L 7 R 2270/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 R 716/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 2270/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Bewilligung einer Regelaltersrente zum 1. September 2013.

Der 1948 geborene Kläger leidet an einer schizotypen Störung mit einem auffälligen Kontaktverhalten, einer Störung des Affektes, zerfahrenem, sprunghaftem, inkorrektem und auf die Themen Arbeit, Bundeswehr und Begrifflichkeiten aus "Perry-Rhodan-Romanen" beschränktem Denken, einer deutlichen Störung der Realitätsprüfung, starker Kritikempfindlichkeit sowie Größenideen im Rahmen einer Ich-Bezogenheit. Er war zuletzt im Juni 2008 versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend weist sein Versicherungsverlauf von der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Zeiten sowie Zeiten geringfügiger nicht versicherungspflichtiger Beschäftigungen auf. Die Beklagte stellte bei dem Kläger eine volle Erwerbsminderung auf Dauer ab September 2008 fest. In der Zeit vom 1. Februar 2009 bis zum 1. Mai 2011 besuchte der Kläger - finanziert durch die Beklagte - den Eingangs- und Berufsbildungsbereich der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) des Freundeskreis e. V. G., in der Zeit vom 2. Mai 2011 bis zum 31. August 2013 den Arbeitsbereich der dortigen WfbM. Im Arbeitsbereich erzielte er ein Werkstattentgelt von zuletzt 164,39 EUR.

Für die Zeit von Mai 2011 bis August 2015 gewährte die Beigeladene dem Kläger auf dessen Anträge vom 29. Juni 2009, 23. Dezember 2011, 27. Januar 2014, 2. Juli 2014 und 2. September 2014 - ergänzend zum letztmalig im September 2013 zugeflossenen Werkstattentgelt und ab November 2014 zu den laufenden Rentenzahlungen - laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (SGB XII) (Bescheide vom 17. Februar 2012, 9. Januar 2014, 10. Juli 2014, 26. September 2014, 3. Dezember 2014 und 14. Juli 2015).

U.a. mit Schreiben vom 26. März 2013 forderte die Beigeladene den Kläger auf, eine Regelaltersrente zu beantragen, und wies ihn darauf hin, dass die Rente eine vorrangige Leistung vor der Grundsicherung nach dem SGB XII darstelle.

Mit Schreiben vom 3. September 2013 (Eingang bei der Beklagten am 5. September 2013) meldete die Beigeladene bei der Beklagten einen Erstattungsanspruch an und stellte zudem "formlos Antrag gemäß § 91 SGB XII".

Das Notariat T. II - Betreuungsgericht - bestellte dem Kläger am 16. Oktober 2013 u.a. für den Aufgabenkreis vermögensrechtliche Angelegenheiten einschließlich der Geltendmachung von Renten-, Unterhalts- und Sozialhilfeansprüchen vorläufig einen Betreuer (Aktenzeichen: II VG 2059/2013). Durch Beschluss vom 18. Dezember 2013 hob es die vorläufige Betreuung für den Kläger wieder auf, da eine Erkrankung, die die Anordnung einer Betreuung rechtfertigen würde, nicht gegeben sei.

Am 21. Oktober 2013 wandte sich der damalige Betreuer des Klägers an die Beklagte und bat um Zusendung der notwendigen Rentenantragsunterlagen. Am 5. Dezember 2013 teilte dieser sodann mit, dass der Kläger gegen die Betreuungsanordnung Widerspruch eingelegt habe und die Beantragung der Rente nicht dessen derzeitig erklärten Willen entspreche. Daher sei er vom Betreuungsgericht aufgefordert worden, in der Sache vorerst nichts weiter zu unternehmen. Die Beklagte forderte den Kläger auf, einen Formantrag auf Regelaltersrente zu stellen (u.a. Schreiben vom 26. Februar 2014 und 30. Mai 2014), was dieser zunächst ablehnte. Am 30. Juni 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Regelaltersrente mit einem Rentenbeginn zum 1. Juli 2014 als 2/3 Teilrente. Mit Schreiben vom 3. Juli 2014 bat die Beklagte die Beigeladene um Mitteilung, ob die Beigeladene mit dem Rentenbeginn zum 1. Juli 2014 und mit der Gewährung einer Teilrente einverstanden sei. Warum der Kläger eine Teilrente zum 1. Juli 2014 begehre, sei nicht nachvollziehbar. Der frühestmögliche Rentenbeginn wäre der 1. September 2013. Auf eine Anfrage des Klägers teilte die Beklagte diesem mit Schreiben vom 19. September 2014 mit, dass ein Wechsel von einer Vollrente in eine Teilrente grundsätzlich möglich sei. Am 26. September 2014 stimmte die Beigeladene gegenüber der Beklagten der Bewilligung einer Vollrente ab 1. September 2013 zu und teilte mit, dass sowohl die Gewährung einer Teilrente als auch der Rentenbeginn zum 1. Juli 2014 nicht akzeptiert werde. Die Beigeladene habe zum 1. September 2013 eine Rente für den Kläger formlos beantragt. Gemäß § 95 SGB XII könne der Sozialhilfeträger den Anspruch einer vorrangigen Sozialleistung geltend machen, soweit ihm ein Erstattungsrecht zustehe. Der Erstattungsanspruch sei bereits mit Schreiben vom 3. September 2013 angemeldet worden.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 2. Oktober 2014 ab 1. September 2013 eine Regelaltersrente und setzte den monatlichen Zahlbetrag ab 1. November 2014 auf 649,30 EUR fest. Am 5. September 2013 habe die Beigeladene für den Kläger formlos einen Antrag auf Altersrente gestellt. Dem Antrag des Klägers vom 30. Juni 2014 auf eine Regelaltersrente mit Rentenbeginn zum 1. Juli 2014 als 2/3 Teilrente könne nicht entsprochen werden. Die Beklagte legte der Rentenberechnung 25,3574 Entgeltpunkte, den Rentenartfaktor für die Altersrente in Höhe von 1 sowie den aktuellen Rentenwert zugrunde. Den Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. September 2013 bis zum 31. Oktober 2014 erstattete die Beklagte an die Beigeladene (Schreiben vom 13. Oktober 2014).

Am 9. Oktober 2014 beantragte der Kläger bei der Beklagten erneut eine Regelaltersrente, nunmehr als Vollrente zum 1. Oktober 2014. Am 22. Oktober 2014 legte der Kläger gegen den Rentenbescheid vom 2. Oktober 2014 Widerspruch ein (Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 21. Oktober 2014) und beantragte, den Bescheid vom 2. Oktober 2014 aufzuheben und ihm entsprechend seinem Rentenantrag vom 9. Oktober 2014 eine Vollrente ab 1. Oktober 2014 zu gewähren. Mit der Beantragung einer Regelaltersrente ab 1. September 2013 sei er niemals einverstanden gewesen. Die rückwirkende Antragstellung durch die Beigeladene mit einem Rentenbeginn zum 1. September 2013 sei rechtsmissbräuchlich. Durch den späteren Rentenbeginn erhöhe sich die Altersrente um ca. 6%. Zusammen mit einer zusätzlichen Erwerbstätigkeit könne der Kläger den Bezug von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII längerfristig vermeiden. Mit Schriftsatz seiner damaligen Bevollmächtigten vom 13. Januar 2015 nahm der Kläger seinen Rentenantrag vom 30. Juni 2014 zurück und erklärte, dass nur noch der Antrag vom 9. Oktober 2014 als förmlicher Rentenantrag gelten solle. Die Beklagte wies den klägerischen Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 19. Februar 2015 zurück. Die Beigeladene habe am 5. September 2013 einen Rentenantrag nach § 95 SGB XII für den Kläger gestellt. Daher könne eine Rücknahme des Antrages oder die Bestimmung eines späteren Rentenbeginns nur mit Zustimmung des erstattungsberechtigten Sozialhilfeträgers erfolgen. Das Verfahren nach § 95 SGB XII könne sogar gegen den ausdrücklichen Willen des Anspruchsberechtigten durchgeführt werden. Dem gewünschten späteren Rentenbeginn habe die Beigeladene nicht zugestimmt. Der Verzicht auf Sozialleistungen wäre nach § 46 Sozialgesetzbuch (SGB) Erster Teil (I) - Allgemeiner Teil - (SGB I) unwirksam, soweit durch ihn andere Leistungsträger belastet oder Rechtsvorschriften umgangen würden. Sofern nicht nur der Sozialhilfeträger eine Rentenleistung beantragt habe, sondern später auch der Versicherte, werde durch beide Anträge nur ein Verfahren ausgelöst, sofern sich die Anträge auf ein und dieselbe Rentenleistung bezögen. Der zeitlich erste Antrag sei maßgeblich für den Rentenbeginn. Nur wenn ein Antrag zurückgenommen werde, sei der verbleibende Antrag maßgebend.

Der Kläger hat am 19. März 2015 gegen den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2015 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Er - der Kläger - gehe nach wie vor von einer unwirksamen Antragstellung durch die Beigeladene aus.

Das SG hat mit Beschluss vom 5. Mai 2015 die Stadt Tübingen als Sozialhilfeträger gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.

Das SG hat die Klage durch Urteil vom 3. Mai 2016 abgewiesen. Zutreffend habe die Beklagte auf Antrag der Beigeladenen nach § 95 SGB XII dem Kläger ab 1. September 2013 eine volle Regelaltersrente bewilligt. Die Beigeladene habe als Träger des Sozialamtes bei der Beklagten für den Kläger einen wirksamen Antrag auf Erhalt einer Regelaltersrente nach § 95 SGB XII gestellt. Soweit die Beigeladene im Rahmen dieses Schreibens statt § 95 SGB XII den § 91 SGB XII angeführt habe, führe allein dieser Tipp- oder Schreibfehler nicht dazu, keinen wirksamen Rentenantrag anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 95 SGB XII lägen vor. Der Kläger habe seit Mai 2011 Leistungen nach dem SGB XII von der Beigeladenen bezogen. Soweit der Kläger vortrage, dass er weder über einen Bescheid der Stadt Tübingen über den Bezug von Sozialhilfe verfüge noch tatsächlich Leistungen beansprucht habe, stehe dies einem Antragsrecht der Beigeladenen nicht entgegen. Ein positiver Bescheid über den Sozialhilfeanspruch sei nicht Voraussetzung, es genüge das Bestehen einer Leistungspflicht nach materiellem Recht. Ausreichend sei, dass der Kläger tatsächlich Leistungen der Beigeladenen bezogen habe. Die Beigeladene habe wirksam für den Kläger einen Rentenantrag gestellt. Der Kläger sei ohne ausdrückliche Zustimmung der Beigeladenen nicht berechtigt gewesen, den Rentenantrag abzuändern bzw. zu widerrufen. Ein zusätzlicher späterer Antrag sei insoweit unschädlich, da auch durch einen zusätzlichen späteren Antrag grundsätzlich nur ein Verfahren in Gang gesetzt werde, sofern sich die Rentenleistung wie im vorliegenden Fall auf die gleiche Rentenleistung (Regelaltersrente) beziehe. Der zeitlich erste Antrag sei maßgeblich für den Rentenbeginn. Ein späterer Antrag werde nur dann berücksichtigt, wenn der zuerst gestellte Antrag wieder zurückgenommen wäre, was hier nicht der Fall gewesen sei.

Gegen dieses seinen Bevollmächtigten am 19. Mai 2016 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 20. Juni 2016 (Montag) zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegten Berufung, mit der er sein Anfechtungsbegehren weiterverfolgt. Die Beigeladene habe keinen wirksamen Rentenantrag gestellt. Ausweislich des eindeutigen Wortlauts im Schreiben vom 3. September 2013 habe diese einen Antrag gemäß § 91 SGB XII gestellt. Im Übrigen habe die Antragstellung nicht seinen Interessen entsprochen. Er - der Kläger - erleide durch den aus seiner Sicht verfrühten Antragszeitpunkt spürbare finanzielle Einbußen bei der Regelaltersrente. Er sei seines eigenen Rentendispositionsrechts beraubt worden. Weiter hat er vorgebracht, die Erbringung der Sozialhilfeleistungen durch die Beigeladene sei nicht rechtmäßig erfolgt, weil er durch Arbeit Einkommen erzielt habe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 3. Mai 2016 und den Bescheid der Beklagten vom 2. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist zur Begründung auf das angefochtene Urteil.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und ausgeführt, dass eine Antragstellung nach § 95 SGB XII beabsichtigt gewesen sei. Dies folge bereits aus der Formulierung des Antrages. Die vorrangige Beantragung von Rentenleistungen beim Bezug von SGB XII-Leistungen sei gesetzlich vorgegeben. Der Wille des Sozialhilfeleistungsempfängers sei hierbei nicht maßgeblich.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Verfahrensakten des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

1. Die gem. § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 2. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2015 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte dem Kläger ab 1. September 2013 eine Regelaltersrente bewilligt hat. Dagegen wendet sich der Kläger statthaft mit einer isolierten und zeitlich unbeschränkten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG). Insbesondere ist er klagebefugt, da eine Verletzung seines Antragsrechts möglich erscheint (vgl. §§ 99 Abs. 1, 115 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI)).

3. Der Bescheid vom 2. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Februar 2015 stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagte hat dem Kläger zutreffend auf den Antrag der Beigeladenen vom 5. September 2013 eine Regelaltersrente ab 1. September 2013 bewilligt.

a. Gem. § 33 Abs. 1 SGB VI werden Renten geleistet u.a. wegen Alters. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI ist die Regelaltersrente eine Rente wegen Alters. Gem. § 34 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente, wenn die für die jeweilige Rente erforderliche Mindestversicherungszeit (Wartezeit) erfüllt ist und die jeweiligen besonderen versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Nach § 35 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie 1. die Regelaltersgrenze erreicht und 2. die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht (§ 35 Satz 2 SGB VI). Für Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, modifiziert § 235 SGB VI die Regelaltersgrenze. Der 1948 geborene Kläger hat die Regelaltersgrenze gem. § 235 Abs. 2 SGB VI mit Vollendung des 65. Lebensjahres zuzüglich zwei Monate am 28. August 2013 erreicht. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird (§ 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Nach § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI beginnt das (Renten-)Verfahren mit dem Antrag, wenn nicht etwas anderes bestimmt ist. Gem. § 19 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) werden u.a. Leistungen in der gesetzlichen Rentenversicherung auf Antrag erbracht, soweit sich aus den Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige nichts Abweichendes ergibt.

b. Nach Maßgabe dieser Normen liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Regelaltersrente an den Kläger ab 1. September 2013 vor. Der Kläger hatte zum 1. September 2013 die Regelaltersgrenze erreicht und die allgemeine Wartezeit erfüllt, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Auch hat der erforderliche Rentenantrag vorgelegen. Zwar hat der Kläger selbst erst am 30. Juni 2014 und am 9. Oktober 2014 einen Rentenantrag bei der Beklagten gestellt, jedoch hat die Beigeladene für den Kläger wirksam am 5. September 2013 bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente zum 1. September 2013 beantragt. Denn mit Schreiben vom 3. September 2013, bei der Beklagten am 5. September 2013 eingegangen, hat die Beigeladene ausdrücklich formlos einen Rentenantrag gestellt. Anträge auf Sozialleistungen bedürfen für ihre Wirksamkeit keiner besonderen Form; sie müssen lediglich in erkennbarer Weise zum Ausdruck bringen, dass von einem Antragsrecht Gebrauch gemacht worden ist (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. Januar 2000 - B 13 RJ 37/98 R - juris Rdnr. 38). Um ein Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen, reicht es somit aus, dass eine auf Gewährung der Leistung gerichtete Willenserklärung gegenüber dem Sozialleistungsträger abgegeben wird. Diesen Mindestanforderungen genügt das vom Sozialamt übersandte Schreiben vom 3. September 2013, indem es die Personen, für die gemäß § 95 SGB XII ein Antrag gestellt werden sollte, eindeutig mit Namen, Geburtsdatum, Anschrift und Versicherungsnummer bezeichnet hat. Dass das Schreiben nicht den ausdrücklichen Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente enthält, ist unschädlich. Aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass die Bewilligung einer Altersrente begehrt worden ist. So haben es auch alle Beteiligten verstanden. Der seinerzeit bestellte Betreuer hat zu der Beklagten Kontakt aufgenommen und um Übersendung der Rentenantragsformulare gebeten (vgl. Schreiben vom 21. Oktober 2014). Auch die Beklagte hat das Schreiben der Beigeladenen vom 3. September 2013 von Anfang so verstanden, dass diese für den Kläger im Wege des § 95 SGB XII einen formlosen Antrag auf Regelaltersrente gestellt hat (vgl. Schreiben vom 26. Februar 2014). Ebenso ist unschädlich, dass die Beigeladene das Schreiben mit "Anmeldung eines Erstattungsanspruchs nach § 102 ff SGB X" überschrieben und gegenüber der Beklagten im Hinblick auf die seit Mai 2011 an den Kläger erbrachten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII auch einen Erstattungsanspruch bezogen auf vorrangige Rentenleistung geltend gemacht (dazu sogleich). Damit liegt ein wirksamer Rentenantrag vor, dessen Rechtswirkung weder durch die späteren Rentenanträge des Klägers vom 30. Juni 2014 und 9. Oktober 2014 noch durch die spätere Rücknahme des Rentenantrages vom 30. Juni 2014 modifiziert oder entfallen ist. Auch hat die Beigeladene bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ihren Rentenantrag nicht zurückgenommen. Sie hat lediglich mit Schreiben vom 20. Oktober 2017 und 14. November 2017 eine Rücknahme des Rentenantrages unter verschiedenen Bedingungen, die allesamt bisher nicht eingetreten sind, für die Zukunft in Aussicht gestellt.

Die Beantragung der Regelaltersrente für den Kläger zum 1. September 2013 durch die Beigeladene findet ihre Rechtfertigung in der Regelung des § 95 Satz 1 SGB XII. Danach kann der erstattungsberechtigte Träger der Sozialhilfe die Feststellung einer Sozialleistung betreiben sowie Rechtsmittel einlegen.

§ 95 SGB XII steht im inhaltlich-systematischen Zusammenhang mit § 2 SGB XII und den Vorschriften, die die Bedürftigkeit von Hilfesuchenden bestimmen. Er ist ein Instrumente zur Herstellung des Nachranges der Sozialhilfe (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 26. Januar 2000 - B 13 RJ 37/98 R - juris Rdnr. 23; Urteil vom 22. April 1998 - B 9 VG 6/96 R - juris Rdnr. 23). Der Träger der Sozialhilfe kann mit § 95 SGB XII statt oder neben Erstattungsansprüchen (insbesondere Erstattungsansprüche nach §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X)) die Feststellung der Leistungspflicht des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers für bereits erbrachte Leistungen geltend machen. Erstattungsansprüche und die Befugnis des § 95 SGB XII stehen grundsätzlich gleichrangig nebeneinander (BSG, Urteil vom 10. Juli 2014 - B 10 SF 1/14 R - juris Rdnr. 22; Urteil vom 22. April 1998, a.a.O. Rdnr. 22). § 95 SGB XII ermöglicht dem Träger der Sozialhilfe, die Feststellung einer Sozialleistung herbeizuführen, ohne selbst Anspruchsinhaber zu sein, und zu diesem Zweck auch Rechtsmittel einzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 1998, a.a.O. Rdnr. 23).

Die Voraussetzungen des § 95 Satz 1 SGB XII liegen vor. Die Beigeladene ist für die Erbringung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII an den Kläger zuständiger Sozialhilfeträger (§§ 46b Abs. 1, 97 Abs. 1 SGB XII i.V.m. §§ 2a, 3 Abs. 1 SGB XII-Ausführungsgesetz Baden-Württemberg und § 1 der Satzung des Landkreises Tübingen über die Durchführung von sozialen Aufgaben nach dem SGB XII im Landkreis Tübingen). Die Beigeladene ist auch erstattungsberechtigt i.S. des § 95 Satz 1 SGB XII. Denn sie hat als nachrangig verpflichteter Leistungsträger Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII auch in der Zeit vom 1. September 2013 bis zum 30. September 2014 (ab 1. Oktober 2014 wollte der Kläger ursprünglich selbst gemäß seinem - nicht zurückgenommenen - Rentenantrag eine Regelaltersrente beziehen) an der Kläger erbracht, obwohl dieser gegen die Beklagte bereits für die Zeit ab 1. September 2013 einen Anspruch auf Regelaltersrente hatte und die Beigeladene bei rechtzeitiger Gewährung der Regelaltersrente an den Kläger keine bzw. um den Rentenzahlbetrag, der anzurechnendes Einkommen darstellt (vgl. §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 82 SGB XII), verminderte Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII hätte erbringen müssen (§ 104 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB X). Die seitens der Beigeladenen dem Kläger auf dessen Anträge vom 29. Juni 2009, 23. Dezember 2011, 27. Januar 2014, 2. Juli 2014 und 2. September 2014 bewilligten und erbrachten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung waren dem Grunde und der Höhe nach rechtmäßig. Die Voraussetzungen der §§ 19 Abs. 2, 41 ff. SGB XII sind erfüllt. Der Kläger hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, ist wegen seiner gravierenden psychischen Erkrankung dauerhaft voll erwerbsgemindert i.S. des § 41 Abs. 3 SGB XII und konnte seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus seinem Einkommen (über Vermögen hat er ohnehin nicht verfügt) bestreiten. Im Übrigen hat er am 28. August 2013 die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht. Er hat auch den erforderlichen Antrag gestellt (§ 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung, vgl. nunmehr § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Die Beigeladene hat die Bedarfe des Klägers (vgl. § 42 SGB XII) sowie das anzurechnende Einkommen (vgl. nochmals §§ 43 Abs. 1 Satz 1, 82 SGB XII) zutreffend bestimmt und die Grundsicherungsleistungen in gesetzlicher Höhe berechnet, was auch der Kläger zunächst nicht in Abrede gestellt hat. Soweit der Kläger erstmals im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht hat, er sei nicht hilfebedürftig gewesen und habe über Erwerbseinkommen verfügt sowie bei der Beigeladenen nicht um Grundsicherungsleistungen nachgesucht, entbehrt dieser Vortrag jeglicher tatsächlichen Grundlage. Dieser Vortrag des Klägers, der von seinen anwaltlichen Bevollmächtigten gerade nicht aufgegriffen worden ist, ist allein taktisch bedingt und zielt - möglicherweise auch krankheitsbedingt - auf den von ihm nachdrücklich angestrebten späteren Rentenbeginn. Vielmehr ist den Verwaltungsakten der Beigeladenen zu entnehmen, dass der Kläger am 29. Juni 2009, 23. Dezember 2011, 27. Januar 2014, 2. Juli 2014 und 2. September 2014 um laufende Sozialhilfeleistungen nachgesucht und damit den erforderlichen Grundsicherungsantrag gestellt hat (vgl. zur "Türöffnerfunktion" des Antrages und zur Entbehrlichkeit von Fortzahlungsanträgen grundlegend BSG, Urteil vom 26. September 2009 - B 8 SO 13/08 R - juris Rdnrn. 11 ff.; ferner BSG, Urteil vom 20. April 2016 - B 8 SO 5/15 R - juris Rdnr. 14). Am 29. Juni 2009 hat der Kläger persönlichen einen "Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII" wegen Einkommens- und Vermögenslosigkeit gestellt. U.a. mit Schreiben vom 22. Dezember 2011, 13. Juli 2015 (vgl. ferner Aktenvermerk vom 3. Januar 2012) hat er um eine Bestätigung seines Sozialhilfebezugs gebeten, die ihm die Beigeladene auch jeweils erteilt hat (Schreiben vom 16. Mai 2011, 3. Januar 2012, 17. Februar 2012, 1. Oktober 2012, 2. Juli 2014, 10. Oktober 2014 und 13. Juli 2015). Ausweislich der Aktenvermerke vom 29. Oktober 2012, 5. November 2012 hat er bei der Beigeladenen um Bearbeitung seiner Anträge gebeten. Am 27. Januar 2014 und 2. September 2014 hat der Klägerin sodann die von ihm unterzeichnete Erklärung "Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beim Bezug von laufender Sozialhilfe" eingereicht und damit jeweils die Fortzahlung der Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII begehrt. In diesen Erklärungen hat er die Fragen zu Einkommen und Vermögen verneint. Am 2. Juli 2014 hat er bei der Beigeladenen diverse Unterlagen (insbesondere Kontoauszüge) sowie eine "Vermögenserklärung zum Antrag auf Sozialhilfe" eingereicht und Vermögenslosigkeit geltend gemacht. Am 10. Juli 2014 hat er der Beigeladenen mitgeteilt, dass er am 26. Mai 2014 eine geringfügige Beschäftigung als Zeitungszusteller ausübe. Am 18. August 2014 hat die damalige Bevollmächtigte des Klägers der Beigeladenen mitgeteilt, dass der Kläger teilweise bei einer Speditionsfirma arbeite und deshalb keine Vollrente wolle. Demgegenüber hat der Kläger unter dem 30. August 2014 ausdrücklich versichert, keiner Arbeitstätigkeit (einschließlich Nebentätigkeiten) nachzugehen und "kein persönliches Einkommen seit Januar 2014" zu beziehen. Am 8. September 2014 hat die damalige Bevollmächtigte ihre Angaben zur Erwerbstätigkeit des Klägers berichtigt und nun bekräftigt, dass der Kläger keiner Erwerbstätigkeit nachgehe. Am 26. September 2014 hat der Kläger bei der Beigeladenen persönlich vorgesprochen und nun mitgeteilt, dass er seit Ausscheiden aus der WfbM keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen sei. Auch habe er keine Beschäftigung als Zeitungszusteller ausgeübt, dies lediglich behauptet, weil er gern eine Beschäftigung hätte. Der Senat ist von der Richtigkeit dieser Angaben überzeugt. Denn ein geringfügiges nicht versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis ist in dem Versicherungsverlauf des Klägers nicht verzeichnet. Auch er hat in seinem Rentenantrag vom 30. Juni 2014 die Frage nach der Erzielung von Einnahmen verneint. Schließlich enthalten auch die vom Kläger der Beigeladenen vorgelegten Kontoauszüge (Bl. 70/1 bis 70/15, 82/11 bis 82/13 der Verwaltungsakten) keine Hinweise auf den Zufluss von Einkommen und das Bestehen von Vermögenswerten. Unter diesen Umständen entbehren die pauschalen und völlig unsubstantiierten Behauptungen des Klägers, die Beigeladene habe ihm die bis August 2015 bewilligten und ausbezahlten Grundsicherungsleistungen aufgezwungen, er habe (Erwerbs-)Einkommen erzielt und diesem seinen Lebensunterhalt vollständig bestreiten können, jeglicher Tatsachengrundlage.

Schließlich ist die Beantragung der Regelaltersrente durch die Beigeladene zum 1. September 2013 nicht ermessensfehlerhaft. Nicht ermessensfehlerhaft ist es, dass die Beigeladene sowohl von ihrem Recht nach § 95 SGB XII Gebrauch gemacht und gleichzeitig einen Erstattungsanspruch bei der Beklagten angemeldet hat (BSG, Urteil vom 22. April 1998, a.a.O. Rdnrn. 22 f.). Nicht ermessensfehlerhaft ist es ferner, wenn sich aus der Festsetzung im Wege des § 95 SGB XII durch die Beigeladene für den Kläger daraus keine unmittelbaren finanziellen Vorteile ergeben, weil z.B. die Rentennachzahlung vollständig Gegenstand des Erstattungsanspruchs der Beigeladenen ist (BSG, Urteil vom 26. Januar 2000, a.a.O. Rdnr. 23). Denn Ziel des § 95 SGB XII ist es gerade, dem Sozialhilfeträger die Möglichkeit zu geben, anstelle des Hilfeempfängers die Feststellung von Sozialleistungen zu betreiben und damit vorrangige Ansprüche schneller auszuschöpfen. Das eingeräumte Ermessen richtet sich nach fiskalischen Gesichtspunkten, die sich nicht mit denjenigen aus Sicht des Leistungsberechtigten decken müsse (vgl. Armbruster in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014 (Stand 18. Januar 2017), § 95 Rdnrn. 57, 60). Im vorliegenden Rechtsstreit ist zu beachten, dass keine sachlichen Gründe zugunsten des Klägers ersichtlich sind, die gegen die Gewährung einer Regelaltersrente nach Vollendung der für den Kläger maßgeblichen Altersgrenze streiten. Denn die Beklagte hat dem Kläger eine Regelaltersrente ohne Abschläge gewährt, sodass ihm keine unzumutbaren Nachteile entstehen (vgl. Armbruster, a.a.O. Rdnr. 60). Dass sich durch eine Nichtinanspruchnahme der Rente wegen Alters diese nach Erreichen der Regelaltersgrenze trotz erfüllter Wartezeit für jeden Kalendermonat um 0,005 erhöhen würde (vgl. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2b SGB VI), begründet keine Unzumutbarkeit, weil der Kläger gerade nicht in der Lage war, seinen notwendigen Lebensunterhalt in der Zeit von September 2013 bis August 2015 selbst sicherzustellen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ausweislich des Versicherungsverlaufs seit seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsbereich der WfbM bis zum Ende des Bezugs von Grundsicherungsleistungen (August 2015) weder eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat noch für ihn irgendwelche Beiträge zur Rentenversicherung, die sich ggf. rentenerhöhend auswirken könnten, erbracht worden sind. Zwar mag er nach dem Ausscheiden aus der WfbM eine weitere Berufstätigkeit angestrebt haben, jedoch konnte er unter den Bedingungen des freien Arbeitsmarktes - offensichtlich auch wegen der vielfältigen persönlichen Besonderheiten (Erwerbsbiografie, Alter, psychische Erkrankung) - zeitnah nach dem Erreichen der Regelaltersrente keine entgeltliche Beschäftigung finden. Schließlich steht es dem Kläger frei, worauf die Beklagte ihn hingewiesen hat (vgl. Schreiben vom 19. September 2014), in eine Teilrente bei Aufnahme einer Beschäftigung zu wechseln (vgl. § 42 SGB VI).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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