L 6 U 1375/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 5 U 1967/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1375/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 7. März 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die behördliche Feststellung einer psychischen Erkrankung als Folge eines Arbeitsunfalls und die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1967 geborene Kläger wohnt im Inland. Nach Erlangung der mittleren Reife hatte er eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten absolviert. Nach Phasen mit und ohne Beschäftigung ließ er sich als Pflege- und Erziehungshelfer anlernen. Seit 2003 arbeitete er mit einer Arbeitszeit von 25 Stunden je Woche in diesem Beruf in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen. Nach seinen späteren Angaben sei die berufliche Situation dort nach und nach unerträglich geworden. Mehrfach habe es gewalttätige Übergriffe gegen ihn gegeben. Er habe sich seines Lebens bedroht gefühlt. Im März 2011 kam es zu einem "Zusammenbruch". Ab dem 22. März 2011 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Er lebte zu dieser Zeit allein im Haus seiner Eltern (Anamnese im Entlassungsbericht der M. P. Ch.-B. vom 3. Februar 2012). Die DRV gewährt dem Kläger seit Mitte 2013 mit Rückwirkung zum April 2011 eine Rente wegen voller ErwE.sminderung. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt.

Der Kläger hatte seit etwa 2004 mehrere gewalttätige Angriffe durch Bewohner der Einrichtung, in der er arbeitete, der Beklagten als Arbeitsunfälle gemeldet. In der Folgezeit führte er mehrfach, so unter anderem mit Schreiben vom 30. März 2011, aus, die Angriffe müssten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden, weil sie zusammen für seine Gesundheitsstörungen verantwortlich seien, darunter einen Tinnitus und eine "psychische Belastung". Insbesondere der Angriff vom 19. Mai 2010 sei lebensbedrohlich gewesen.

Während seines Rehabilitationsaufenthalts im M. P. Ch. B. vom 21. Dezember 2011 bis 1. Februar 2012 meldete er der Beklagten mit E-mail vom 11. Januar 2012 einen weiteren Arbeitsunfall. Am 12. Februar 2011 habe ihn der Bewohner J. E. auf die Nase geschlagen. Er habe seine Arbeit fortgesetzt, den Vorfall aber später seinem Hausarzt berichtet. Ferner teilte der Kläger zu dem Angriff eines – anderen – Bewohners vom 19. Mai 2010 mit, er sei damals außerdem gebissen worden und habe nunmehr Angst, mit HIV infiziert zu sein.

Die Beklagte forderte die Arbeitgeberin zur Erteilung der betrieblichen Unfallanzeige auf. Diese teilte am 9. Februar 2012 mit, von einem Vorfall am 12. Februar 2011 sei ihr nichts bekannt, in den Dienstplänen der betroffenen Wohngruppe und im Unfallberichtsheft sei nichts vermerkt. Der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig erkrankt.

Der Entlassungsbericht der M. P. Ch. B. vom 3. Februar 2012 nannte als Diagnosen Anpassungsstörungen (codiert mit "F43.2" nach der ICD-10 GM, der "Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme", herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation WHO, deutsche Ausgabe), eine mittelgradige depressive Episode (F32.1), Zwangshandlungen (F42.1), eine Somatisierungsstörung (F45.0) und eine generalisierte Angststörung (F41.1). Die beruflichen Belastungen hätten die Bewältigungsmechanismen des Klägers überstiegen. Die zahlreichen körperlichen Übergriffe hätten ihn traumatisiert und überfordert. Zusätzlich sei 2008 seine Mutter gestorben, weswegen es zu einer depressiven Dekompensation und zu vielfältigen somatischen Reaktionen, darunter fünf Hörstürzen, gekommen sei. Diese Symptome seien auf der Grundlage seiner anankastischen und schizoiden Persönlichkeitsakzentuierung entstanden.

Am 24. April 2012 beantragte der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Gesamtheit der Arbeitsunfälle. Er leide auch an 12 bis 16 Migräneanfällen im Monat sowie seit November an einer Blockierung beider Iliosakralfugen und einem Impingementsyndrom.

Im Auftrag der Beklagten erstattete PD Dr. B., O.-Klinik R., das neurologisch-psychiatrische Gutachten vom 6. Juni 2012. Bei der Begutachtung machte der Kläger detaillierte Angaben zu körperlichen Angriffen durch Bewohner am 24. Juni 2004, 28. Januar 2008, 30. Januar 2010 und 19. Mai 2010. Ferner berichtete er von einem Wegeunfall am 2. Januar 2011, der einen Hörsturz verursacht habe. Einen Vorfall am 12. Februar 2011 erwähnte er nicht. Dr. B. führte aus, es bestehe keine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), auch nicht auf Grund des subjektiv als bedrohlich empfundenen Angriffs vom 19. Mai 2010. Zu diagnostizieren sei vielmehr eine spezifische Phobie in Bezug auf die Arbeit als Heilerziehungspflegehelfer. Eine Minderung der ErwE.sfähigkeit (MdE) bestehe nicht, allerdings sollte der Arbeitsplatz verändert werden, sodass der Kläger sein langjähriges Arbeitspensum von 25 Stunden, das er auch nicht erhöhen wolle, wieder erreichen könne.

Die Beklagte erhob ferner das hals-nasen-ohren-ärztliche Gutachten von Prof. Dr. M. vom 22. Mai 2012. Diagnostiziert wurde ein Tinnitus beidseits bei einer noch der Normalhörigkeit entsprechenden Hochtonschwerhörigkeit rechts. Keine der Erkrankungen beruhe auf den geltend gemachten Einwirkungen. Die Hergänge seien insgesamt nicht geeignet gewesen, eine contusio cochleae mit konsekutivem Tinnitus hervorzurufen. Der Pkw-Unfall am 2. Januar 2011 könne zwar ein HWS-Distorsionstrauma verursacht haben, jedoch lasse sich aus den spärlichen Unterlagen insoweit kein Zusammenhang zu einem traumatisch induzierten Tinnitus herleiten. Gegen eine traumatische Genese spreche insgesamt die beidseitige Ausprägung.

Die Beklagte holte noch die gutachtliche Stellungnahme von PD Dr. B. vom 11. Juli 2012 ein, der sich auf den Standpunkt stellte, der Pkw-Unfall am 2. Januar 2011, bei dem nicht einmal ein Blechschaden aufgetreten sei, sei nicht geeignet gewesen, ein HWS-Schleudertrauma oder eine HWS-Distorsion auszulösen. Der Kläger habe in der Folgezeit auch nicht über Nackenschmerzen geklagt.

Mit Bescheid vom 4. September 2012 führte die Beklagte aus, sie erkenne den Unfall vom 12. Februar 2011 als Arbeitsunfall an. Der erlittene Schlag auf die Nase habe keine Behandlungsbedürftigkeit verursacht. Der Tinnitus beidseits, der Z.n. Hörsturz beidseits, die Migräne ohne Aura und die Angststörung lägen unabhängig von dem Arbeitsunfall vor.

Zu nicht genau bekannten Zeitpunkten im Herbst 2012 erteilte die Beklagte ferner sechs oder sieben weitere Bescheide, in denen sie jeweils die angezeigten Arbeitsunfälle seit 2004 sowie als Folgen daraus folgenlos ausgeheilte Prellungen oder Zerrungen anerkannte, aber die Anerkennung psychischer Störungen oder des Tinnitus als Unfallfolgen ablehnte.

Der Kläger erhob gegen alle Bescheide über seinen Prozessbevollmächtigten Widersprüche. Zur Sache führte er aus, er leide an einer PTBS und weiteren psychisch bedingten Einschränkungen. Diese beruhten auf der Gesamtheit der seit 2004 erlittenen Arbeitsunfälle. Hierzu reichte er die Kurzatteste seines behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. D. vom 11. April und 10. Juni 2011 zur Akte, wonach er an einer PTBS, Depressionen und multiplen Körperbeschwerden leide.

In dem Widerspruchsverfahren wegen des hier streitigen Bescheids vom 4. September 2012 reichte der Kläger am 8. Oktober 2012 ergänzend die Kopie eines Schreibens von sich vom 12. Februar 2011 an seinen Arzt Dr. S. zur Akte, in dem er den Vorfall von jenem Tage geschildert hatte. Hiernach hatte er von dem Heimbewohner einen Schlag auf bzw. in Richtung seiner Nase erhalten, habe sich reflexartig zurückziehen können und sei dabei mit der rechten Handunterseite auf die Kante eines Stuhls gestoßen. Aus Angst vor einer Kündigung habe er diesen Vorfall nicht gemeldet.

In einem der anderen Widerspruchsverfahren gelangte noch das Gutachten von Dr. W. vom 15. April 2013 zur Akte, welches das Sozialgericht Konstanz (SG) in einem dort anhängigen schwerbehindertenrechtlichen Streitverfahren (S 10 SB 1547/12) erhoben hatte. Darin ist ausgeführt, die Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren deuteten auf eine depressive Verstimmung und eine somatoforme Schmerzstörung hin, wobei zwei Validierungstestungen (die Schmerz-Simulations-Skala und der Strukturierte Fragebogen Simulierter Symptome SFSS) Hinweise auf bewusstseinsnahe Aggravation und nicht-authentische Beschwerdeschilderung ergeben hätten. Zu diagnostizieren seien eine Migräne ohne Aura (G43.0), Angst und Depression gemischt (F41.1) und eine Somatisierungsstörung (F45.0) vor dem Hintergrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (F61.x). Es sei von einem Gesamt-GdB von 50 auszugehen.

Hinsichtlich der laufenden Widerspruchsverfahren holte die Beklagte mit Schreiben vom 8. Juli 2013 die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. Dr. W. vom 16. Juli 2013 ein, der ausführte, es lägen keine Folgen von Arbeitsunfällen vor, insbesondere Dr. W. habe deutlich dargestellt, dass bei dem Kläger eine kombinierte Persönlichkeitsstörung bestehe, bei der es sich naturgemäß nicht um eine Unfallfolge handele. Im Hinblick auf die querulatorische Komponente sei der Beklagten zu empfehlen, die Korrespondenz mit diesem auf das erforderliche Maß zu beschränken. Es entspreche nervenärztlichen Erfahrungswerten, dass ausführliche Diskussionen querulatorische Begehrenshaltungen noch ausweiteten.

Die Beklagte setzte dem Bevollmächtigten des Klägers von der Stellungnahme in Kenntnis und fragte an, ob das weitere Verfahren auf einen der geltend gemachten Arbeitsunfälle begrenzt werden könne. Der Bevollmächtigte teilte unter dem 14. August 2013 mit, Dr. D. habe die PTBS erstmalig im Zusammenhang mit dem Angriff vom 12. Februar 2011 diagnostiziert. Daher werde lediglich der Widerspruch wegen dieses Vorfalls gegen den Bescheid vom 4. September 2012 aufrechterhalten. Die übrigen Widersprüche seien erledigt. In der Sache hielt der Kläger dar¬an fest, dass die mehrfachen Gewaltübergriffe insgesamt die Ursache für die Erkrankung seien, die eine MdE von mindestens 20 v.H. bedinge. Entgegen der Ansicht des Beratungsarztes Dr. Dr. W. könne auch eine Persönlichkeitsstörung wie hier Folge von Arbeitsunfällen sein.

Die Beklagte erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 20. November 2013. Eine PTBS als Folge des Angriffs vom 12. Februar 2011 liege bei dem Kläger nicht vor. Die Beschwerden seien auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung zurückzuführen, die jedoch der Unfall am 12. Februar 2011 ebenfalls nicht verursacht habe. Auch sonst seien keine messbaren Unfallfolgen zu verzeichnen. Die Addition einzelner Arbeitsunfälle und ihrer Folgen sei rechtlich nicht möglich.

Hiergegen erhob der Kläger erstmals in dieser Sache am 2. Dezember 2013 Klage beim SG (S 5 U 3005/13). Bereits dort beantragte er, die Beklagte zur Feststellung einer PTBS als Folge des Unfalls vom 12. Februar 2011 sowie zur Gewährung einer Verletztenrente zu verurteilen. Nachdem das SG darauf hingewiesen hatte, dass die Beklagte in dem angegriffenen Bescheid weder über eine PTBS als Unfallfolge noch über eine Rente entschieden hatte, und sich die Beklagte zum Erlass eines Bescheids hierüber bereiterklärt hatte, nahm der Kläger die Klage im Februar 2014 zurück.

Die Beklagte erließ sodann den nunmehr angegriffenen Bescheid vom 24. März 2014. Darin führte sie aus, ein Anspruch auf Rente bestehe nicht. Auch andere psychische Erkrankungen wie die kombinierte Persönlichkeitsstörung sowie Angst und Depression gemischt, wenn sie bei dem Kläger vorlägen, könnten nicht auf den Angriff zurückgeführt werden. Eine PTBS war in dem Bescheid wiederum nicht genannt.

Den Widerspruch des Klägers, der erneut auf eine PTBS verwies, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2014 zurück. Darin führte sie in der Begründung aus, eine PTBS sei nach dem Gutachten von PD Dr. B. ausgeschlossen worden.

Hiergegen hat der Kläger am 23. Juli 2014 Klage beim SG erhoben (S 5 U 1967/14). Er hat seine Ausführungen vertieft.

Er hat sodann das im Auftrag einer privaten Unfallversicherung von PD Dr. V., Universitätsklinikum U., erstellte Gutachten vom 5. Dezember 2012 zur Akte gereicht. Darin hatte dieser auf Grund mehrerer Selbst- und Fremdbeurteilungsverfahren eine "komplexe PTBS nach F43.1 ICD-10 GM" sowie eine leichte depressive Episode (F33.0) und den Verdacht auf eine narzisstische und paranoide Persönlichkeit (codiert als Z73.1 ICD-10 GM: "Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung durch Akzentuierung von Persönlichkeitszügen") diagnostiziert. Eine komplexe PTBS könne als Folge mehrerer Einwirkungen entstehen, auch zeitverzögert, die je für sich nicht zur Verursachung einer PTBS ausreichten. Bei dem Kläger seien dies die seit Jahren andauernden und 2010 und 2011 gehäuft aufgetretenen Übergriffe. Es komme ständig zu Wiedererinnerungen ("flash-backs") an die Übergriffe der Bewohner. Die hierdurch ausgelösten Ängste führten auch zu einem "Hyperarousal" und einem zunehmenden sozialen Rückzug. Die komplexe PTBS sei jedoch nur ein Teil der pathologischen Entwicklung des Klägers. Vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsakzentuierungen sei es seit Jahren zunehmend zu Problemen am Arbeitsplatz gekommen, auch mit Kollegen, was der Kläger als "Mobbing" wahrnehme. Bei der Exploration habe er eine etwas querulante und abschnittweise paranoide Grundhaltung gezeigt. Er sei überzeugt, in der Arbeit und von den Behörden benachteiligt zu werden. Die erfahrene Ablehnung seiner Anliegen habe jetzt Wut und Frust deutlich werden lassen. Störungen aus dem bipolaren oder schizophrenen Formenkreis seien auszuschließen.

Von Amts wegen hat das SG Prof. Dr. St., Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie W., mit einer Begutachtung dieser beauftragt. Dieser Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 2. Januar 2015 ausgeführt, der Kläger habe berichtet, er habe dem Schlag des Bewohners am 12. Februar 2012 ausweichen können, deshalb sei er nur leicht getroffen worden. Es sei mehr eine psychische Verletzung gewesen. Die Wiedererinnerungen beständen aus den lachenden Gesichtern dreier Heimbewohner, die damals zum Teil aggressiv gewesen seien. Erinnerungen an die Angriffe gebe es nicht. Im psychopathologischen Bereich hat Prof. Dr. St. notiert, der Kläger wirke angespannt, er gebe auf Nachfrage Konzentrationsstörungen bei anspruchsvolleren Tätigkeiten an, die er aber nicht ausübe. Die Stimmung sei tendenziell zum depressiven Pol verschoben, aber nicht im engeren Sinne traurig oder niedergeschlagen. Es fehle eine affektive Resonanz, der Ausdruck bleibe nivelliert. Es habe eine Affektverarmung bestanden. Die Übergriffe seien ohne emotionale Beteiligung geschildert worden. Insgesamt, auch im Tagesablauf, bestehe eine starke Antriebsminderung. Die Schilderungen seien weitschweifig und detailverloren. Der Kläger könne Wichtiges nicht von Unwichtigem trennen. Verschiedene Ängste seien geschildert worden, wie vor Alleinreisen, Fahrstuhlfahren oder Supermarkteinkäufen. Er verbarrikadiere sich aus diffuser Angst vor Eindringlingen in seiner Wohnung, so beschwere er z.B. die Toilettendeckel mit einer Hantel. Er habe angegeben, die wichtigste Person in seinem Leben sei der Papst. Ein Hobby sei "aktive Krankengymnastik", er höre auch gern Wellness- und Klang-CDs. Wahnhafte Vorstellungen im engeren Sinne habe es aber nicht gegeben.

Diagnostisch, so Prof. Dr. St., liege keine PTBS vor. Der Angriff durch den Heimbewohner, der den Kläger nicht wirklich getroffen habe, erfülle nicht das A-Kriterium dieser Diagnose (lebensbedrohliches Trauma). Er habe auch keine Todesangst in der Situation geschildert. Die Annahme von PD Dr. V., es könne sich um einen kumulativen Effekt gehandelt haben, bei dem der letzte Angriff nur das Fass zum Überlaufen gebracht habe, erfülle nicht die Kriterien einer PTBS, die auf ein einzelnes Ereignis bezogen sei. Ein kumulativer Ablauf sei allenfalls für andere psychische Erkrankungen, z.B. depressive Episoden plausibel. Die Diagnose einer "komplexen PTBS" sei in der ICD-10 GM oder im DSM-5 nicht vorgesehen. Sie habe zwar eine klinische Berechtigung, aber nur bei Kindern, welche etwa langjährigem sexuellen Missbrauch ausgesetzt seien. Ferner beträfen die Wiedererinnerungen des Klägers nicht die Taten, sondern allgemein angespannte Situationen, was sich z.B. in dem Verbarrikadieren in der Wohnung zeige, das nichts mit den Angriffen am Arbeitsplatz zu tun habe. Ein Vermeidungsverhalten in Bezug auf die Taten liege nicht vor, nur auf den Arbeitsplatz im Allgemeinen. Auch der zeitliche Ablauf mit einem Auftreten der Symptome erst seit etwa einem Jahr passe nicht zu einer PTBS. Vielmehr liege bei dem Kläger eine unfallunabhängige, aber gravierende Störung vor, die zu einem Versanden der gesamten Lebensgestaltung geführt habe und weit über eine PTBS hinausgehe und die sich sogar progredient entwickle, selbst nach der zwischenzeitlichen Berentung. Sie könne nicht wirklich zuverlässig klassifiziert werden. Eventuell handele es sich um eine blande (symptomarm) verlaufende schizophrene Störung, die gelegentlich in der Literatur beschriebene Schiziophrenia simplex, oder eine ähnliche schizotype Störung oder eine ausgeprägte Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und paranoiden Anteilen. Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Februar 2011 oder der anderen Angriffe lägen jedenfalls nicht vor.

Der Kläger ist insbesondere der diagnostischen Einschätzung des Gutachtens entgegengetreten und hat das im Auftrag der DRV erstattete Gutachten von Dr. W. vom 12. Juli 2013 zur Akte gereicht, der eine PTBS, aber auch eine schon vor den angeschuldigten Ereignissen bestehende gemischte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat.

Nachdem das SG nochmals darauf hingewiesen hat, das nur der Unfall vom 12. Februar 2011 streitgegenständlich sei und die geltend gemachte Erkrankung daher auf ihn zurückgeführt werden müsse, hat der Kläger noch das Attest von Dr. D. vom 5. November 2015 zur Akte gereicht. Darin ist ausgeführt, er habe sich bei ihm am 24. Februar 2011 erstmals vorgestellt. Er sei angespannt, ausgeprägt ängstlich, depressiv gewesen und habe multiple Körperbeschwerden gehabt. Er habe den Angriff zwölf Tage zuvor als den letzten von vielen geschildert. Insbesondere habe er auf einen im Mai 2010 hingewiesen, der sehr belastend gewesen sei. Dies sei ein schweres Trauma gewesen. Der Kläger habe danach jedoch seinen Alltag fortführen können. Der Angriff am 12. Februar 2011 habe "die zuvor geschlossenen Kästchen wieder geöffnet". Er sei dekompensiert. Die Diagnose der PTBS leite sich aus den wiederkehrenden und eindringlichen Erinnerungen an die Traumata ab.

Mit angekündigtem Gerichtsbescheid vom 7. März 2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei allein der Vorfall am 12. Februar 2011. Dabei habe der Kläger lediglich einen Schlag auf die Nase erlitten. Dass daraus eine PTBS entstanden sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Dementsprechend habe Prof. Dr. St. überzeugend dargelegt, dass bei dem Kläger eine gravierende unfallunabhängige psychische Störung vorliege. Im Übrigen könne eine PTBS, selbst wenn sie vorläge, nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf den allein streitgegenständlichen Arbeitsunfall zurückgeführt werden. Selbst Dr. V. habe eine "komplexe" PTBS angenommen, die sich infolge mehrerer Übergriffe gebildet habe. Ferner bestehe eine alles überlagernde unfallunabhängige Persönlichkeitsstörung.

Gegen diesen Gerichtsbescheid, der seinem Prozessbevollmächtigten am 11. März 2016 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 11. April 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Würt¬temberg erhoben. Er hält an seinem Vorbringen fest und verweist auf die Gutachten von PD Dr. V. und Dr. W ...

Auf die Hinweise des Berichterstatters in dem Schreiben vom 4. Oktober 2016 hin hat der Kläger am 24. Oktober 2016 beantragt, auf sein Kostenrisiko hin ein Wahlgutachten bei Dr. M. einzuholen. Nach Eingang des angeforderten Kostenvorschusses hat der Kläger am 11. November 2016 beantragt, statt Dr. M. Prof. Dr. v. B. zum Sachverständigen zu ernennen. Der Senat hat das beantragte Wahlgutachten bei ihm mit Beschluss vom 21. November 2016 in Auftrag gegeben. Prof. Dr. v. B. hat mit Schreiben vom 29. November 2016 mitgeteilt, er könne den Auftrag nicht annehmen, da er keine Erfahrung in der Diagnostik einer PTBS habe. Aus seiner Sicht sei das Gutachten von Prof. Dr. St. an Sorgfalt, Präzision und Kompetenz nicht zu überbieten (Bl. 33 Senatsakte). Am 5. Dezember 2016 hat der Senat den Kläger aufgefordert, einen anderen, zur Gutachtenserstellung bereiten Sachverständigen zu benennen, weil es nicht sinnvoll erscheine, einen Wahlgutachter mit Zwangsmitteln anzuhalten. Der Kläger hat dar¬aufhin am 2. Januar 2017 – erneut – Dr. M. benannt. Diese ist mit Beschluss vom 4. Januar 2017 zur Sachverständigen ernannt worden. Sie hat eine Woche später telefonisch mitgeteilt, sie sei lange erkrankt und habe keine freien Kapazitäten für das angeforderte Gutachten. Der Senat hat dem Kläger daraufhin Frist bis zum 10. Februar 2017 zur Benennung eines anderen Wahlgutachters gesetzt. Mit Eingang bei dem LSG am 15. Februar 2017 hat der Kläger insoweit um Fristverlängerung nachgesucht. Auf Grund seines Schriftsatzes vom 21. Februar 2017 hat der Senat sodann am 23. Februar 2017 Dr. R. mit der Erstattung des Wahlgutachtens betraut. Dieser hat die Akten und den Auftrag am 2. März 2017 mit dem Bemerken zurückgeschickt, er könne den Gutachtensauftrag aus zeitlichen Gründen nicht annehmen. Der Senat hat daraufhin am 7. März 2017 mitgeteilt, das Verfahren sei zur mündlichen Verhandlung vorgesehen. Der Kläger hat mit Eingang bei dem LSG am 26. April 2017 nunmehr Dr. L. als Wahlgutachter benannt. Der Senat hat dem Kläger mitgeteilt, dass die mündliche Verhandlung für Anfang Juli geplant sei und in dieser Zeit erfahrungsgemäß kein medizinisches Gutachten eingeholt werden könne.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgericht Konstanz vom 7. März 2016 und den Bescheid vom 24. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten und zu verurteilen, bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung als Folge des Arbeitsunfalls vom 12. Februar 2011 anzuerkennen und eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20 vom Hundert zu gewähren, hilfsweise, Dr. M. L., Pf.-G., U., nach § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz gutachtlich zu hören.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass Dr. W. die vom Kläger selbst angegebene Diagnose einer PTBS zu Grunde gelegt, sich aber nicht mit ihren einzelnen Voraussetzungen auseinandergesetzt habe.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG ist nach § 105 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Sie war nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig. Mit seinem ersten Antrag auf Anerkennung einer PTBS als Unfallfolge begehrt der Kläger bereits keine Geld-, Sach- oder Dienstleistung, sondern eine behördliche Feststellung. Und sein zweiter Antrag wegen einer Verletztenrente ist auf laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) gerichtet.

Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere hat sie der Kläger form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage des Klägers abgewiesen.

Gegenstand dieses Verfahrens ist, worauf bereits das SG hingewiesen hat, allein der Vorfall vom 12. Februar 2011 und die Frage, ob bei dem Kläger deswegen eine PTBS entstanden ist und eine Verletztenrente verlangt werden kann. Er hat die Widersprüche gegen die weiteren Bescheide der Beklagten über die anderen geltend gemachten Arbeitsunfälle mit Schriftsatz vom 14. August 2013 für erledigt erklärt. Bezogen auf den nur noch verfolgten Arbeitsunfall vom 12. Februar 2011 hat sich der Kläger auf die Diagnose einer PTBS beschränkt. Der Senat hat zwar mit Schreiben vom 21. November 2016 darauf hingewiesen, dass es womöglich aus prozessualen Gründen ungünstig ist, das Verfahren so eng zu führen, weil ggfs. auch eine andere psychische Erkrankung Folge eines Arbeitsunfalls sein könne. Der Kläger hat seinen Antrag aber auch danach nicht geändert, erweitert oder um Hilfsanträge ergänzt. Daher ist nach dem auch in § 123 SGG kodifizierten Rechtsgrundsatz "ne ultra petita" allein über die geltend gemachte PTBS zu befinden. Der Senat hat bereits entschieden, dass eine Erkrankung, die eine eigene Codierung nach der ICD-10 oder einem sonstigen Diagnose- und Klassifizierungssystem hat, grundsätzlich etwas anderes ist als eine weitere dort codierte Krankheit, also ein "aliud", und dass dies auch für die verschiedenen Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen (F43.- nach ICD-10) gilt (Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VH 4633/14 –, juris, Rz. 80 f., vgl. auch Urteil des Senats vom 4. Mai 2017 – L 6 U 1007/16 –, juris, Rz. 42).

Vor diesem Hintergrund kann der Senat auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2017 in der Sache entscheiden. Das Verfahren ist entscheidungsreif.

Anlass für weitere Ermittlungen von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) besteht nicht. Die äußeren Umstände des geltend gemachten Arbeitsunfalls vom 12. Februar 2011, den die Beklagte auch trotz fehlender Unfallmeldung der Arbeitgeberin anerkannt hat, ergeben sich aus den eigenen Angaben des Klägers vor allem gegenüber den verschiedenen Gutachtern. Auf medizinischer Ebene ist der Sachverhalt ausermittelt, nachdem nicht nur das Gutachten von Prof. Dr. St. konkret zu der Frage eingeholt worden ist, ob jener Unfall bei dem Kläger die geltend gemachte PTBS ausgelöst hat, sondern auch mehrere weitere ärztliche Gutachten zur diagnostischen Einordnung der Erkrankungen des Klägers vorliegen.

Den bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrecht erhaltenen Antrag des Klägers, nunmehr Dr. L. als Wahlgutachter nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG zu hören, lehnt der Senat ab. Die Ablehnung stützt sich zum einen auf § 109 Abs. 2 Var. 2 SGG. Nach dieser Vorschrift ist eine Ablehnung möglich, wenn der Antrag aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Beweisantrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 13. Juli 2015 – L 15 SB 16/14 –, juris Rz. 94). Grobe Nachlässigkeit ist das Außerachtlassen jeder prozessualen Sorgfalt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24. März 1961, - 10 RV 303/57 -, juris, Rz. 16). Hierzu kann es gehören, dass ein Antragsteller oder sein Bevollmächtigter nicht vorab mit dem ins Auge gefassten Sachverständigen abstimmt, ob dieser zu einer zeitnahen Gutachtenserstellung bereit und in der Lage ist (so auch LSG Baden-Würt¬tem¬berg, Urteil vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 –, juris, Rz. 35). Nur wenn der Kläger diese prozessuale Mitwirkungsobliegenheit, die aus § 103 Satz 1 Halbsatz 2 SGG folgt und erst recht im Rahmen einer Wahlbegutachtung gilt, erfüllt, kann das Gericht seinerseits der Obliegenheit nachkommen, innerhalb angemessener Frist eine Sachentscheidung zu treffen (Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention; § 198 Gerichtsverfassungsgesetz [GVG]; Keller, a.a.O., § 109 Rz. 5b, 19). Insoweit müssen die Gerichte auch bei einem Gutachten nach § 109 SGG eine zügige und effiziente Verfahrensgestaltung sicherstellen (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte [EGMR], Urteil vom 25. März 2010 - 901/05 -, juris, Rz. 57). Wenn in einem solchen Fall bereits mehrere benannte Wahlgutachter den Gutachtensauftrag zurückgegeben haben, steigen die Mitwirkungsobliegenheiten des Klägers bzw. entsprechend verringern sich die Anforderungen an die Annahme grober Nachlässigkeit. Außerdem ist die dadurch bereits eingetretene Verzögerung in der Erledigung des Rechtsstreits zu berücksichtigen, sodass auch eine ggfs. nur noch kürzere weitere die Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG erfüllt.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Kläger hatte bereits Dr. v. B., Dr. M. und zuletzt Dr. R. als Wahlgutachter benannt. Alle drei Sachverständige hat der Senat ernannt, obwohl bereits Dr. R. erst nach der zum 10. Februar 2016 gesetzten Frist benannt worden war. Alle drei haben die Begutachtung verweigert. Daraus ist zu schließen, dass der Kläger mit keinem dieser Ärzte vorab abgesprochen hat, ob diese zur Begutachtung bereit sind. Wenn der Senat jetzt auch noch Dr. L. mit der Erstellung eines Wahlgutachtens beauftragt hätte, hätte dies den Rechtsstreit in wesentlicher Weise verzögert. Es entspricht der Erfahrung des Senats, dass auch psychiatrische Fachgutachten in der Regel drei Monate benötigen, hinzu kommt die Zeit für die Stellungnahmen der Beteiligten und etwaige ergänzende Stellungnahmen (vgl. § 118 Abs. 1 SGG i.V.m. § 414 Abs. 3, Abs. 4 Zivilprozessordnung [ZPO]). Das Verfahren wäre daher über den jetzigen Entscheidungstermin, den 13. Juli 2017, hinaus verzögert worden. Hierbei berücksichtigt der Senat auch, dass das erste Wahlgutachten bei Dr. v. B. schon am 21. November 2016 in Auftrag gegeben worden war. Ferner lehnt der Senat den Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG wegen Verspätung ab. Wie ausgeführt, hatte der Kläger bereits die letzte ausdrückliche Frist zur Benennung eines geeigneten Wahlgutachters zum 10. Februar 2016 verstreichen lassen. Am 7. März 2017 hat der Senat dann mitgeteilt, dass er den Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG ablehnen werde. Auch wenn hierin nicht erneut eine ausdrückliche Frist gesetzt worden ist, so war der Kläger dennoch gehalten, nunmehr binnen angemessener Frist erneut ein Wahlgutachten zu beantragen (Keller, a.a.O., § 109 Rz. 11). Diese war verstrichen, als der Kläger den weiteren Wahlgutachter Dr. L. erst nach weiteren sechs Wochen, am 24. April 2017, benannt hat.

Die Klage des Klägers ist als Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 2 sowie Abs. 4 SGG) zulässig.

Zunächst geht der Senat davon aus, dass für die beiden Klageanträge in diesem Verfahren - Anerkennung einer PTBS als Unfallfolge und Gewährung einer Verletztenrente - eine angreifbare Verwaltungsentscheidung (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) vorliegt und insoweit das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren durchgeführt worden ist. Die Gewährung einer Verletztenrente hat die Beklagte bereits in dem angefochtenen – neuen – Bescheid vom 24. März 2014 ausdrücklich abgelehnt. Über die Anerkennung einer PTBS hat sie zwar ausdrücklich dort wiederum nicht entschieden. Sie hat aber diese Erkrankung in dem Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2014 erwähnt. Aus ihren Ausführungen dort, Dr. B. habe eine solche Erkrankung ausschließen können, ergibt sich aus hinreichender Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB] deutlich, dass sie die Anerkennung einer PTBS ablehnen wollte. Dass dies im Begründungsabschnitt und nicht im Verfügungssatz des Bescheids geschehen ist, schadet dabei nicht. Sofern der Verfügungssatz nur auf Zurückweisung gerichtet ist, können und müssen die Ausführungen in der Begründung zur Auslegung herangezogen werden. Dies gilt hier umso mehr, als der Kläger von Anfang an vor allem eine PTBS als Unfallfolge geltend gemacht hatte und die Beklagte mit den hier angegriffenen Bescheiden bereits zum zweiten Male über diesen Anspruch entschied.

Auch für den Verpflichtungsantrag auf Anerkennung einer PTBS besteht ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger begehrt hier keine unzulässige Elementenfeststellung. Als Ausnahme von dem Grundsatz, dass Elemente eines Rechtsverhältnisses nicht isoliert festgestellt werden können, erlaubt § 55 Abs. 1 Halbsatz 1 Nr. 3 SGG die Feststellung eines Arbeitsunfalls und einer daraus folgenden Gesundheitsstörung oder des Todes. Dies gilt nicht nur für die dort erfasste gerichtliche Feststellung, sondern auch für Verpflichtungsklagen auf behördliche Feststellungen, zumal mit § 102 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i.V.m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) insoweit eine Anspruchsgrundlage zur Verfügung steht (vgl. Urteil des Senats vom 4. Mai 2017 – L 6 U 1007/16 –, juris, Rz. 42 ff.). Der Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage ist hier schon nicht einschlägig, da der Kläger mit einer Verpflichtungsklage vorgeht; im Übrigen besteht insoweit ein Wahlrecht (Keller, in: Meyer-La¬de¬¬wig/Kel¬ler/Lei¬the¬rer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 54 Rz. 20b, § 55 Rz. 13c). Die Klagebefugnis für diesen Verpflichtungsantrag (§ 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG) ergibt sich daraus, dass die Beklage die begehrte Feststellung – wie ausgeführt – abgelehnt hat (vgl. Urteil des Senats vom 30. Juli 2015 – L 6 U 3058/14 –, juris, Rz. 53).

Die Klage ist aber nicht begründet.

Zunächst kann der Kläger von der Beklagten nicht die Feststellung einer PTBS als Folge des anerkannten Arbeitsunfalls vom 12. Februar 2011 verlangen.

Ein Versicherter kann die Feststellung eines solchen Versicherungsfalls einschließlich des begrifflich zum Unfall zählenden Gesundheitsschadens (Erstschaden) sowie ggfs. weiterer daraus folgender Gesundheitsschäden (Folgeschäden) verlangen, wenn sie "in Folge" des Unfalls entstanden sind (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]).

Vor diesem Hintergrund müssen zunächst die versicherte Tätigkeit, die Art und das Ausmaß des Unfallereignisses, der Gesundheitserstschaden und die hierdurch verursachten länger andauernden Unfallfolgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Die materielle bzw. objektive Beweislast für den Unfall und den Gesundheitserstschaden im Sinne der unmittelbaren körperlichen Folgen der äußeren Einwirkung sowie für das Vorliegen etwaiger Folge-schäden trägt dabei grundsätzlich der Versicherte. Dagegen ist für die haftungsbegründende und die haftungsausfüllende Kausalität, welche nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen sind, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit, ausreichend, aber auch erforderlich vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, juris Rz. 17). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht, so dass auf diesen Grad der Wahrscheinlichkeit vernünftiger Weise die Entscheidung gestützt werden kann und ernste Zweifel ausscheiden. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen. Dies schließt eine Prüfung ein, ob ein Ereignis nach wissenschaftlichen Maßstäben überhaupt geeignet ist, eine bestimmte körperliche oder seelische Störung hervorzurufen. Der wissenschaftliche Erkenntnisstand ist die Grundlage, auf der die geltend gemachten Gesundheits-störungen des konkreten Versicherten zu bewerten sind. Bei dieser einzelfallbezogenen Bewertung kann nur auf das individuelle Ausmaß der Beeinträchtigung des Versicherten abgestellt wer-den, aber nicht so wie er es subjektiv bewertet, sondern wie es objektiv ist. Die Aussage, der Versicherte sei so geschützt, wie er die Arbeit antritt, ist ebenfalls diesem Verhältnis von individueller Bewertung auf objektiver, wissenschaftlicher Grundlage zuzuordnen. Die Ursachenbeurteilung im Einzelfall hat anhand des konkreten individuellen Versicherten unter Berücksichtigung seiner Krankheiten und Vorschäden zu erfolgen, aber auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes.

Auf der materiellen, wertenden Ebene der Prüfung des Ursachenzusammenhangs, ist zu entscheiden, ob der Unfall die wesentliche Bedingung für den Gesundheitsschaden war. Hiernach werden als - rechtserheblich - kausal nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs beziehungsweise Gesundheitsschadens abgeleitet werden. Wenn es mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen gibt, ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur diese "wesentlich" und damit Ursache im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber nicht als "wesentlich" anzusehen ist, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder "Auslöser" bezeichnet werden" (Urteil des Senats vom 4. Mai 2017 – L 6 U 1007/16 –, juris, Rz. 56 ff.). Ist die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen, so ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei dieser Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne Weiteres zu unter-stellen ist. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache beziehungsweise dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens - aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, ferner das Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, die Befunde und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie die gesamte Krankengeschichte. Ergänzend ist der Schutzzweck der Norm heranzuziehen.

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung gegebenenfalls in einem oder mehreren Schritten zu prüfende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Dies wird häufig bei einem klar erkennbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, vor allem wenn es keine feststellbare konkurrierende Ursache gibt, kein Problem sein. Aber es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache das angeschuldigte Ereignis eine Ursache ist oder die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellte versicherte Ursache im naturwissenschaftlichen Sinn automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Trägers der Unfall-versicherung führen würde (vgl. zu allem auch Urteil des Senats vom 22. Januar 2015 – L 6 U 4801/12 –, juris, Rz. 36).

Der Kläger war am 12. Februar 2012 als Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) gesetzlich unfallversichert und bei der Beklagten Mitglied.

Es ist auch von einem Arbeitsunfall auszugehen, nachdem die Beklagte den Angriff des Heimbewohners E. am 12. Februar 2011 und die daraus folgende Verletzung im Nasenbereich als solchen anerkannt hat.

Zu beachten ist dabei, dass die äußere zeitliche Grenze für eine Einwirkung auf einen Versicherten, die als Arbeitsunfall eingestuft werden soll - auch in Abgrenzung zu den Fällen einer Berufskrankheit -, eine Arbeitsschicht ist (BSG, Urteil vom 26. September 1961 - 2 RU 191/59 – juris, Rz. 15, Urteil vom 30. April 1985 – 2 RU 7/84 –, juris, Rz. 15; ebenso Schönberger/Mehr¬tens/Va¬lentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 10). Dies schließt es nicht aus, dass der Arbeitstag nicht genau festgestellt werden kann, wenn nur sicher ist, dass die Einwirkung auf den Körper des Versicherten innerhalb derselben Schicht aufgetreten ist. Mehrzeitige, über eine Arbeitsschicht hinausgehende berufliche Einwirkungen erfüllen dagegen, auch wenn sie sich schädigend auswirken, nicht die Kriterien eines Arbeitsunfalles (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Juni 2016 – L 10 U 2544/13 –, juris, Rz. 45). Der Senat verkennt nicht, dass auf Grund dieser Rechtsprechung länger andauernde oder mehrfache, je für sich geringfügige Einwirkungen auf einen Versicherten, auch wenn sie in ihrer Gesamtheit schädigend wirken, unfallversicherungsrechtlich nicht erfasst werden, wenn sie nicht als Listen-Berufskrankheit nach § 9 Abs. 1 SGB VII oder als "Wie-BK" nach § 9 Abs. 2 SGB VII anerkannt sind. Diese mögliche "Lücke" im Schutzsystem des Unfallversicherungsrechts kann jedoch nicht durch eine erweiternde Auslegung des Begriffs "Arbeitsunfall" geschlossen werden. Ohne tendenziell enge zeitliche Abgrenzung wäre dieser nach § 8 Abs. 1 SGB VII nicht mehr handhabbar. Es ist Aufgabe des in § 9 Abs. 1 SGB VII bezeichneten Verordnungsgebers, der Bundesregierung, neu aufgetretene oder neu erkannte Berufskrankheiten zu erfassen und in die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) aufzunehmen. Im Vorfeld einer Anerkennung fällt diese Aufgabe nach § 9 Abs. 2 SGB VII der Judikative zu. In diesem Rahmen erschiene es auch nicht ausgeschlossen, dass rein psychisch bedingte Erkrankungen als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn sie in bestimmten Berufen mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit auftreten als in der Allgemeinbevölkerung (vgl. BSG, Urteil vom 20. Juli 2010 – B 2 U 19/09 R –, juris, Rz. 26), wobei hier gerade bei psychischen Erkrankungen wegen ihrer vielfältigen Erscheinungsformen und ihrer oft multifaktoriellen Genese ein gewisser Vorrang für den Verordnungsgeber nach § 9 Abs. 1 SGB VII besteht. Der Senat jedenfalls muss diesen Fragen nicht nachgehen, da der Kläger in Bezug auf seine psychischen Erkrankungen keine Berufskrankheit, auch keine Wie-BK, anschuldigt, sondern allein einen Arbeitsunfall.

Die vom Kläger als Gesundheitsfolgeschaden geltend gemachte PTBS besteht bereits nicht, sodass es auf die Frage eines Wahrscheinlichkeitszusammenhangs zu dem Arbeitsunfall auf rechtlicher Ebene nicht ankommt.

Die PTBS, in der bereits erwähnten ICD-10 GM (aktuelle Fassung 2017) nach F43.1 kodiert wird, bezeichnet eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (vgl. Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 – L 6 U 1013/15 –, juris, Rz. 76). Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über. Kriterien für die Diagnosestellung sind (vgl. im Einzelnen Schnyder, MedSach 2003, S. 142, 143 f.) ein Ereignis von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß, das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde (A-Kriterium), Wiedererleben: Erinnerungen tagsüber, Träume, Flashbacks, Bedrängnis bei Konfrontation mit ähnlichen Ereignissen (B-Kriterium), Vermeidung von Umständen, welche der Belastung ähneln (C-Kri¬terium), Amnesie oder erhöhte Sensitivität und Erregung: mindestens zwei der folgenden Merkmale: Schlafstörungen, Reizbarkeit oder Wutausbrüche, Konzentrationsstörungen, Hypervigilanz, erhöhte Schreckhaftigkeit (D-Kriterium) sowie das Auftreten in der Regel innerhalb von sechs Monaten nach dem Ereignis (E-Kriterium). Nach diesem Diagnosesystem orientiert sich die vertragsärztliche Behandlung (Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 -, juris, Rz. 36). Es ist daher in erster Linie auch von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie den Sachverständigen anzuwenden, da es die nachvollziehbare Feststellung einer konkreten psychischen Gesundheitsstörung unter Verwendung eines üblichen Diagnosesystems sowie des dortigen Schlüssels und der Bezeichnungen ermöglicht.

Zur Feststellung einer PTBS herangezogen wird auch das von der American Psychiatric Association in den USA herausgegebene "Diagnostische und statistische Manual psychischer Störungen", das seit 1996 auch auf Deutsch vorliegt. Die Textrevision der vierten Auflage wurde im Jahre 2000 veröffentlicht (DSM-IV-TR). Nach DSM-IV-TR 309.81 ist das so genannte "Traumakriterium", das A-Kriterium, eingängiger gefasst. Es umfasst unter anderem das direkte persönliche Erleben einer Situation, die mit dem Tod oder der Androhung des Todes, einer schweren Verletzung oder einer anderen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit zu tun hat (A1-Kriterium). Es muss ein extremes, lebensbedrohliches Ereignis tatsächlich stattgefunden haben (Foerster/Leon¬hardt, MedSach 2003, S. 146, 147). Bezüglich des Erlebnisses ist eine Reaktion von Angst, Hilflosigkeit oder Grauen zu verlangen (A2-Kriterium). Weitere Kriterien sind (vgl. Schnyder, a.a.O.) ständiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses (B-Kriterium), anhaltendes Vermeiden spezifischer Stimuli, welche an das Trauma erinnern (C-Kriterium), Angst oder erhöhtes Erregungsniveau (D-Kriterium), Dauer mindestens ein Monat (E-Kriterium) sowie erhebliches Leiden oder Beeinträchtigung in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Bereichen (F-Kriterium). Die seit Mai 2013 dem DSM-IV-TR folgende, nunmehr in deutscher Sprache vorliegende 5. Auflage des Diagnostischen und statistischen Manuals (DSM-5) steht dem an sich nicht entgegen (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 27. August 2015 - L 6 VS 4569/14 -, juris, Rz. 40; zu den Einwänden gegen das DSM-5 im Einzelnen auch Widder/Dreßing/Gonschorek/Te¬gent¬hoff/Drechsel-Schlund, MedSach 2016, S. 156 ff.).

Beide Diagnosesysteme bauen auf ein einzelnes traumatisches Ereignis auf, das zwar länger andauern kann, aber nicht durch mehrere einzelne Ereignisse ersetzt werden kann, die je für sich nicht die Schwere erreichen, die nach den beiden Diagnosesystemen vorausgesetzt ist. Eine "komplexe" PTBS, wie sie z.B. PD Dr. V. in seinem Gutachten vom 5. Dezember 2012 erwogen hat, ist diagnostisch nicht vorgesehen. Auf diesen medizinischen Satz hat insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. St. in seinem vom SG erhobenen Gutachten überzeugend hingewiesen. Dem entspricht die historisch-medizinische Erfassung dieser Erkrankung, die erstmals bei Veteranen des Ersten Weltkriegs beschrieben wurde, aber damals noch nicht eingeordnet werden konnte ("Granatfieber", "Zitterkrankheit"). Entwickelt wurde das Konzept der PTBS dann unter dem Druck der Veteranen des 1955 begonnenen Vietnamkrieges, denen ganz unzweifelhaft permanente lebensbedrohliche Ereignisse widerfahren waren und die Gräueltaten hatten mit anblicken müssen (vgl. Hirsch, MedSach 2003, S. 137, 140). Gerade diese Herkunft der Diagnose zeigt, dass zwar auch eine Mehrzahl traumatischer Ereignisse – erst Recht – eine PTBS auslösen können, dass diese aber jeweils die Kriterien einer Lebensbedrohung erfüllen müssen (vgl. auch Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 – L 6 U 1013/15 –, juris, Rz. 76).

Bei dem Kläger fehlt es hiernach bereits an dem A-Kriterium. Zunächst war der einzelne Angriff des Heimbewohners E. am 12. Februar 2011 weder im Sinne der ICD-10 GM lebensbedrohlich noch hat er ihn entsprechend der eher subjektiven Betrachtungsweise des DSM-IV-TR als lebensbedrohlich empfunden. Es handelte sich um einen Schlag eines behinderten Heimbewohners in Richtung des Gesichts, dem der Kläger nach seinen eigenen Angaben weitgehend ausweichen konnte. Er hat ferner angegeben, es habe sich eher um eine psychische Belastung gehandelt als um das Erleben eines potenziell lebensbedrohlichen – körperlichen – Angriffs. Dies gilt umso mehr, als der Kläger bei seinen Angaben gegenüber den verschiedenen Gutachtern regelmäßig eher auf den Angriff vom 19. Mai 2010 durch einen anderen Heimbewohner abgehoben hat, bei dem er auch gebissen worden sei, woraus sich z.B. die Angst entwickelt habe sei, eine HIV-Infektion erlitten zu haben. Ob dieser andere Angriff am 19. Mai 2010 – oder ein anderer der geschilderten Angriffe – als "A-Kriterium" eingestuft werden kann, ist an dieser Stelle nicht zu entscheiden, da keiner der anderen Vorfälle Streitgegenstand ist. Von den weiteren Kriterien der PTBS ist bei dem Kläger allenfalls das D-Kriterium erfüllt. Angst und andauernde Übererregung ("Hyperarousal") liegen vor. Die Symptome, die er zeigt, sind von manchen Behandlern sogar als eigenständige Angsterkrankung eingestuft worden. Wie sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. St. ergibt, liegt sogar eine massive, wohl aber auf bestimmte Orte und Situationen beschränkte Angst vor, die soweit reicht, dass sich der Kläger in seiner Wohnung verbarrikadiert.

Das B- und das C-Kriterium der PTBS liegen dagegen ebenso wie das A-Kriterium nicht vor. Der Kläger schildert durchgängig, auch bei der Begutachtung bei Prof. Dr. St., die Wieder-erinnerungen derart, dass ihm die Gesichter der Heimbewohner, oftmals lachend, was er als Auslachen empfindet, erscheinen. Erinnerungen an die konkreten Angriffe, sei als flash-backs tagsüber, sei es als Alpträume, hat er dagegen nicht angegeben. Und auch das Vermeidungsverhalten des Klägers ist eher seinen allgemeinen Ängsten geschuldet. So meidet er Supermärkte und enge Räume wie Fahrstühle, aber ein konkretes Vermeidungsverhalten in Bezug auf die Angriffe der Heimbewohner schildert er nicht. Prof. Dr. St. hat aus seinen Angaben bei ihm eher den Schluss gezogen, dass eine allgemeine Abneigung zur Rückkehr an den Arbeitsplatz in der Wohneinrichtung besteht, losgelöst von den zurzeit dort konkret lebenden Bewohnern. Dies mag mit den Mobbingerfahrungen zusammenhängen, die er für seine Arbeit in der Einrichtung vorgetragen hat. Symptome einer PTBS ergeben sich daraus nicht.

Auch eine Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. Februar 2011 kann der Kläger nicht verlangen.

Rechtsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls in Form des Wegeunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Einschätzung der MdE setzt voraus, dass der Arbeitsunfall bei dem Kläger eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat, entweder durch einen unfallbedingten Gesundheitserst- oder einen damit im Ursachenzusammenhang stehenden Gesundheitsfolgeschaden (vgl. Urteil des Senats vom 4. Mai 2017 – L 6 U 207/17 –, juris, Rz. 65).

Im Rahmen einer Rentenklage wie hier sind nicht nur anerkannte Gesundheitsschäden zu berücksichtigen, sondern auch andere. Dies gilt unabhängig davon, ob ihretwegen parallel Anerkennung oder Feststellung begehrt wird oder nicht. Für einen Anspruch auf Verletztenrente sind die einzelnen Gesundheitsschäden nur einzelne Elemente, für die eine isolierte – vorherige oder gleichzeitige – Feststellung nicht notwendig ist.

Bei dem Kläger sind als Folge des Unfalls vom 12. Februar 2011 keine rentenberechtigenden Gesundheitsschäden verblieben. Die körperlichen Folgen des leichten Schlags auf die Nase, dem der Kläger nach seinen Angaben weitgehend hat ausweichen können, haben nicht wenigstens 26 Wochen angedauert. Eine PTBS liegt bei dem Kläger, wie ausgeführt, überhaupt nicht vor. Die anderen psychischen Erkrankungen, die bei dem Kläger bestehen, sind nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall vom 12. Februar 2011 als wesentlicher Ursache zurückzuführen.

Bei dem Kläger sind im Laufe der mehrjährigen Behandlungen, vor allem seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit im Frühjahr 2011, und bei den mehreren Begutachtungen seitdem eine Vielzahl psychiatrischer Diagnosen gestellt worden. Der Entlassungsbericht der M. P. Ch. B. vom 3. Februar 2012 nannte als Diagnosen Anpassungsstörungen (F43.2 ICD-10 GM), eine mittelgradige depressive Episode (F32.1), Zwangshandlungen (F42.1), eine Somatisierungsstörung (F45.0) und eine generalisierte Angststörung (F41.1). Der von der Beklagten beauftragte Gutachter PD Dr. B. hatte eine PTBS verneint und stattdessen eine – diagnostisch nicht klassifizierte – spezifische Phobie in Bezug auf die Arbeit als Heilerziehungspflegehelfer angenommen. In dem Gutachten von Dr. W. vom 15. April 2013 in dem schwerbehindertenrechtlichen Verfahren beim SG war ausgeführt, zu diagnostizieren seien eine Migräne ohne Aura (G43.0), Angst und Depression gemischt (F41.1) und eine Somatisierungsstörung (F45.0) vor dem Hintergrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung (F61.x). PD Dr. V. hatte dann in seinem Gutachten vom 5. Dezember 2012, wie ausgeführt, die Beeinträchtigungen des Klägers als "komplexe PTBS nach F43.1 ICD-10 GM" diagnostiziert, aber nachdem es eine solche Erkrankung in den genannten Klassifikationssystemen nicht gibt – auch F43.8 ICD-10 GM erfasst andere Fälle, nämlich die so genannte "subsyndromale PTBS" –, kann dem nicht gefolgt werden. Das Gleiche gilt für die mehreren Atteste des behandelnden Arztes Dr. D. und das rentenversicherungsrechtliche Gutachten von Dr. W. vom 12. September 2013.

Vor diesem Hintergrund ist es nachvollziehbar, dass der vom SG beauftragte Sachverständige Prof. Dr. St. ausgeführt hat, die Erkrankung des Klägers sei nicht zuverlässig zu klassifizieren. Er hat auf die Besonderheit hingewiesen, dass die Störung progredient zu verlaufen scheint und die Symptomatik sogar nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben schlechter geworden ist, was generell gegen eine berufliche Verursachung spricht. Prof. Dr. St. hat die Erkrankung des Klägers daher nicht abschließend eingeordnet, sondern differentialdiagnostisch entweder eine ausgeprägte (kombinierte) Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und paranoiden Anteilen (F61 ICD-10 GM, mit Elementen nach F60.0 und F60.1) oder aber eine nichtklassifizierte, aber in der wissenschaftlichen Literatur gelegentlich beschriebene Erkrankung (blande verlaufende schizophrene Störung im Sinne einer "Schiziophrenia simplex" bzw. etwas Ähnliches) erwogen.

Ob bei dem Kläger eine der klassifizierten Diagnosen anzunehmen ist, die von den Ärzten genannt worden sind oder aber der Einordnung von Prof. Dr. St. gefolgt werden kann, muss der Senat nicht entscheiden. Im Rahmen einer Klage auf Verletztenrente ist die genaue diagnostische Einordnung der fraglichen Erkrankung nicht notwendig, weil die Erkrankung, wie ausgeführt, nur eine Element, eine Vorfrage des Anspruchs darstellt.

Die psychische Erkrankung des Klägers beruht nicht mit Wahrscheinlichkeit auf dem Arbeitsunfall vom 12. Februar 2011. Keiner der ärztlichen Gutachter, die zu dieser Frage Stellung genommen haben, hat einen solchen Zusammenhang bejaht, wobei PD Dr. B. nicht explizit auf das streitgegenständliche Ereignis abgestellt hat, das ihm der Kläger gar nicht mitgeteilt hatte, sondern auf den schwerer wiegenden Vorfall vom 19. Mai 2010. Auch PD Dr. V. hat in seinem Gutachten vom 5. Dezember 2012 ausgeführt, die – von ihm angenommene – "komplexe PTBS" sei nur ein Teil der pathologischen Entwicklung, es sei vor dem Hintergrund der querulatorischen und z.T. schizoiden Persönlichkeitsakzentuierungen schon seit Jahren zu Problemen am Arbeitsplatz gekommen, auch mit Kollegen, was der Kläger als "Mobbing" wahrgenommen habe. Diese Erfahrungen hätten – ggfs. in ihrer Gesamtheit – die Verbitterung und später Wut und Frust bei ihm entstehen lassen. Insbesondere Prof. Dr. St. hat für den Senat überzeugend herausgearbeitet, dass die Persönlichkeitsakzentuierung des Klägers vorbestehend war und vielleicht auch schon pathologische Ausmaße hatte, also schon eine Persönlichkeitsstörung darstellte, als es zu den Angriffen durch die Heimbewohner kam. Die progrediente Entwicklung der Symptome auch nach seiner Berentung weist ebenfalls darauf hin, dass nicht berufliche Einwirkungen die Ursache waren. Insgesamt passen die Symptome, die der Kläger zeigt, auch nicht in das Bild reaktiver psychischer Erkrankungen. Dies gilt auch für die z.T. vorhandenen depressiven Elemente, denn eine depressive Erkrankung nach F32.x oder F33.x ICD-10 GM insgesamt beruht nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand auf einem multifaktoriellen Bedingungsgeflecht, in dem insbesondere einzelnen, auch traumatischen äußeren Einwirkungen in der Regel keine wesentliche Bedeutung zukommt (vgl. Urteil des Senats vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 23), allenfalls einzelne Episoden einer rezidivierenden depressiven Erkrankung (F33.x) können solche äußeren Einwirkungen als Auslöser haben.

Das von dem Kläger gelegentlich geltend gemachte Schleudertrauma der Halswirbelsäule hat er selbst nicht auf den Angriff vom 12. Februar 2011, sondern auf den Wegeunfall mit dem Pkw am 2. Januar 2012 zurückgeführt.

Letztlich ist auch der bei dem Kläger bestehende Tinnitus bds. keine Folge des Angriffs vom 12. Februar 2011. Diese Einschätzung stützt der Senat auf die Feststellungen und Schlussfolgerungen des hno-ärztlichen Gutachtens von Prof. Dr. M. vom 22. Mai 2012. Dieser Sachverständige hat ausgeführt, dass die Einwirkungen, die er geschildert habe, weder für sich noch insgesamt geeignet gewesen, eine contusio cochleae mit konsekutivem Tinnitus hervorzurufen. Gegen eine traumatische Genese spreche insgesamt die beidseitige Ausprägung. Diese Ausführungen hat Prof. Dr. M. vor allem auf den Pkw-Unfall am 2. Januar 2011 bezogen. Aber ein Schlag in Richtung der Nase, wie ihn der Kläger bei dem hier angeschuldigten Arbeitsunfall am 12. Februar 2011 erlitten hat, ist noch weniger geeignet, das innere Ohr zu schädigen und einen Tinnitus hervorzurufen.

Wenn demnach der Angriff vom 12. Februar 2011 keine dauerhaften Gesundheitsschäden verursacht hat, kann aus ihm auch keine rentenberechtigende MdE folgen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich. Insbesondere hat die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob mehrere Einwirkungen auf einen Versicherten über eine einzelne Arbeitsschicht hinaus zusammen als einheitlicher Arbeitsunfall eingestuft werden können, keine grundsätzliche Bedeutung nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Diese Frage hat die höchstrichterliche Rechtsprechung verneint. Es ist nicht ersichtlich, dass sie erneut klärungsbedürftig geworden wäre.
Rechtskraft
Aus
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