L 7 SO 3860/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 SO 4480/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3860/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. September 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

2. Gegenstand jedenfalls des Beschwerdeverfahrens ist nur das Begehren der Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für von ihr angeschaffte, nicht verschreibungspflichtige Medikamente (von der Antragstellerin unter dem Stichwort "grüne Rezepte" erörtert) sowie die Kosten der Einlagerung eines Teils ihrer bisherigen Wohnungsausstattung zu erstatten bzw. zukünftig zu übernehmen.

Die Antragstellerin begehrt ausdrücklich nicht (mehr) die Übernahme höherer Heimkosten (für die ihr Sohn teilweise aufgekommen ist) und auch nicht eine abweichende Festsetzung des Regelsatzes. Die übrigen Ausführungen in der Beschwerdebegründung betreffen die Kritik der Antragstellerin an dem Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 19. Juli 2017 sowie die Pflegegradeinstufung; beides ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

3. Die Beschwerde der Antragstellerin ist aber unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 – juris Rdnr. 20).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris Rdnr. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rdnr. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rdnr. 4).

b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

aa) Bereits ein Anordnungsgrund ist nicht glaubhaft gemacht.

(1) Hinsichtlich des Anordnungsgrundes muss der Antragsteller darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 7; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. September 2015 – L 7 SB 48/14 B ER – juris Rdnr. 21). Ein Anordnungsgrund besteht regelmäßig nur, soweit Leistungen für die Gegenwart oder die nahe Zukunft begehrt werden (LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. September 2012 – L 13 AS 3794/12 ER-B – juris Rdnr. 3; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Februar 2011 – L 13 AS 628/11 ER-B – juris Rdnr. 2). Durch eine einstweilige Anordnung sollen nur diejenigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zur Behebung einer aktuellen, d.h. gegenwärtig noch bestehenden Notlage erforderlich sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. August 2016 – L 11 KR 487/16 B ER – juris Rdnr. 11). Für die Gewährung von Leistungen für die Vergangenheit besteht demgegenüber regelmäßig kein Anordnungsgrund (LSG Bayern, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – L 11 AS 712/16 B ER – juris Rdnr. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – L 29 AS 2544/16 B ER – juris Rdnr. 20; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – L 11 KR 259/16 B ER – juris Rdnr. 29; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. August 2016 – L 11 KR 487/16 B ER – juris Rdnr. 11). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn ein besonderer Nachholbedarf besteht, weil die fehlenden Leistungen in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirken und eine gegenwärtige Notlage begründen (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2017 – L 13 AS 26/17 B ER – juris Rdnr. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Januar 2017 – L 19 AS 2381/16 B ER – juris Rdnr. 26; LSG Bayern, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – L 11 AS 712/16 B ER – juris Rdnr. 12; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2016 – L 32 AS 1688/16 B ER – juris Rdnr. 28; Meßling in Hauck/Behrend, SGG, § 86b Rdnr. 168 [Dezember 2014]). Es muss dann ein noch gegenwärtig schwerer, irreparabler und unzumutbarer Nachteil glaubhaft gemacht werden (LSG Bayern, Beschluss vom 15. Dezember 2016 – L 11 AS 712/16 B ER – juris Rdnr. 12). Gegenüber Dritten bestehende Verbindlichkeiten reichen für die Annahme eines solchen Nachteils regelmäßig nicht aus (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 22. Februar 2017 – L 13 AS 26/17 B ER – juris Rdnr. 4; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11. Oktober 2016 – L 11 KR 259/16 B ER – juris Rdnr. 29 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. November 2011 – L 9 KR 284/11 B ER – juris Rdnr. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Januar 2011 – L 9 KR 283/10 B ER – juris Rdnr. 5; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. September 2016 – L 32 AS 1688/16 B ER – juris Rdnr. 28).

Einem Anordnungsgrund steht stets entgegen, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 8; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. September 2014 – L 5 KR 147/14 B ER – juris Rdnr. 17; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28. März 2011 – L 5 KR 20/11 B ER – juris Rdnr. 10), etwa zur Vorfinanzierung (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 8; LSG Thüringen, Beschluss vom 26. November 2015 – L 6 KR 1266/15 B ER – juris Rn. 14 f.; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. September 2014 – L 5 KR 147/14 B ER – juris Rn. 17). Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 – 1 BvR 1825/16 – juris Rdnr. 4; BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 1241/16 –juris Rdnr. 7).

(2) Die noch streitgegenständlichen Medikamentenkosten und die Einlagerungskosten sind in der Vergangenheit von der Antragstellerin selbst und von ihrem Sohn beglichen worden. Für die Einlagerungskosten ergibt sich dies auch aus den vorgelegten Überweisungsbelegen bzgl. des Kontos des Sohnes der Antragstellerin. Es ist weder dargetan noch ersichtlich, dass für die in der Vergangenheit – sei es vor Antragstellung beim SG, sei es vor der Entscheidung des Senats über die Beschwerde – entstandenen Kosten noch ein Nachholbedarf besteht, der eine einstweilige Anordnung rechtfertigen könnte.

Aber auch für die zukünftig entstehenden Medikamenten- und Einlagerungskosten ist eine Eilbedürftigkeit nicht ersichtlich. Anders als das SG angenommen hat, entstehen die Einlagerungskosten allerdings auch noch gegenwärtig. Der Mietvertrag wurde am 12. April 2017 geschlossen und betraf zwar ursprünglich nur den Zeitraum vom 12. April bis 12. Mai 2017, er wird aber – wie hier – bei Fortsetzung des Gebrauchs des gemieteten Raums durch den Mieter – hier: die Antragstellerin – gemäß § 3 des Mietvertrages verlängert. Es ist indes weder plausibel dargetan noch ersichtlich, dass es der Antragstellerin nicht zumindest vorübergehend weiterhin zumutbar ist, insofern – wie bislang – die (Vor)finanzierung durch ihren Sohn in Anspruch zu nehmen.

Das Gleiche – Zumutbarkeit der Vorfinanzierung aus eigenen Mitteln bzw. aus den Mitteln des Sohnes – gilt für die Medikamentenkosten entsprechend, zumal die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren selbst ausdrücklich mitgeteilt hat, in Zukunft keine Medikamente mehr auf eigene Kosten anschaffen zu wollen. Jedenfalls war der Antragstellerin auch bislang die Finanzierung der Anschaffung dieser Arzneimittel möglich.

bb) Ob ein Anordnungsanspruch besteht, kann vor diesem Hintergrund offen bleiben.

(1) Hinsichtlich der Kosten der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel wird der Antragsgegner im Hauptsacheverfahren allerdings zu prüfen haben, ob von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgedeckte Gesundheitskosten der Antragstellerin medizinisch notwendig sind und dem verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimum unterfallen (vgl. BSG, Beschluss vom 5. Juli 2016 – B 1 KR 18/16 B – juris Rdnr. 6 f.; BSG, Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 24/10 RBSGE 110, 183 – juris Rdnr. 35 f.; ferner Bockholdt, NZS 2016, 881 ff.).

(2) Auch dürfte fraglich sein, ob ein Anspruch der Antragstellerin auf Übernahme der Einlagerungskosten besteht. Zwar mögen Einlagerungskosten grundsätzlich als Unterkunftsbedarf berücksichtigbar sein (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26. Januar 2017 – L 7 AS 2508/16 B ER – juris Rdnr. 23). Jedoch hat die Antragstellerin weder im Einzelnen dargelegt, welche Gegenstände und aus welchen Gründen einlagert sind. Ihrem expliziten Vorbringen lässt sich lediglich entnehmen, dass sie Wollkleidung in ihrem Pflegeheim nicht verwenden und daher an einem anderen Ort einlagern muss. Die Notwendigkeit einer Einlagerung von Kleidungsstücken, die ohnehin nicht mehr verwendet werden können, erschließt sich nicht. Auch wenn man zu Gunsten der Antragstellerin und mit Blick auf ihr Vorbringen im Verwaltungsverfahren unterstellt, dass auch Möbel eingelagert worden sind, ergibt sich nichts anderes. Die Antragstellerin ist seit dem 14. Februar 2017 im Stiftungshof im H. in A. stationär untergebracht und hat einen unbefristeten Heimvertrag abgeschlossen. Ein Anspruch auf Übernahme der Einlagerungskosten käme nur in Betracht bei einem Umzug der Antragstellerin in eine eigene Wohnung, zu deren Möblierung die eingelagerten Möbel erforderlich wären. Weiterhin wäre erforderlich, dass die Miete für den Lagerraum gemessen am Wert der eingelagerten Güter wirtschaftlich wäre (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 4 AS 1/08 R – juris Rdnr. 21). Gegen beides dürfte vorliegend sprechen, dass derzeit keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Antragstellerin alsbald wieder eine eigene Wohnung außerhalb des Pflegeheims bewohnen wird. So hat das Pflegeheim dem Antragsgegner mitgeteilt (Bl. 152 der Akte des Antragsgegners), eine Rückentlassung in den häuslichen Bereich sei derzeit nicht möglich; auch sei fraglich, ob sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin so entwickle, dass dies in naher Zeit möglich wäre. Dass auch aktuell ein Umzug nicht in Betracht kommt, schon weil eine Wohnung nicht zur Verfügung steht, lässt sich zudem der handschriftlichen Anmerkung der Antragstellerin auf Blatt 54 der Senatsakte (Überweisungsbeleg vom 21. August 2017) entnehmen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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