L 12 AS 2401/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 17 AS 3728/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 2401/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02.06.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens die Gewährung von Einstiegsgeldes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der in der Türkei geborene Kläger zog im Jahre 1979 in die Bundesrepublik Deutschland zu. Nach eigenen Angaben hatte er bereits in der Türkei eine selbständige Tätigkeit ausgeübt und dies auch nach seinem Zuzug fortgesetzt. Seit 21.01.2005 bezieht der Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Arbeitslosengeld [Alg] II). Seither beantragte er wiederholt erfolglos die Gewährung von Einstiegsgeld; zuletzt hatte der Beklagte einen entsprechender Antrag mit Bescheid vom 26.03.2015 abgelehnt. Zur Begründung hatte der Beklagte ausgeführt, der Antrag vom selben Tag sei nicht rechtzeitig gestellt worden. Der Kläger übe eine selbständige Tätigkeit in diesem Bereich bereits seit 11.10.2010 ununterbrochen aus. Am 11.10.2010 hatte der Kläger bei der Stadt P. ein Gewerbe "N." angemeldet. Den seitens des Klägers gegen den Bescheid vom 26.03.2015 am 28.03.2015 per E-Mail erhobenen Widerspruch hatte der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 26.05.2015 als unzulässig verworfen.

Seit Januar 2015 bezieht der Kläger vom zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und eine bis 30.06.2018 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Neben der Rente werden vom Beklagten weiterhin aufstockende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II gewährt.

Am 13.10.2015 beantragte der Kläger die Überprüfung des Bescheids vom 26.03.2015 gemäß § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21.10.2015 ab. Zur Begründung führte er u. a. aus, die seit Oktober 2010 ausgeübte selbständige Tätigkeit habe sich bisher nicht als finanziell tragfähig erwiesen. Die zurückliegenden und voraussichtlich zukünftigen unternehmerischen Aktivitäten des Klägers ließen nicht den Schluss zu, dass das zu erwartende Einkommen geeignet sei, auf Dauer eine ausreichende Lebensgrundlage zu bieten. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 24.10.2015 Widerspruch und trug vor, er habe von Anfang an Einstiegsgeld beantragt, seine Anträge seien jedoch stets abgelehnt worden. Sein neuer Businessplan vom 20.03.2015 bestätige die Rentabilität seiner unternehmerischen Aktivitäten. Mit Widerspruchsbescheid vom 04.11.2015 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Mit der am 17.11.2015 beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Der für ihn beim Beklagten zuständige Sachbearbeiter habe ihn aufgefordert, zuerst das Gewerbe anzumelden und dann erst das Einstiegsgeld zu beantragen. Dem habe er Folge geleistet. Der Beklagte solle ihn fördern und unterstützen, anstatt ihn zu hemmen. Er habe seinen Businessplan deutlich verbessert und benötige für den Vertrieb deutscher Anlagen in die Türkei die Unterstützung des Beklagten. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02.06.2016 abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 SGB X lägen nicht vor; der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Einstiegsgeld. Eine Förderung scheitere bereits daran, dass der Kläger seine selbständige Tätigkeit bereits seit dem Jahre 2010 ausübe. Nach dem Wortlaut des § 16b SGB II und nach Sinn und Zweck des Einstiegsgeldes sei zu fordern, dass die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit und die Gewährung des Einstiegsgeldes in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang stünden. Dies sei im Fall des Klägers nicht mehr möglich.

Gegen den ihm gemäß Postzustellungsurkunde am 08.06.2016 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 29.06.2016 beim Landessozialgericht (LSG) eingegangene Berufung. Zur Begründung wiederholt und vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02.06.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2015 zu verurteilen, den Bescheid vom 21.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2015 zurückzunehmen und ihm Einstiegsgeld zu gewähren,

hilfsweise,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 02.06.2016 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 21.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2015 zu verurteilen, den Bescheid vom 21.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2015 zurückzunehmen und über seinen Antrag auf Gewährung von Einstiegsgeld erneut ermessensfehlerfrei zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend. Mittlerweile seien vier Businesspläne des Klägers von der Handwerkskammer als unzureichend bewertet worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet. Die Berufung ist jedoch sowohl im Hinblick auf den Haupt- als auch im Hinblick auf den Hilfsantrag des Klägers unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Gegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist der den Antrag des Kläger auf Zurücknahme des Bescheids vom 21.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2015 und Gewährung von Einstiegsgeld ablehnende Bescheid vom 21.10.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.11.2015. Dieser erweist sich als rechtmäßig und den Kläger nicht in subjektiven Rechten verletzend; der Beklagte hat den (Überprüfungs-) Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt.

Nach § 44 Abs. 1 SGG ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Der Beklagte hat bei Erlass des den (erneuten) Antrag des Klägers auf Einstiegsgeld ablehnenden Bescheids vom 21.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.05.2015 jedoch weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich aus heutiger Sicht als unrichtig erweist. Der Kläger erfüllt bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs auf Einstiegsgeld nicht; bei dieser Sachlage kann er weder die begehrte Leistung noch eine erneute ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten beanspruchen.

Rechtsgrundlage für die Gewährung des begehrten Einstiegsgelds ist § 16b Abs. 1 SGB II. Nach Satz 1 der Vorschrift kann zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit ein Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich ist. Das Einstiegsgeld kann auch erbracht werden, wenn die Hilfebedürftigkeit durch oder nach Aufnahme der Erwerbstätigkeit entfällt (§ 16b Abs. 1 Satz 2 SGB II).

Nach dem Wortlaut enthält § 16b Abs. 1 S. 1 SGB II zwei Leistungsvoraussetzungen: Die Überwindung der Hilfebedürftigkeit und die Erforderlichkeit des Einstiegsgelds zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Es handelt sich dabei um unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Behörde keinen Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eröffnen. Die Voraussetzungen sind anhand einer Prognose zu beurteilen, wobei auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 05.08.2015 – B 4 AS 46/14 R –, juris).

Von einer Überwindung der Hilfebedürftigkeit ist nur dann auszugehen, wenn die beabsichtigte Tätigkeit die Prognose erlaubt, dass der Lebensunterhalt langfristig durch diese Erwerbstätigkeit finanziert werden kann, sprich prognostisch von einem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug ausgegangen werden kann. Es ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, also insbesondere auf die beabsichtigte Tätigkeit, die Entwicklungsmöglichkeiten, die Kompetenzen des Antragstellers und den in Frage kommenden Markt samt Verdienstmöglichkeiten (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 22.10.2015 – L 7 AS 260/15 –, juris m.w.N.). Als weiteres (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmals setzt die Gewährung des Einstiegsgelds voraus, dass zwischen der Aufnahme der Erwerbstätigkeit und der Bewilligung des Einstiegsgelds ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht (Stölting in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 16b Rn. 19; vgl. auch BSG, Urteil vom 23.11.2006 – B 11b AS 3/05 R –, SozR 4-4200 § 16 Nr.1). Einstiegsgeld kann deshalb nicht gewährt werden, wenn die Förderung einer bereits ausgeübten Tätigkeit begehrt wird und nicht ersichtlich ist, dass eine wesentliche Änderung der Tätigkeit geplant ist.

Keine dieser Voraussetzungen liegt im Fall des Klägers vor. Angesichts des Umstands, dass dieser derzeit eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht, besteht aktuell schon keine Möglichkeit und damit erst Recht keine Erforderlichkeit des Einstiegsgelds zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Daneben ist auch die vom Beklagten getroffene Prognoseentscheidung, der Kläger werde durch die Ausübung der selbständigen Tätigkeit nicht in die Lage versetzt, langfristig seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, nicht zu beanstanden. Bestätigt wird die Richtigkeit dieser Einschätzung nicht nur durch mittlerweile vier Bewertungen der Handwerkskammer zu den vom Kläger eingereichten Businessplänen, sondern auch durch den tatsächlichen Geschehensablauf; denn der Kläger ist trotz langjähriger Ausübung der selbständigen Tätigkeit jedenfalls seit der Gewerbeanmeldung im Oktober 2010 durchgängig auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II angewiesen. Letztlich fehlt es auch an dem erforderlichen engen zeitlicher Zusammenhang zwischen der Aufnahme der Erwerbstätigkeit und der Bewilligung des Einstiegsgelds. Der Kläger begehrt vielmehr seit Jahren die Förderung einer von ihm jedenfalls seit der Gewerbeanmeldung auch tatsächlich ausgeübten selbständigen Tätigkeit. Dass eine inhaltlich Änderung dieser Tätigkeit beabsichtigt wäre, ist nicht erkennbar und wird vom Kläger auch nicht behauptet. Für die Förderung einer derartigen Tätigkeit bietet § 16b SGB II keine Grundlage.

Ergänzend nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Entscheidungsgründe des mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheids des SG Bezug und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung eigener Gründe ab.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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