L 8 U 2293/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 U 1600/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 2293/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.04.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Verletztengeld über den 22.09.2008 hinaus hat.

Der 1972 geborene Kläger ist als selbständiger Physiotherapeut bei der Beklagten freiwillig versichert. Im Rahmen dieser Tätigkeit befand er sich im Juli 2008 in der Türkei, um dort Vorträge zu einer von ihm entwickelten Therapie zu halten (Bl. 34, 53 ff. der Verwaltungsakte). Auf dem Weg zu einem Seminar erlitt er am 28.07.2008 zwei Verkehrsunfälle. Bei dem ersten Unfall kam der Kläger als Beifahrer gegen 9:30 Uhr mit dem Auto von der Straße ab, wobei er aus dem Schlaf gerissen wurde. Da er unter starken Kopfschmerzen litt, begab er sich gemeinsam mit seinem auch als Dolmetscher beschäftigten Fahrer B. D. im verunfallten Fahrzeug auf den Weg ins Krankenhaus. Dabei versagten sowohl Lenkung als auch Bremsen des PKW, so dass das Fahrzeug über eine Brücke 3 Meter in die Tiefe stürzte. Der Kläger verlor dabei das Bewusstsein und verletzte sich die Wirbelsäule, den Kopf, die Arme und die Beine. In der Folge wurde ein Bandscheibenvorfall, ein Schleudertrauma und eine Gehirnerschütterung mit Taubheitsgefühl und Schmerzen festgestellt. Zur Behandlung befand sich der Kläger in zwei türkischen Krankenhäusern (vgl. zum Unfallbericht Unfallanzeige vom 26.09.2008, Bl.1 der Verwaltungsakte). Der Kläger legte zugleich das ärztliche Attest des Facharztes für Neurochirurgie Dr. U. aus der Türkei (Bl. 23 der Verwaltungsakte) vor, wonach bei dem Kläger nach ein Unfall ein allgemeines physisches Trauma bestanden habe.

Die Beklagte zog daraufhin ärztliche Befundberichte bei. Nach dem Bericht des Arztes für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. R. vom 11.11.2006 liege bei dem Kläger eine Gehirnerschütterung mit Folgekopfschmerzen und Schwindelgefühlen sowie leichtem HWS-Schleudertrauma, ein cervikaler Bandscheibenvorfall HWK 6/7 mit C8-Wurzelsyndrom links, ein Verdacht auf eine leichte radiologisch sichtbare Myelopathie (klinisch stumm) und eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor (Bl. 14 der Verwaltungsakte). Neurologe PD Dr. K. teilte im Arztbrief vom 26.09.2008 mit, bei dem Kläger bestehe ein Zustand nach Commotio cerebri und HWS Schleudertrauma. Klinisch neurologisch habe sich eine generalisierte leichte Schwäche im Bereich des linken Armes sowie eine ulnarbetonte Sensibilitätsstörung gezeigt, die jedoch die gesamte linke Hand betroffen habe. Psychisch sei der Kläger affektiv schwingungsfähig gewesen, der Antrieb normal. Er habe ausführlich über Ängste berichtet, die er in der Türkei durchgestanden habe (Arztbrief vom 26.09.2008, Bl. 42 f. der Verwaltungsakte). Nach dem Bericht des Facharztes für HNO-Heilkunde vom 23.10.2008 (Bl. 44 der Verwaltungsakte) leide der Kläger unter einer Innenohrstörung rechts, einem Tinnitus rechts und einem Zustand nach Schädel-Hirn-Trauma. Im Befundbericht vom 20.03.2009 (Bl. 63 der Verwaltungsakte) teilte Neurochirurg Prof Dr. O. mit, es könne sich in Zusammenschau der Befunde doch ausnahmsweise um einen traumatischen Bandscheibenvorfall handeln.

Mit Schreiben vom 03.06.2009 teilte die Beklagte dem behandelnden Nervenarzt Dr. R. mit, das Ereignis vom 28.07.2008 werde als Arbeitsunfall anerkannt (Bl. 74 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte zog zudem ein im Auftrag der A. Private Krankenversicherungs-AG erstelltes Gutachten des Facharztes für Chirurgie, Unfallchirurgie Dr. J. vom 16.12.2008 (Bl. 86 ff. der Verwaltungsakte) sowie ein ebenfalls im Auftrag der A. Private Krankenversicherungs-AG erstellten Bericht über die vertrauensärztliche Untersuchung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vom 19.02.2009 (Bl. 94 ff. der Verwaltungsakte) bei. Die A. Private Krankenversicherungs-AG teilte zugleich mit, sie zahle seit dem 08.09.2008 Krankentagegeld, da aufgrund des Unfalls nach den ihr vorliegenden ärztlichen Attesten eine Arbeitsunfähigkeit vorliege.

Die Beklagte erhob sodann das unfallchirurgische Gutachten des PD Dr. T. vom 13.10.2009 (Bl. 135 ff. der Verwaltungsakte). Bei dem Kläger bestünden als Folgen des Unfallereignisses vom 28.07.2008 Bewegungseinschränkungen und eine Blockierungssymptomatik im HWS-Bereich, eine Schwäche und Sensibilitätsstörungen im Bereich des linken Armes sowie ein Bandscheibenvorfall HWK 6/7 mit beginnender Myelopathie. Die im Rahmen der Untersuchung geschilderten Gesundheitsschäden im Bereich des verletzten Halswirbelkörpers seien nicht durch das fragliche Unfallereignis verursacht. Die Beklagte erhob zudem das nervenärztliche Gutachten des behandelnden Arztes Dr. R. vom 12.10.2009 (Bl. 144 ff. der Verwaltungsakte). Bei dem Kläger bestünde eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), eine mittelgradige depressive Episode und eine neurasthenische Erschöpfung. Diese psychischen Störungen lägen glaubhaft seit dem Unfall vor und leiteten sich plausibel aus dem Unfallereignis und der Reaktion des Klägers hieraus ab. Ca. ein Jahr vor dem Unfall habe ein erstes einschneidendes Erlebnis in der Form eines Wohnungs- und Praxisbrandes im Leben des Klägers stattgefunden. Dieses Ereignis habe den Kläger vorübergehend labilisiert, so dass der erneute Schock "auf fruchtbaren Boden" gefallen sei. Allerdings sei der Kläger bis zum Unfall wieder psychisch gekräftigt gewesen und habe gearbeitet. Eine PTBS mit Aufhebung der Arbeitsfähigkeit sei erst durch den Unfall entstanden und wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit auch ohne Brandereignis in derselben Stärke aufgetreten. Der Kläger sei zu 100 % arbeitsunfähig.

Der Kläger legte zudem ein auf eigene Kosten eingeholtes audiologisches Gutachten des Prof. Dr. L. vom 19.10.2009 (Bl. 152 ff. der Verwaltungsakte). Danach bestehe bei dem Kläger eine minimale Schallempfindungsschwerhörigkeit rechts sowie ein Tinnitus vom Konvergenztyp rechts. Anhand des geschilderten Unfallgeschehens müsse auch aufgrund der glaubhaft dargelegten Beschwerden von einer Contusion oder Commotio labyrinthi mit Halswirbelsäulenschaden ausgegangen werden. Ohrgeräusche und Hörverlust seien häufige Beschwerden nach einem HWS-Trauma, so dass die geschilderten und gemessenen Schäden mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen vom 28.07.2008 zurückzuführen seien.

Der Beratungsarzt der Beklagten Dr. K. gab unter dem 04.11.2009 an (Bl. 166 der Verwaltungsakte), das Schädelhirntrauma Grad 1 sei unfallbedingt, bedinge jedoch keine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Eine Arbeitsunfähigkeit sei für acht Wochen bis Ende September 2008 anzunehmen.

Der Kläger legte ein weiteres im Auftrag der A. Private Krankenversicherungs AG erstellten Bericht über die vertrauensärztliche Untersuchung des Neurologen und Psychiaters Dr. Be. vom 09.09.2009 (Bl. 171 ff. der Verwaltungsakte) vor, wonach aufgrund der psychischen Situation von einer Berufsunfähigkeit auszugehen sei.

Mit Bescheid vom 09.12.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, die durch die Unfallverletzung eingetreten sei, Verletztengeld ab dem 28.07.2009 bis auf weiteres (Bl. 191 der Verwaltungsakte).

Der Kläger legte sodann ein fachärztliches Attest des Facharztes für Orthopädie Dr. M. vom 07.12.2009 vor (Bl. 194 ff. der Verwaltungsakte). Bei dem Kläger bestünden weiterhin Beschwerden in Armen und Beinen, Kopfschmerzen bis zu rechtsseitiger Migräne, HWS-Schmerzen mit Bewegungseinschränkung, Tinnitus rechts und Schlafstörungen. Bei dem Kläger, der vor dem Unfall beschwerdefrei gewesen sei, sei es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließlich durch das Unfallereignis zu den bekannten Verletzungen gekommen.

Die Beklagte zog einen weiteren im Auftrag der A. Private Krankenversicherungs AG erstellten Bericht über die vertrauensärztliche Untersuchung des Dr. Be. vom 21.07.2009 bei (Bl. 202 ff. der Verwaltungsakte), wonach der Kläger weiterhin aufgrund der durch den Unfall verursachten Folgen zu 100 % arbeits- bzw. berufsunfähig sei.

Die Beklagte holte sodann die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. K. vom 31.01.2010 ein (Bl. 215 der Verwaltungsakte). Die von dem Kläger angegebene Bewusstlosigkeit deute auf ein erstgradiges Schädel-Hirn-Trauma hin, wohingegen der Diagnose eines HWS-Schleudertraumas nicht gefolgt werden könne, da ein Kopfanprall eine Beteiligung der Halswirbelsäule ausschließe. Es verwundere daher nicht, dass die kernspintomographische Untersuchung am 24.09.2008 zwar einen Bandscheibenvorfall, jedoch keinen verletzungsspezifischen Befund habe erbringen können. Außer dem Schädel-Hirn-Trauma könnten keine der anderen Gesundheitsstörungen mit der zu fordernden Wahrscheinlichkeit dem versicherten Ereignis zugeordnet werden.

Die Beklagte zog daraufhin das auf Ersuchen der Deutschen Krankenversicherungs AG erstattete Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. C. vom 01.12.2008 bei (Bl. 219 ff. der Gerichtsakte) und holte eine beratungsärztliche Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 04.04.2010 ein (Bl. 246 ff. der Verwaltungsakte). Dieser gab an, das Gutachten des Dr. R. sei in keiner Weise verwertbar. Es werde weder eine adäquate Anamnese und Exploration vorgenommen noch eine DD Wertung. Es könne nur geraten werden, an anderer Stelle eine umfangreiche Diagnostik und Begutachtung durchzuführen.

Die Beklagte erhob daraufhin das Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. C. und des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Bu. vom 17.05.2010 (Bl. 256 ff. der Verwaltungsakte). Diese kamen zu folgenden Diagnosen: Zustand nach HWS-Distorsion, Zustand nach commotio cerebri als Folgen des Unfalls vom 28.07.2008 sowie unfallunabhängig anhaltende somatoforme Schmerzstörung und Neurasthenie. Die objektivierbaren Unfallfolgen seien keinesfalls geeignet, das umfassende Beschwerdebild zu erklären. Es bestehe ein Zustand nach einer commotio cerebri, welche folgenlos ausgeheilt sei. Entsprechend zeige sich die Kernspintomographie des Kopfes und auch das EEG regelrecht. Weder die dargestelllten Kopfschmerzen, die Konzentrationsstörungen noch der Tinnitus seien morphologisch zu begründen. Im Vordergrund stünden der Wunsch nach adäquater Entschädigung sowie ein Gefühl von Erschöpfung. Das klinische Bild entspreche nicht den diagnostischen Kriterien einer PTBS. Es bestünden Alpträume aber keine Nachhallerinnerungen, ansonsten keine relevanten vegetativen Störungen, insbesondere keine vermehrte vegetative Erregbarkeit, kein sozialer Rückzug und kein Vermeidungsverhalten. Das angeschuldigte Trauma stelle eine Gelegenheitsursache für die darauf folgende abnorme seelische Entwicklung dar, begünstigt bei einer prämorbid vorbestehenden auffälligen Persönlichkeitsstruktur mit narzisstischer Prägung.

Die Beklagte holt zudem die beratungsärztliche Stellungnahme des Hals-Nasen-Ohrenarztes Dr. N. vom 05.07.2010 ein (Bl. 279 ff. der Verwaltungsakte). Dieser gab an, von Seiten des HNO-Fachgebietes komme ohne Rücksicht auf die Ursache lediglich eine MdE von unter 10 v.H. in Betracht.

Mit Bescheid vom 26.11.2010 (Bl. 288 f. der Verwaltungsakte) erkannte die Beklagte eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit bis zum 22.09.2008 an. Das unfallbedingt erlittene Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades sei spätestens nach acht Wochen folgenlos ausgeheilt. Die über diesen Zeitpunkt hinaus bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen bestünden unabhängig vom Arbeitsunfall vom 28.07.2008.

Am 13.12.2010 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch (Bl. 294 ff. der Verwaltungsakte) und führte zur Begründung an, es sei verwunderlich, wenn Dr. C. auf der einen Seite in einem Gutachten für die Deutsche Krankenversicherung AG zu dem Ergebnis komme, dass er - der Kläger - in seinem bisher ausgeübten Beruf eine auf nicht absehbare Zeit zu erwartende Erwerbsunfähigkeit von mehr als 50 % vorzuweisen habe und auf der anderen Seite in einem Gutachten für die Beklagte letztlich das genaue Gegenteil behaupte. Es sei außerdem darauf hinzuweisen, dass sich Dr. C. in beiden Untersuchungen allenfalls 10 Minuten mit ihm beschäftigt habe. Dr. C. weiche zudem von den Beurteilungen der übrigen Ärzte ab. Im Gegensatz zu Dr. C. habe insbesondere Dr. M. in seinem Gutachten vom 07.12.2009 anhand aktuellster medizinischer Erkenntnisse Kriterien aufgestellt, wonach von der Unfallbedingtheit der Beschwerden auszugehen sei. Auch nur ansatzbare belastbare Darlegungen suche man in der Abhandlung des Dr. C. vergebens. Festzuhalten sei unter Berücksichtigung der medizinischen Unterlagen auch, dass der Bescheid auf einer nicht hinreichend recherchierten Tatsachenbasis aufbaue. In der neuesten unfallmedizinischen Literatur werde sehr wohl davon ausgegangen, dass es bei speziell gelagerten Fällen zu traumatischen Bandscheibenvorfällen ohne flankierende Brüche anderer Knochen geben könne. Die Beklagte habe daher nicht neutral ermittelt, wenn sie sich nur auf die Ansicht von Medizinern berufe, denen offenbar neueste medizinische Erkenntnisse unbekannt seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück (Bl. 308 ff. der Verwaltungsakte).

Hiergegen erhob der Kläger am 26.05.2011 Klage bei dem Sozialgericht Reutlingen. Zur Begründung wiederholte und vertiefte er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Dieser besonders gelagerte Fall dürfe nicht anhand abstrakter Lehrbuchmeinungen betrachtet werden, die Beklagte habe die detaillierten Ausführungen des PD Dr. T. , des Prof. Dr. O. und des Dr. R. zu beachten. Im Hinblick auf die unfallmedizinische Literatur werde darauf hingewiesen, dass nach der Auffassung im Buch "Der Unfallmann" isolierte Verletzungen der Bandscheiben in Betracht kämen. Es sei nicht korrekt, dass der Tinnitus erst Wochen nach dem Unfall bemerkt worden sei. Vielmehr habe bereits das P.-Krankenhaus den Tinnitus auf dem rechten Uhr beschrieben. Den entsprechenden Untersuchungsbericht des P.-Krankenhauses legte er vor (Bl. 10 der SG-Akte).

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts befragte das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. W. gab an (Auskunft vom 15.07.2011, Bl. 20 ff. der SG-Akte), bei dem Kläger bestünde ein Zustand nach HWS-Schleudertrauma mit Bandscheibenvorfall HWK 6/7 mit Ner-venirritationen sowie Myelopathie Höhe HWK 8, ein Zustand nach Commotio cerebri, ein Schwindelsyndrom und ein Tinnitus aurium. Die Beschwerden könnten durchaus Folgen des Unfalls sein: Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. teilte mit (Auskunft vom 25.07.2011, Bl. 55 ff. der SG-Akte), er habe folgende Diagnosen gestellt: Zustand nach Commotio cerebri und HWS-Distorsion mit dervikalem Bandscheibenvorfall und Rückenmarksbedrängung, Migräne, Tinnitus, akute Belastungsreaktion, Verdacht auf PTBS. Heute lägen vor allem Funktionseinschränkungen leichter Art des linken Armes und durch die psychische Situation bedingte Einschränkungen mit rascher Erschöpfbarkeit, Apathie und Lustlosigkeit, depressiv gefärbter Grundstimmung, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen vor.

Der Kläger legte den Befundbericht des Chirurgen Prof. Dr. H. vom 11.07.2011 (Bl. 75 ff. der SG-Akte) vor. Dieser gab an, aufgrund des Unfallherganges und auch des posttraumatischen Krankheitsverlaufs könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die Myelopathie Folge des Unfalls aus dem Jahr 2008 sei. Zudem reichte er das Attest des Hausarztes Dr. W. vom 31.08.2011 zu den Akten, wonach der Kläger seit 12/2000 in dessen Behandlung stehe und ihm in dem gesamten Zeitraum keine prämorbide auffällige Persönlichkeitsstörung und auch keine narzistische Prägung aufgefallen sei (Bl. 78 der SG-Akte).

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erhob das SG das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie/Psychotherapie Dr. S. vom 14.05.2012 (Bl. 98 ff. der SG-Akte). Bei dem Kläger bestünden nachweisbare Schäden der Halswirbelsäule, in leichterer Form am Rückenmark sowie am zentralen Nervensystem. Neurologische Ausfälle oder Funktionsstörungen seien dadurch nicht aufgetreten. Er empfehle daher auf neurologischem Fachgebiet keine MdE festzustellen. Eine psychiatrische Zuordnung sei schwierig. Nach Aktenlage könne ein Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden, es würde jedoch zu weit gehen, ihn als wahrscheinlich einzustufen. Die durch die Unfälle nachvollziehbar bewirkte Arbeitsunfähigkeit habe maximal vier Wochen angedauert.

Mit Schreiben vom 18.06.2012 reichte der Kläger eine Stellungnahme des Dr. R. vom 29.05.2012 zu dem Gutachten des Dr. S. zu den Akten (Bl. 159 der SG-Akte).

Im Rahmen einer ergänzenden Stellungnahme vom 03.08.2012 hielt Dr. S. an seiner Einschätzung fest (Bl. 174 ff. der SG-Akte).

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG erhob das SG sodann das Gutachten des Facharztes für Neurologie Dr. N. vom 29.01.2013 (Bl. 202 ff. der SG-Akte). Bei dem Kläger bestünden folgende Diagnosen: PTBS, Traumatischer Bandscheibenvorfall zwischen den 6. und 7 Halswirbelkörper mit kernspintomographisch nachgewiesener Myelopathie, chronischer Kopfschmerz, sensible und motorische C8-Schädigung links, Tinnitus rechts und Zustand nach Commotio cerebri. Zwischen den Unfall und den vorliegenden Gesundheitsstörungen und Funktionsbeeinträchtigungen bestehe mit Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne einer Entstehung.

Die Beklagte holte hierzu eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Nervenheilkunde Dr. Dr. W. vom 27.02.2013 (Bl. 225 ff. der SG-Akte) ein. Dieser gab an, er halte eine PTBS nach Aktenlage für nicht ausreichend dargestellt.

Das SG erhob sodann eine ergänzende Stellungnahme des Dr. S. (Stellungnahme vom 16.05.2013, Bl. 229 ff. der SG-Akte). Dieser teilte mit, Dr. N. nehme zwar eine PTBS an, eine dezidierte Kriterienprüfung erfolge jedoch nicht. Die Frage der Kausalität werde von Dr. N. nicht diskutiert sondern pauschalierend angenommen.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts befragte das SG erneut Dr. W. schriftlich als sachverständigen Zeugen. Dieser gab an (Auskunft vom 23.01.2014, Bl. 243 der SG-Akte), er habe den Kläger nach dem Unfall am 26.08.2008 untersucht. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger über unbestimmte Ängste, Schlafstörungen, Antriebslosigkeit und konkrete Zukunftsängste geklagt, auch wenn zunächst die physischen Beschwerden im Vordergrund gestanden hätten. Auf weitere Nachfrage teilte er mit (Auskunft vom 24.02.2014, Bl. 245 der SG-Akte), die gesicherte Diagnose Depression lasse sich zum ersten Mal im November 2011 seinen Akten entnehmen. Gleichwohl erinnere er sich daran, dass die beschriebenen Beschwerden bereits bei der ersten Untersuchung vom Kläger angegeben wurden.

Das SG holte sodann eine weitere ergänzende Stellungnahme des Dr. S. ein. Dieser teilte mit (Stellungnahme vom 24.04.2014, Bl. 251 ff. der SG-Akte), die Ausführungen des Dr. W. ließen keine Sachverhalte erkennen, die zur Klärung der von ihm aufgeworfenen Fragen beitragen könnten.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erhob das SG sodann das orthopädische Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. B. vom 05.09.2014 (Bl. 264 ff. der SG-Akte). Auf orthopädischem Fachgebiet seien bei dem Kläger keine Gesundheitsstörungen feststellbar, die mit der im Rechtsbereich der gesetzlichen Unfallversicherung notwenigen sog. hinreichenden Wahrscheinlichkeit als Folge der Ereignisse vom 28.07.2008 zu bewerten wären.

Gegen den Gutachter stellte der Kläger mit Schreiben vom 17.11.2014 einen Befangenheitsantrag und wies darauf hin, dass Dr. B. als H-Arzt fungiere und daher zu befürchten stehe, dass er dem Lager der Beklagten nahe stehe. Nachdem Dr. B. hierauf nicht hingewiesen habe und seine Ausführungen im Gutachten durchgehend zu Lasten des Klägers gingen, bestünden erhebliche Zweifel an seiner Neutralität. Er legte hierzu eine von ihm beauftrage Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie, Physikalische und Rehabilitative Medizin Dr. F. vom 04.11.2014 (Bl. 352 f. der SG-Akte) sowie weitere medizinische Unterlagen (Bl. 348 ff. der SG-Akte) vor.

Das SG holte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme bei Dr. B. ein (Stellungnahme vom 21.11.2014, Bl. 358 ff. der SG-Akte).

Mit Beschluss vom 08.04.2015 wies das SG das Ablehnungsgesuch gegen Dr. B. (Bl. 371 ff. der SG-Akte).

Mit Urteil vom 16.04.2015 wies das SG die Klage ab. Über das von der Beklagten anerkannte Schädel-Hirn-Trauma ersten Grades und dessen Behandlungsbedürftigkeit sowie darauf basierende Arbeitsunfähigkeit hinaus könnten weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen entweder nicht ausreichend gesichert oder nicht hinreichend wahrscheinlich mit dem Unfallereignis in Zusammenhang gebracht werden.

Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 07.05.2015 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.05.2015 Berufung bei dem Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Vorbringen aus dem vorangegangenen Verfahren. Soweit Dr. S. , auf dessen Gutachten sich das erstinstanzliche Gericht stütze, bemängele, dass eine diagnostische Zuordnung der festgestellten Erkrankungen zu deren Ursachen nicht möglich sei, weil Erkenntnisquellen über die ersten fünf bis sechs Wochen nach dem Unfall fehlten, habe er auf die Einvernahme von Zeugen verwiesen. Dem sei das SG jedoch nicht nachgekommen, worin ein Rechtsfehler zu erkennen sei. Ferner lege das Gericht nicht dar, woher es seine Kenntnisse darüber beziehe, dass die physischen Beeinträchtigungen, nicht durch den Aufprall des PKW in das Flussbett hervorgerufen werden könnten. Auch ziehe das Gericht eigene, vermeintlich medizinische Erkenntnisse heran. Die Bewertung des Gerichts, dass ein Zusammenhang zwischen dem Unfall und seiner krankheitsbedingten Situation zwar nicht ausgeschlossen aber auch nicht hinreichend wahrscheinlich gemachten könne, erweise sich vor dem Hintergrund der nicht genutzten, aber definitiv anderslautenden hypothetischen Zeugenaussagen als nicht tragfähig.

Der Kläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.04.2015 und den Bescheid der Beklagten vom 26.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.05.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Verletztengeld über den 22.09.2008 hinaus zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil.

Mit Schreiben vom 07.06.2016 legte der Kläger das im Rahmen des vor dem Landgerichts geführten Rechtsstreits gegen die A. Lebensversicherungs-AG erhobene Ergänzungsgutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. Schr. vom 21.03.2016 (Bl. 33 ff. der Senatsakte) vor.

Das Sach- und Streitverhältnis war Gegenstand des mit der vormals zuständigen Berichterstatterin durchgeführten Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 27.06.2016 (z. Niederschrift vgl. 45 ff. der Senatsakte). Die Beteiligten haben sich im Termin mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Senatsakte sowie die beigezogene Akte des SG und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat (vgl. § 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 26.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.05.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld über den 22.09.2008 hinaus. Das SG hat die Klage zutreffend abgewiesen.

Soweit der Kläger zunächst die isolierte Feststellung einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit über den 22.09.2008 hinaus beantragt hatte, hat er die insoweit unzulässige Klage in dem Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 27.06.2016 durch Umstellung seines Antrags zurückgenommen.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren zuletzt die Gewährung von Verletztengeld geltend macht, ist dies vorliegend zulässig; es handelt sich insoweit nicht um eine Klageänderung, denn der Kläger hat dies - bei sachdienlicher Würdigung des klägerischen Vortrags gemäß § 123 SGG - von Anfang an mitangegriffen und seinen Antrag insoweit nur präzisiert. Auch hat die Beklagte im Bescheid vom 26.11.2010 sowie im Widerspruchsbescheid vom11.06.2011 die Gewährung von Verletztengeld über den 22.09.2008 hinaus abgelehnt.

Aber selbst wenn es sich um eine Änderung der Klage handeln würde, hat sich die Beklagte im Erörterungstermin auf die Klageänderung eingelassen (vgl. § 99 Abs. 2 SGG). Die geänderte Klage ist auch im Übrigen zulässig, denn der geltend gemachte Anspruch auf Verletztengeld über den 22.09.2008 hinaus ist im angefochtenen Bescheid vom 26.11.2010 abgelehnt worden. Dies hat der Kläger mit seinem Widerspruch und seiner Klage mitangefochten.

Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztengeld über den 22.09.2008 hinaus.

Verletztengeld wird erbracht, wenn der Versicherte infolge eines Versicherungsfalls arbeitsunfähig ist und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen hatte (§ 45 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII). Es wird von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt ist und endet u.a. mit dem letzten Tag der - unfallbedingten - Arbeitsunfähigkeit (§ 46 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Die Höhe des Verletztengelds richtet sich grundsätzlich nach der Höhe des Einkommens des Versicherten vor dem Versicherungsfall. Versicherte, die Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt haben, erhalten Verletztengeld entsprechend § 47 Abs. 1 und 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) mit der Maßgabe, dass das Regelentgelt aus dem Gesamtbetrag des regelmäßigen Arbeitsentgelts und des Arbeitseinkommens zu berechnen und bis zu einem Betrag in Höhe des 360. Teils des Höchstjahresarbeitsverdienstes zu berücksichtigen ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII), das Verletztengeld 80 vom Hundert des Regelentgelts beträgt und das bei Anwendung des §§ 47 Abs. 1 und 2 SGB V berechnete Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigt (§ 47 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VII). Wurde Arbeitslosengeld, Unterhaltsgeld oder Kurzarbeitergeld bezogen, wird Verletztengeld in Höhe des Krankengeldes nach § 47b SGB V gezahlt, wurde nicht nur darlehensweise Arbeitslosengeld II oder nicht nur Leistungen für Erstausstattung für Bekleidung bei Schwangerschaft und Geburt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen, wird Verletztengeld in Höhe des Betrages des Arbeitslosengelds II gezahlt.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 47 Abs. 1 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (§ 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Arbeitsunfähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann.

Für die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung andererseits (haftungsausfüllende Kausalität) erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht der nach der auch sonst im Sozialrecht geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung zu bestimmen ist, grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit nicht allerdings die bloße Möglichkeit ausreicht. Hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Umständen ein deutliches Übergewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (BSGE 45, 285, 286). Lässt sich ein Zusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der materiellen Beweislast zu Lasten des Versicherten.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe konnte der Senat keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 22.09.2008 hinaus feststellen.

Dabei ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass es sich bei dem Ereignis vom 28.07.2008 um einen Arbeitsunfall handelt. Der Senat musste dabei nicht entscheiden, ob der Unfall am 28.07.2008, den der Kläger in der Türkei auf dem Weg zu einem Seminar bzw. auf dem Weg ins Krankenhaus erlitten hat, tatsächlich als bei der Beklagten versicherter Arbeitsunfall in Gestalt eines Wegeunfalls stattgefunden hat, nachdem die Beklagte das Unfallgeschehen am 28.07.2008 mit Bescheid vom 26.11.2010 als Arbeitsunfall anerkannt und ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades als Unfallfolge festgestellt hat.

Allerdings bestehen bei dem Kläger neben dem von der Beklagten anerkannten Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades keine weiteren Unfallfolgen. Eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit über den 22.09.2008 hinaus lässt sich somit nicht feststellen.

Dabei ist zunächst der bei dem Kläger bestehende Bandscheibenprolaps C6/7 mit kernspintomographisch nachgewiesener Myelopathie nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall am 28.07.2008 zurückzuführen. Dies ergibt sich für den Senat aus dem überzeugenden Gutachten des Orthopäden Dr. B. vom 05.09.2014, das mit dem Gutachten von Dr. T. vom 13.09.2009 übereinstimmt. Das Gutachten von Dr. B. war für den Senat verwertbar, nachdem das Ablehnungsgesuch durch das SG mit Beschluss vom 08.04.2015 zurückgewiesen wurde.

Gegen den ursächlichen Zusammenhang des Bandscheibenschadens mit dem angeschuldigten Unfallereignis spricht zunächst der bei dem Kläger zu beobachtende Verlauf der Erkrankung. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. B ... Dieser hat unter Bezug auf die unfallmedizinische Literatur schlüssig und nachvollziehbar dargestellt, dass traumatische Verletzungen der Bandscheiben nach erheblicher Anfangssymptomatik im Laufe von drei bis vier Monaten eine definitive Rückbildung zeigen. Der beim Kläger zu beobachtende Verlauf war aber gekennzeichnet durch eine Persistenz bzw. Ausweitung der Symptome. Bei einer traumatischen Schädigung der Bandscheibe ist jedoch nach den Ausführungen des Dr. B. , denen sich der Senat anschließt, selbst im Falle einer isolierten Verletzung der Bandscheibe ohne Begleitverletzungen am Knochen bzw. an den Bändern, eine Dynamik im Sinne eines Decrescendo-Verlaufes zu erwarten. Der bei dem Kläger zu beobachtende plateauartige Verlauf bzw. Crescendo-Verlauf widerspricht somit dem in aller Regel bei traumatischen Bandscheibenschäden zu erwartenden Spontanverlauf. Auch die Tatsache, dass frühzeitig eine Myelopathie kernspintomographisch beschrieben wurde und diese ausweislich der mehrfachen weiteren MRT-Kontrollen keine relevante Dynamik zeigte, ist für eine traumatisch ausgelöste Myelopathie nach traumatischen Bandscheibenschaden als untypisch zu werten. Denn gerade traumatisch bedingten Schäden ist es eigentümlich, dass sie eine relativ rasche Dynamik zeigen, während bei degenerativen Schäden selbige nur mit sehr langsamer zeitlicher Latenz einhergeht.

Gegen den ursächlichen Zusammenhang des Bandscheibenschadens mit dem angeschuldigten Unfallereignis spricht außerdem, dass der Kläger am Unfalltag zur Notaufnahme gekommen, vom Chirurgen und Gehirnchirurgen untersucht worden und der Diagnose einer leichten Gehirnerschütterung und eines generellen Körpertraumas entlassen worden ist. Der Senat entnimmt dies dem Bericht des erstbehandelnden türkischen Krankenhauses vom 28.07.2008 (Bl. 171 ff. der SG-Akte). Beim traumatischen Bandscheibenvorfall besteht aufgrund der erforderlichen Krafteinwirkung und Begleitverletzungen stets eine starke lokale Schmerzsymptomatik; jede Strukturschädigung der Wirbelsäule im unmittelbaren Anschluss an einen Unfall führt zu schmerzhaften Funktionsstörungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, S. 461). Nach den Ausführungen des Dr. B. stützt die Diagnose des erstbehandelnden Krankenhauses daher vielmehr die Annahme einer stattgehabten leichten Schädigung im Sinne eines erstgradigen Schädel-Hirn-Traumas bzw. HWS-Traumas. Bei einem über erstgradige Schädigungen hinausreichenden Trauma ist nämlich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein entsprechender primärer Körperschaden mit höhergradigen klinischen Beeinträchtigungen zu erwarten. Dass ein solcher im vorliegenden Fall vorgelegen hätte, lässt sich jedoch nicht feststellen, nachdem man den Kläger nach ambulanter Untersuchung entlassen hatte. Dem steht nach den Ausführungen des Dr. B. auch nicht entgegen, dass im weiteren Verlauf über mehrere Tage Befunde hinzugetreten sind, die die neuerliche stationäre Behandlung erforderlich machten. Dies begründet sich insbesondere darin, dass bei zweitgradigen und höhergradigen Schädigungen regelhaft anfänglich bereits erhebliche Symptome bestehen, die nicht mit lediglich ambulanter Behandlung vereinbar sind, während gerade bei erstgradigen Traumata das Auftreten von Beschwerden mit zeitlicher Latenz von 72 Stunden und mehr durchaus bekannt ist.

Der Senat konnte schließlich nicht feststellen, dass die (Unfall-)Einwirkung geeignet war, einen Bandscheibenvorfall in der HWS mit der vom Kläger beklagten Beschwerdesymptomatik zu verursachen. Bewegungen mit Scher-, Rotationswirkung, Überbeugung, Überstreckung sowie Zugbelastung können eine gesunde Bandscheibe zerreißen (Schönberger/Mertens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2016, S. 460 ff.). Zwar ist es vorliegend möglich, dass die stattgehabte schädigende Einwirkung durchaus so gravierend war, dass hieraus eine Schädigung der Halswirbelsäule hätte entstehen können. Dagegen spricht allerdings, dass – der ursprünglichen Darstellung eines stattgehabten Kopfaufpralls folgend – nicht gleichzeitig der Mechanismus eines Flexions-Extensions-Traumas stattgefunden haben kann, da ein solches durch den Kopfaufprall gebremst wird. Zudem ergibt sich aus dem vorläufigen Attest des Facharztes für Neurochirurgie Dr. U. vom 28.07.2008 (Bl. 22 f. der Verwaltungsakte) ein guter Allgemeinzustand bei erhaltenem Bewusstsein und unauffälligen Kreislaufverhältnissen. Dies spricht eher gegen als für eine stattgehabte schwere Traumatisierung der HWS und des Kopfes.

Soweit Dr. B. auf die medizinische Erfahrungstatsache abstellt, dass ein isolierter Bandscheibenvorfall im Halswirbelsäulenbereich ohne umgebende Begleitverletzungen an den knöchernen und ligamentären Strukturen regelmäßig nicht verursacht werden kann, steht dies in Übereinstimmung mit der allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnis und der unfallmedizinischen Fachliteratur. Danach müssen begleitende, wenn auch minimale, knöcherne oder Bandverletzungen im vom Bandscheibenvorfall betroffenen Segment vorliegen (u.a. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2016, S. 460 ff.). Dies wird auch durch Dr. B. bestätigt. Ob ein Bandscheibenvorfall allein degenerativ bedingt ist oder ob ein unfallbedingter Ursachenbeitrag zu sichern ist, hängt demnach weitgehend davon ab, ob Begleitverletzungen an Strukturen zu sichern sind, die nicht typisch degenerativer Natur sind. Bei jeder Beanspruchung/Belastung ist nicht nur eine Struktur (im vorliegenden Fall die Bandscheibe) isoliert beteiligt. Beteiligt ist vielmehr ein Funktionsverbund, d.h. bei der Bandscheibe das sog. Bewegungssegment (darunter versteht man zwei benachbarte Wirbel mit der dazwischenliegenden Bandscheibe und dem entsprechenden Kapselbandapparat). Eine unfallbedingte Belastung des Bewegungssegments kann daher nicht nur isoliert die Bandscheibe in diesem Bewegungssegment treffen, sondern gleichzeitig auch die Wirbel, die Muskulatur und den zum Bewegungssegment gehörenden Kapselbandapparat. Sofern diese aber nicht verletzt sind, spricht das Schadensbild gegen eine traumatische Genese (vgl. Senatsurteil vom 29.01.2016 - L 8 U 977/15 - juris, RNr. 32, www.sozialgerichtsbarkeit.de; siehe auch Beschluss des Senats vom 07.09.2016 - L 8 U 20/16 -, und 9. Senat Urteil vom 16.05.2017 – L 9 U 3238/16 LSG Baden-Württemberg, beide unveröffentlicht). Segmentale Scher-, Torsions- und Kippungsbelastungen werden durch den knöchernen und ligamentären Apparat soweit begrenzt, dass in jedem Bewegungssegment nur die Hälfte der Bewegungsausschläge erfolgen können, die zur Schädigung der Bandscheiben nötig wären. Mangels unfallnaher MRT-Aufnahmen konnten entsprechende Begleitverletzungen vorliegend nicht festgestellt werden. Zwar ist nach Auffassung des Senats das Erfordernis von Begleitverletzungen für die Annahme einer traumatisch bedingten Bandscheibenschädigung grundsätzlich auf gesunde bzw. nicht altersüberschreitend vorgeschädigte Bandscheiben bezogen, was im Einzelfall nicht ausschließt, auch ohne Begleitverletzung zu einer unfallbedingten Kausalität eines Bandscheibenschadens zu gelangen (so schon Beschluss des Senats vom 21.09.2015 – L 8 U 1087/15, unveröffentlicht). Vorliegend sind jedoch keine Indizien medizinisch gesichert, die einen solchen Ausnahmefall begründen könnten.

Nach alledem ist kein verlässlicher Anhaltspunkt dafür gegeben, dass bei dem Kläger eine über den Schweregrad I hinausgehende Verletzung der Halswirbelsäule vorlag. Das Gegenteil könnte nur durch bildgebenden Nachweis von Traumafolgen in den Weichteilen und knöchernen Strukturen der HWS anhand eines zeitnah nach dem Unfall erfolgtes MRT belegt werden. Ein solches liegt jedoch hier nicht vor.

Der Senat konnte sich nach alledem nicht davon überzeugen, dass der Bandscheibenprolaps bei C6/7 auf das Unfallereignis vom 28.07.2009 mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zurückzuführen ist.

Hieran ändert auch der Bericht des Prof. Dr. O. vom 20.03.2009 (Bl. 63 f. der Verwaltungsakte) nichts. Zwar führt dieser aus, dass es sich in der Zusammenschau der Befunde "wohl ausnahmsweise um einen traumatischen Bandscheibenvorfall handeln könnte". Die bloße Möglichkeit, auf die Prof. Dr. O. damit verweist, reicht jedoch entsprechend der oben dargestellten Grundsätze nicht aus. Auch das Gutachten des PD. Dr. T. vom 13.10.2009 (Bl. 135 ff. der Verwaltungsakte) ändert an dieser Beurteilung nichts. Das Gutachten ist unplausibel und unschlüssig, was auf mehreren Mängeln beruht. Zum einen wurde angegeben, dass es sich nicht um einen Berufsunfall handele, obwohl die Beklagte bereits Versicherungsschutz hinsichtlich des Unfallereignisses vom 28.07.2008 anerkannt hatte. Zudem sind die Ausführungen auch widersprüchlich: Auf der einen Seite teilt PD. Dr. T. mit, dass die Gesundheitsschäden im Bereich des verletzten Halswirbelkörpers nicht durch das Unfallereignis verursacht worden seien, auf der anderen Seiten werden die entsprechenden Bandscheibenschäden und die Myelopathie des betroffenen Segmentes nebst hieraus resultierender Beschwerden als Unfallfolgen bezeichnet. Auch das ärztliche Attest des Dr. M. vom 07.12.2009 (Bl. 194 ff. der Verwaltungsakte) führt zu keiner anderen Beurteilung. Wie oben dargelegt, ist der Nachweis einer erheblichen Gewalteinwirkung nicht zu führen. Die Annahme des Dr. M. ist insoweit nicht weiter belegt. Aus der von Dr. M. angeführten vollen sportlichen Belastbarkeit des Klägers vor dem Ereignis allein kann nicht auf eine fehlende Schadensanlage geschlossen werden, denn Schadensanlagen können lange Zeit klinisch stumm bleiben. Somit ist – wie Dr. K. ausführt – allein die Objektivierung eines Bandscheibenvorfalls weder ein Indiz für dessen Krankheitswert noch ein Indiz für dessen zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang. Auch führt der Bericht des Prof. Dr. H. vom 11.07.2011 (Bl. 75 ff. der SG-Akte) zu keiner anderen Beurteilung. Auch dessen Ausführungen lässt sich entnehmen, dass er lediglich von einer Möglichkeit bzw. einer gewissen Wahrscheinlichkeit ausgeht, ohne jedoch die erforderliche hinreichende Wahrscheinlichkeit annehmen zu können. Schließlich ergibt sich aus der Stellungnahme des Nervenarztes Dr. F. keine andere Beurteilung. Dieser kritisiert zwar das Gutachten des Dr. B. , begründet jedoch nicht, aus welchen Gründen er zu einer anderen Beurteilung kommt, die er im Übrigen auch gar nicht ausdrücklich darstellt.

Auch die psychischen Beeinträchtigungen des Klägers können nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 28.07.2008 zurückgeführt werden.

Wie auch bei der Feststellung organischer Verletzungsfolgen ist Voraussetzung für die Anerkennung von psychischen Gesundheitsstörungen als Unfallfolge zunächst die Feststellung der konkreten Gesundheitsstörungen, die bei dem Verletzten vorliegen und seine Erwerbsfähigkeit mindern (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 RdNr. 22). Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Unfallfolge ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme (z. B. ICD-10 = 10. Revision der Internationalen Statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme der WHO aus dem Jahr 1989, vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) ins Deutsche übertragen, herausgegeben und weiterentwickelt; DSM IV = diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung aus dem Jahr 1994, deutsche Bearbeitung herausgegeben von Saß/Wittchen/Zaudig, 3. Auflage 2001) unter Verwendung der dortigen Schlüssel und Bezeichnungen erforderlich, damit die Feststellung nachvollziehbar ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, RdNr. 22, juris, s. auch Senatsurteil vom 25.08.2017 – L 8 U 3961/16, sozialgerichtsbarkeit.de).

Der Senat konnte insoweit feststellen, dass bei dem Kläger eine rezidivierende depressive Störung besteht. Dies entnimmt der Senat dem schlüssigen und überzeugenden Gutachten des Dr. S. vom 14.05.2012.

Der Kläger war in der Untersuchung durch Dr. S. wenig vital, die Intentionalität schien vermindert. Er wirkte verzweifelt, hilflos und perspektivlos. Immer wieder wurden Selbstzweifel und eine vermindertes Selbstwertgefühl deutlich. Es zeigte sich Ängste. Der Kläger war nicht auflockerbar. Ein echtes aktives Schwingungsvermögen war nicht erkennbar. Der Gedankengang war zusammenhängend, weitschweifig, geprägt von einer Grübelneigung und einer Ausrichtung des Denkens auf die Erlebnisse, in denen das Denken des Klägers gefangen schien. Konzentrationsvermögen und Aufmerksamkeit waren in den langen Sitzungen ungestört erhalten. Sozial zeigte sich eine deutliche Rückzugstendenz aus zwischenmenschlichen Kontakten und eine Abnahme der Kommunikations- und Interaktionsaktivität. Die Diagnose wird weiter gestützt durch leichtere formale Denkstörungen, den Schlafstörungen sowie einem Libidoverlust. Dies alles entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. S ... Nachdem die Depression anhaltend über zwei Jahren hinweg bestand, ist als Störungsbild - entsprechend der Ausführungen des Dr. S. , denen sich der Senat anschließt, eine rezidivierende depressive Störung festzustellen.

Bei dem Kläger bestehen zudem dissoziative Störungen in der Form von pseudoneurologisch imponierenden Einschränkungen am linken Arm. Bei dem Kläger handelt es sich um eine Mischung aus dissoziativen Sensibilitäts- und Empfindungs- wie auch Bewegungsstörungen mit einer Minderbewegung des linken Armes/Unterarmes.

Eine akute Belastungsreaktion, wie von Dr. R. mitgeteilt, kann hingegen nicht angenommen werden. Bei einer akuten Belastungssituation handelt es sich um eine seelische Ausnahmesituation und -reaktion, die unmittelbar nach einem Ereignis einsetzt und innerhalb von Stunden, längstens jedoch innerhalb von zwei Tagen abklingt. Ohne entsprechende Befunde, welche für die Zeit während des Aufenthalts des Klägers in der Türkei nicht vorliegen, lässt sich nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. S. eine akute Belastungsreaktion mithin nicht feststellen.

Der Senat konnte sich auch nicht davon überzeugen, dass bei dem Kläger eine PTBS vorlag oder noch vorliegt. Dies entnimmt der Senat aus dem überzeugenden Gutachten von Dr. S ...

Nach ICD-10-GM F 43.1 entsteht eine PTBS als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. Prädisponierende Faktoren wie bestimmte, z.B. zwanghafte oder asthenische Persönlichkeitszüge oder neurotische Krankheiten in der Vorgeschichte können die Schwelle für die Entwicklung dieses Syndroms senken und seinen Verlauf erschweren, aber die letztgenannten Faktoren sind weder notwendig noch ausreichend, um das Auftreten der Störung zu erklären. Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallererinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Nach den Kriterien des DSM-IV-TR muss für die Anerkennung einer PTBS die Person mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert worden sein, bei dem die folgenden Kriterien vorhanden waren: (1) die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr der körperlichen Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen beinhalteten und (2) die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen (sog. A-Kriterium). Darüber hinaus muss das traumatische Ereignis beharrlich wiedererlebt werden (B-Kriterium) und Reize, die mit dem Trauma verbunden sind, müssen anhaltend vermieden werden (C-Kriterium). Hinzukommen müssen weitere Symptome wie z.B. Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen (D-Kriterium) und das Störungsbild muss länger als einen Monat andauern (E-Kriterium). Schließlich muss das Störungsbild in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursachen (F-Kriterium).

Seit 2013 liegt die 5. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-V) in englischer Sprache vor und seit 2015 existiert auch eine autorisierte deutsche Übersetzung (siehe Falkai/Wittchen (Hrsg.): Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen DSM-5, 2015). Kennzeichnend für das Diagnoseklassifikationssystem DSM-V ist u.a., dass auf das sog. A2-Kriterium und die dort genannte Qualität der Reaktion auf das Ereignis verzichtet wird. Der Senat lässt dahinstehen, ob die Kriterien des Diagnosemanuals DSM-V der derzeit herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung unterfallen, immerhin ist eine Revision der ICD-10 Version unter Berücksichtigung dieser Kriterien bislang nicht erfolgt. Der Senat entnimmt den nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten von Dr. S. , dass unabhängig von den angegebenen unterschiedlichen Diagnosekriterien nach ICD-10 und DSM eine PTBS nicht sicher zu diagnostizieren ist.

Dr. S. verweist darauf, dass für die unmittelbare Zeit nach dem Unfall bis zur Behandlungsaufnahme beim Nervenarzt Dr. R. am 08.09.2008 keine belastbaren medizinischen Befunde zur Psyche des Klägers vorliegen (Seite 34 und 42 seines Gutachtens = Bl. 131, 139 der SG-Akte). Zwar kann nach Dr. S. darüber diskutiert werden, ob der zweite Unfall sowie das unmittelbare Erleben danach zu einer gewissen Traumatisierung geführt hat, mit Sicherheit könne aber von einem tatsächlichen psychischen Trauma durch den Unfall nicht ausgegangen werden. Es ist nach Dr. S. nicht genau abzugrenzen, in welchem Ausmaß und inwieweit es nach einer möglicherweise aufgetreten ersten seelischen Reaktion zu einer Verstärkung durch die weiteren, nach dem Unfallgeschehen aufgetretenen Faktoren gekommen ist; denn denkbar ist, dass es als unmittelbare Reaktion auf den Unfall nur zu einer noch nicht krankheitswertigen Besorgnis gekommen ist, und wenn eine solche pathologische psychische Reaktion vorgelegen hatte, ist weder ihr Charakter, z.B. eine Anpassungsstörung, noch deren Ausmaß in der Rückschau festzustellen (Seite 42 seines Gutachtens). Nach den Selbstangaben des Klägers hatte er direkt nach dem Unfall Angst vor einer Hirnblutung oder einem Hirnschlag als Folge des offensichtlich erlittenen Kopfstoßes – was unbegründet war. Ob diese Angst oder dieser Schock pathologischen Charakter hatte, ist nicht sicher festzustellen. Hinzu kam, dass er sich in den türkischen Kliniken nicht ausreichend versorgt fühlte, eine tiefe Kränkung und Enttäuschung wegen des Verhaltens seiner Verwandten empfand, die weder ihn besuchten noch sich um seine Frau und die Kinder zu Hause kümmerten. Schließlich entwickelte er Sorgen darüber, wann und ob er die Türkei verlassen konnte, da in seinem Pass das Fahrzeug eingetragen war, das er nicht wieder ausführen wollte. Außerdem wurde er von einem Helfer, namens A., um Geld angegangen und wurde zuletzt von diesem sogar in Deutschland noch per SMS bedroht und ein anderer Helfer, ein türkischer Taxifahrer, wurde noch während des Aufenthalts des Klägers in der Türkei umgebracht. Als weitere deutliche Kränkung empfand der Kläger den über den ADAC organisierten Heimflug, der nicht als Krankentransport organisiert worden war. Als weitere Enttäuschung erlebte er im späteren Verlauf ab 2010, dass sein langjähriger Geschäftspartner die gemeinsam betriebene Praxis verließ und nach Angaben des Klägers auch noch ein Großteil der behandelten Patienten in die von ihm neu gegründete Praxis übernahm. Schließlich haben sich Partnerschaftsprobleme in der Ehe und Existenzsorgen entwickelt. Diese Faktoren haben mit dem eigentlichen Unfallgeschehen aber nichts zu tun, sie würden ein traumatisierendes Ereignis im Sinne einer lebensbedrohenden oder katastrophenartigen Situation entsprechend dem ICD-10 oder im Sinne eines Ereignisses mit drohendem Tod oder drohender ernsthafter Verletzung bzw. einer Gefahr für die körperliche Unversehrtheit entsprechend dem Diagnosemanual DSM nicht begründen. Dass der Kläger selbst für seine psychische Verfassung das Unfallereignis verantwortlich macht und die nachfolgenden psychischen Belastungssituation dem Unfallereignis zurechnet, ist ohne Belang.

Darüber hinaus konnte Dr. S. beim Kläger einzelne Diagnosekriterien der Diagnose manuale nicht diagnostizieren. Insoweit führt Dr. S. nachvollziehbar aus, dass zwar deutlich geworden sei, dass der Kläger immer wieder Erinnerungen an das Ereignis aber auch an die unmittelbare Zeit danach, und dort mit vegetativer Begleitsymptomatik habe, jedoch ergibt sich für die aufdrängenden Erinnerungen keine spezifische Nachhallerinnerungen im Sinne des Wiedererlebens des Traumaereignisses des Unfalls. Die intrusive Erinnerung mit vegetativer Begleitsymptomatik, nämlich z.B. der "trockene Mund", trat in der Anamnese und Exploration vor allem bei der Schilderung der unzureichend empfundenen Untersuchungen in den türkischen Kliniken (Seite 35 des Gutachtens) und bei dem Tod des ihm helfenden Taxifahrers (Seite 15 des Gutachtens) auf. Ansonsten war der Vortrag des Klägers, der bei der Untersuchung etwas aufgeregt und angespannt wirkte, zwar stockend doch detailgenau, wenn auch mit monotoner Stimme vorgebracht. Das Unfallereignis wird umfassend wiedergegeben. Ausweichreaktionen werden im Gutachten von Dr. S. nicht wiedergegeben.

Bei dem Kläger fehlt es auch im Übrigen am Vermeidungskriterium. Zwar muss hier - wie von Dr. S. dargestellt - einschränkend berücksichtigt werden, dass Betroffene häufig psychovegetative Reaktionen zeigten, wenn sie an der alten Unfallstelle vorbeiführen, was bei dem Kläger aufgrund der räumlichen Entfernung naturgemäß nicht möglich sei. Wie das SG zutreffend dargestellt hat, konnte der Kläger jedoch den Unfall sowie die nachfolgenden Geschehnisse in den Begutachtungen schildern. Anhaltspunkte dafür, dass er Autofahrten (auch als Beifahrer) vermeidet, liegen nicht vor. Bei der Untersuchung durch Dr. S. konnte zudem auch eine deutlich erhöhte Schreckhaftigkeit und ständige innere Erregbarkeit nicht festgestellt werden, die jedoch aufgrund des Zeitablaufs auch nicht mehr eindeutig auf das Unfallgeschehen beziehbar wäre.

Der Senat konnte auch nicht feststellen, dass bei dem Kläger eine somatoforme Schmerzstörung besteht.

Diese Diagnose eines eigenständigen psychiatrischen Krankheitsbildes kann nach den Ausführungen des Dr. S. nur gestellt werden, wenn bestimmte Kriterien der ICD-10 erfüllt sind. Dazu gehört, dass die Betroffenen wechselnde Ärzte aufsuchen stets in dem Bestreben eine organische Ursache für ihre Schmerzen aufzudecken. Der Schmerz muss weiter zum Hauptfokus der Lebensaufmerksamkeit werden. Diese Kriterien sind bei dem Kläger nicht festzustellen. Zudem kann eine solche Diagnose nicht gestellt werden, wenn das verstärkte Schmerzempfinden nie alleine steht, sondern immer nur im Rahmen einer gleichzeitig festgestellten mittelgradigen oder schweren depressiven Episode feststellbar ist. Dies war jedoch bei dem Kläger - nach der Darstellung des Dr. S. - immer der Fall, so dass eine zusätzliche somatoforme Schmerzstörung nicht festzustellen ist.

Der Senat konnte auch nicht feststellen, dass bei dem Kläger eine andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung vorlag. In der ICD-10 werden als Beispiele für eine Extrembelastung Konzentrationslager, Folter, Katastrophen und anhaltende lebensbedrohliche Situationen benannt. Ein vergleichbares Ereignis ist in dem Unfallereignis vom 28.07.2008 nicht zu sehen.

Zudem konnte der Senat für die bei dem Kläger bestehenden psychischen Beeinträchtigungen einen ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall vom 28.07.2008 nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit feststellen. Bei dem Kläger kamen neben dem Unfallereignis noch folgende Faktoren hinzu: Seine Eltern und Geschwister, die selbst im Urlaub weilten und diesen nicht unterbrechen wollten, kamen nicht zu ihm und kümmerten sich auch nicht um seine Frau und seine Kinder, was bei dem Kläger zu einer tiefen Enttäuschung und Kränkung führte. Dem Kläger war zudem unklar, wann und ob er die Türkei verlassen dürfe, da - nach seinen Darstellungen - das defekte Fahrzeug in seinem Pass über die Staatsanwaltschaft erst hätte austragen lassen müssen. In der Untersuchung bei Dr. S. schilderte der Kläger zudem, dass ein türkischer Bürger namens A. vorgegeben habe, ihm bei der Austragung und Regelung der Fahrzeugangelegenheiten zu helfen. Nach den Ausführung des Klägers wollte dieser dann aber von dem Kläger Geld erpressen und habe ihm - auch nachdem er wieder in Deutschland gewesen sei - mittels SMS gedroht. Bereits in der Türkei hatte der Kläger daher Ängste, dass dieser A. seine Kinder entführen könnte. Zudem wurde ein türkischer Taxifahrer umgebracht, nachdem er angeboten hatte, dem Kläger zu helfen.

Zwar stehen diese Geschehnisse - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - in einen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall. Allerdings können sie diesem nicht adäquat zugerechnet werden, nachdem sie entweder lediglich durch die persönliche Vorstellung des Klägers geprägt sind oder durch das als unabhängig zu sehende Dazwischentreten von Dritten bedingt sind.

Neben diesen belastenden Faktoren in der unmittelbaren Zeit nach den erlittenen Verkehrsunfällen kam es - nach der eigenen Darstellung des Klägers - zu einer weiteren Verschlechterung seines Befindens, insbesondere der von ihm empfundenen Störung der linken Körperseite wie beider Beine, als Ende 2010 sein Partner aus der gemeinsamen Krankengymnastik ausstieg.

Aus diesem Konglomerat verschiedener auslösender Faktoren lässt sich nicht mit der notwendigen Überzeugung feststellen, was tatsächlich als wesentlicher Auslöser für die psychischen Folgen anzunehmen ist. Es ist nicht festzustellen, ob initial bereits eine ausgeprägte seelische Störung bestand oder nur eine leichtere Anpassungsstörung oder vielleicht überhaupt keine krankhafte seelische Reaktion auf den Unfall und das es dann erst im Erleben der weiteren Bedrohungen, der tiefen Kränkung durch das Nicht-Kommen der Eltern und Geschwister oder die Ermordung des Taxifahrers zu einer immer tiefgehenden Verunsicherung und zur Entwicklung der krankhaften seelischen Reaktion kam oder ob sich durch diese weiteren Faktoren eine vielleicht vorbestehende leichte Anpassungsstörung verschlechterte. Insoweit ist auch auf die von Dr. S. geschilderten histrionischen und narzisstischen Persönlichkeitszüge sowie auf die von Dr. R. berichtete gerade verwundende Labilität nach einem Wohnungs- und Praxisbrand hinzuweisen, die Anhaltspunkte für eine besondere Vulnerabilität bieten.

An dieser Beurteilung ändert auch das auf Antrag des Klägers eingeholte Gutachten des Dr. N. nichts. Zwar nimmt dieser eine PTBS an, eine dezidierte Kriterienprüfung nimmt er jedoch nicht vor. Soweit in den genannten Gutachten Funktionsbeeinträchtigungen dargestellt werden, stützen sich diese weitgehend auf die Schilderungen des Klägers. Befund- und Befindlichkeitsangaben werden vermischt. So teilt er z.B. mit, dass sich aus den Angaben des Klägers schließen lasse, das ihn belastende Träume plagten. Im Hinblick auf die Kausalitätsfrage werden die konkurrierenden Faktoren von ihm außer Acht gelassen.

Auch vermag weder das im Verwaltungsverfahren erhobene Gutachten des Dr. R. noch dessen Stellungnahme vom 29.05.2012 hieran etwas zu ändern. Dr. R. stellt in seinem Gutachten zwar eine PTBS fest, setzt sich jedoch mit den Diagnosekriterien in keiner Weise auseinander. Weder wird eine adäquate Anamnese erhoben noch eine ausreichende Exploration vorgenommen. Die Kausalität des Unfallereignisses für die psychischen Störungen wird zwar angenommen, aber nicht weiter begründet. Entsprechend teilt Dr. R. in seiner Stellungnahme auch mit, es sei letztlich eine Vertrauenssache, ob man dem Kläger traue. Nach der eigenen Darstellung des Dr. R. "könnte es sein, dass man dem Patienten hier Unrecht tut". Diese Möglichkeit reicht jedoch nicht aus, um eine Kausalität bejahen zu können.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der A. erhobenen Gutachten bzw. ärztlichen Berichte. Diese setzen sich schon (naturgemäß) mit Kausalitätsfragen nicht weiter auseinander. Dies gilt im Übrigen auch für das im Berufungsverfahren vorgelegte Ergänzungsgutachten des Prof. Dr. Schr ...

Der Senat war auch nicht gehalten, Zeugen zum psychischen Zustand des Klägers unmittelbar nach dem Unfall zu vernehmen. An dem entsprechenden Antrag aus dem Verfahren vor dem SG hat der Kläger nach dem Erörterungstermin nicht mehr festgehalten. Auch vermögen die Beobachtungen Freunden und Verwandten eine ärztliche Untersuchung und Befunderhebung nicht zu ersetzen.

Der Senat konnte auch nicht feststellen, dass die Hörstörung und der Tinnitus Folge des Unfallereignisses vom 28.07.2008 sind. Das SG hat insoweit zutreffend dargestellt, dass bei diesen Erkrankungen ausweislich des Gutachtens der Prof. Dr. L. vom 19.10.2009 eine schwere Halswirbelsäulenverletzung als Ursache gesehen wird. Da diese jedoch - wie oben ausgeführt - selbst nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückgeführt werden kann, gilt dies erst recht für die festgestellten Ohrgeräusche und den Hörverlust. Dies gilt auch für die bei dem Kläger diagnostizierte Migräne, bei der es sich - wie Dr. S. angegeben hat und was auch durch Dr. R. bestätigt wird, um eine veranlagungsbedingte Erkrankung.

Nach alledem konnte der Senat weitere Unfallfolgen neben dem von der Beklagten anerkannten Schädel-Hirn-Traumas 1. Grades nicht feststellen. Insoweit bestand eine unfallbedingt Arbeitsunfähigkeit bis zum 22.09.2008, wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat. Soweit die von der A. erhobenen Gutachten zu einer länger dauernden Arbeitsunfähigkeit kommen, hat dies keine Auswirkungen auf die vorliegende Beurteilung. Anders als dort ist vorliegend entscheidend, ob die Gesundheitsbeeinträchtigungen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen sind. Wie dargelegt konnte der Senat dies nicht feststellen.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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