L 6 U 1810/17 ZVW

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 18 U 1907/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 1810/17 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte erstattet der Klägerin ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beider Instanzen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten in einem zurückverwiesenen Berufungsverfahren weiterhin um die Gewährung einer Verletztenrente nach einem Arbeitsunfall.

Die Klägerin ist 1968 geboren. Sie war ab 2002 bei der D. P. AG als Briefzustellerin beschäftigt und in diesem Rahmen bei einer der Rechtsvorgängerinnen der Beklagten (im Folgenden einheitlich: Beklagte) gesetzlich unfallversichert. Am 14. Februar 2008 stürzte sie beim Zustellen von Briefpost eine Treppe hinab und erlitt eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes sowie Prellungen am rechten Knie. Insgesamt wurden die Verletzungen dreimal operativ versorgt. Im April 2008 erhielt die Klägerin eine Kreuzbandplastik und im Dezember 2008 wurden eine Arthrolyse, die Resektion eines Zyclops und eine Notchplastik durchgeführt. Zuletzt wurde am 13. Juni 2009 in der BG-Klinik L. eine Außenmeniskusglättung mit Plicaresektion vorgenommen (Entlassungsbericht vom 26. Juni 2009). Die Klägerin war durchgängig als Briefzustellerin arbeitsunfähig und bezog Verletztengeld von der Beklagten (nach zwischenzeitlicher Einstellung der Zahlung zum 2. November 2009 aufgrund des rechtskräftigen Urteils des Sozialgerichts Mannheim vom 29. Januar 2014 - S 2 U 2939/11) bis zum 17. Januar 2010.

Prof. Dr. W. diagnostizierte in dem Untersuchungsbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 21. Dezember 2009 eine regelhaft eingebrachte Kreuzbandplastik mit einer latent verbleibenden sagittalen Instabilität (von vorn nach hinten) und einer Schrumpfung der dorsalen Kapsel mit einer Beuge- und Streckhemmung im Kniegelenk sowie einen belastungsabhängigen vorderen Kniegelenksschmerz. Die Beweglichkeit betrug 0/5/120° (gegenüber links 0/0/140°). Die Muskelminderung des rechten Oberschenkels lag bei 2,5 cm gegenüber links. Die Klägerin sei als Postzustellerin weiterhin arbeitsfähig, werde aber demnächst umgesetzt. Die Klägerin arbeitete ab dem 18. Januar 2010 in einem unternehmensinternen Call-Center.

In dem Ersten Rentengutachten vom 2. Juli 2010 beschrieb Prof. Dr. W. ihr Gangbild als flüssig, die Wirbelsäule als lotrecht und die Kniegelenke ohne Erguss mit geringgradiger Schwellung rechts und lokalem Druckschmerz bei festen Bändern ohne vordere Schublade. Am rechten Knie maß er eine Streckung und Beugung von 0/15/115°. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 v. H. ab dem 27. April 2009 "bis auf Weiteres" Der Beratungsarzt der Beklagten, Dr. V., führte dagegen am 7. Februar 2011 aus, bei einem nicht allzu ausgeprägten Streckdefizit und flüssigem Gangbild sowie unter "RAUZ-Gesichts¬punkten, Termin unmittelbar bevorstehend" (gemeint: Beginn einer eventuellen Rente auf unbestimmte Zeit) liege die MdE ab sofort unter 20 v. H.

Gestützt hierauf erließ die Beklagte den Bescheid vom 10. Februar 2011, mit dem sie den Unfall als Arbeitsunfall anerkannte, eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. "für die vergangene Zeit dem Grunde nach" bis zum 31. Januar 2011 bewilligte und für die anschließende Zeit eine Verletztenrente ablehnte.

Die Umsetzung der Klägerin auf den Arbeitsplatz im Call-Center war Anfang 2011 beendet worden, weil sie den fachlichen Anforderungen dort nicht gewachsen sei (Bericht des Berufshelfers vom 2. Dezember 2010). Das Arbeitsverhältnis mit der D. P. AG endete mit arbeitsgerichtlicher Auseinandersetzung zum 31. März 2012 (Bericht des Berufshelfers vom 17. April 2012 Die Klägerin begann ab dem 1. April 2012 zu Lasten der Bundesagentur für Arbeit eine Umschulung. Seit Juni 2015 ist sie als Kauffrau beschäftigt.

Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 10. Februar 2011 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2014 zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 25. Juni 2014 Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben und die weitere Gewährung der Rente über den 31. Januar 2011 begehrt.

Das SG hat den H-Arzt-Bericht von Dr. R. vom 28. Dezember 2011 beigezogen, der eine Beweglichkeit des rechten Kniegelenks von 0/10/130° beschrieben hat. Die Klägerin, die noch einen leichten Patelladruck- und Verschiebeschmerz beklage, sei arbeitsfähig.

Sodann hat es von Amts wegen Dr. P. mit einer Begutachtung der Klägerin beauftragt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 1. Oktober 2015 ein angedeutetes rechtshinkendes Gangbild, Belastungsschmerzen sowie eine eingeschränkte Verschieblichkeit der Kniescheibe festgestellt und eine Beweglichkeit von 0/10/120° gemessen (links 5/0/135°). Die Muskelminderung und die weiteren Unfallfolgen seien nach regelmäßiger Physiotherapie zurückgegangen, jedoch noch nicht vollständig behoben (Muskelminderung 1 cm gegenüber links). Dagegen seien mittlerweile erhebliche degenerative Veränderungen im distalen Anteil der Kniescheibe aufgetreten, die als unfallbedingt anzusehen seien. Die Klägerin beklage ständige Schmerzen im Kniegelenk. Instabilitätsbeschwerden würden ausdrücklich verneint. Die MdE habe seit dem Unfall 20 v. H. betragen und dieser Wert gelte auch bis auf Weiteres. Hierzu hat Dr. P. ausgeführt, auch wenn die Erfahrungswerte eine solche MdE erst bei einer Restbeweglichkeit von 0/10/90° vorsähen, so wirke sich bei der Klägerin doch die deutliche Retropatellararthrose mit eingeschränkter Verschiebbarkeit der Patella erschwerend aus. Ihre Einbußen seien durchaus mit einem Zustand nach Implantation einer regelgerecht funktionierenden Total-Endoprothese (TEP) vergleichbar, der eine MdE um 20 v. H. bedinge.

Die Beklagte ist dieser Einschätzung entgegengetreten, wobei ihr Beratungsarzt Dr. V. auf die Restbeweglichkeit hingewiesen hat, die nach den Erfahrungswerten eine MdE von 10 v. H. begründe und wonach Dr. P.s Vergleich mit einem Zustand nach TEP "ausgesprochen mutig" sei. Hierauf hat dieser in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 10. November 2015 seine Einschätzung revidiert. Zwar sei eine MdE um 10 v. H. für die Beschwerden der Klägerin zu gering, jedoch sei diese ab dem 1. Februar 2011 und bis auf Weiteres auf unter 20 v. H. einzuschätzen. Die auf die Arthrose zurückzuführende eingeschränkte Verschieblichkeit der Kniescheibe und die geklagte Schmerzsymptomatik werde durch die Bewertung der MdE mit 15 v. H. angemessen gewürdigt. Die von ihm bislang zusätzlich berücksichtigten Einbußen seien in den Erfahrungswerten enthalten, nach der Implantation einer TEP lägen weitere Bewertungskriterien vor, die hier fehlten.

Das SG hat daraufhin in dem Erörterungstermin vom 8. Dezember 2015 einen Vergleich vorgeschlagen, nach dem die Beklagte eine Retropatellararthrose rechts als weitere Unfallfolge anerkenne, die Klägerin aber im Ergebnis den Rentenanspruch nicht weiter verfolge. Ein solcher Vergleich ist nicht zu Stande gekommen.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. Januar 2016 - im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung - abgewiesen. Die Bewegungseinschränkungen rechtfertigten, wie auch Dr. P. zuletzt ausgeführt habe, über den 31. Januar 2011 hinaus keine rentenberechtigende MdE mehr. Zwar sei die Retropatellararthrose als Unfallfolge hinzugetreten, was auch die Beklagte nicht bestreite. Die damit verbundenen zusätzlichen Beeinträchtigungen könnten die MdE aber auch nicht erhöhen. Die Klägerin habe durch konsequenten Muskelaufbau ihr Gangbild sowie ihre Beweglichkeit sehr verbessert und könne die bestehenden Beeinträchtigungen dadurch zum Teil gut ausgleichen. Vor diesem Hintergrund könne auch Prof. Dr. Weises - damaliger - Einschätzung einer MdE um 20 v. H. bis auf Weiteres nicht gefolgt werden.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 25. Januar 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg erhoben (L 6 U 719/16). Sie hat vorgetragen, es sei der ersten Einschätzung Dr. P.s, die mit der früheren Einschätzung von Prof. Dr. W. übereinstimme, zu folgen. Es dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass sie es geschafft habe, die weiterhin bestehenden Defizite muskulär zu kompensieren, weil auch die dafür notwendige Krankengymnastik nicht schmerzfrei verlaufen sei. Sofern das Bewegungsdefizit zurückgegangen sein sollte, seien in gleichem Maße degenerative Veränderungen aufgetreten, die hinsichtlich der MdE ebenfalls zu berücksichtigen seien.

Die Beklagte ist der Berufung zunächst entgegengetreten. Auf einen Vergleichsvorschlag des Berichterstatters vom 15. Juni 2016 hin, eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. bis zur Entlassung aus dem Call-Center am 31. März 2012 zu gewähren, hat sich die Beklagte unter dem 29. Juli 2016 grundsätzlich vergleichsbereit gezeigt, jedoch ihr Angebot einer Weitergewährung der Verletztenrente auf die Zeit bis zum 28. Dezember 2011 beschränkt.

Mit Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung vom 20. Oktober 2016 hat der erkennende Senat das Urteil des SG vom 28. Januar 2016 und die angegriffenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin auch bis zum 31. Dezember 2011 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren. Im Übrigen hat es die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 30. März 2017 das Urteil des Senats vom 20. Oktober 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Der Senat habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, weil er in der mündlichen Verhandlung nicht darauf hingewiesen habe, dass zur Feststellung einer Retropatellararthrose als Unfallfolge eine Antragstellung notwendig sei.

Das zurückverwiesene Berufungsverfahren ist am 2. Mai 2017 bei dem Senat wieder anhängig geworden.

Der Senat hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass nunmehr auch die weitere Zeit bis zur erneuten Verhandlung des Senats in Streit stehe und sie gebeten, zu etwaigen Veränderungen ihres Gesundheitszustandes seit dem Zeitpunkt der letzten Entscheidung vorzutragen. Die Klägerin hat daraufhin den Nachschaubericht von Dr. V. vom 18. August 2017 vorgelegt, der sie weiterhin als arbeitsunfähig angesehen hat. Danach liegen bei ihr ein Zustand nach Kreuzbandruptur des rechten Kniegelenks mit Operation und eine Chondropathie vor. Es bestehe noch eine endgradige Bewegungseinschränkung. Die Beugung sei bis 140° möglich, es sei eine leichte Krepitation (Knirsch- bzw. Reibegeräusche) retropatellar zu vermerken, es bestehe kein Erguss, das Kreuzband sei ausreichend stabil, es liege eine leichte endgradige Streckhemmung vor. Ferner hat der Senat den Befundberichte des Therapiezentrums Bad R. vom 1. September 2017 beigezogen, wonach die Klägerin über einschießende Schmerzen und ein Instabilitätsgefühl klage sowie die Therapie weiterhin sehr motiviert und interessiert durchführe.

Der Senat hat ferner darauf hingewiesen, dass das BSG auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hin das Urteil des Senats vom 20. Oktober 2016 insgesamt aufgehoben hat, auch den zusprechenden Teil. Die Beklagte hat daraufhin das schriftliche Teil-Anerkenntnis vom 5. Oktober 2017 erteilt, um die Wirkungen jenes Urteils, also eine Rentengewährung bis zum 31. Dezember 2011, wiederherzustellen. Die Klägerin hat dieses Teil-Anerkenntnis in der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 2017 zu Protokoll des Senats angenommen und ihren Verurteilungsantrag auf die Zeit ab dem 1. Januar 2012 beschränkt.

Sie hat bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat am 5. Oktober 2017 Angaben zu ihren Beschwerden, vor allem zu Schmerzen und Einschränkungen des Gehvermögens, und zum Umfang des Schmerzmittelkonsums gemacht.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 28. Januar 2016 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 10. Februar 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Mai 2014 teilweise aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr auf Grund des Arbeitsunfalls vom 14. Februar 2008 für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung in dem noch erhobenen Umfang zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte sowie auf die Gerichtsakten aller Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da die Klägerin laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, vor allem hat sie die Klägerin form- und fristgerecht nach § 151 Abs. 1 SGG erhoben.

Nachdem die Beklagte durch angenommenes Teil-Anerkenntnis verpflichtet ist, der Klägerin die begehrte Verletztenrente bis zum 31. Dezember 2011 zu gewähren und die Klägerin ihren Verurteilungsantrag daraufhin auf die Zeit ab dem 1. Januar 2012 beschränkt hat, hat der Senat nur noch über diesen Zeitraum zu entscheiden.

Insoweit besteht aber kein Anspruch auf die weitere Gewährung einer Verletztenrente. Insoweit verbleibt es bei der Entscheidung des Senats vom 20. Oktober 2016, wonach das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) der Klägerin für diesen Zeitraum zu Recht abgewiesen hat.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Wenn, wie vorliegend, ein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, werden gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem dieser Anspruch endet (Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 – L 6 U 1013/15 –, juris, Rz. 81).

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen der MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (Urteil des Senats vom 28. Juli 2016 – L 6 U 1013/15 –, juris, Rz. 82).

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist ferner darauf hinzuweisen, dass im Rahmen einer Leistungsklage wie hier das Gericht nicht nur den Sach- und Streitstand zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz zu Grunde legt, sondern deshalb auch Veränderungen während des streitigen Zeitraums berücksichtigt. Ergibt sich danach, dass für einen Teil des Streitzeitraums ein Rentenanspruch bestand, für einen anderen aber nicht, so ist die Rente entsprechend zuzusprechen. Hierin unterscheidet sich die verfahrensrechtliche Situation von der Entziehung einer bereits bindend bewilligten Rente. Dabei ist unerheblich, ob eine Rente als vorläufige Entschädigung oder als Dauerrente bewilligt wird. Diese Unterscheidung ist ebenfalls erst bei einer Entziehung relevant (vgl. § 62 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VII).

Bei der Klägerin liegt in dem hier noch streitigen Zeitraum ab dem 1. Januar 2012 keine MdE von 20 v. H. mehr vor. Vielmehr ist die anfangs in dieser Höhe anzunehmende MdE auf weniger als 15 v. H. abgesunken, sodass eine Verbesserung vorlag, die sogar die besonderen Anforderungen an die Absenkung einer bewilligten Dauerrente nach § 73 Abs. 3 SGB VII erfüllen würde. Auch in der Zeit nach dem 20. Oktober 2016 hat sich der Gesundheitszustand der Klägerin nicht erneut verschlechtert, sodass weiterhin von einer MdE unter 15 v. H. auszugehen ist.

Bei seiner Einschätzung berücksichtigt der Senat zu Gunsten der Klägerin etwaige Funktionseinschränkungen auf Grund der zwischenzeitlich aufgetretenen Retropatellararthrose. Dabei kann offen bleiben, ob diese, welche die Beklagte bislang nicht als Unfallfolge anerkannt hat, auf den Unfall zurückzuführen ist. Im Rahmen einer Leistungsklage auf Gewährung einer Verletztenrente wie hier sind zwar alle unfallbedingten Funktionseinbußen maßgeblich, nicht nur jene, die der Unfallversicherungsträger durch feststellenden Bescheid ausdrücklich anerkannt hat (vgl. auch BSG, Beschluss vom 30. März 2017, B 2 U 277/16 B, juris, Rz. 8 m.w.N.). Solange aber der Versicherte nicht die ausdrückliche gerichtliche Feststellung oder behördliche Anerkennung einer bestimmten Unfallfolge beantragt, kann diese Frage im Rahmen einer Leistungsklage als unerheblich offen bleiben, wenn der Anspruch auf die geltend gemachte Leistung unter Berücksichtigung der bislang nicht anerkannten Unfallfolge nicht besteht.

Bei der Bewertung der Folgen einer Knieverletzung sind neben einer eingeschränkten Streckung und Beugung im Kniegelenk auch Ergüsse, Kapselentzündungen mit Verdickung oder Verplumpung der Kniegelenkskonturen, eine Krepitation bei der Gelenkbewegung, eine Atrophie der Gelenkmuskulatur und ein hinkendes Gangbild zu berücksichtigen (Schönberger/Mehr-tens/Va¬lentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 684 f.). Ganz im Vordergrund der Bewertung mit einer MdE stehen aber die funktionellen Defizite. Dies sind in erster Linie die Be¬wegungseinbußen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 685). Nach den medizinischen Erfahrungswerten (a.a.O., S. 685, 686) bedingt eine Beugeeinschränkung auf 120° allein eine MdE um 10 v. H., eine solche auf 90° eine MdE um 15 v. H. Für isolierte Streckdefizite sind keine Erfahrungswerte allgemein anerkannt, weil solche Einschränkungen in aller Regel mit einer Beugehemmung einhergehen. In diesem Rahmen führt ein Streckdefizit um 10°, wenn es mit einer Beugeeinschränkung auf höchstens 90° einhergeht, zu einer MdE um 20 v. H. Aus diesen beiden Erfahrungswerten lässt sich - mit aller Vorsicht - entnehmen, dass eine Streckhemmung um 10° allein etwa eine MdE um 5 v. H. bedingt. Es wäre danach vertretbar, z.B. bei einer Bewegungseinschränkung auf 0/10/110° eine MdE um 15 v. H. anzunehmen. Streckdefizite beeinträchtigen das Gangbild erheblicher als Beugeeinschränkungen, die ihrerseits wiederum eher das Sitzen einschränken. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, bei einer Beugehemmung zwischen 90 und 120° mit einem zusätzlichen Streckdefizit unter 10° bei der MdE um 10 v. H. für die Beugehemmung allein zu verbleiben. Zu den funktionellen Beeinträchtigungen, für die allgemeine medizinische Erfahrungswerte vorliegen, gehören auch Instabilitäten der Kniebänder, die zu MdE-Werten von 10 v. H. (bei muskulärer Kompensation) bis zu 40 v. H. (mit Knieführungsschiene und zusätzlichen wesentlichen Funktionseinschränkungen) führen (a.a.O., S. 686). Die so ermittelten MdE-Werte können im Einzelfall erhöht werden, wenn die genannten weiteren Funktionseinbußen starke Einbußen verursachen, die ein Abweichen von der Bewertung an Hand der funktionellen Einschränkungen notwendig machen.

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Funktionseinbußen der Klägerin auf Grund des Unfalls in dem nicht mehr streitigen Zeitraum bis Ende Dezember 2011 eine MdE von 20 v. H. gerechtfertigt hatten. Zuletzt vor diesem Zeitraum war sie von Prof. Dr. W. am 21. Dezember 2009 und im Rahmen des Ersten Rentengutachtens vom 2. Juli 2010 untersucht worden. Im Juli 2010 war dabei eine Restbeweglichkeit 0/15/115° gemessen worden. Diese Beugehemmung allein bedingte eine MdE um 10 v.H. Dafür lag das Streckdefizit höher als jene 10°, die zu einer Erhöhung der MdE um 5 Prozentpunkte führen würde. Danach war es gut vertretbar, dass Prof. Dr. W. damals eine MdE um 20 v. H. vorgeschlagen hat.

Dagegen waren die funktionellen Einbußen der Klägerin bis zu Beginn des noch streitigen Zeitraums soweit zurückgegangen, dass die MdE unter 15 v. H. abgesunken war. Bei der Untersuchung bei Dr. R. am 28. Dezember 2011 betrugen Streckung und Beugung 0/10/130°. Ausgehend hiervon war die MdE nur noch mit 5 v. H. anzunehmen, weil die Beugefähigkeit über den 120° lag, die für eine MdE um 10 v. H. vonnöten wären. Allerdings hatte dann der Gerichtssachverständige Dr. P. vier Jahre später eine Beugung von 120° bei unverändertem Streckdefizit von 10° gemessen. Dies würde zu einer MdE um 10 bis unter 15 v. H. führen. Wie ausgeführt, führt ein Streckdefizit um 10° mit gleichzeitiger Beugehemmung auf 90° zu einer MdE um 20 v. H. Bei diesen Einschätzungen können die besonderen, individuellen Umstände, welche die Klägerin geltend gemacht hat, nicht erhöhend berücksichtigt werden. Die Erfahrungswerte pauschalieren naturgegebenermaßen, insbesondere umfassen sie die mit den weiteren Funktionseinbußen verbundenen Schmerzen, soweit diese nicht ein ganz außergewöhnliches Ausmaß erreichen und etwa gesondert als Schmerzerkrankung diagnostiziert werden müssten. Generell werden rein individuelle Umstände auf medizinischer Ebene nicht berücksichtigt, die MdE wird nach der Grundregelung in § 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nach der Erwerbsminderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bemessen. Daher kann es nicht weiter berücksichtigt werden, dass die eingeschränkte Verschiebbarkeit der Patella Belastungsschmerzen verursacht, also Schmerzen, die gerade auch beim Gehen auftreten, also bei jener Funktion, deren Einschränkung mit den genannten Erfahrungswerten bewertet werden soll. Insgesamt lag demnach, auch ob der muskulären Kompensation, eine Rentenberechtigung ab Januar 2012 nicht mehr vor.

An dieser Einschätzung hat sich auch im weiteren Verfahren nichts geändert. Nach dem aktuellen Nachschaubericht von Dr. V. vom 18. August 2017 hat sich die Beugung sogar noch weiter verbessert, nunmehr auf 140°; die Streckung wird weiterhin als "leichte endgradige" beschrieben, sodass nach wie vor von einem Streckdefizit um 10° auszugehen ist. Ein solches, aber kein größeres, hat die Klägerin auch bei ihrer Anhörung vor dem Senat am 5. Oktober 2017 beschrieben, indem sie ausgeführt hat, es gebe Beeinträchtigungen beim Gehen treppabwärts, während sie beim Gehen in der Ebene zwar Schmerzen habe und auch langsamer sei als andere, aber kein stärkeres Hinken vorliege. Es liegen auch keine weiteren, bislang nicht berücksichtigten funktionelle Defizite vor, die für die Bemessung der MdE relevant wären. Zwar klagt die Klägerin nach den Angaben in dem Befundbericht des Therapiezentrums Bad R. vom 1. September 2017 über einschießende Schmerzen und ein Instabilitätsgefühl. Die Schmerzen und ein langsames Gehen hat die Klägerin auch bei ihrer Anhörung in den Vordergrund gestellt. Unabhängig davon, dass sich diese Einbußen nur schwer objektivieren lassen, können die mit einem körperlichen Schaden verbundenen üblichen Schmerzen die MdE nicht erhöhen, sie sind mit der MdE-Bewertung für den zu Grunde liegenden Schaden "abgegolten". Bei der Klägerin liegt kein über diese üblichen Begleitschmerzen hinausgehendes erhebliches Schmerzsyndrom vor. Dagegen spricht auch, dass sie nach ihren Angaben vor dem Senat Schmerzmittel, im konkreten Falle Novalgin, nur bedarfsweise einnimmt und dabei auch längere Zeiten pausiert, weil sie keine Abhängigkeit entwickeln will. Für das von der Klägerin angegebene Instabilitätsgefühl liegen keine fassbaren körperlichen Gründe vor. Dr. V. hat in dem genannten, aktuellen Nachschaubericht ausgeführt, das Kreuzband sei ausreichend stabil. Diese Feststellung hatte bereits Dr. P. in dem vom SG erhobenen Gutachten getroffen. Und letztlich können auch die daneben bestehenden Einschränkungen auf Grund der zwischenzeitlich aufgetretenen Retropatellararthrose, wenn sie denn unfallbedingt ist, nicht zu einer Höherbewertung führen. Es liegen keine Entzündungen, Ergüsse oder Verplumpungen vor. Dr. V. hat insoweit eine "leich¬te Krepitation" retropatellar beschrieben. Dass daraus über das Knirschgeräusch hinaus Schmerzen oder sonstige Einschränkungen folgen, hat er nicht festgestellt. Ein solches Symptom hat keine Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit eines Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Vor diesem Hintergrund kann die aktuelle MdE allenfalls mit 10 v. H. bewertet werden. Ein Rentenanspruch besteht daher nicht bzw. seit dem 1. Januar 2012 nicht mehr.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. In diesem Rahmen ist über die Kosten des gesamten Berufungsverfahrens, auch des aufgehobenen Urteils des Senats, zu entscheiden, ferner über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens vor dem BSG (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl. 2017, § 160a, Rz. 20a). Nachdem die Klägerin in dem zurückverwiesenen Berufungsverfahren keinen weitergehenden Erfolg hat erzielen können als schon mit dem Urteil vom 20. Oktober 2016, belässt es der Senat bei der damaligen Kostenentscheidung. Auch für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren sind demnach keine Kosten zu erstatten, da die Klägerin dort aus verfahrensrechtlichen Gründen obsiegt hat, die Kostenentscheidung dieses Verfahrens aber der Hauptsache folgt (Leitherer, a.a.O., Rz. 20b).

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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