L 8 SB 4828/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 7 SB 3602/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4828/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.10.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Kosten des im Berufungsverfahren auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG eingeholten Gutachtens von Dr. T. vom 27.12.2016 sowie die dabei angefallenen baren Auslagen des Klägers werden nicht auf die Staatskasse übernommen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig.

Der 1955 geborene Kläger beantragte erstmals am 12.03.2012 beim Landratsamt L. - Versorgungsangelegenheiten - (LRA) wegen Veränderungen der Wirbelsäule und einer Schlafstörung nach einem Bandscheibenvorfall die Feststellung des GdB seit März 2009. Das LRA nahm medizinische Befundunterlagen zu den Akten (insbesondere Berichte des Orthopäden Dr. G. , Dr. Sch. , radiologische Befundberichte, Berichte A. Klinik S. vom 21.09.2010 und 21.12.2010 über eine durchgeführte Nukleoplastie C5/C6, C6/C7 und Nukleoplastie C4/C5, S. Klinik vom 02.03.2011, Orthopädische Klinik M. vom 28.03.2011 und 15.07.2011, Dr. M. vom 10.08.2011, Dr. L. vom 28.10.2011, Facharzt T. vom 28.10.2011 und 17.01.2012 und Dr. St. vom 10.02.2012). In der hierzu eingeholten gutachtlichen Stellungnahme vom 21.03.2012 des ärztlichen Dienstes des Beklagten schlug der Vertragsarzt D. den Gesamt-GdB mit 40 vor. Mit Bescheid vom 23.03.2012 stellte das LRA beim Kläger den GdB mit 40 sowie das Vorliegen einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit im Sinne des § 33b Einkommensteuergesetz jeweils seit 01.03.2009 fest.

Gegen den Bescheid vom 23.03.2012 legte der Kläger am 02.04.2012 Widerspruch ein. Er machte zur Begründung geltend, der ihn behandelnde Orthopäde und Unfallchirurg Dr. St. sei der Auffassung, dass der zuerkannte GdB nicht angemessen sei. Weiter habe eine Untersuchung durch Dr. S. zusätzliche, bisher nicht bekannte Gesundheitsstörungen erbracht. Der Kläger machte Funktionseinschränkungen im Beruf, Wirbelsäulenbeschwerden, eine Beinlängendifferenz sowie Gelenkerkrankungen geltend und legte eine Diagnoseauflistung des Dr. S. vor. Das LRA holte die Befundscheine des Dr. St. vom 18.02.2012, der einen GdB von 50 für angemessen erachtete, sowie von Dr. S. vom 10.08.2012 ein. In der hierzu eingeholten weiteren gutachtlichen Stellungnahme vom 26.08.2012 schlug der Vertragsarzt D. wegen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Wirbelsäulenverformung und Nervenwurzelreizerscheinungen (GdB 30), einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung der Gelenke (GdB 20) und einer Schuppenflechte (GdB 10) den Gesamt-GdB weiterhin mit 40 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2012 wies das Regierungspräsidium Stuttgart - Landesversorgungsamt - den Widerspruch zurück. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe ergeben, dass die vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen in vollem Umfang erfasst und mit einem Gesamt-GdB von 40 angemessen bewertet seien.

Hiergegen erhob der Kläger am 07.11.2012 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG). Er machte zur Begründung unter Bezug auf Dr. St. einen GdB von mindestens 50 gelten. Insbesondere die bestehenden Beeinträchtigungen im Bereich der Halswirbelsäule seien nicht ausreichend bewertet worden. Der Kläger legte im Verlaufe des Klageverfahrens den ärztliche Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik K. vom 03.06.2013 sowie Berichte von Prof. Dr. S. vom 04.03.2015 und Dr. S. vom 17.02.2015 vor.

Das SG hörte vom Kläger benannte behandelnde Ärzte - unter Übersendung der gutachtlichen Stellungnahme des Vertragsarztes D. vom 26.08.2012 - schriftlich als sachverständige Zeugen an. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. teilte in seiner Aussage vom 23.01.2013 den Behandlungsverlauf, die Gesundheitsstörungen und Auswirkungen mit. Er gab an, keine eindeutige Nervenwurzelreizerscheinungen und keine neurologischen Ausfälle beobachtet zu haben, äußerte den Verdacht auf eine pseudoradikuläre Ausstrahlung und stimmte den Feststellungen des Vertragsarztes D. zu. In einer weiteren Aussage vom 12.02.2013 teilte Dr. S. - nach einer Vorstellung des Klägers am 24.01.2013 - korrigierend mit, aufgrund der neuen Erkenntnisse sei durchaus ein Wirbelsäulenschaden im Bereich des sechsten zervikalen Spinalnerven vorhanden, der zu den vom Kläger geklagten Beschwerden führe. Der Orthopäde und Unfallchirurg Dr. St. teilte in seiner Aussage vom 12.05.2013 - unter Vorlage medizinischer Befundunterlagen - den Behandlungsverlauf und die bestehenden Gesundheitsstörungen mit. Er teilte die Ansicht des Beklagten hinsichtlich des GdB mit 30 für die Wirbelsäulenschäden sowie des GdB mit 20 hinsichtlich einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung der Gelenke und ging unter zusätzlicher Berücksichtigung einer psychologischen/psychosomatischen Problematik von einem Gesamt-GdB von 50 aus.

Weiter zog das SG den ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Bad W. vom 24.05.2012 über eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme des Klägers vom 03.05.2012 bis 24.05.2012 bei.

Außerdem holte das SG (von Amts wegen) das psychiatrische und psychotherapeutische Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Psych. R. vom 08.02.2014 ein. Der Gutachter gelangte zusammenfassend zu der Beurteilung, beim Kläger läge eine leicht- bis mittelgradige chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vor, die einen GdB von 20 rechtfertige. Unter Einbeziehung der Wirbelsäule (GdB 30) sowie einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung (GdB 20) schätzte der Sachverständige den Gesamt-GdB auf 50 seit Oktober 2011 ein.

Der Beklagte trat der Klage unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. R. vom 13.08.2013, der "medizinisch" einen Gesamt-GdB von 20 für angemessen erachtete, und Dr. K. vom 10.04.2014, der die Einstufung des Gesamt-GdB mit 40 als optimal hoch bemessen erachtete, entgegen.

Mit Gerichtsbescheid vom 30.10.2015 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, hinsichtlich der Erkrankung der Wirbelsäule betrage der GdB 30, die Schuppenflechte sei mit einem GdB von 10 und die entzündlich-rheumatische Erkrankung mit einem GdB von 20 zu bewerten. Für die von Dipl.-Psych. R. mit einem GdB von 20 bewertete Schmerzstörung sei eine nahezu vollständige Überlappung mit dem GdB von 30 für die Wirbelsäulenerkrankung zu berücksichtigen. Die Erhöhung des GdB auf 50 sei nicht gerechtfertigt.

Hiergegen richtet sich die vom Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte am 20.11.2015 eingelegte Berufung. Der Kläger hat zur Begründung geltend gemacht, bei ihm lägen tatsächlich Gesundheitsstörungen vor, die so schwerwiegend seien, dass sie mit einem Gesamt-GdB von mindestens 50 zu bewerten seien. Das SG gehe unzutreffend davon aus, dass hinsichtlich der Veränderungen der Wirbelsäule sowie der Schmerzstörung eine nahezu vollständige Überlappung bestehe. Selbst wenn man die Schmerzstörung und die Wirbelsäulenerkrankung zusammenfasste, wäre der GdB für diesen Bereich auf 40 zu erhöhen. Unter Berücksichtigung der entzündlich-rheumatischen Erkrankung mit einem Einzel-GdB von 20 sei ein Gesamt-GdB von 50 anzusetzen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 30.10.2015 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.10.2012 zu verurteilen, bei ihm den Grad der Behinderung mit mindestens 50 seit 01.03.2009 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hat zur Begründung ausgeführt, der Gesamt-GdB von 40 sei als optimal hoch bemessen anzusehen.

Der Rechtsstreit ist durch den Berichterstatter in der nichtöffentlichen Sitzung am 15.07.2015 mit den Beteiligten erörtert worden. Auf die Niederschrift vom 15.07.2016 wird Bezug genommen.

Im Anschluss an den Termin vom 15.07.2016 hat der Kläger weitere medizinische Unterlagen vorgelegt (Bericht Dr. M. vom einen 23.08.2016, Radiologieberichte Dres. L. vom 19.02.2016 und 20.05.2016, ärztlicher Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Bad W. vom 18.07.2016). Hierzu hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.10.2016 geäußert. Die Feststellung eines höheren Gesamt-GdB als 40 komme nicht in Betracht.

Auf Antrag des Klägers vom 14.11.2016 hat der Senat nach § 109 SGG das Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Chirurgie Dr. T. vom 27.12.2016, dem Senat am 25.07.2017 vorgelegt, eingeholt. Der Sachverständige diagnostizierte degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule mit Bandscheibenvorwölbungen, mäßige Spondylarthrosen, Spondylose bei Zustand nach Nukleoplastie auf zwei Etagen mit residualer Wurzelreizsymptomatik C6 links mit Bewegungseinschränkung, eine Impingementsymptomatik, ein Supraspinatussehnensyndrom links ohne wesentlichen Funktionsverlust, degenerative Lendenwirbelsäulenveränderungen mit Gefügestörung L4/5, eine Schuppenflechte bedingte rheumatische Gelenkentzündung derzeit ohne wesentliche Aktivität sowie ohne wesentliche Gelenkschwellungen und Funktionseinbußen, ein medikamentös behandeltes chronisches Schmerzsyndrom und Schmerzstörung sowie einen Zustand nach Lösung der Kleinfingerstrecksehne mit verbliebener Bewegungseinschränkung in der Beugung. Er schätzte die Schädigung der Wirbelsäule in zwei Abschnitten mit einem GdB von 30, die Schädigung der Schulter mit funktioneller Einschränkung mit einem GdB von 10, die rheumatische Gelenkerkrankung mit einem GdB von 10, die Schädigung am Kleinfinger mit einem GdB von unter 10, die chronische Schmerzerkrankung mit einem GdB von 20 sowie den Gesamt-GdB mit 50 seit Oktober 2011 ein.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Kläger Schriftsatz vom 05.09.2017, Beklagte Schriftsatz vom 01.08.2017).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die angefallenen Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 23.03.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 50 seit 01.03.2009 zu. Vielmehr ist der vom Beklagten zuerkannte GdB mit 40 seit 01.03.2009 nicht zu Lasten des Klägers zu niedrig festgestellt. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 SGB IX. Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt ( § 69 Abs. 1 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 69 SGB IX - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).

Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung. Auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX), wovon der Beklagte entsprechend dem Antrag des Klägers den GdB bereits ab 01.03.2009 festzustellen, im streitgegenständlichen Bescheid ausgegangen ist.

Nach den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen bestehen beim Kläger degenerative Veränderungen der Halswirbelsäule bei Zustand nach einer Nukleoplastie der Wirbelkörper C4/C5, C5/C6 und C6/C7 (Berichte der A. Klinik S. vom 21.09.2010 und 21.12.2010), sowie der Lendenwirbelsäule, wie sie auch von Dr. T. in seinem Gutachten beschrieben werden. Nach den VG Teil B 18.1 rechtfertigen mit Bild gebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z.B. degenerativer Art) allein jedoch noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an der Wirbelsäule (z.B. Bandscheibenoperation) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Maßgeblich für die Bewertung von Wirbelsäulenschäden sind vielmehr deren funktionellen Auswirkungen.

Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in juris und sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist eine GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch beim Kläger nicht vorliegen und von ihm auch nicht geltend gemacht werden.

Nach den in den zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen beschriebenen Wirbelsäulenbefunden des Klägers besteht eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und nur eine geringgradige oder keine Bewegungseinschränkung der Brust- und Lendenwirbelsäule; insbesondere in dem vom Kläger im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Bad W. vom 18.07.2016 wird hinsichtlich der Halswirbelsäule ein Kinn-Jugulum-Abstand von 3/15 cm, eine Kopfrotation von 50° beidseits sowie eine Seitneigung von 20° beidseits beschrieben. Die Beweglichkeit und Entfaltbarkeit der Brust-/Lendenwirbelsäule wird als frei bzw. nur mäßig eingeschränkt beschrieben (Schober 10/14,5 cm, Seitneigung beidseits 30°, Rumpfrotation beidseits 40°, ISG beidseits druckschmerzfrei). Entsprechendes gilt auch für die Beschreibung des Wirbelsäulenbefundes in den ärztlichen Entlassungsberichten der Rehabilitationsklinik Bad W. vom 24.05.2012 sowie in dem vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik K. vom 03.06.2013. In diesen Entlassungsberichten werden ebenfalls Einschränkungen der Beweglichkeit der Halswirbelsäule (insbesondere hinsichtlich Seitneigung sowie geringgradig der Rotation und der Rück-/Vorneigung) beschrieben, bei im Wesentlichen geringgradigen Funktionseinschränkungen der Brust-/Lendenwirbelsäule. Dem entsprechen auch die Befundbeschreibungen in den zu den Akten gelangten Befundberichten des Dr. G. und die von Dr. T. in seinem Gutachten beschriebenen Wirbelsäulenbefunde. Danach besteht hinsichtlich der Halswirbelsäule ein vermehrter muskulärer und parazervikaler Hartspann (links mehr als rechts). Die Rotation nach rechts ist nicht und nach links zu einem Drittel eingeschränkt (60-0-40°), die Seitneigung nach rechts bis zur Hälfte und nach links zu einem Drittel eingeschränkt (20-0-30°). Die Vor-/Rückneigung ist eingeschränkt (K-B-A 4 bis 13 cm). Hinsichtlich der Lendenwirbelsäule besteht eine abgeflachte Lendenlordose und eine Brustwirbelsäulenkyphose. Es besteht ein paravertebraler Hartspann links mehr als rechts. Ein lokaler Druckschmerz besteht nicht. Die Entfaltbarkeit der Brust- und Lendenwirbelsäule ist leicht bis mäßig eingeschränkt (Schober 10-13 cm; Ott 30-31,5 cm). Die Rotation rechts und links ist nicht eingeschränkt (30-0-30°). Die Seitneigung der Brustwirbelsäule rechts links ist zu einem Drittel eingeschränkt (20-0-20°). Das ISG ist frei. Nach den VG Teil B 18.9 zusätzlich zu berücksichtigende anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen beschreibt Dr. T. in seinem Gutachten nicht und lassen sich auch den genannten Befundunterlagen wie den sonst zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen nicht entnehmen. Dr. T. beschreibt lediglich eine (vom Kläger geklagte) Missempfindung am linken lateralen Oberarm mit zum Teil abgeschwächten Muskelreflexen (BSR und RPR links, PSR rechts). Dem entsprechen die Beschreibungen im Gutachten des Dipl.-Psych. R. vom 08.02.2014, der keine pathologische Reflexe sowie unauffällige Koordinations-, Gang- und Standprüfungen beschreibt. Danach kann allenfalls hinsichtlich der Halswirbelsäule von mittelgradigen funktionellen Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden ausgegangen werden, die nach den dargestellten Bewertungsgrundsätzen einen Einzel-GdB von 20 rechtfertigen. Mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in zwei Wirbelsäulenabschnitten, die (für sich) einen Einzel-GdB von 30 rechtfertigen, wovon Dr. T. in seinem Gutachten ausgeht, sind jedoch beim Kläger nicht festzustellen. Hiervon geht auch Dr. St. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 12.05.2013 aus, der die Schädigung der Halswirbelsäule für sich genommen als mittelgradig sowie der Lendenwirbelsäule als leicht bis mittelgradig einstuft. Ein Einzel-GdB von 30 für die Wirbelsäulenschäden des Klägers lässt sich nur unter Berücksichtigung der Veränderungen an der Halswirbelsäule mit im Verlauf über die Jahre rezidivierend exazerbierenden erheblichen Schmerzen und muskulären Dystonien und darauf basierenden multifacettären Bewegungsstörungen rechtfertigen, wie Dr. St. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG ausgesagt hat, weshalb er hinsichtlich der Halswirbelsäule von einer schwergradigen Störung ausgeht und für das Wirbelsäulenleiden des Klägers einen Einzel-GdB von 30 für gerechtfertigt erachtet. In dem Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden des Klägers ist somit die von Dipl.-Psych. R. im Gutachten vom 08.02.2014 diagnostizierte chronische Schmerzstörung integriert, worauf Dr. K. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.04.2014 nachvollziehbar und zutreffend hinweist. Dipl.-Psych. R. sieht in seinem Gutachten als Ausgangspunkt der chronischen Schmerzen des Klägers degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, die sich hinsichtlich der psychischen Faktoren nachteilig auf die Schmerzstärke auswirken und sich zu den Schmerzen körperlicher Genese addieren und die nach dem oben Ausgeführten erst einen Einzel-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden des Klägers rechtfertigen. Entgegen der Ansicht des Klägers wird auch unter Berücksichtigung der Schmerzstörung ein Einzel-GdB von 40 für sein Wirbelsäulenleiden damit nicht erreicht.

Eine nach den GdB-Bewertungsvorgaben der VG Teil B 3.7 mit einem Einzel-GdB zu berücksichtigende Beeinträchtigung wegen der von Dipl.-Psych. R. diagnostizierten chronischen Schmerzstörung mit psychischen Faktoren ist nicht gerechtfertigt. Dipl.-Psych. R. beschreibt einen weitgehend unauffälligen psychischen Befund, weshalb eine relevante, zusätzlich zu berücksichtigende Beeinträchtigung des Klägers durch psychische Faktoren nicht festzustellen ist worauf Dr. K. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 10.04.2014 ebenfalls nachvollziehbar und zutreffend hinweist. Nach der Beschreibung des psychischen Befundes durch den Dipl.-Psych. R. finden sich beim Kläger keine Bewusstseins-, Orientierungs- oder Auffassungsstörungen. Die Konzentration ist nur leichtgradig vermindert. Eine Gedächtnisstörung findet sich nicht. Das formale Denken ist unauffällig, bis auf gelegentliches, leichtgradiges Grübeln. Es finden sich keine Phobien oder Zwänge. Symptome aus dem psychotischen Formenkreis (Wahn, Wahrnehmungsstörungen, Ichgrenzstörungen) liegen nicht vor. Es besteht eine leichtgradige Affektlabilität und Impulsivität. Sonst liegen keine Störungen der Affektivität vor. Antriebs- und psychomotorische Störungen konnten nicht eruiert werden. Es bestehen mittelgradige Durchschlafstörungen. Leicht- bis mittelgradige Antriebsstörungen bestehen nicht jeden Tag. Eine depressive Symptomatik beschreibt Dipl.-Psych. R. auf der Grundlage seiner Untersuchung des Klägers am 08.01.2014 nicht. Auch in den vom Kläger dem SG übersandten ärztlichen Entlassungsberichten der Rehabilitationsklinik K. vom 03.06.2013 sowie der Rehabilitationsklinik Bad W. vom 18.07.2016 wird der psychische Befund übereinstimmend als unauffällig beschrieben. Nach den VG Teil B 3.7 können danach beim Kläger allenfalls leichtere psychovegetative oder psychische Störungen festgestellt werden, die einen GdB mit 0 bis 20 rechtfertigen, wobei es aufgrund des nahezu unauffälligen psychischem Befundes vorliegend nicht gerechtfertigt ist, den GdB-Rahmen auf 10 oder 20 auszuschöpfen, zumal nicht ersichtlich ist, dass sich der Kläger in einer psychiatrischer Behandlung befindet. Soweit Dr. M. in dem vom Kläger vorgelegten Befundbericht vom 23.08.2016 entgegen dem Entlassungsbericht der Klinik Bad W. vom 18.07.2016 eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert, lässt sich diesem Befundbericht keine psychische Befundbeschreibung entnehmen, die eine andere Bewertung rechtfertigt.

Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke des Klägers, die einen GdB von über 20 rechtfertigt, liegt nicht vor, wie das SG in der angefochtenen Entscheidung angenommen hat. Dr. St. hat in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG vom 12.05.2013 wegen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung der Gelenke die Bewertung des GdB mit 20 als adäquat bestätigt. Eine Aktivität oder wesentliche Funktionseinschränkungen die nach den VG Teil B 18.2.1 einen Einzel-GdB von über 20 rechtfertigt, sind beim Kläger nach den zu den Akten gelangten medizinischen Unterlagen nicht festzustellen und werden vom Kläger im Übrigen auch nicht geltend gemacht. Vielmehr hat er nach den Beschreibungen von Dr. T. im Gutachten vom 27.12.2016 angegeben, dass eine Psoriasis rheumatica sich derzeit in Remission befindet. Auch Dr. T. beschreibt in seinem Gutachten vom 27.12.2016 keine bedeutsamen Funktionsbehinderungen der Gelenke des Klägers, die die Bewertung des Einzel-GdB von über 20 rechtfertigen. Dem entspricht die Befundbeschreibung in dem vom Kläger zuletzt vorgelegten ärztlichen Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik Bad W. vom 18.07.2016, in dem sämtliche Gelenke der oberen und unteren Extremitäten in Form und in Funktion als unauffällig beschrieben werden. Dr. T. schätzt hinsichtlich einer rheumatischen Gelenkserkrankung bei wenig Aktivität den Einzel-GdB sogar mit lediglich 10 ein. Einwendungen gegen die Bewertung einer entzündlich rheumatischen Erkrankung der Gelenke mit einem GdB von 20, der sehr großzügig erscheint, hat der Kläger im Übrigen nicht erhoben.

Soweit sich der Kläger im Berufungsverfahren unter Vorlage der Befundberichte von Dres. L. und Kollege vom 19.02.2016 und 20.05.2016 auf das Vorliegen eines (möglicherweise) kleinen Aneurysma der ACI beruft, rechtfertigt dies nach den VG Teil B 9.2.2 allenfalls einen Einzel-GdB von 0 bis 10. Dass beim Kläger eine lokale Funktionsstörung oder eine Einschränkung der Belastbarkeit durch ein - diagnostisch nicht gesichertes - Aneurysma der ACI besteht, ist nicht dokumentiert und wird im Übrigen vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Vielmehr ist der Kläger durch Dr. M. instruiert, so aktiv wie möglich zu bleiben (Bericht vom 23.08.2016).

Sonstige festzustellende Gesundheitsstörungen des Klägers rechtfertigen allenfalls einen Einzel-GdB von jeweils 10. Dies gilt nach dem Gutachten des Dr. T. für eine Schädigung der Schulter. Psoriasisforme Hautveränderungen an der Nasenfalte beidseits (Bericht Facharzt T. vom 28.10.2011) rechtfertigen nach den VG Teil B 17.7 ein Einzel-GdB von allenfalls (0 bis) 10. Dass beim Kläger darüber hinaus bedeutsame Hautveränderungen vorliegen, ist nicht dokumentiert. Für eine Schädigung am Kleinfingers ist der GdB unter 10 einzuschätzen. Auch die im Kurzbericht des Dr. S. (ohne Datum) aufgelisteten Diagnosen bieten keine Grundlage für die Bewertung des GdB. Weitere mit einem Einzel-GdB von über 10 zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen hat der Kläger im Übrigen auch nicht geltend gemacht.

Danach ist beim Kläger der Gesamt-GdB nicht auf 50 (oder höher) zu bemessen. Die Bemessung des Gesamt-GdB erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktions-behinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Hiervon ausgehend ist bei der Bildung des Gesamt-GdB das Wirbelsäulenleiden des Klägers mit einem Einzel-GdB von (maximal) 30 zu berücksichtigen. Dieser wird durch die entzündlich rheumatische Erkrankung der Gelenke mit einem Einzel-GdB von (maximal) 20 auf (maximal) 40 erhöht. Die mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewertenden Gesundheitsstörungen des Klägers erhöhen den Gesamt-GdB nicht. Dies würde im Übrigen selbst dann gelten, wenn zu Gunsten des Klägers mit Dipl.-Psych. R. in seinem Gutachten davon ausgegangen würde, dass die von ihm diagnostizierte chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit einem Einzel-GdB zu von 20 zu bewerten wäre. In diesem Fall bestünden Überschneidungen im Sinne einer Doppelbewertung hinsichtlich des Wirbelsäulenleidens des Klägers, wie oben ausgeführt ist, weshalb die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers (GdB 50) auch in diesem Falle nicht gerechtfertigt wäre, zumal auch die mit einem Einzel-GdB von 20 bewertete entzündlich-rheumatische Erkrankung als sehr großzügig erscheint und deshalb ebenfalls nicht rechtfertigt, den Gesamt-GdB auf 50 zu erhöhen.

Die abweichenden Bewertungen des Dipl.-Psych. R. und Dr. T. in ihren Gutachten sowie Dr. St. in seiner schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage an das SG, die beim Kläger übereinstimmend einen Gesamt-GdB von 50 angenommen haben, binden entgegen der Ansicht des Klägers, der vorgetragen hat, es sei nicht nachvollziehbar, wenn den beiden gerichtlich bestimmten Sachverständigen nicht gefolgt werde, den Senat nicht. Die ärztliche GdB-Einschätzung unterliegt der Prüfung des Senats. Der Senat hat auf der Grundlage des geklärten medizinischen Sachverhalts die GdB-Einstufung anhand der rechtlichen Vorgaben im Rahmen der ihm zukommenden Rechtsbewertung zu bestimmen. Dr. St. , Dipl.-Psych. R. und Dr. T. berücksichtigen entgegen den GdB-Bewertungsgrundsätzen der Versorgungsmedizin-Verordnung jeweils eine psychologische/psychosomatische Problematik bzw. eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren als Gesamt-GdB erhöhend, was nach dem oben Ausgeführten nicht gerechtfertigt ist. Zudem geht Dr. T. in seinem Gutachten hinsichtlich der Wirbelsäule von einem Einzel-GdB von 30, hinsichtlich der chronischen Schmerzerkrankung von einem Einzel-GdB von 20 und sonst von Einzel-GdB-Werten von jeweils 10 aus, was nach den dargestellten Grundsätzen zur Bildung des Gesamt-GdB keinen Gesamt-GdB von 50 rechtfertigt.

Anlass zu weiteren Ermittlungen besteht nicht. Der Sachverhalt ist durch die im Verlauf des Rechtsstreites durchgeführten Ermittlungen und die zu den Akten gelangten medizinischen Befundunterlagen vollständig aufgeklärt und vermitteln dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Gesichtspunkte, durch die sich der Senat zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen müsste, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht aufgezeigt.

Die Berufung des Klägers war nach alledem zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Kosten des gemäß § 109 SGG im Berufungsverfahren eingeholten Gutachtens des Dr. T. vom 27.12.2016 sowie die baren Auslagen des Klägers, über die als Gerichtskosten der Senat in Ausübung des ihm nach § 109 Abs. 1 Satz 2 SGG zustehenden Ermessens von Amts wegen auch im Urteil entscheiden kann (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 1 U 3854/06 KO-B -, juris; Urteil des Senats vom 23.11.2012 - L 8 U 3868/11 -, unveröffentlicht), werden nicht auf die Staatskasse übernommen. Der Kläger hat diese daher endgültig selbst zu tragen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats können die Kosten eines nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens dann auf die Staatskasse übernommen werden, wenn dieses Gutachten für die gerichtliche Entscheidung von wesentlicher Bedeutung war und zu seiner Erledigung beigetragen bzw. zusätzliche, für die Sachaufklärung bedeutsame Gesichtspunkte erbracht hat. Es muss sich, gemessen an dem Prozessziel des Klägers, um einen wesentlichen Beitrag gehandelt haben und dementsprechend die Entscheidung des Rechtsstreits (oder die sonstige Erledigung) maßgeblich gefördert haben. Durch die Anbindung an das Prozessziel wird verdeutlicht, dass es nicht genügt, wenn eine für die Entscheidung unmaßgebliche Abklärung eines medizinischen Sachverhalts durch das Gutachten nach § 109 SGG vorangetrieben worden ist. Vielmehr muss sich die Förderung der Sachaufklärung auf den Streitgegenstand beziehen (Kühl in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage, § 109 RdNr. 11).

Hiervon ausgehend ist es nicht gerechtfertigt, die Kosten des Gutachtens von Dr. T. auf die Staatskasse zu übernehmen. Das Gutachten hat den Rechtsstreit nicht objektiv gefördert und nicht zu seiner Erledigung beigetragen, wie sich aus dem oben Ausgeführten ergibt.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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