werden, dass auch für sie selbst nicht die psychischen Beeinträchtigungen im Vordergrund stehen.
Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung, nach der allein ein GdS von bis zu 20 auf psychiatrischem Gebiet vorliegt, ist die Klägerin nicht durch die Entscheidung des Beklagten, der insoweit einen GdS von 20 und außerdem einen GdS von 10 für körperliche Folgen der Tat angenommen hat, beschwert.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Beschädigtenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) auf Grund einer – anerkannten – Schädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz – OEG).
Die Klägerin ist 1977 geboren. Sie stammt aus dem Beitrittsgebiet, wo auch noch ihre Mutter und ihre Schwester mit zwei Kindern leben, zu denen sie guten Kontakt pflegt. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel. In den 2000-er Jahre zog sie zusammen mit ihrem damaligen Partner nach B.W. um. Sie war dort anfangs als Filialleiterin in einem Lebensmittelmarkt erwerbstätig. Nach ihren späteren Angaben in diesem Verfahren gab sie diese Stelle im Jahre 2003 auf, weil sie sehr anstrengend gewesen sei. Sie übernahm dann – in Teilzeit – die stellvertretende Marktleitung. Danach, auch schon zur Zeit der hier angeschuldigten Tat, war sie als Kassiererin mit einem Umfang von 50 bis 75 % einer Vollzeitstelle tätig. Die Beziehung zu dem genannten Partner hatte die Klägerin nach vier Jahren beendet. Später lernte die Klägerin über gemeinsame Bekannte den hier angeschuldigten späteren Täter kennen. Zu ihm bestand über mehrere Jahre eine lose Beziehung, zwischen 2005 und 2009 waren die Klägerin und er fest zusammen. Nach den späteren Angaben der Klägerin gehörte der Mann der rechten Szene an und sammelte "Antiquitäten" aus dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem sich die Klägerin von ihm getrennt hatte, suchte er mehrfach ihre Nähe. Sie zog deshalb etwa im Jahre 2010 in das Gebiet des beklagten Freistaats Bayern um. Nachdem sie dort einen anderen Mann kennengelernt hatte, schickte ihr der frühere Partner auch SMS-Nachrichten, zum Teil mit drohendem Inhalt. Die Klägerin empfand diese Vorgänge als Stalking. Sie erstattete am 24. Mai 2011 Anzeige bei der Polizei. Bis zur hier angeschuldigten Tat waren von dort aus jedoch keine Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen worden.
In den frühen Morgenstunden des 5. Juni 2011 stand der spätere Täter vor der Haustür, als die Klägerin und eine Freundin nach Hause kamen. Es kam zu einem Gespräch. Der Täter teilte auch mit, sich das Leben nehmen zu wollen. Später kletterte er auf den Balkon der Wohnung. Die Klägerin und ihre Freundin zogen sich in die Küche zurück. Der Täter schob den Rollladen hoch und schoss einmal in die Wohnung, das Projektil schlug direkt in die Glasscheibe des Backofens ein. Die Klägerin rief mehrfach über den Notruf bei der Polizei an. Etwa drei bis fünf Minuten später hörte sie einen weiteren Schuss. Als später die Polizei eintraf, bemerkte die Klägerin, dass sie getroffen worden war und im Bereich der linken Hüfte blutete. Den Täter fanden die Beamten der Polizei tot auf dem Balkon. Nach ihren späteren Feststellungen hatte er sich selbst erschossen.
Die Klägerin wurde zunächst ins Krankenhaus L. und noch am selben Morgen, da eine intensivmedizinische Behandlung für notwendig erachtet wurde, im Krankenhaus F. behandelt. Dort wurde sie operiert. In dem Entlassungsbericht waren als Diagnosen eine – operierte – subkutane (unter der Haut verlaufende) Streifschussverletzung am Gesäß rechts, eine post-traumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine allergische Rhinopathie durch Pollen verzeichnet. Sonographie und Computertomogramm (CT) hätten keine intraabdominellen Verletzungen und keine im Schusskanal verbliebenen Fremdkörper erbracht. Hinsichtlich der körperlichen Verletzungen trat eine Wundheilungsstörung auf.
Am 20. Juni 2011 ging bei dem Beklagten eine von der Klägerin bei der Polizei unterschriebene - vom 9. Juni 2011 datierende - "Erklärung auf Leistungen" nach dem OEG ein. Der ausgefüllte Formantrag wurde am 22. Juni 2011 gestellt. Die Krankenkasse der Klägerin (KKH) teilte Anfang Juli mit, die Klägerin habe die Übernahme von Kosten für eine psychotherapeutische Behandlung bei der Heilpraktikerin H., einer Fachtherapeutin für Psychotherapie (HPG), beantragt. Die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Schwaben, der Rentenversicherungsträger der Klägerin, machte Erstattungsansprüche für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme geltend, die sie ab dem 16. August 2011 bewilligte hatte.
Versorgungsärztin B. verwies darauf, dass nach dem chirurgischen Bericht nur eine oberflächliche Wunde am Gesäß rechts mit Schusskanal vorliege, keinesfalls aber Verletzungen von Bauch- oder Beckenorganen, so dass Therapiebedarf nur hinsichtlich der Symptomatik einer PTBS bestehe, die Kostenerstattung der Therapie solle vorläufig erfolgen.
Der Beklagte erließ daraufhin unter dem 26. August 2011 einen "Vorläufigen Bescheid". Darin stellte er fest, die Klägerin sei nach den bisherigen Ermittlungen am 5. Juni 2011 Opfer einer Gewalttat geworden. Vorläufig werde eine PTBS im Sinne der Entstehung als Schädigungsfolge anerkannt. Für diese Gesundheitsstörung habe die Klägerin vorläufig Anspruch auf Heilbehandlung sowie "bis auf Weiteres Anspruch auf eine Versorgungsrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30" in Höhe von EUR 123,00 monatlich ab dem 1. Juni 2011. Die Entscheidung ergehe unter dem ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung. Später wurde der Klägerin auch Versorgungskrankengeld unter Abzug des von der KKH erhaltenen Krankengeldes bzw. des von der DRV Schwaben während der Rehabilitation gewährten Übergangsgeldes gewährt.
Die Klägerin wurde am 6. September 2011 aus der von der DRV bewilligten Rehabilitationsmaßnahme in der Höhenklinik B. als arbeitsunfähig entlassen. Der Entlassungsbericht nannte als Diagnosen eine PTBS (F43.1 nach der ICD-10 GM), psychische und Verhaltensstörungen durch Tabakkonsum (F17.1), den Zustand nach der Schussverletzung (T14.1) und eine nicht näher bezeichnete Myalgie (F79.18). Als psychische Belastungsfaktoren wies der Bericht darauf hin, dass sich der Vater der Klägerin im Jahre 2000 wegen Depressionen selbst das Leben genommen hatte, dass die Klägerin 2006 eine Schwangerschaft abgebrochen hatte und dass sie 2007 bei einem Verkehrsunfall eine Gehirnerschütterung erlitten hatte. Bei der Aufnahme in die Klinik hatte die Klägerin über Alpträume, Ein- und Durchschlafstörungen, Anspannungsgefühlen mit Hitzewallungen, häufigem Weinen, leichterer Reizbarkeit und Heißhungerattacken berichtet. Konzentrations- oder sonstige mnestische Störungen bestanden nicht, sie fühle sich im täglichen Leben bei vielfältigen Interessen und Freundeskreis kaum eingeschränkt. Bei der Entlassung waren die Ängste reduziert worden, die Entspannungsfähigkeit hatte sich gesteigert, mit nur leichten Verbesserungen bestanden der unruhige Schlaf und die Schweißausbrüche, jedoch wurden die für die Klägerin im Vordergrund stehenden Ein- und Durchschlafstörungen auch nach medikamentöser Behandlung als verbessert, zuletzt auch ohne Morgenmüdigkeit, beschrieben. Die Klägerin wurde als noch arbeitsunfähig entlassen, aber die Klinik gab an, in Kürze sei mit vollschichtiger Arbeitsfähigkeit zu rechnen, es beständen lediglich noch Einschränkungen im Publikumsverkehr. Eine ambulante Traumatherapie sei (weiterhin) empfohlen.
Die behandelnde Psychologische Psychotherapeutin R.-T. teilte unter dem 14. November 2011 mit, die Klägerin leide nach wie vor unter massiven Alpträumen und könne nur mit Schlaftabletten einschlafen. Sie sei extrem geräuschempfindlich und habe immer wieder flash-backs (plötzliche Wiedererinnerungen) mit Schweißausbrüchen. Im Dunkeln bekomme sie massive Angstzustände. Aus sozialen Beziehungen habe sie sich vollständig zurückgezogen.
Im November 2011 zog die Klägerin wieder nach B.-W ...
Der Beklagte zog die Ermittlungsakte der Kriminalpolizei bei.
Der Beklagte ließ die Klägerin am 16. Juli 2012 versorgungsärztlich begutachten. In chirurgischer Hinsicht führte Dipl.-Med. L. aus, die Klägerin schildere noch Schmerzen und Brennen im Bereich der Narbe. Eine Schmerzmedikation finde nicht statt. Die Klägerin verfüge über zahlreiche großflächige Tätowierungen im Bereich des Nackens, der Arme und der Beine und trage ein Nabelpiercing. Die Beweglichkeit beider Hüftgelenke sei frei. Als Schädigungsfolge bestehe noch eine reizlos verheilte, berührungsempfindliche Narbe am rechten Beckenkamm und Gesäß nach Streifschussverletzung, der GdS dafür sei mit 10 angemessen. In psychiatrischer Hinsicht teilte Dr. M. mit, die Klägerin habe – zusammengefasst – über gebesserte psychische Gesundheitsstörungen geklagt, jedoch noch über zeitweise auftretende Alpträume, immer wieder auflebende Erinnerungen an die Tat, allgemein vermehrte Ängstlichkeit ohne Vermeidungsverhalten, mehr Vorsicht, vermehrte Gereiztheit und Empfindlichkeit. Sie habe die psychotherapeutische Behandlung bei Dipl.-Psych. R.-T. abgebrochen, da sie sich von dieser Behandlerin nicht verstanden gefühlt habe. Sie bemühe sich zurzeit um einen anderen Therapeuten. Sie arbeite nach wie vor zu 75 % als Kassiererin. Sie sei weiterhin sportlich und besuche ein Fitness-Studio. Dr. M. führte aus, nach der deutlichen Besserung der Symptome bestehe das Vollbild einer PTBS nicht mehr. Das Krankheitsbild sei innerhalb der sechs Monate nach der Tat zurückgegangen. Die jetzt noch bestehenden Teilsymptome einer PTBS bedingten einen GdS von 20. Unter Einschluss des GdS von 10 für die somatischen Schädigungsfolgen betrage der Gesamt-GdS 20.
Nach einer Anhörung der Klägerin erließ der Beklagte den hier angegriffenen Bescheid vom 26. Oktober 2012. Darin erkannte er als Folge der Schädigung ab dem 5. Juni 2011 "Teilsymptome einer PTBS" und "reizlos verheilte Narben rechter Beckenkamm und Gesäß" im Sinne der Entstehung an, stellte fest, dass der GdS bis zum 31. Juli 2012 bei 30 gelegen habe und seitdem 20 betrage, dass daher Anspruch auf Versorgungsrente nur bis zum 31. Juli 2012 bestanden habe, dass weiterhin Anspruch auf Heilbehandlung bestehe und dass die laufende Zahlung der Verletztenrente mit Ablauf des November 2012 eingestellt sowie auf die Rückforderung der Überzahlung verzichtet werde. Zur Begründung verwies der Beklagte im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen der beiden Behördengutachten. Eine besondere berufliche Betroffenheit liege nicht vor.
Die Klägerin erhob Widerspruch und trug vor, ihr Leben habe sich in versorgungsrechtlich relevantem Umfang auch über Juli 2012 hinaus verändert. Auf mehrere Nachfragen des Beklagten nach dem Fortgang der psychotherapeutischen Behandlung reagierten weder die Klägerin noch ihr Verfahrensbevollmächtigter.
Daraufhin erließ der Beklagte den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2013, der am 30. Juli 2013 formlos zur Post gegeben wurde.
Hiergegen hat die Klägerin am 29. August 2013 Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. Sie hat ausführlich zur Vorgeschichte der Tat und zum Ablauf des Anschlags vorgetragen. Zu den Verletzungsfolgen hat sie dargelegt, sie habe eine PTBS erlitten, die zwischenzeitlich chro¬nifiziert sei. Ferner habe sie wegen der "noch liegenden Kugel in Höhe der Steißbeinspitze rechts" bzw. "genauer gesagt wegen 20 Geschosssplittern" weiterhin Hüftschmerzen, dies könne mit einem Streifschuss absolut nicht in Einklang gebracht werden. Die Klägerin hat gemeint, der Beklagte habe die Folgen des Anschlags bereits in dem ersten Bescheid verniedlicht. Es sei daher eine Neubeurteilung "von Anfang" an notwendig.
Das SG hat die Behandler der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Die Heilpraktikerin R. hat am 7. Januar 2014 ausgeführt, medizinische Befunde lägen ihr nicht vor und würden von ihr als Heilpraktikerin auch nicht erhoben. Für sie habe sich als Diagnose eine chronifizierte PTBS ergeben. Es sei eine Besserung im Vergleich zu Beginn der Therapie zu verzeichnen, jedoch müsse die Behandlung dringend weitergeführt werden. Die Klägerin habe nach der Tat unter Mobbing an ihrer Arbeitsstelle gelitten und sei nunmehr gekündigt worden. Frau R. hat gemeint, der GdS liege bei etwa 35 %. Der Allgemeinmediziner D. hat am 9. Januar 2014 mitgeteilt, er habe eindeutige Hinweise einer PTBS festgestellt. Insoweit habe sich eine leichte Verbesserung und Stabilisierung eingestellt. Es bestehe eine stark reduzierte Stressverarbeitungsfähigkeit bei eingeschränkten strukturellen Fähigkeiten und insgesamt wenig vorhandenen Ressourcen. Die Heilpraktikerin M. hat angegeben, die Behandlung habe gerade erst begonnen, sodass noch keine Angaben gemacht werden könnten.
Das SG hat die Klägerin von Amts wegen unfallchirurgisch und psychiatrisch begutachten lassen.
Prof. Dr. St., Direktor der Unfallchirurgischen Klinik an der Universität T., ist am 29. Juli 2014 zu dem Ergebnis gelangt, es handele sich um einen Zustand nach subkutanem Durchschuss. Der Schusskanal durch das Gesäß sei bei der Operation vollständig saniert worden, alle Metallsplitter und Textilfasern seien entfernt worden. Die Narben im rechten vorderen (6 cm) und hinteren (2 cm) Beckenkamm sowie im Bereich des Gesäßes (2 cm) seien frei verschieblich und frei von Entzündungszeichen. Bewegungseinschränkungen beständen nicht, das Gangbild sei flüssig und raumgreifend, die Gangproben möglich. Die Kraft der unteren Extremitäten sei seitengleich. Schmerzempfindungen seien nicht erklärlich. Als Schädigungsfolgen seien reizlos verheilte Narben im Beckenbereich verblieben, die keinen GdS bedingten.
Die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. N.-Sch. hat in ihrem Gutachten vom 29. Januar 2015 unter anderem ausgeführt, die Klägerin habe 2013 ihre Tätigkeit im Einzelhandel gekündigt, um sich weiterzuentwickeln. Sie habe sich dann zur Alltagsbegleiterin in der Altenpflege weiterbilden lassen. Zurzeit arbeite sie an zwei Tagen in der Woche jeweils neun Stunden in einer Tagespflegeeinrichtung für Senioren und betreue dort überwiegend Demenzkranke. Weiterhin sei sie an drei oder vier Tagen jeweils von 17.00 bis 22.00 Uhr als Kassiererin in einem Supermarkt tätig. Daneben arbeite sie 1,5 Stunden pro Woche ehrenamtlich für das R. K ... Sie fahre Fahrrad und Pkw. Eine Partnerschaft sei sie nicht wieder eingegangen. Sie gehe ins Fitness-Studio, wo sie ihre Bekannten träfe. Einmal pro Monat besuche sie ihre Familie in T., mit der sie auch den Sommerurlaub verbracht habe. Auf diagnostischer Ebene hat Dr. N.-Sch. bekundet, eine PTBS im Vollbild liege nicht vor. Die Kriterien B und C (Intrusion, Vermeidung) seien nicht vollständig erfüllt. Die Unterkriterien für das B-Kriterium seien nur selten gegeben, ein Wiederdurchleben des Ereignisses finde gar nicht statt. Hinsichtlich des C-Kriteriums habe die Klägerin ihre Freude an Aktivitäten nicht verloren, Gefühle des Alleinseins und der Fremdheit träten nicht auf. Es beständen keine Gefühlstaubheit und keine Hoffnungslosigkeit. Da einige andere Kriterien für eine PTBS, insbesondere die Kriterien A1 und A2 (geeignetes Trauma, Gefühl der Hilflosigkeit bei der Tat) und D (Hyperarousal) – dieses knapp – erfüllt seien, könne die Diagnose eines Zustands nach (Z.n.) PTBS (F43.1 ICD-10 GM – Z) und verbliebener Teilsymptome (F43.8 GM ICD-10 – G) gestellt werden. Eine depressive Erkrankung bestehe nicht, auch andere psychische Erkrankungen lägen nicht vor. Soweit die behandelnde Psychotherapeutin eine chronifizierte PTBS diagnostiziert habe, sei dem nicht zu folgen, sie habe bereits die Begriffe Intrusion und flash-back nicht korrekt verwendet. Dagegen sei dem Hausarzt zu folgen, der ebenfalls kein Vollbild einer PTBS habe feststellen können. Bei der Klägerin lägen weder eine Chronifizierung noch eine Persönlichkeitsveränderung (nach Extrembelastung, F62.0 ICD-10 GM) vor. Die Klägerin sei in den drei Funktionsbereichen, die von psychischen Erkrankungen betroffen sein könnten, jeweils leicht beeinträchtigt: Auf psychisch-emotionaler Ebene lägen erhöhte Wachsamkeit, vermehrte Schreckhaftigkeit und aufdrängende Erinnerungen vor, in sozial-kommunikativer Hinsicht ein vermehrtes Misstrauen und vermehrte Gereiztheit und auf körperlich-funktioneller Ebene Schmerzen im Narbenbereich und Schlafstörungen ohne Tagesmüdigkeit. Die Klägerin habe ihr Leben nach der Tat wenig eingeschränkt. Dass sie nur einer Teilzeittätigkeit und Nebenjobs nachgehe, sei nicht der Tat geschuldet, vielmehr habe sie ihre Berufstätigkeit schon zuvor in dieser Weise eingeschränkt. Der GdS auf psychiatrischem Fachgebiet sei daher auf 20 zu schätzen.
Am 8. Mai 2015 hat die Klägerin beantragt, auf ihre Kosten ein Wahlgutachten bei Dr. D. einzuholen. Sie hat ausgeführt, bei Attentatsopfern setze sich das Trauma regelmäßig im Stammhirn fest, sodass eine PTBS entstehe. Das SG hat der Klägerin Frist zur Einzahlung des Kostenvorschusses und zur Übersendung einer Verpflichtungserklärung bis 1. Juli 2015 gesetzt. Am 22. Juli 2015 hat es mitgeteilt, dass kein Vorschuss und keine Erklärung eingegangen sei, der Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens verbraucht sei und dass durch Gerichtsbescheid entschieden werden solle. Der Kostenvorschuss ist am 24. Juli 2015 bei der Landesoberkasse eingegangen, hiervon ist das SG am 29. Juli 2015 unterrichtet worden. Eine Übernahmeerklärung ist nicht eingegangen.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. September 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe zulässigerweise beantragt, den Beklagten zur Feststellung eines GdS von mindestens 30 zu verurteilen. Diese Klage sei unbegründet. Auf unfallchirurgischem Gebiet beständen keine GdS-relevanten Funktionseinbußen mehr. Entgegen den Behauptungen der Klägerin seien keine Fremdkörper mehr eingelagert. Auf psychiatrischer Ebene sei der GdS, wie sich insbesondere aus dem Gutachten von Dr. N.-Sch. ergebe, nicht höher als 20 festzusetzen, dies habe der Beklagte getan. Zu dem Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens hat das SG ausgeführt, der Vorschuss sei schuldhaft verspätet eingezahlt worden und die Einholung des Gutachtens hätte die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.
Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14. Oktober 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Sie hat erneut umfangreiche Ausführungen zur Vorgeschichte und zum Ablauf der Tat gemacht. Entgegen den Behauptungen des Beklagten habe sie keinen Streifschuss, sondern einen Durchschuss der rechten Flanke erlitten. Ferner hat die Klägerin an ihrer Behauptung festgehalten, in ihrem Körper seien eine Kugel bzw. noch 20 Geschosssplitter bzw. Glassplitter der durchschossenen Terrassentür verblieben, die nicht entfernt werden könnten und sich nach den Angaben ihrer Ärzte "auswachsen" sollten. Dabei bestehe die Gefahr, dass innere Organe verletzt werden könnten. Die Klägerin trägt vor, auf Grund der Schussverletzung leide sie an einer Lumboischialgie und einer Periarthritis der Hüfte rechts. Ohne weitere konkrete Angaben trägt die Klägerin ferner weiterhin vor, es bestehe eine PTBS.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. September 2015 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 26. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. Juli 2013 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen der Folgen der Schädigung vom 5. Juni 2011 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von wenigstens 30 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Gerichtsbescheid und seine Entscheidungen.
Die Klägerin hat auf Nachfrage des Senats erneut beantragt, Dr. D. als Wahlgutachter zu hören. Dieser Arzt hat am 10. März 2016 mitgeteilt, er sei nur noch neurologisch tätig und könne das Gutachten daher nicht erstellen. Der Senat hat die Klägerin daher am 15. März 2016 aufgefordert, bis zum 11. April 2015 einen anderen Arzt zu benennen, nachdem es nicht sinnvoll erscheine, einen Wahlgutachter durch Zwangsmittel zur Erstellung des Gutachtens anzuhalten. Eine Reaktion ist weder vor noch nach Fristablauf erfolgt.
Der Berichterstatter des Senats hat die Klägerin persönlich angehört und die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten – dem Beklagten in Untervollmacht – erörtert. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung am 1. August 2016 Bezug genommen. In dem Erörterungstermin haben sich auch beide Beteiligte mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Feststellungen und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Akte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einvernehmen mit beiden Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Eine Entscheidung über die Berufung ist zulässig. Der zwischenzeitlich gestellte Antrag auf Erhebung eines Wahlgutachtens nach § 109 Abs. 1 SGG hat sich erledigt, nachdem sich auch die Klägerin vorbehaltlos mit einem Urteil des Senats – ohne mündliche Verhandlung – einverstanden erklärt hat (vgl. Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 – L 6 U 124/14 –, juris, Rz. 61). Es ist daher nicht zu entscheiden, ob der Antrag der Klägerin in der Berufungsinstanz erneut zurückzuweisen wäre, nachdem innerhalb gesetzter Frist kein zur Gutachtenerstellung bereiter Arzt benannt worden ist (vgl. dazu Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 5b, 10a).
Die Berufung ist statthaft (§ 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 SGG), insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, denn die Klägerin begehrt in der Sache – zur Auslegung ihres Antrags sogleich – laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen.
Allerdings hätte die Klage in erster Instanz schon als unzulässig abgewiesen werden können. Das SG ist davon ausgegangen, die Klägerin habe – neben der Abänderung der angegriffenen Bescheide nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 SGG – lediglich die Verurteilung zur Feststellung eines bestimmten GdS beantragt. Eine solche Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 SGG) wäre unzulässig gewesen. Weder eine Klage auf gerichtliche Feststellung nach § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 SGG noch eine solche auf Verurteilung zu einer entsprechenden behördlichen Feststellung kann sich isoliert auf einen bestimmten GdS beziehen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13. Juli 2016 – L 13 VG 10/14 –, juris Rz. 28). Insoweit läge eine Elementenfeststellung vor, die in den Ausnahmevorschriften des § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 SGG nicht vorgesehen und daher mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist (so auch Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 VG 4703/13 –, juris Rz. 20 zur Feststellung eines schädigenden Ereignisses). Der Senat legt das Begehren der Klägerin daher nach § 123 SGG sachgerecht dahin aus, dass die Verurteilung zur Gewährung einer Beschädigtenversorgung in Form einer Grundrente begehrt wird. So verstanden, ist die Klage als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig. Insbesondere hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid vom 26. Oktober 2012 auch über eine solche Rente entschieden, indem er ausgeführt hat, dass ein Anspruch auf Versorgungsrente nur bis zum 31. Juli 2012 bestanden hat. Entsprechend war der Rentenanspruch auch Gegenstand des nach § 78 Abs. 1 SGG notwendigen Vorverfahrens.
Die Klage ist aber nicht begründet.
Die angegriffenen Bescheide sind zunächst nicht an § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu messen. Der Beklagte konnte der Klägerin ab dem 1. August 2012 einen Anspruch auf Rente versagen, ohne dass sich die Sach- und Rechtslage wesentlich verändert haben musste. Mit dem Bescheid vom 26. August 2011 hatte der Beklagte ausdrücklich nur eine "vorläufige" Regelung getroffen. In rechtlicher Hinsicht relevant war, dass der Beklagte seine damalige Entscheidung unter den ausdrücklichen "Vorbehalt" einer späteren endgültigen Entscheidung gestellt hat. Bei einem solchen Vorbehalt handelt es sich um eine Nebenbestimmung im Sinne von § 32 Abs. 2 Nr. 5 SGB X. Entsprechend § 32 Abs. 1 SGB X war eine solche Nebenbestimmung hier, auch wenn der Beklagte nur gebundene Entscheidungen treffen konnte, nach § 22 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zulässig: Der Beklagte konnte nach § 22 Abs. 4 Satz 4 KOVVfG eine endgültige Entscheidung erlassen, ohne an die Feststellungen des vorläufigen Bescheids gebunden zu sein. Das KOVVfG war hier nach seinem § 1 Satz 1 anwendbar, da der Beklagte über Leistungen nach dem OEG i.V.m. dem BVG entschied.
Auch hat der Beklagte als zuständiger Träger gehandelt, die Klägerin hat ihre Klage zutreffenderweise gegen ihn gerichtet. Die angeschuldigte Tat hat auf seinem Gebiet stattgefunden (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 OEG).
Auch in der Sache hat die Klage keinen Erfolg. Der geltend gemachte Anspruch auf eine Beschädigtenrente (Beschädigtengrundrente) über den 31. Juli 2012 hinaus besteht nicht.
Das Begehren der Klägerin richtet sich nach § 1 OEG in Verbindung mit den §§ 1, 30, 31 und 60 BVG. Hiernach erhält, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Nach §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 erhalten Beschädigte eine monatliche Grundrente ab einem Grad der Schädigung (GdS) von 30. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu 5 Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten (§ 30 Abs. 1 Satz 3 BVG). Der GdS ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG). Der Senat orientiert sich in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 VG 2141/13 –, juris, Rz. 48) bei der Prüfung des GdS an der seit 1. Januar 2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" (AHP) 2008 getretene Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV). Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs (§ 1 Abs. 3 Satz 1 BVG), während das schädigende Ereignis, die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a) im Vollbeweis gesichert werden müssen (vgl. auch Urteil des Senats vom 17. Dezember 2015 – L 6 VG 4685/14 –, juris, Rz. 38 ff.).
Bei der Klägerin sind der Angriff vom 5. Juni 2011 als schädigendes Ereignis und daraus folgend als Gesundheitsschädigungen "Teilsymptome einer PTBS" und "reizlos verheilte Narben rechter Beckenkamm und Gesäß" im Sinne der Entstehung anerkannt. Diese Feststellung der konkreten Gesundheitsschädigungen ist bindend, nachdem die Klägerin den Bescheid vom 26. Oktober 2012 insoweit nicht angegriffen hat. Sie entspricht auch den rechtlichen Anforderungen, wonach sich eine festgestellte Gesundheitsschädigung im Rahmen der anerkannten medizinischen Diagnosesysteme (vor allem der ICD-10 GM) halten und unter Verwendung der dortigen Schlüssel exakt bezeichnet werden muss (vgl. Urteile des Senats vom 17. Dezember 2015 - L 6 VS 2234/15 -, juris, Rz. 33 m. w. N., und vom 12. Januar 2017 - L 6 VU 2746/15 -, zur Veröffentlichung - auch in juris - vorgesehen). Hinsichtlich der Narben ist dabei auf L90.5 ICD-10 GM zu verweisen. Auf psychiatrischem Gebiet ist die Feststellung des Beklagten nach Ansicht des Senats als "sonstige Reaktion auf schwere Belastung" nach F43.8 der ICD-10 GM zu verstehen, die auch als "subsyndromale PTBS" bekannt ist (vgl. zu dieser - gegenüber der PTBS eigenständigen - Erkrankung Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 80).
Aus diesen Schädigungsfolgen ergibt sich jedoch kein Anspruch auf Rente. Die Funktionseinbußen auf Grund der Schädigungen erreichen bei der Klägerin keinen GdS von 30 und auch nicht einen solchen von 25.
Die körperlichen Folgen des Attentats haben bei der Klägerin überhaupt keine dauerhaften Funktionseinbußen zurückgelassen. Ihre Behauptung, nach der Operation seien die Kugel bzw. Geschosssplitter bzw. Glassplitter im Körper zurückgeblieben und könnten nicht entfernt werden, ist durch den Operationsbericht, der lediglich einen subkutanem Defekt beschreibt, und durch die Feststellungen des in erster Instanz gehörten unfallchirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. St. widerlegt. Er hat die Klägerin untersucht und auch bildgebend festgestellt, dass die Ausführungen des Operationsberichts zutreffen, wonach alle Fremdkörper – es handelte sich um Geschosssplitter und Faserreste der durchschossenen Hose der Klägerin – entfernt worden sind. Verblieben sind – wie festgestellt – lediglich reizlose Narben. Diese bedingen keinen GdS. Narben an sich sind in den Regelbeispielen in den VG, Teil B Nr. 17, nicht mit einem GdS belegt. Sie können nur ausnahmsweise berücksichtigt werden, wenn sie – z.B. durch Ausdehnung, Beschaffenheit (z.B. Verhärtung, Verdünnung, Narbenzüge), Sitz oder Einwirkung auf die Umgebung zu Störungen führen. Bei Entstellungen z.B. ist zu berücksichtigen, ob sich Schwierigkeiten im Erwerbsleben, Unannehmlichkeiten im Verkehr mit fremden Menschen oder seelische Konflikte ergeben können (VG, Teil B, Vorspann bei Nr. 17). Solche Folgen ergeben sich bei der Klägerin nicht. Dies gilt vor allem für die Teilhabe am sozialen Leben, denn die Narben sind klein und befinden sich an Körperstellen, die üblicherweise, sogar während Freizeit und Sport, verborgen zu werden pflegen. Sie sind frei beweglich und nicht schmerzhaft, wie Prof. Dr. St. auch für den Senat überzeugend dargestellt hat.
Auf psychiatrischem Fachgebiet liegt der GdS der Klägerin nicht höher als 20.
Nach Nr. 3.7 VG ist für Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen im Falle leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen der GdS 0 bis 20. Bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) 30 bis 40. Bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten beträgt der GdS 50 bis 70, mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten 80 bis 100 (vgl. Urteil des Senats vom 27. August 2015 – L 6 VG 2141/13 –, juris, Rz. 49).
Der Senat legt weiterhin allein diese Regelungen aus den VG, die Rechtsnormqualität haben, zu Grunde. Er geht nicht davon aus, dass eine bestimmte medizinische Diagnose - hier etwa die einer PTBS - unter Abweichung von den VG einen bestimmten GdS bedingt. Ein solcher Zusammenhang folgt insbesondere nicht aus dem Beschluss des Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 6./7. November 2008 (vgl. dazu im Einzelnen Urteil des Senats vom 12. Januar 2016 - L 6 VU 2746/15 -, zur Veröffentlichung - auch in juris - vorgesehen). Insofern ist auch aus dem Gesichtspunkt der GdS-Bewertung nicht zu klären, welche psychische Erkrankung bei der Klägerin vorliegt.
Der genannte Sachverständigenbeirat beim BMAS hat in seinem Beschluss vom 18./19. März 1998 Abgrenzungskriterien für die gutachtliche Beurteilung sozialer Anpassungsschwierigkeiten definiert. Dieser Beschluss betraf zwar noch die AHP, die aber insoweit mit den jetzt geltenden VG gleichlautend waren. Hiernach liegen leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten vor, wenn die Berufstätigkeit trotz Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch ohne wesentliche Beeinträchtigung möglich ist. Eine wesentliche Beeinträchtigung der familiären Situation oder bei Freundschaften ist nicht erforderlich. Eine mittelgradige Anpassungsschwierigkeit ist dann gegeben, wenn in den meisten Berufen auswirkende psychische Veränderungen vorliegen, die zwar weitere Tätigkeiten grundsätzlich noch erlauben, jedoch eine verminderte Einsatzfähigkeit bedingen und eine Gefährdung der beruflichen Tätigkeit einschließt. Außerdem liegt eine mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeit vor, wenn erhebliche familiäre Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung bestehen. Erforderlich ist aber noch keine Isolierung und noch kein sozialer Rückzug in einem solchen Umfang, der z.B. eine vorher intakte Ehe stark gefährden könnte. Eine schwere soziale Anpassungsschwierigkeit ist dann anzunehmen, wenn eine weitere berufliche Tätigkeit stark gefährdet oder ausgeschlossen ist, außerdem bei schwerwiegenden Problemen in der Familie oder im Freundes- bzw. Bekanntenkreis bis zur Trennung von der Familie, vom Partner oder Bekanntenkreis (vgl. im Einzelnen auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 21. April 2015 – L 7 VE 5/11 –, juris Rz. 49). Diese Anforderungen legt auch der Senat zu Grunde.
Hiernach ist bei der Klägerin von leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen auszugehen, die gegebenenfalls im oberen Bereich der dafür vorgesehenen Spanne eines GdS von 0 bis 20 angesiedelt werden können. Es liegen jedoch noch keine wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vor. Diese Einschätzung stützt der Senat im Wesentlichen auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen der Sachverständigen Dr. N.-Sch. in ihrem Gutachten vom 29. Januar 2015. Die Sachverständige hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass die Funktionseinbußen der Klägerin in den drei relevanten Leidensdimensionen – psychisch, physisch und vor allem sozial – als leicht einzustufen sind. Auf körperlicher Ebene liegen die von der Klägerin vorgetragenen Schmerzen im Narbenbereich vor, die allerdings nicht behandelt werden. Die ebenfalls angegebenen Ein- und Durchschlafstörungen führen nicht zu Tagesmüdigkeit, beeinträchtigen das Leben der Klägerin daher ebenfalls nur wenig. Als psychische Beeinträchtigungen gibt die Klägerin – auch bei der Anamnese durch Dr. N.-Sch. – im Wesentlichen erhöhte Wachsamkeit, vermehrte Schreckhaftigkeit und aufdrängende Erinnerungen an. Dies sind nur geringfügige Belastungen. Vor allem aber ist die sozial-kommunikative Ebene der Klägerin kaum beeinträchtigt. Sie ist weiterhin berufstätig, und zwar im selben zeitlichen Umfang wie vor der Tat. Sie hat sich sogar nach der Tat weitergebildet und arbeitet nunmehr in mehreren, höchst unterschiedlichen Teilzeitjobs, nämlich in der Altenpflege und als Kassiererin im Supermarkt. Hinzu kommt die ehrenamtliche Arbeit beim R. K ... Diese beruflichen Tätigkeiten stellen sogar erhöhte Anforderungen an den Kontakt mit anderen Menschen. Dies gilt insbesondere für ihre Arbeit mit demenzkranken Senioren. Dass die Klägerin diesen Arbeiten nicht gewachsen sei, hat sie nicht vorgetragen. Die Klägerin ist weiterhin sportlich und besucht ein Fitness-Studio. Sie hat von fortbestehenden sozialen Kontakten zur Familie in den neuen Ländern und zu Freunden bzw. Bekannten berichtet. Diese von der Sachverständigen erhobenen Befunde begründen auch nach der Auffassung des Senats noch keine "wesentlichen" Einbußen in der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, wie sie die VG für einen GdS von 30 oder mehr verlangen. Diese Einschätzung wird auch dadurch gestützt, dass die Klägerin während des gesamten Verfahrens nahezu ausschließlich zum Ablauf der Tat selbst und zu den körperlichen Folgen vorgetragen hat, wobei nicht nachvollziehbar erscheint, wie vehement sie an den Behauptungen zu den im Körper verbliebenen Fremdkörpern festhält. Ausführungen zu der verbliebenen psychischen Belastung hat sie erst auf Nachfragen in dem Erörterungstermin gemacht. Daraus kann im Rahmen eines zusätzlichen Indizes geschlossen werden, dass auch für sie selbst nicht die psychischen Beeinträchtigungen im Vordergrund stehen.
Vor dem Hintergrund dieser Einschätzung, nach der allein ein GdS von bis zu 20 auf psychiatrischem Gebiet vorliegt, ist die Klägerin nicht durch die Entscheidung des Beklagten, der insoweit einen GdS von 20 und außerdem einen GdS von 10 für körperliche Folgen der Tat angenommen hat, beschwert.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich oder vorgetragen.
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