L 13 R 3527/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 3527/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts H. vom 21. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1967 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige und lebt seit 1968 in Deutschland. Sie hat keinen Beruf erlernt. Sie war seit 1985 bei verschiedenen Arbeitgebern als Maschinenführerin, Monteurin und Verpackerin beschäftigt. Im Mai 2009 erlitt sie bei einem Arbeitsunfall eine Handgelenkskontusion und war seitdem arbeitsunfähig. Bis 14. November 2011 bezog sie Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und ist seither arbeitslos ohne Leistungsbezug.

Am 22. November 2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung und gab an, sie könne seit der bei dem Arbeitsunfall im Mai 2009 erlittenen Handgelenksverletzung keine Arbeiten mehr verrichten, zumal sie außerdem psychisch beeinträchtigt sei, HWS- und LWS-Beschwerden nach Bandscheibenvorfall habe und unter Asthma leide. Die Klägerin legte mit ihrem Antrag u.a. eine sozialmedizinische Stellungnahme des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit H. vom 14. September 2011 vor, mit der ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festgestellt worden war. Außerdem vorgelegt wurde ein im Auftrag der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie erstelltes arbeitsmedizinisches Zusammenhangsgutachten vom 15. Dezember 2006. Als Diagnosen wurden genannt: Chronische Bronchitis (DD: Asthma Bronchiale), chronisches Schmerzsyndrom, depressive Störung.

Mit Bescheid vom 21. Dezember 2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Zur Begründung ihres am 23. Januar 2012 bei der Beklagten eingegangenen Widerspruchs verwies die Klägerin auf die Auswirkungen ihres Bronchialasthmas, die Schmerzen an Hand, Arm und Wirbelsäule und die dadurch inzwischen entstandenen psychischen Wesensveränderungen.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch Dr. S. - Facharzt für Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie. Dieser kam in seinem Gutachten vom 2. September 2012 zu dem Ergebnis, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt arbeitstäglich sechs Stunden und mehr arbeiten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Oktober 2012 als unbegründet zurück.

Mit der am 2. November 2012 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) eingegangenen Klage (S 13 R 3552/12) hat die Klägerin ihr Rentenbegehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat sie insbesondere auf ihre schwerwiegenden psychosomatischen Beeinträchtigungen bei ausgeprägtem Schmerzsyndrom verwiesen. Das SG hat den Entlassungsbericht der S. Fachklinik für analytische Psychotherapie über den stationären Aufenthalt vom 14. November 2012 bis 16. Januar 2013 beigezogen. Die Fachklinik hat als Diagnosen: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradige Episode, Asthma bronchiale, Harninkontinenz, vor dem Hintergrund einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit abhängigen, narzisstischen und depressiven Anteilen genannt. Im Entlassungsbericht haben die dort behandelnden Ärzte ausgeführt, die Klägerin habe von ihrer Verletzung am linken Handgelenk keine somatischen Schäden davongetragen, durch den Unfall sei es jedoch zu einer Retraumatisierung gekommen, die sich in Form eines Körperschmerzes Ausdruck verschaffe. Angezeigt sei eine längerfristige ambulante tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie mit einer Frequenz von einer Sitzung wöchentlich. Auf Anfrage des Gerichts hat die Klägerin mitgeteilt, sie stehe in ständiger Behandlung bei ihrem Hausarzt Dr. S. und einer Praxis für Ergotherapie und Psychotherapie. Bei einer medizinischen Psychotherapeutin stehe sie auf der Warteliste.

Das SG hat dann den Hausarzt der Klägerin, Facharzt für Allgemeinmedizin S., als sachverständigen Zeugen angehört. Dieser hat am 19. August 2013 mitgeteilt, die Klägerin stehe seit 1992 in seiner Behandlung, sie sei regelmäßig im Kontrollprogramm wegen ihres allergischen Asthmas und nehme ihre inhalative Medikation regelmäßig. Durch den Klinikaufenthalt habe sich das Krankheitsbild der Klägerin unwesentlich gebessert und er halte sie seit dem Unfallereignis für eingeschränkt arbeitsfähig.

Abschließend hat das SG von Amts wegen ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten eingeholt, das Prof. Dr. R. am 28. Januar 2014 erstellt hat. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, bei der Klägerin bestehe eine leichte anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine Dysthymia. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht könne die Klägerin bei Beachtung qualitativer Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünftagewoche arbeiten. Auch eine achtstündige tägliche Arbeitszeit komme noch in Frage. Möglich wären beispielsweise leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wie das Zureichen, das Transportieren, das Reinigen, das Sortieren, das Verpacken, das Bedienen von Maschinen und das Zusammensetzen von Teilen. Der festgestellte Gesundheitszustand bestehe seit dem Jahr 2009 und die Minderung der qualitativen Leistungsfähigkeit sei dauerhaft. Angesichts der eingetretenen Chronifizierung der somatoformen Schmerzstörung und der Dysthymia sei davon auszugehen, dass es zu keiner Rückbildung der qualitativen Leistungseinschränkungen kommen werde. Die Klägerin könne täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 m in weniger als 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und sie könne zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Juli 2015 abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung einer vollen oder teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung und auch nicht auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit hat. Das SG hat sich in den Entscheidungsgründen insbesondere auf die Feststellungen im Gutachten des Prof. Dr. R. gestützt, nach denen die Klägerin trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen noch in der Lage sei, sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Sowohl Dr. S. als auch Prof. Dr. R. hätten außerdem die Wegefähigkeit der Klägerin überzeugend bestätigt. Die Klägerin sei daher nicht erwerbsgemindert. Sie habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 240 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da sie am 10. Februar 1967 und damit nach dem Stichtag des 1. Januar 1961 geboren sei.

Gegen den am 24. Juli 2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 20. August 2015 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung der Klägerin. Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, der Sachverständige Prof. Dr. R. habe ihr Leistungsvermögen nicht zutreffend eingeschätzt. Der Gutachter habe z.B. angenommen, sie sei zu verschiedenen Haushaltstätigkeiten noch in der Lage, habe hierbei jedoch übersehen, dass sie bereits nach Tätigkeiten wie z.B. Staubsaugen rasch erschöpft sei und dass dieser Zustand dann mehrere Tage anhalte. Auch in anderen Bereichen ihres Tagesablaufs - z.B. Einkaufen, Kochen, Fahrradfahren - verspüre sie starke Schmerzen und sei auf Hilfe angewiesen. Dies habe der Sachverständige Prof. Dr. R. nicht berücksichtigt. Er habe außerdem abweichend von den Befunden der S.klinik lediglich eine leichte depressive Störung festgestellt. Der Sachverständige sei außerdem nicht darauf eingegangen, dass sie seit der erstmaligen Begutachtung durch Dr. S. inzwischen sportliche Aktivitäten und Hobbys habe aufgeben müssen und sich vollständig zurückgezogen habe. Im Gegensatz zu Prof. Dr. R. halte der Hausarzt S. sie nur noch für eingeschränkt arbeitsfähig.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 21. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 21. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Oktober 2012 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Dezember 2011 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend, legt sozialmedizinische Stellungnahmen ihres Ärztlichen Dienstes vor (Dr. P. 17. März 2016, Dr. N. 22. März 2016) und geht weiterhin davon aus, dass das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin nicht quantitativ eingeschränkt ist.

Der Senat hat den Entlassungsbericht der S.klinik über den stationären Aufenthalt der Klägerin in der Zeit vom 20. Oktober 2015 bis 8. Dezember 2015 beigezogen. Im Bericht der Klinik werden als Diagnosen genannt: Histrionische Persönlichkeitsstörung, Verdacht auf posttraumatische Belastungsstörung, Asthma Bronchiale, Dranginkontinenz, cervicaler Bandscheibenvorfall, thoracaler Bandscheibenvorfall, Krankheit des Trommelfells und grippaler Infekt. Im Bericht heißt es, der stationäre Verlauf sei von internistischer Seite unauffällig gewesen. Aufgrund der Schwere und dem chronischen Verlauf der psychischen Erkrankung sei die Prognose ungünstig. Eine ambulante Psycho- und Ergotherapie sei zu empfehlen.

Abschließend hat der Senat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein nervenärztliches Gutachten bei der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie H. eingeholt. Im Gutachten vom 14. Oktober 2016 ist die Sachverständige H. zum Ergebnis gelangt, bei der Klägerin bestehe eine Dysthymia. Die Klägerin könne noch leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten (gelegentlich auch schwere) ohne Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne ständiges Bücken und Aufheben von Gegenständen und ohne Überkopfarbeiten mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Gelegentlich seien solche Tätigkeiten jedoch möglich und aus neurologisch-psychiatrischer Sicht bestünden keine Einschränkungen. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne die Klägerin ohne Gefährdung der Gesundheit mindestens sechs Stunden täglich arbeiten. Die Klägerin könne täglich viermal eine Strecke von 500 m in jeweils bis zu 20 Minuten zurücklegen und sie könne öffentliche Verkehrsmittel auch zu Hauptverkehrszeiten ohne Einschränkung benutzen. Die Sachverständige H. hat sich der Leistungseinschätzung in den fachärztlichen Gutachten des Dr. Schnügten und des Prof. Dr. R. und auch den sozialmedizinischen Stellungnahmen der Dr. P. und des Dr. N. ausdrücklich angeschlossen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die nach den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung - § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) - dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat, weil sie in der Lage ist, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bei Beachtung näher aufgeführter qualitativer Einschränkungen wenigstens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Dem schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung und unter Berücksichtigung des gesamten Vorbringens der Klägerin, auch im Berufungsverfahren, uneingeschränkt an und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 153 Abs. 2 SGG zurück.

Ergänzend ist noch anzumerken, dass auch der klägerische Vortrag im Berufungsverfahren nicht dazu führt, dass der angefochtene Gerichtsbescheid zu beanstanden wäre.

Entgegen der von der Klägerin in ihrer Berufungsbegründung geäußerten Kritik hat der vom SG beauftragte Sachverständige Prof. Dr. R. zur Kenntnis genommen und seiner Beurteilung zu Grunde gelegt, dass die Klägerin bei verschiedenen Haushaltstätigkeiten eingeschränkt ist und Unterstützung von Angehörigen benötigt und dass sie sportliche Aktivitäten und auch Fahrradfahren eingeschränkt habe. Dies ergibt sich aus der im Gutachten des Prof. Dr. R. ab S. 7 wiedergegebenen Beschreibungen des Tagesablaufs. Ausgehend von den Schilderungen der Klägerin hat der Sachverständige dann - für den Senat schlüssig und überzeugend - ausgeführt, dass die Klägerin trotz ihrer Einschränkungen betreffend die Alltagsaktivitäten doch in der Lage ist, einem geordneten Tagesablauf nachzugehen (S. 25 ff. des Gutachtens). Daher ist die von der Klägerin geäußerte Kritik am Gutachten des Prof. Dr. R. nach Auffassung des Senats nicht berechtigt.

Bei der Klägerin stehen im Vordergrund neurologisch-psychiatrische Erkrankungen in Form einer leichten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer Dysthymia. Diese Erkrankungen sind im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit Rentenantragstellung bereits drei Mal fachärztlich beurteilt worden. Übereinstimmend kamen Dr. S. im September 2012, Prof. Dr. R. im Januar 2014 und die Fachärztin H. im Oktober 2016 zum Ergebnis, dass die Klägerin bei Beachtung qualitativer Einschränkungen noch leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von sechs und mehr Stunden täglich verrichten kann. Aus dem urkundlich verwerteten Gutachten des Dr. S. und aus den im Klageverfahren und im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtachten des Prof. Dr. R. und der Fachärztin H. ergibt sich für den Senat schlüssig und überzeugend, dass die bei der Klägerin bestehenden Leiden keine rentenrechtlich relevante Leistungsminderung bedingen. Bereits bei der Untersuchung am 11. September 2012 hat Dr. S. bei der Klägerin keine manifeste Erkrankung des neurologisch-psychiatrischen Formenkreises feststellen können. Bereits damals ging Dr. S. davon aus, dass eine Instrumentalisierung der Beschwerden am linken Arm im Sinne eines Entschädigungsbegehrens bei erfahrenen biografischen Belastungen und bei prädisponierter Persönlichkeitsstruktur anzunehmen sei - nicht jedoch eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Auch zum Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. S. erfolgte keine nervenfachärztliche, psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung der Klägerin. Im Klageverfahren hat die Klägerin als aktuell behandelnden Arzt ausschließlich ihren Hausarzt angegeben und ansonsten auf regelmäßige Termine in einer Praxis für Ergotherapie verwiesen. Dokumentiert wurde außerdem ein stationärer Aufenthalt in der Fachklinik für analytische Psychotherapie vom 14. November 2012 bis 16. Januar 2013 - nicht jedoch eine laufende fachärztliche psychiatrische Behandlung. Aus dem Gutachten des Prof. Dr. R. ergibt sich schlüssig und nachvollziehbar, dass bei der Klägerin eine Diskrepanz zwischen der Intensität bzw. dem Ausbreitungsgebiet der geklagten körperlichen Beschwerden und den organisch nachweisbaren Befunden besteht und dass ein Teil dieser Diskrepanz durch das Krankheitsbild einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erklärt wird. Insbesondere unter Berücksichtigung der Alltagsaktivitäten und der nur leichtgradig gestörten psychischen Befunde begründet der Sachverständige überzeugend, dass die somatoforme Schmerzstörung keinen mittelschweren oder schweren Ausprägungsgrad erreicht und die chronisch depressive Verstimmung als Dysthymia einzustufen ist, da sie die Kriterien für eine rezidivierende, d. h. episodenhaft auftretende, depressive Störung nicht erfüllt. Die von der Klägerin im Berufungsverfahren gemäß § 109 SGG selbst benannte fachärztliche Sachverständige H. hat darauf hingewiesen, dass wesentliche einschränkende psychische Störungen nicht vorliegen und der geschilderte Leidensdruck und die Symptome nicht in vollem Umfang nachvollziehbar sind. Nach Einschätzung der Sachverständigen H. wäre erst "bei zeitweiser Zunahme der Verstimmung" eine Anpassung der Therapie angezeigt. Dann sei auch die Einnahme von Medikamenten in erforderlicher Dosis sinnvoll und zumutbar. Nach dem Ergebnis der von der Gutachterin veranlassten Erstellung eines Blutbildes mit Medikamentenspiegel waren die von der Klägerin angegebenen Medikamente (Amitriptylin und Metaboliten) nicht nachweisbar. Im Gutachten der Sachverständigen H. wird ausführlich und anschaulich geschildert, aus welchen Gründen der geschilderte Leidensdruck und die Symptome nicht in vollem Umfang nachvollziehbar, sondern Verdeutlichung und Wunsch nach Ausgleichzahlungen sehr vordergründig sind: Die Sachverständige beschreibt eine eingeschränkte Kooperation der Klägerin während der Untersuchung - z. B. bei der Ableitung des EEG und der Durchführung des D2-Tests, wobei es sich ausdrücklich nicht um sprachliche Probleme oder psychische Symptome gehandelt habe. Bei der neurologischen Untersuchung habe die Klägerin nicht gut kooperiert, wobei ihre Bewegungsmuster unbeobachtet nicht eingeschränkt gewesen seien. Typische Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung seien weder spontan noch auf genaue Nachfrage angegeben worden. Insgesamt habe ein spürbarer Leidensdruck und ein Bemühen um Verbesserung der angeblich psychischen Symptome bei der Klägerin nicht festgestellt werden können. Schlüssig und für den Senat nachvollziehbar kommt die Sachverständige dann zum Ergebnis, dass die in Form einer Dysthymia bestehende Verstimmung keine anhaltenden wesentlichen Leistungseinschränkungen bewirkt.

Dafür, dass die seitens des Hausarztes und in den Entlassungsberichten der S.klinik vom 18. März 2013 und der S.klinik vom 14. Januar 2016 genannten weiteren Diagnosen auf anderen Fachgebieten - Asthma bronchiale, Dranginkontinenz, zervikaler Bandscheibenvorfall, thorakaler Bandscheibenvorfall und Krankheit des Trommelfells - zu relevanten Leistungseinschränkungen im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung führen würden, sind für den Senat nach Aktenlage keine Anhaltspunkte ersichtlich. Übereinstimmend heißt es in den Entlassungsberichten beider Kliniken, die stationären Verläufe seien von somatischer Seite unauffällig gewesen. Die seit Rentenantragstellung mit der Klägerin befasst gewesenen Gutachter Dr. S., Prof. Dr. R. und Fachärztin H. haben - jeweils als langjährig erfahrene Gutachter in sozialgerichtlichen Verfahren - keine Hinweise auf mögliche relevante Leistungseinschränkungen durch somatische Befunde gesehen und keine anderweitige fachärztliche Begutachtung für erforderlich gehalten. Der Hausarzt der Klägerin hat in seiner Auskunft an das SG mitgeteilt, die "Einschränkungsfunktionen" seien "im Wesentlichen nicht körperlich sondern auf der seelischen und sozialen Erlebensebene" zu sehen. Dass die - anwaltlich vertretene - Klägerin selbst bezüglich ihrer internistischen, orthopädischen und HNO-ärztlichen Erkrankungen ihr Leistungsvermögen nicht wesentlich eingeschränkt sieht, wird bereits dadurch belegt, dass in der Berufungsbegründung vom 22. Oktober 2015 ausschließlich auf das Ausmaß der psychischen Beschwerden abgestellt wird. Auch in Kenntnis der sozialmedizinischen Stellungnahme der Frau Dr. P. (Fachärztin für Innere Medizin) vom 17. März 2016, in der bezüglich der internistischen und HNO-ärztlichen Befunde keinerlei rentenrechtlich relevante Einschränkungen gesehen werden, wird im klägerischen Schriftsatz vom 2. Mai 2016 nochmals weiterhin ausschließlich auf die Auswirkung der psychiatrischen Diagnosen auf das berufliche Leistungsvermögen abgestellt. Bei Gesamtwürdigung aller vorliegenden medizinischen Unterlagen besteht keine Veranlassung für weitere Ermittlungen von Amts wegen bezogen auf die dokumentierten internistischen, orthopädischen und HNO-ärztlichen Befunde.

Nach der durchgeführten Beweisaufnahme schließt sich der Senat den Feststellungen der seit September 2012 mit der Klägerin befasst gewesenen Sachverständigen Dr. S., Prof. Dr. R. und der Fachärztin H. vollumfänglich an und stellt fest, dass die Klägerin leichte und auch mittelschwere körperliche Tätigkeiten in einem zeitlichen Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann, soweit regelmäßige Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltung, mit ständigem Bücken und Aufheben von Gegenständen oder in Überkopfarbeit vermieden werden.

Da die Klägerin ihr zumutbare Tätigkeiten wenigstens noch sechs Stunden arbeitstäglich verrichten kann, eine schwere spezifische Leistungsbeeinträchtigung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nicht vorliegen und somit eine rentenberechtigende Leistungsminderung nicht bewiesen ist, hat das Sozialgericht zu Recht die Klage abgewiesen. Der Senat weist deshalb die Berufung zurück.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach § 193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass die Klägerin mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum SGG, 4. Aufl., § 193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in Juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 4).

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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