L 10 R 3020/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 2439/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 3020/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer anstelle einer zeitlich befristet bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Die 1957 geborene Klägerin bezog ab Dezember 2004 eine fortlaufend befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes (Bescheid vom 15.07.2009, Bl. 275 VA; Bescheid vom 12.08.2010, Bl. 406 VA). Auf ihren Antrag vom 09.04.2013 erfolgte mit Bescheid vom 19.07.2013 (Bl. 567 VA) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014 (Bl. 580 VA) die Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung - im Anschluss an die vorherige Bewilligung - bis November 2016.

Die Klägerin hat hiergegen am 23.05.2014 Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben und die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer begehrt. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.08.2016 im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und den Hinweis auf die gesetzliche Regelung des § 102 Abs. 2 Satz 1, Satz 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) abgewiesen.

Bereits mit Bescheid vom 02.08.2016 (Bl. 19 LSG-Akte) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.11.2016 (Bl. 21 LSG-Akte) hat die Beklagte auf den Weiterbewilligungsantrag der Klägerin vom 27.06.2016 erneut Rente wegen voller Erwerbsminderung von Dezember 2016 bis November 2019 bewilligt. Gegen diesen Bescheid führt die Klägerin - ebenfalls wegen Befristung der Rente - eine Klage vor dem Sozialgericht Freiburg (Az.: S 14 R 4821/16).

Gegen den Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12.08.2016 Berufung eingelegt. Sie begehrt weiterhin die Gewährung einer Dauerrente und ist der Auffassung, der Bescheid vom 02.08.2016 sei gemäß § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden.

Die Klägerin beantragt (Schriftsatz vom 27.07.2017),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.08.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 19.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf ihr bisheriges Vorbringen und die Ausführungen im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 des SGG zulässige Berufung, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.

Im Ergebnis hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Denn mit Erlass des auf Antrag der Klägerin ergangenen Bescheides vom 02.08.2016, mit welchem Erwerbsminderungsrente über das ursprüngliche Befristungsende hinaus bis November 2019 bewilligt worden ist, ist die Klage unzulässig geworden, die Berufung somit unbegründet (s. zum Ganzen bereits Beschluss des Senats vom 17.07.2014, L 10 R 2929/13, in juris).

Streitgegenständlich ist - wie noch darzulegen ist - allein der Bescheid vom 19.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014, soweit der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.11.2016 hinaus abgelehnt wurde (Anfechtungsklage) sowie das Begehren der Klägerin (Leistungsklage) auf Verurteilung der Beklagten zu einer solchen Leistungsgewährung (Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 30.11.2016 hinaus und auf Dauer). Diese kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist ursprünglich zulässig gewesen.

Ein Bescheid, mit dem der Versicherungsträger dem Rentenbewerber trotz eines auf Dauerrente gerichteten Antrags eine Rente nur auf Zeit gewährt, enthält mehrere, voneinander zu trennende Verfügungen (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 24.10.1996, 4 RA 31/96 in SozR 3-2200 § 300 Nr. 8 und Urteil vom 11.02.1988, 4/11a RA 10/87 in SozR 2200 § 1276 Nr. 11) und damit mehrere Verwaltungsakte i.S. des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X): Zum einen die Rentenbewilligung (Verfügungssatz 1, mit jeweils zu trennenden - siehe LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.09.2006, L 10 R 4911/05 - Verfügungssätzen zu Rentenart, Rentenhöhe und Dauer der Rente), zum anderen die Ablehnung des weitergehend geltend gemachten Anspruchs auf durchgängige, zeitlich nicht beschränkte Rentengewährung (Verfügungssatz 2). Die Rentenbewilligung ist regelmäßig - sofern, wie im vorliegenden Fall, die einzelnen Verfügungssätze der Rentenbewilligung nicht in Streit gestellt werden - ein den Versicherten ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt. Damit wird allein durch die zweite Regelung, die Ablehnung einer Dauerrente, was ausdrücklich ausgesprochen oder konkludent durch die Begrenzung der Bezugsdauer der mit dem Verfügungssatz 1 bewilligten Rente verlautbart werden kann, der Versicherte (formell) beschwert.

In dieser Art entschied die Beklagte über den Rentenantrag der Klägerin mit dem streitigen Bescheid vom 19.07.2013: Sie erkannte einen, sich an die vorherige Rentenbewilligung anschließenden und mit dem 30.11.2016 wegfallenden, Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung in bestimmter Höhe zu (Verfügungssatz 1) und lehnte durch die zeitliche Begrenzung der Rentenbewilligung einen weitergehenden Rentenanspruch für die nachfolgende Zeit ab (Verfügungssatz 2). Dem entsprechend wendet sich die Klägerin mit ihrer Anfechtungsklage auch nur gegen diese teilweise Ablehnung der Rentenbewilligung (Verfügungssatz 2), was diese im Rahmen ihrer Berufungsbegründung nochmals bestätigt hat.

Indessen ist diese Anfechtungsklage unzulässig geworden.

Zulässig ist eine Anfechtungsklage nur, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt beschwert zu sein (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Beschwert ist ein Kläger nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Anfechtungsklage ist somit, dass der Kläger behauptet, durch einen Verwaltungsakt beschwert zu sein, weil dieser Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig sei und subjektiv in rechtlich geschützte Interessen des Klägers eingreife (Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 12. Auflage, § 54 Rdnrn. 7, 9 f. - so genannte Klagebefugnis -).

Eine solche Behauptung - durch Verfügungssatz 2 des Bescheides vom 19.07.2013 beschwert zu sein - kann die Klägerin nicht mehr aufstellen. Denn mit dem während des Klageverfahrens ergangenen Bescheid vom 02.08.2016 (Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung im Anschluss an die bisherige Bewilligung und bis zum 30.11.2019) hat sich Verfügungssatz 2 des Bescheides vom 19.07.2013 in sonstiger Weise erledigt und entfaltet keine Rechtswirkungen mehr (§ 39 Abs. 2 SGB X). Denn Regelungsinhalt von Verfügungssatz 2 des Bescheides vom 19.07.2013 ist allein die Ablehnung von Rente über den 30.11.2016 hinaus gewesen. Mit der Rentenbewilligung vom 02.08.2016 ist gerade für den anschließenden Zeitraum auf Grund des Weiterbewilligungsantrages der Klägerin die begehrte Rente bewilligt worden (Verfügungssatz 1, bei gleichzeitiger Ablehnung von Rente über den 30.11.2019 hinaus = Verfügungssatz 2 des Bescheids vom 02.08.2016). Damit ist die ursprüngliche zeitliche Begrenzung im Bescheid vom 19.07.2013 gegenstandslos geworden. Entfaltet aber die Rentenablehnung im Bescheid vom 19.07.2013 keine Wirkung mehr, ist die Klägerin hierdurch auch nicht mehr beschwert, die Anfechtungsklage somit unzulässig.

Unzulässig ist dann auch das von der Klägerin erhobene Begehren auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente über den 30.11.2016 hinaus. Grundsätzlich ist zwar eine solche Leistungsklage auf Verurteilung eines Leistungsträgers zur Gewährung von Rente möglich (§ 54 Abs. 4 SGG). Voraussetzung ist jedoch, dass über das Begehren gerade in den streitgegenständlichen Bescheiden entschieden wird (BSG, Urteil vom 21.09.2010, B 2 U 25/09 R in juris; Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 5; Urteil vom 16.11.2005, B 2 U 28/04 R in juris). Andernfalls fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes in Form eines derartigen Leistungsbegehrens (Keller, a.a.O., Rdnrn. 21, 39b). So liegt der Fall hier: Durch die Erledigung von Verfügungssatz 2 des Bescheides vom 19.07.2013 fehlt es - in den streitgegenständlichen Bescheiden - an einer anfechtbaren und damit an einer im vorliegenden Rechtsstreit angefochtenen Regelung zur Frage der Rentendauer. Die unzulässige Anfechtungsklage zieht gleichsam die Unzulässigkeit der Leistungsklage nach sich (BSG, Urteil vom 21.09.2010 a.a.O.).

Zum selben Ergebnis führt die Rechtsprechung des BSG im Bereich der Grundsicherung und Sozialhilfe bei aufeinander folgenden Leistungsablehnungen auf Grund neuer Anträge. Danach endet der Zeitraum, für den die erste ablehnende Entscheidung Wirkung entfaltet, mit einer erneuten Leistungsablehnung (BSG, Urteil vom 11.12.2007, B 8/9b SO 12/06 R in SozR 4-3500 § 21 Nr. 1; Urteil vom 31.10.2007, B 14/11b AS 59/06 R, in juris). Dies muss erst recht gelten, wenn nach einer Leistungsablehnung (hier: Verfügungssatz 2 im Bescheid vom 19.07.2013) nach erneuter Antragstellung und Prüfung ein Bescheid ergeht, mit dem die Leistung im Hinblick auf den neuen Antrag für einen bestimmten Zeitraum bewilligt (Verfügungssatz 1 im Bescheid vom 02.08.2016), darüber hinaus aber abgelehnt wird (Verfügungssatz 2 im Bescheid vom 02.08.2016). Damit hat sich nach dieser Rechtsprechung allein wegen des Erlasses des Bescheides vom 02.08.2016 (neue Entscheidung auf Grund neuen Antrages) die ursprüngliche Leistungsablehnung erledigt.

Im Ergebnis ist somit die Anfechtungs- und Leistungsklage in Bezug auf den Bescheid vom 19.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.05.2014 unzulässig geworden. Damit hat das Sozialgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Bescheid vom 02.08.2016 nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Nach dieser Bestimmung wird ein neuer Verwaltungsakt nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt.

Mit Bescheid vom 19.07.2013 wurde der Klägerin auf Grund des Weiterbewilligungsantrags vom 09.04.2013 Rente wegen voller Erwerbsminderung, befristet bis 30.11.2016, bewilligt. Mit Bescheid vom 02.08.2016 ist dann auf Grund des Weiterbewilligungsantrages vom 27.06.2016 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.12.2016 bis 30.11.2019 gewährt worden, d.h. für einen anschließenden Zeitraum. Hierdurch ist die Regelung im bisherigen Bescheid vom 19.07.2013 weder ersetzt noch abgeändert worden, sondern der Bescheid vom 02.08.2016 hat - wie die Klägerin selbst mit ihrem Antrag auf Weiterzahlung der Rente - an die ursprüngliche Befristung der Rente angeknüpft, sie somit nicht beseitigt, sondern sie vorausgesetzt. Es hat damit den Verfügungssatz 2 im Bescheid vom 19.07.2013 weder abgeändert noch ersetzt.

Zum selben Ergebnis gelangt die oben erwähnte Rechtsprechung des BSG unter dem Gesichtspunkt einer Leistungsablehnung (hier: Ablehnung der Gewährung einer unbefristeten Rente wegen Erwerbsminderung). Denn die Ablehnung einer unbefristeten Leistung stellt keine Regelung mit Dauerwirkung dar, weshalb sie mit Wirkung für die Zukunft weder abgeändert noch ersetzt werden kann (BSG vom 11.12.2007 a. a. O.); ein auf einen erneuten Antrag ergehender weiterer Ablehnungsbescheid (hier: Ablehnung von Rente über den 30.11.2019 hinaus durch Bescheid vom 02.08.2016) ist damit nicht nach § 96 Abs. 1 SGG einzubeziehen (BSG vom 11.12.2007 a.a.O.; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., § 96 Rdnr. 4b).

Eine Einbeziehung in analoger Anwendung von § 96 Abs. 1 SGG kommt gleichfalls nicht in Betracht: Durch den Wortlaut von § 96 SGG in der mit Wirkung zum 01.04.2008 eingeführten Fassung soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Anwendungsbereich der Norm dahingehend eingeschränkt werden, dass eine Einbeziehung des neu ergangenen Verwaltungsaktes nur in direkter und nicht in entsprechender Anwendung der Vorschrift erfolgen kann (vgl. hierzu BT-Drucksache 16/7716, Seite 18 f.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere kommt der Rechtssache jedenfalls angesichts der zitierten Rechtsprechung des BSG keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Rechtskraft
Aus
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