L 8 SB 4592/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 280/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4592/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.10.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Der Kläger trägt die Kosten des im Berufungsverfahren auf seinen Antrag gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens von Dr. S. vom 01.12.2016 sowie seine baren Auslagen endgültig selbst.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der 1970 geborene Kläger beantragte am 18.11.2013 beim Landratsamt T. (LRA) die Feststellung des GdB ab Antragstellung. Er machte eine rheumatische Arthritis, einen erhöhten Augendruck, Hautprobleme und psychische Probleme geltend.

Das LRA nahm medizinische und radiologische Befundberichte zu den Akten (Dr. T. vom 18.02.2013; Dres. B. und Kollegen vom 27.02.2013, 26.06.2013 und 12.07.2013; Dr. J. vom 12.02.2013; Prof. Dr. M. vom 16.07.2013; Dr. C. vom 23. und 25.10.2012; PD Dr. Schn. vom 13.06.2013). Außerdem zog das LRA den ärztlichen Entlassungsbericht des Zentrums für ambulante Rehabilitation (ZAR) T. an die DRV Baden-Württemberg vom 11.12.2013 sowie den Entlassungsbericht Kreiskliniken E. vom 28.02.2014 bei und holte die ärztlichen Befundscheine des Dr. S. vom 12.02.2014, Dr. Br. vom 21.01.2014 und Dr. R. vom 13.05.2014 ein. In der eingeholten gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten vom 26.06.2014 schlug Dr. P. die Feststellung des GdB mit 30 vor. Mit Bescheid vom 27.06.2014 stellte das LRA den GdB mit 30 sowie das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit dem 18.11.2013 fest.

Hiergegen legte der Kläger am 01.07.2014 Widerspruch ein. In der weiteren gutachtlichen Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten vom 17.12.2014 schlug Dr. P. wegen eines chronischen Schmerzsyndroms mit Gelenkbeschwerden, insbesondere der Sprunggelenke (GdB 20), einer Depression (GdB 20) sowie einer Pilzerkrankung der Haut (GdB 10) den GdB weiterhin mit 30 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 28.01.2015 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27.06.2014 zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 03.02.2015 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Der Kläger machte zur Begründung geltend, er wende sich insbesondere gegen die Einschätzung der bestehenden depressiven Erkrankung mit einem GdB von 20, die mindestens mit einem GdB von 50 zu bewerten sei.

Das SG hörte vom Kläger benannte behandelnde Ärzte - unter Übersendung der gutachtlichen Stellungnahme von Dr. P. vom 12.12.2014 - schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Internist und Rheumatologe Dr. J. teilte in seiner Aussage vom 01.04.2015 den Behandlungsverlauf ab November 2013 (Kontaktdaten: 17.02.2014 und 19.05.2014) sowie die Befunde mit. Er stimmte der Beurteilung des versorgungsärztlichen Dienstes nicht zu und schätzte wegen einer nicht aufgeführten undifferenzierten Oligoarthritis den GdB auf 30 ein. Der Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. teilte in seiner Aussage vom 14.06.2015 den Behandlungsverlauf und die Befunde mit. Eine rheumatische Erkrankung stehe im Vordergrund, woraus sich die Depressivität entwickelt habe. Er schätzte für die psychische Symptomatik den GdB mit 30 bis 40 ein.

Der Beklagte unterbreitete dem Kläger (Schriftsatz vom 28.08.2015) unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. C. vom 20.08.2015, der wegen eines chronischen Schmerzsyndroms, Fibromyalgie und Depression (GdB 30), einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung (GdB 20) sowie einer Pilzerkrankung der Haut (GdB 10) den Gesamt-GdB mit 40 ab August 2014 vorschlug, ein Vergleichsangebot dahin, den GdB mit 40 ab 01.08.2014 festzustellen. Dieses Vergleichsangebot nahm der Kläger nicht an (Schriftsatz vom 07.09.2015).

Mit Urteil vom 26.10.2015 verurteilte das SG den Beklagten, beim Kläger einen GdB von 40 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Es sei von einem einheitlich zu bewertenden Störungsbild einer Schmerzerkrankung und Depression auszugehen, das mit einem GdB von 40 zu bewerten sei. Die Pilzerkrankung der Haut sei mit einem GdB von 10 sicher nicht zu gering bewertet. Insgesamt sei der GdB mit 40 zu bewerten.

Hiergegen richtet sich die vom Kläger am 03.11.2015 eingelegte Berufung. Er hat zur Begründung geltend gemacht, er befinde sich seit etlichen Jahren in intensiver neurologischer Behandlung. Seine Arbeitstätigkeit habe er wegen der Beeinträchtigungen nicht mehr ausführen können. Er sei daher der Auffassung, dass bei ihm der Gesamt-GdB auf 50 anzuheben sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 26.10.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.01.2015 zu verurteilen, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 ab dem 18.11.2013 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, entgegen der Auffassung des Klägers sei der GdB grundsätzlich unabhängig vom ausgeübten und angestrebten Beruf zu beurteilen. Soweit der Kläger auf eine langjährige neurologische Behandlung abhebe, sei der aktuellen Befundsituation im Vergleichsangebot bzw. der angefochtenen Entscheidung Rechnung getragen.

Der Senat hat von Amts wegen das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. (eingegangen am 23.05.2016) eingeholt. Dr. S. gelangte zu der Beurteilung, beim Kläger liege zurzeit eine als geringfügig anzusehende depressive Symptomatik vor. Ansonsten lägen keine wesentlichen Einschränkungen auf neurologischem oder psychiatrischem Gebiet vor. Dr. S. erachtete für die neurologisch-psychiatrischen Auffälligkeiten einen Teil-GdB von 20 für noch gerechtfertigt, wenn eine wechselnde Ausprägung der Symptomatik mit einbezogen werde. Eine bereits wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit oder eine sonstige relevante psychische Störung lägen nicht vor. Dr. S. schätzte den Gesamt-GdB mit 20 seit November 2013 ein.

Weiter holte der Senat auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG das orthopädische Gutachten des Dr. S. vom 01.12.2016 ein. Dr. S. diagnostizierte beim Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom mit undifferenzierter Oligoarthritis und sekundärem Fibromyalgie-Syndrom mit polytopen Fibroostosen (Einzel-GdB 50), eine Funktionsstörung der Lendenwirbelsäule (Einzel-GdB 20), eine beginnende Degeneration des oberen Sprunggelenkes beidseits mit Bewegungseinschränkung (Einzel-GdB 10) sowie eine Depression (Einzel-GdB 30). Den Gesamt-GdB-schätzte Dr. S. auf 60 ab dem 18.11.2013 ein.

Der Beklagte trat unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. G. vom 23.01.2017, der wegen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung und Fibromyalgiesyndrom (GdB 30), einer Depression und chronischem Schmerzsyndrom (GdB 20), einer Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (GdB 20), einer Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke (GdB 10) sowie einer Pilzerkrankung der Haut (GdB 10) den Gesamt-GdB weiterhin mit 40 seit 18.11.2013 bewertete, entgegen.

Anschließend holte der Senat von Amts wegen das orthopädische und unfallchirurgische Gutachten des Dr. R. vom 30.05.2017 mit radiologischem Gutachten des Prof. Dr. R. vom 15.05.2017 ein. Dr. R. diagnostizierte beim Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom, klassifizierbar als Fibromyalgie-Syndrom und eine Depression (Teil-GdB 30), den Verdacht auf Arthritis urica (GdB 10), eine Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Teil-GdB 20), eine Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke und der Füße (Teil-GdB 10) und des rechten Kniegelenks (Teil-GdB 10) sowie eine Pilzerkrankung der Haut (Teil-GdB 10). Den Gesamt-GdB schätzte Dr. R. auf 40 seit 18.11.2013 ein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Kläger Schriftsatz vom 16.10.2017, Beklagte Schriftsatz vom 17.10.2017).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Das angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung des GdB von über 40 seit dem 18.11.2013 zu.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt ( § 69 Abs. 1 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).

Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX).

Das mehrfach ärztlich angenommene Fibromyalgie-Syndrom des Klägers ist nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nicht mit einem eigenständigen GdB zu bewerten. Die GdB-Bewertung erfolgt nicht anhand von Diagnosen sondern - wie bereits die zusammenfassende Bewertung in Funktionssystemen zeigt - final und funktionsbezogen. Insoweit sieht B Nr. 18.4 VG vor, dass die Fibromyalgie nach ihren funktionellen Auswirkungen zu beurteilen ist. Da diese Erkrankung vorliegend beim Kläger zu Ganzkörperschmerzen führt, sind diese, da sie einem einzelnen Funktionssystem nicht konkret zugeordnet werden können und über einzelne Funktionssysteme hinausgehen, nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nach den VG Teil B 3.7 zu bewerten (Senatsurteile vom 19.05.2017 - L 8 SB 619/16 -, 27.01.2012 - L 8 SB 668/11, 19.12.2008 - L 8 SB 3720/07, 29.08.2008 - L 8 SB 5525/06 und 23.11.2007 - L 8 SB 4995/0- ; jeweils unveröffentlicht; ebenso Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 13.12.2012 - L 6 SB 4838/10 -, sozialgerichtsbarkeit.de; vom 28.09.2016 - L 3 SB 4862/14 -). Hiervon geht auch Dr. R. in seinem Gutachten vom 30.05.2017 aus. Dr. S. zeigt mit seinen ausführlichen Darlegungen zu den unterschiedlichen Ursachen einer Unsicherheit bei der Diagnosefindung sowie der gutachterlichen Bewertung der Fibromyalgie keine neue, gesicherte medizinisch wissenschaftliche Gesichtspunkte auf, die dem Senat Anlass geben, von der dargestellten Rechtsprechung Abstand zu nehmen.

Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung liegt beim Kläger nicht vor, die im vorliegenden Einzelfall rechtfertigen könnte, die Auswirkungen der Fibromyalgie analog zu entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu beurteilen, wovon Dr. S. in seinem Gutachten ausgeht. Zwar ist nach dem Gutachten von Dr. R. von einer Belastung des Klägers mit Arthritis urica auszugehen. So wurde bei zwei bilddarstellenden Untersuchungen hinsichtlich des rechten oberen Sprunggelenks (Befundbericht Dr. T. vom 27.02.2013) und hinsichtlich der Lendenwirbelsäule (Bericht Universitätsklinikum T. vom 08.07.2014) entzündliche Veränderungen festgestellt. Demgegenüber waren jedoch laborchemisch Entzündungszeichen wie auch typische autoimmunserologische Befunde beim Kläger nicht festzustellen, wie Dr. J. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 01.04.2015 ausgesagt hat. Nach den Ausführungen von Dr. R. in seinem Gutachten ist es beim Kläger auch nicht zu knöchernen Veränderungen gekommen. Es fanden sich außerdem klinisch sowie nach dem radiologischen Fachgutachten des Prof. Dr. R. vom 15.05.2017 keine Hinweise für eine entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankung. Nach der Bewertung von Dr. R. dürften die vom Kläger anamnestisch vorgetragenen und geklagten Beschwerden weitestgehend durch psychische Faktoren mitverursacht und aufrechterhalten sein. Auch nach dem Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 28.02.2014 wurde im Rahmen einer stationären Behandlung des Klägers vom 19.02.2014 bis 28.02.2014 (aktuell) eine entzündliche Aktivität ausgeschlossen. Weiter hat Dr. J. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG das Vorliegen einer undifferenzierten Oligoarthritis nicht als gesicherte, sondern lediglich als Verdachtsdiagnose genannt. Auch aus den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen ist eine gesicherte entzündlich-rheumatische Erkrankung des Klägers nicht belegt. Damit kann zur Überzeugung des Senates nicht festgestellt werden, dass beim Kläger neben der Schmerzerkrankung (Fibromyalgie-Syndrom) eine zu berücksichtigende entzündlich-rheumatische Erkrankung vorliegt. Soweit Dr. S. in seinem Gutachten das Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung des Klägers (undifferenzierte Oligoarthritis) annimmt, überzeugt seine Diagnose nicht. Dr. S. berücksichtigt nicht die fehlenden laborchemischen, autoimmunserologischen, klinischen sowie radiologischen Hinweise, die gegen das Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung sprechen, worauf Dr. R. in seinem Gutachten zutreffend hinweist. Der Bewertung von Dr. S. im Gutachten vom 01.12.2016, der ausgehend von den VG Teil B 18.5 (Chronische Osteomyelitis) wegen eines chronischen Schmerzsyndroms mit undifferenzierter Oligoarthritisches und sekundären Fibromyalgie-Syndrom mit polytopen Fibroostosen einen Einzel-GdB von 50 annimmt, kann sich der Senat deshalb aus Rechtsgründen nicht anzuschließen.

Das Fibromyalgie-Syndrom sowie die psychische Störung des Klägers (Depression) rechtfertigten nach den VG Teil B 3.7 einen Einzel-GdB von maximal 30. Nach Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Nach dem im Gutachten von Dr. S. beschriebenen psychiatrischen Befund wirkte der Kläger in seinem Auftreten und in seinen anamnestischen Angaben, der Beschwerdeschilderung und seinem "nonverbalen" Ausdrucksverhalten psychogen akzentuiert und streckenweise dysphorisch subdepressiv. Der Kläger ist jedoch bewusstseinsklar, örtlich, zeitlich und zur Person orientiert. Der Gedankengang ist formal und inhaltlich unauffällig. Hinweise auf eine akute Psychose des schizophrenen oder zyklothymen Formenkreises haben sich nicht ergeben. Ein höhergradiges hirnorganisches Psychosyndrom liegt nicht vor. Die mnestischen und intellektuellen Funktionen sind ausreichend. Eine Affektlabilität besteht zurzeit nicht. Ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen oder vergleichbare Behinderungen hat Dr. S. nicht finden können. Dr. S. beschreibt in seinem Gutachten den Kläger im Antrieb und seiner Schwingungsfähigkeit als reduziert, dysphorisch depressiv verstimmt, bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten korrekt orientiert und im Gedankengang als unauffällig. Danach können schwere psychische Störungen nicht festgestellt werden, die auch in den sonst zu den Akten gelangten ärztlichen Berichten nicht dokumentiert sind. Allerdings bestehen nach dem vom Kläger geschilderten und im Gutachten von Dr. S. beschriebenen Tagesablauf - insbesondere wegen Schmerzen - Einschränkungen in der Tagesgestaltung. Hinweise auf eine bereits schwerwiegende Schmerzsymptomatik hat Dr. S. bei der Untersuchung des Klägers unter Einbeziehung der anamnestischen Angaben, der Darstellungen über die Verteilung der Beschwerden, deren Einwirkung und den Schmerzcharakter sowie des Ausdrucksverhaltens des Klägers und der Konsistenz seiner Angaben, jedoch nicht gefunden, wie er in seinem Gutachten (3 Beurteilung:) für den Senat nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat. Gegen das Vorliegen einer schwerwiegenden Schmerzsymptomatik sprechen auch die von Dr. S. , Prof. Dr. R. und Dr. R. in ihren Gutachten beschriebenen Befunde. Insbesondere fehlt es an Hinweisen, die - entsprechend der beschriebenen Beschwerdeschilderungen des Klägers – auf das Vorliegen einer schmerzbedingten Schonung des Haltungs- und Bewegungsapparates schließen lassen. Nach den Beschreibungen von Dr. S. besteht beim Kläger hinsichtlich der oberen Extremitäten kein Muskelschwund als Hinweis auf eine Schonung einer Extremität. Ein Muskelschwund hat Dr. S. auch für die unteren Extremitäten nicht beschrieben. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. R. ergab die radiologische Untersuchung des Klägers hinsichtlich der oberen Extremitäten (Hand beidseits, Schultergelenke beidseits) sowie unteren Extremitäten (oberes Sprunggelenk rechts, Fuß beidseits) jeweils einen unauffälligen Mineralgehalt, was ebenfalls gegen eine (schmerzbedingte) Schonung der Extremitäten spricht. Ein Korrelat zur bestehenden Symptomatik hat Prof. Dr. R. bildmorphologisch verneint. Auch Dr. R. hat in seinem Gutachten eine gute Bemuskelung der oberen und unteren Extremitäten des Klägers beschrieben. Danach kann der Senat nicht feststellen, dass beim Kläger eine schwerwiegende Schmerzstörung besteht. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Kläger durch eine bestehende Schmerzsymptomatik tatsächlich nur leichtgradig psychisch in der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eingeschränkt ist, wie Dr. S. in seinem Gutachten annimmt, weshalb er von einer (allenfalls) leichteren Störung ausgeht und eine bereits wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sowie eine sonstige relevante psychische Störung verneint. Dr. S. hat in seinem Gutachten nicht ausgeschlossen, dass beim Kläger zeitweise (bedeutsame) Schmerzen bestehen, die (lediglich) derzeit nicht schwerwiegend ausgeprägt sind, und die den Kläger psychisch stärker einschränken. Dass beim Kläger Schmerzzustände mit psychischen Auswirkungen bestehen, hat Dr. S. in seiner sachverständigen Zeugenaussage an das SG bestätigt (Ausgangspunkt der Depressivität) und ist auch nach den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen festzustellen. Zu Gunsten des Klägers erachtet es deshalb Senat gegen die Bewertung von Dr. S. für gerechtfertigt, von stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit auszugehen, die mit einem Einzel-GdB von maximal 30 zu bewerten sind. Auch der den Kläger behandelnde Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. geht in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 14.06.2015 vom Vorliegen stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit aus (GdB 30 bis 40). Dem entspricht auch die Bewertung von Dr. S. in seinem Gutachten, der beim Kläger eine stärker beeinträchtigende seelische Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis-und Gestaltungsfähigkeit annimmt, die er mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet. Ebenso hat Dr. R. in seinem Gutachten die GdB-Bewertung von Dr. S. als leicht zu gering angesehen. Auch Dr. C. geht in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 20.08.2015, die Grundlage für das Vergleichsangebot des Beklagten im Schriftsatz vom 28.08.2015 war, davon aus, dass wegen eines chronischen Schmerzsyndroms/Fibromyalgie und Depression ein Einzel-GdB von 30 gerechtfertigt sei. Die Ausschöpfung des GdB-Rahmens auf 40 ist dagegen im Hinblick darauf, dass beim Kläger das Vorliegen schwergradig ausgeprägte Schmerzen nicht festzustellen ist, nicht gerechtfertigt. Allein der Umstand, dass sich der Kläger seit Jahren in intensiver "neurologischer" Behandlung befinde, ist für die Bewertung des GdB ebenso wenig ausschlaggebend, wie der Umstand, dass er seinen Arbeitsplatz habe aufgeben müssen, worauf er zur Begründung seiner Berufung maßgeblich abstellt. Diese Umstände rechtfertigen entgegen der Ansicht des Klägers keine Erhöhung des Einzel-GdB auf 40 oder höher.

Hinsichtlich der Wirbelsäule sind nach dem Gutachten von Dr. R. Funktionsverluste in geringem Maße im Bereich der Halswirbelsäule sowie im Bereich der unteren Wirbelsäule nachgewiesen. Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in juris und im Internet sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist eine GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch beim Kläger nicht vorliegen und auch nicht geltend gemacht werden.

Hiervon ausgehend rechtfertigen die nachgewiesenen funktionellen Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden einen Einzel-GdB von 20. Zwar beschreibt Dr. R. in seinem Gutachten deutliche Bewegungsdefizite der Hals- Brust- und Lendenwirbelsäule. Entsprechendes gilt auch für die Befundbeschreibungen von Dr. S. in seinem Gutachten. Die Befunderhebung durch Dr. R. wie auch durch Dr. S. wurde vom Kläger jedoch dadurch erschwert, dass er etwa die Seitwärtsneigung des Rumpfes und Rotation des Rumpfes wegen erwarteter Schmerzen nicht zugelassen bzw. weitere Bewegungsmaße als die beschriebenen nicht zugelassen hat, wie Dr. R. in seinem Gutachten mitgeteilt hat. Auch nach den Beschreibungen von Dr. S. war die Erhebung der Wirbelsäulenbefunde unter Hinweis auf Schmerzen erschwert. Dass beim Kläger tatsächlich schwerwiegend ausgeprägte Schmerzen vorliegen, die das gezeigte Verhalten des Klägers bei der Befunderhebung durch Dr. R. und Dr. S. plausibel machen, kann nicht festgestellt werden, wie bereits oben ausgeführt wurde. Schwere funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt bzw. mittelgradige funktionelle Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitten, die einen Einzel-GdB von 30 rechtfertigen, lassen sich damit zur Überzeugung des Senates beim Kläger nicht feststellen. Hiervon gehen auch Dr. R. und Dr. S. in ihren Gutachten aus, die die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule übereinstimmend mit einem Einzel-GdB von 20 bewerten. Dem hat sich der Beklagte im Berufungsverfahren angeschlossen (versorgungsärztliche Stellungnahme Dr. G. vom 23.01.2017). Hiergegen hat der Kläger im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben.

Hinsichtlich der oberen Extremitäten des Klägers bestehen keine gesicherten Funktionsbehinderungen, die einen Einzel-GdB von über 10 rechtfertigen. Eine Einschränkung der Beweglichkeit der Ellenbogengelenke beidseits (Streckung/Beugung 10-0-140° beidseits), der Handgelenke (Dorsalextension/Palmarflexion 40-0-60° beidseits) bzw. der Fingergelenke beschreibt Dr. R. in seinem Gutachten nicht. Weiter beschreibt Dr. S. in seinem Gutachten eine nicht GdB-relevant eingeschränkte Beweglichkeit der Ellenbogengelenke (0-0-115° beidseits), eine freie Beweglichkeit der Handgelenke (Dorsalextension/Palmarflexion 60-0-60° beidseits) sowie der Fingergelenke. Dr. S. beschreibt in seinem Gutachten eine eingeschränkte Beweglichkeit der Schulter (Arm seit-/körperwärts 90-0-20° beidseits; Arm rück-/vorwärts 10-0-90°). Hierdurch wird jedoch zur Überzeugung des Senats eine Einschränkung der Schultergelenksbeweglichkeit beidseits nicht belegt, die einen GdB von mindestens 20 rechtfertigt. Nach den Beschreibungen von Dr. S. hat der Kläger eine starke Bewegungseinschränkung gezeigt und bei dem Versuch, die Armhebung etwas zu unterstützen sofort bei einer Abduktion von 35° entgegen gespannt. Unter Ablenkung konnte sich der Kläger dann leicht bis 90° bewegen. Eine Bewegungseinschränkung der Schultergelenke beim Bekleiden (das Entkleiden blieb unbeobachtet) beschreibt Dr. S. nicht. Einen Muskelschwund als Hinweis auf eine Schonung einer Extremität hat Dr. S. zudem nicht sehen können, worauf er in seinem Gutachten hinweist. Dass sich die Bewegungseinschränkung durch die von Dr. S. in seinem Gutachten beschriebenen Fibroostosen erklärt, hat Dr. S. nicht angenommen. Damit sind die von Dr. S. erhobenen Befunde hinsichtlich der Beweglichkeit der Schultergelenke beidseits für den Senat nicht valide. Vielmehr ist aufgrund des Fehlens von Schonungszeichen darauf zu schließen, dass die Gebrauchsfähigkeit der oberen Extremitäten einschließlich der Schulter beim Kläger nicht in einem Ausmaß eingeschränkt ist, dass ein Einzel-GdB von 10 gerechtfertigt ist. Dafür sprechen auch die von Dr. R. in seinem Gutachten beschriebenen Schultergelenksbefunde. Danach war zwar der Nacken- und Schürzengriff nicht komplett durchführbar (Einschränkung 40 cm beidseits). Weiter hat der Kläger die aktive Durchführung der Schulterbeweglichkeit unter Hinweis auf starke Schmerzen nicht durchgeführt, was jedoch im Hinblick darauf, dass beim Kläger wie oben ausgeführt schwerwiegend ausgeprägte Schmerzen nicht festzustellen sind, nicht plausibel ist. Nach der Beschreibung von Dr. R. hat der Kläger passive Bewegungsausmaße der Schultergelenke zugelassen, die nicht GdB-relevant eingeschränkt sind (Arm seit-/körperwärts 160-0-30° beidseits; Arm rück-/vorwärts 30-0-150°). Ein Teil-GdB von über 10 wegen einer Funktionsbehinderung der Schultergelenke (beidseits) kann danach nicht festgestellt werden. Dem entsprechen auch die Bewertungen von Dr. S. und Dr. R. , die übereinstimmend eine GdB-relevante Funktionseinschränkung der Schultergelenke beidseits nicht angenommen haben. Hiergegen hat der Kläger im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben.

Hinsichtlich der unteren Extremitäten des Klägers bestehen nach den Befundbeschreibungen von Dr. S. in seinem Gutachten Bewegungseinschränkungen hinsichtlich der Hüftgelenke (Streckungen/Beugung 0-0-100° beidseits), der Kniegelenke (Streckung/Beugung 0-0-110° beidseits), der oberen Sprunggelenke (rechts: 10-0-30°, links: 10-0-20°) sowie der unteren Sprunggelenke (Fußaußenrand Heben 3-4). Die von Dr. S. beschriebenen Bewegungseinschränkungen rechtfertigen nach den VG Teil B 18.14 jeweils noch keinen Teil-GdB. Sonst beschreibt Dr. S. in seinem Gutachten, außer Schmerzangaben des Klägers, keine Befundauffälligkeiten (insbesondere Entzündungszeichen, Schwellungen, Instabilität der Seitenbänder, ausgeprägte Knorpelschäden), die nach den VG GdB-relevant sind. Soweit Dr. S. in seinem Gutachten wegen beginnender Degeneration des oberen Sprunggelenkes beidseits mit Bewegungseinschränkung den GdB mit 10 vorschlägt, erscheint diese Bewertung (zugunsten des Klägers) großzügig. Entsprechendes gilt für das Gutachten von Dr. R. , der hinsichtlich der unteren Extremitäten des Klägers wegen einer Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke und der Füße sowie einer Funktionsbehinderung des rechten Kniegelenkes jeweils einen Teil-GdB von 10 für angemessen erachtet. Eine GdB-relevante Bewegungseinschränkung der Kniegelenke (Streckungen/Beugung 0-0-125° beidseits) sowie des oberen Sprunggelenks (Heben/Senken 20-0-40° beidseits), des unteren Sprunggelenkes (Gesamtbeweglichkeit 5/5 beidseits) sowie der Füße (Gesamtbeweglichkeit der Zehengelenke 5/5 beidseits) beschreibt Dr. R. in seinem Gutachten nicht. Auch lassen sich seinem Gutachten sonst keine auffälligen Befunde der unteren Gliedmaßen entnehmen, die nach den VG die Annahme eines GdB rechtfertigen.

Die Pilzerkrankung der Haut des Klägers ist mit einem Einzel-GdB von 10 nicht unangemessen niedrig bewertet. Dr. S. beschreibt in seinem Gutachten außer kleinflächigen Exanthemen keine wesentlichen Auffälligkeiten der Haut. Dr. R. hat in seinem Gutachten für die Pilzerkrankung der Haut den Teil-GdB mit 10 bestätigt. Hiergegen hat der Kläger im Übrigen auch keine Einwendungen erhoben.

Sonst sind keine Gesundheitsstörungen des Klägers festzustellen, die einen Einzel-GdB rechtfertigen. Insbesondere ist eine GdB-relevante Sehstörung beim Kläger nicht festzustellen. Nach dem Befundschein des Dr. Br. an das LRA vom 27.01.2014 beträgt der Visus beidseits 0,80 und rechtfertigt nach den VG Teil B 4.3 (MdE-Tabelle der DOG) noch keinen GdB. Dies gilt auch für den vom Kläger bei der Antragstellung geltend gemachten erhöhten Augeninnendruck, zumal nach dem ärztlichen Entlassungsbericht des ZAR T. vom 11.12.2013 wegen eines erhöhten Augeninnendruck eine medikamentöse Behandlung eingeleitet wurde. Aufgrund vom Kläger geltend gemachter Sehstörungen erfolgte eine radiologische Untersuchung ohne Befund (Befundbericht Prof. Dr. M. vom 16.07.2013). Weiter kann nicht festgestellt werden, dass beim Kläger wegen einer chronischen Sinusitis Beeinträchtigungen vorliegen, die einen GdB rechtfertigen. Nach dem Entlassungsbericht der Kreiskliniken E. vom 28.02.2014 hat der Kläger das Vorliegen eines blutigen Schnupfens oder nasaler Borken verneint und die Atmung wird als unauffällig beschrieben. Auch sonst lassen sich nach den im Verlaufe des Rechtsstreites durchgeführten Ermittlungen sowie die zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen keine weiteren Gesundheitsstörungen mit dauerhaften Beeinträchtigungen des Klägers feststellen, die einen GdB rechtfertigen.

Damit ist bei dem Kläger ein höherer GdB als 40 seit dem 18.11.2013 nicht festzustellen. Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Hiervon ausgehend ist bei der Bildung des Gesamt-GdB die Schmerzerkrankung und die psychische Störung des Klägers (Depression) mit einem Einzel-GdB mit (maximal) 30 zu berücksichtigen. Dieser wird durch die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB von 20 auf 40 erhöht. Dieser besteht nach den eingeholten Gutachten seit dem 18.11.2013, wovon auch das SG im angefochtenen Urteil ausgeht. Veränderungen im Gesundheitszustand des Klägers, die eine zeitliche Staffelung des GdB rechtfertigen, wie Dr. C. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 22.08.2015 angenommen hat und die Grundlage des Vergleichsangebotes des Beklagten im Schriftsatz vom 28.08.2015 war (GdB 40 ab 01.08.2014), lassen sich nicht feststellen. Die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Gesundheitsstörungen des Klägers erhöhen den Gesamt-GdB von 40 nicht. Ein Gesamt-GdB von mindestens 50, wie der Kläger geltend macht, wird nicht erreicht. Hiervon geht auch Dr. R. in seinem Gutachten aus. Der abweichenden Bewertung von Dr. S. in seinem Gutachten, der von einem Gesamt-GdB von 60 ausgeht, kann nicht gefolgt werden, wie bereits oben ausgeführt ist.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die im Verlauf des Rechtsstreits durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt.

Die Berufung war daher nach alledem zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Die Kosten des gemäß § 109 SGG im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens des Dr. S. vom 01.12.2016 sowie die baren Auslagen des Klägers, über die als Gerichtskosten der Senat in Ausübung des ihm nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG zustehenden Ermessens von Amts wegen auch im Urteil entscheiden kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg L 1 U 3854/06 KO-B, juris; Urteil des Senats vom 23.11.2012 - L 8 U 3868/11 -, unveröffentlicht), werden nicht auf die Staatskasse übernommen. Der Kläger hat diese daher endgültig selbst zu tragen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Kosten eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens dann auf die Staatskasse übernommen werden, wenn dieses Gutachten für die gerichtliche Entscheidung von wesentlicher Bedeutung war und zu seiner Erledigung beigetragen bzw. zusätzliche, für die Sachaufklärung bedeutsame Gesichtspunkte erbracht hat. Es muss sich, gemessen an dem Prozessziel des Klägers, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt haben und dementsprechend die Entscheidung des Rechtsstreits (oder die sonstige Erledigung) maßgeblich gefördert haben. Durch die Anbindung an das Prozessziel wird verdeutlicht, dass es nicht genügt, wenn eine für die Entscheidung unmaßgebliche Abklärung eines medizinischen Sachverhalts durch das Gutachten nach § 109 SGG vorangetrieben worden ist. Vielmehr muss sich die Förderung der Sachaufklärung auf den Streitgegenstand beziehen (Kühl in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage, § 109 RdNr. 11).

Hiervon ausgehend ist es nicht gerechtfertigt, die Kosten des Gutachtens von Dr. S. auf die Staatskasse zu übernehmen. Das Gutachten hat den Rechtsstreit nicht objektiv gefördert und nicht zu seiner Erledigung beigetragen, wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
Saved