L 13 R 878/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 2724/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 878/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Februar 2017 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung an das Sozialgericht Karlsruhe zurückverwiesen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, welche die Beklagte abgelehnt hat, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die am 14. Januar 2013 eingetretene Erwerbsminderung nicht erfüllt seien.

Der am 13. Mai 1957 geborene Kläger beantragte am 30. März 2015 bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei und ließ den Kläger vom Nervenarzt N. begutachten. Der Gutachter gelangte in seinem Gutachten vom 28. Juli 2015 zu der Auffassung, dass der Kläger eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch täglich sechs Stunden und mehr ausüben könne. Die Beratungsärztin Dr. K. beurteilte die Leistungsfähigkeit des Klägers dagegen mit unter sechsstündig. Dieser Zustand bestehe seit 14. Januar 2013 mit Eintreten einer Arbeitsunfähigkeit. Eine medizinische Rehabilitation wurde empfohlen. Hierauf lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit undatiertem Bescheid (Bl. 83 der Verwaltungsakten der Beklagten) ab. Der Kläger sei seit dem 14. Januar 2013 voll erwerbsgemindert. Eine Rente wegen Erwerbsminderung scheide aber aus, da die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Vom 14. März 2007 bis zum 13. Januar 2013 seien lediglich 15 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2015 bot die Beklagte dem Kläger Leistungen zur psychosomatischen medizinischen Rehabilitation an. Am 5. November 2015 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch, den er am 7. Januar 2016 damit begründete, dass die Erwerbsminderung später eingetreten sei. Er habe nach dem 14. Januar 2013 noch Maßnahmen über die Agentur für Arbeit belegt und Arbeitslosengeld bezogen und habe auch dem Arbeitsmarkt voll zur Verfügung gestanden. In diesem Zeitraum seien auch Bewerbungen erfolgt. Laut beigefügtem Befundbericht der behandelnden Psychiaterin vom 3. Juli 2014 sei die Arbeitsfähigkeit nicht in Frage gestellt worden. Bereits zuvor, nämlich mit Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 2015, hat die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Beklagte hat - mit Zustimmung des Klägers - die Widerspruchsbegründung als Überprüfungsantrag gewertet. Aktenkundig wurde der Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Bad Dürrheim vom 22. Januar 2016, wonach die behandelnden Ärzte aufgrund eines Heilverfahrens vom 30. November 2015 bis 5. Januar 2016 zu der Auffassung gelangten, dass der Kläger nur unter dreistündig leistungsfähig sei. Der Beratungsarzt der Beklagten, Herr E., gelangte unter dem 4. März 2016 zu der Auffassung, dass die Erwerbsminderung am 14. Januar 2013 eingetreten sei. Mit Bescheid vom 29. März 2016 lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 5. Oktober 2015 ab, da es beim Leistungsfall 14. Januar 2013 verbleibe. Den am 25. April 2016 erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Juli 2016 als unbegründet zurück.

Am 10. August 2016 hat der Kläger hiergegen Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, die Erwerbsunfähigkeit sei erst im Januar 2016 eingetreten, weshalb die Voraussetzungen für eine Erwerbsunfähigkeitsrente erfüllt seien. Das SG hat ohne Ermittlungen mit Urteil vom 7. Februar 2017 die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen wird dargelegt, dass die Klage mit dem verkündeten Urteil abgewiesen worden sei, weil der Kläger ohnehin nur 17 Monate mit Pflichtbeitragszeiten aufzuweisen habe, sodass die Erwerbsminderung nicht habe geprüft werden brauchen. Nach der Verkündung des Urteils sei hingegen festgestellt worden, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ab Dezember 2014 erfüllt seien. Gegen den von der Beklagten angenommenen Leistungsfall am 14. Januar 2013 spreche einiges, sodass es weitere medizinische Ermittlungen hätte durchführen müssen. Dies könne gegebenenfalls das Berufungsgericht nachholen.

Gegen das dem Kläger am 17. Februar 2017 zugestellte Urteil hat er am 1. März 2017 (beim SG) Berufung eingelegt und in der Folge damit begründet, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen spätestens im März 2015 erfüllt seien. Das SG habe einen Verfahrensfehler begangen, da es sich habe gedrängt fühlen müssen, seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen und zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen nach § 43 SGB VI weitergehende Ermittlungen vorzunehmen. Auch habe das SG den Anspruch auf rechtliches Gehör dadurch verletzt, dass es den Kern des Vorbringens verkannt und daher eine entscheidungserhebliche Frage verfehlt beantwortet habe. Das Urteil könne auf diesen Verfahrensfehlern beruhen, da bei Einholung eines Gutachtens bzw. bei Vornahme weiterer medizinischer Ermittlungen nicht auszuschließen sei, dass das SG zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre. Es sei noch vollkommen offen, zu welchem Zeitpunkt in der Vergangenheit Erwerbsminderung eingetreten sei. Die Beweisaufnahme sei auch umfassend und aufwendig. Auch unter Ermessenserwägungen sei die Zurückverweisung sachgerecht. Der Rechtsstreit sei erst kurze Zeit beim Berufungsgericht anhängig, sodass kein wesentlicher zeitlicher Nachteil entstehe. Zudem werde vermieden, dass der Kläger faktisch eine Instanz verliere.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Februar 2017 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Sozialgericht Karlsruhe zurückzuverweisen, hilfsweise das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 7. Februar 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 5. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2015 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2015 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger habe im Rentenantrag selbst einen Leistungsfall am 1. Januar 2013 geltend gemacht, was für den festgestellten Leistungsfall spreche. Es werde aber angeregt, ein nervenfachärztliches Sachverständigengutachten einzuholen unter Berücksichtigung der vorliegenden Unterlagen, einer akribischen Anamneseerhebung und Beurteilung des Ergebnisses der rehabilitativen Behandlung. Über eine Zurückverweisung entscheide das Berufungsgericht.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung zur Durchführung weiterer Ermittlungen an das SG erfolgreich.

Gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Landessozialgericht durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig ist. Wesentlich ist der Mangel, wenn die Entscheidung auf ihm beruhen kann (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Auflage, § 159 Rdnr. 3a).

Das Verfahren unterlag einem wesentlichen Verfahrensmangel, weil das SG im verkündeten Urteil den Kern des klägerischen Vorbringens nicht berücksichtigt und damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, a.a.O., § 62 Rdnr. 7). Der Kläger hat mit Erhebung der Klage bereits vorgetragen, dass die Voraussetzungen für die Rente erfüllt seien, da die Erwerbsunfähigkeit (richtig Erwerbsminderung) erst im Januar 2016 eingetreten sei. Damit hat der Kläger seine Rechtsauffassung dargelegt, dass unter Beachtung dieses Eintritts des Leistungsfalles die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Diesen Kern des Vorbringens hat das SG im verkündeten Urteil nicht geprüft. Hätte das SG die Voraussetzungen geprüft, so hätte es anhand des Gesamtkontospiegels (vgl. insbesondere Bl. 134 der Verwaltungsakten der Beklagten) unschwer feststellen können, dass ab Februar 2011 wieder Pflichtbeitragszeiten sowie Anrechnungszeiten vorliegen, weshalb - je nach Eintrittszeitpunkt - die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB VI erfüllt sein können und deshalb Ermittlungen zu den leistungsrelevanten Erkrankungen des Klägers notwendig waren. Die Entscheidung kann auch auf dem Mangel beruhen. Das SG hat in dem schriftlich abgefassten Urteil selbst ausgeführt, dass die Entscheidung anders ausfallen kann, wenn es Ermittlungen ergriffen hätte. Es ist auch eine umfangreiche und aufwendige Beweisaufnahme notwendig. Gerade bei der schwierigen Frage, wann bei -oftmals starken Schwankungen unterliegenden- psychiatrischen Erkrankungen eine auf Dauer angelegte rentenrelevante Reduzierung der Leistungsfähigkeit nachweislich eingetreten ist, sind zunächst die behandelnden Ärzte zu befragen. Zudem erscheint es auch erforderlich abzuklären, ob die Bundesagentur für Arbeit, Krankenkasse oder das Versorgungsamt aussagekräftige Unterlagen in dem relevanten Zeitraum haben und diese ggfs. beizuziehen. Schließlich sind psychiatrische Gutachten einzuholen, bis ein überzeugendes Gutachten vorliegt, das sämtliche Unterlagen und die Angaben des Klägers schlüssig und nachvollziehbar würdigt, was sozialmedizinisch überaus schwierig ist.

Das damit eröffnete Ermessen übt der Senat dahingehend aus, das Verfahren an das SG zurückzuverweisen. Der Rechtsstreit ist erst kurze Zeit am Berufungsgericht anhängig, sodass der Kläger keinen wesentlichen zeitlichen Nachteil in Kauf nehmen muss. Der Kläger selbst wünscht die Zurückverweisung, damit er nicht eine Instanz verliert. Die Beklagte ist einer Zurückverweisung nicht entgegengetreten.

Die Kostenentscheidung bleibt der erneuten Entscheidung des SG vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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