L 2 R 389/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 389/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Dem Antragsteller wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Geltendmachung einer Vergütung für das in dem Verfahren L 6 SB 898/16 erstattete Sachverständigengutachten vom 16.02.2017 gewährt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 2 Abs. 2 Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) für die Geltendmachung der Vergütungsforderung für ein im Auftrag des Landessozialgerichts (LSG) erstattetes Sachverständigengutachten.

In dem beim LSG anhängig gewesenen Berufungsverfahren L 6 SB 898/16 wurde der Antragsteller mit Beweisanordnung vom 08.08.2016 zum Sachverständigen ernannt und um Erstattung eines Sachverständigengutachtens nach ambulanter Untersuchung der Klägerin gebeten. Das in Ausführung dieses Auftrags erstattete Gutachten vom 16.02.2017 ging am 27.02.2017 beim LSG ein. Dem Gutachten war eine Rechnung vom 22.02.2017 beigefügt, in der allerdings nur Gebühren für Röntgenbilder, Schreibgebühren, Kopien und Postgebühren (insgesamt 101,32 EUR) aufgeführt waren. Die Rechnung enthielt zwar die Rubriken "Aktenstudium", "Untersuchung" und "Abfassung des Gutachtens" sowie eine Angabe zum Stundensatz (75,00 EUR), die Anzahl der für die einzelnen Rubriken aufgewendeten Stunden war hingegen nicht angegeben. Eine Gesamtrechnungssumme war ebenfalls nicht aufgeführt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle errechnete hierauf eine Vergütung in Höhe von 101,32 EUR und überwies diesen Betrag an den Antragsteller.

Am 13.06.2017 fragte eine Mitarbeiterin des Antragstellers beim LSG telefonisch nach, warum lediglich ein Betrag in Höhe von 101,32 EUR überwiesen worden sei. Auf den Hinweis der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, es sei lediglich ein Betrag in dieser Höhe in Rechnung gestellt worden, übersandte der Antragsteller am selben Tag per Telefax die nun vollständig ausgefüllte Rechnung vom 22.02.2017. Nunmehr wurden insgesamt fünf Stunden a 75,00 EUR, insgesamt also 476,32 EUR (375,00 EUR+101,32 EUR) geltend gemacht. Die zuständige Kostenbeamtin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom 20.06.2017 hierzu mit, dass der Anspruch auf Vergütung gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 JVEG erloschen sei.

Am 05.07.2017 hat der Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Er trägt vor, mit dem Gutachten sei fälschlicherweise eine unvollständige Rechnung übersandt worden. Dies habe möglicherweise an einer Überlastung seiner Mitarbeiter aufgrund eines Personalengpasses beruht.

Der Antragsgegner tritt dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen. Er trägt vor, die in der Rechnung aufgeführten Leistungen gäben für sich genommen noch keinen Anlass zu der Annahme, die Rechnung könne unvollständig sein. Außerdem sei es nicht die Aufgabe der Kostenbeamtin, den Antragsteller auf eine mögliche Unvollständigkeit bei der Rechnungstellung hinzuweisen. Dieser müsse vielmehr selbst dafür Sorge tragen, dass seine Vergütung vollständig und fristgerecht beantragt wird.

Der Senat hat die Akten des Hauptsacheverfahrens (L 6 SB 898/16) beigezogen.

II.

Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 7 JVEG in Verbindung mit § 4 Abs. 7 Satz 1 JVEG in der hier anwendbaren Fassung des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) vom 23.07.2013 (BGBl. I S. 2586, 2681 ff.) entscheidet der Senat über den Antrag durch den Berichterstatter; Gründe für eine Übertragung des Verfahrens auf den Senat liegen nicht vor.

Der Antrag hat Erfolg; dem Antragsteller ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die Geltendmachung einer Vergütung für das von ihm in dem Verfahren L 6 SB 898/16 erstattete Sachverständigengutachten vom 16.02.2017 zu gewähren.

Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG erlischt der Anspruch auf Vergütung oder Entschädigung, wenn er nicht binnen drei Monaten bei der Stelle, die den Berechtigten herangezogen oder beauftragt hat, geltend gemacht wird; hierüber und über den Beginn der Frist ist der Berechtigte zu belehren. Im Fall des Antragstellers begann die Frist mit dem Eingang des Sachverständigengutachtens vom 16.02.2017 beim LSG, also am 27.02.2017, zu laufen und ist am 27.05.2017 abgelaufen. Die vollständige Rechnung vom 22.02.2017 ist beim LSG erst am 13.06.2017, also nach Ablauf der Drei-Monats-Frist eingegangen.

Im Hinblick auf dieses Fristversäumnis ist dem Antragsteller jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG gewährt das Gericht auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Berechtigte ohne sein Verschulden an der Einhaltung einer Frist nach § 2 Abs. 1 JVEG gehindert war, er innerhalb von zwei Wochen nach Beseitigung des Hindernisses den Anspruch beziffert und die Tatsachen glaubhaft macht, welche die Wiedereinsetzung begründen. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Belehrung nach § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden (§ 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 JVEG).

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen vor; der Antragsteller ist zwar mit der Beweisanordnung vom 08.08.2016 über die Frist nach § 2 Abs. 1 Satz 1 JVEG belehrt worden, er war jedoch ohne eigenes Verschulden gehindert, diese Frist einzuhalten.

Der Antragsteller hat innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 2 Abs. 2 Satz 1 JVEG den Anspruch beziffert und einen Wiedereinsetzungsgrund glaubhaft gemacht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 30. Januar 2002 – B 5 RJ 10/01 R –, SozR 3-1500 § 67 Nr. 21) liegt ein Verschulden grundsätzlich vor, wenn die von einem gewissenhaften Prozessführenden im prozessualen Verkehr zu fordernde Sorgfalt außer Acht gelassen wird. Wer es unterlässt, eine Rechnung vollständig auszufüllen, bzw. vergisst, die Rechnung vor ihrer Absendung noch einmal auf Vollständigkeit zu überprüfen, genügt diesem Maßstab zwar grundsätzlich nicht. Ohne Verschulden "verhindert", eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ein Beteiligter nach der Rechtsprechung des BSG jedoch nicht nur, wenn auf seiner Seite ein Verschulden gar nicht vorlag, sondern auch dann, wenn ein solches Verschulden zwar vorgelegen hat, dieses aber für die Fristversäumnis nicht ursächlich gewesen ist bzw. ihm nicht zugerechnet werden kann, weil die Frist im Fall pflichtgemäßen Verhaltens einer anderen Stelle gewahrt worden wäre (BSG a.a.O. m.w.N.).

Dass die Anforderungen zur Erlangung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht überspannt werden dürfen und insoweit einem Beteiligten nicht jedes Verschulden zurechenbar ist, folgt u. a. aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren. Nach diesem aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden "allgemeinen Prozessgrundrecht" darf sich das Gericht nicht widersprüchlich verhalten, darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BSG a.a.O. m.w.N.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für das Hauptsache-, sondern auch für das Kostenverfahren. Auch der vom Gericht herangezogene Sachverständige hat einen Anspruch auf ein faires Verfahren; auch ihm gegenüber besteht deshalb die allgemeine Obliegenheit zur Fürsorge, nach der das Gericht u. a. darauf hinzuwirken hat, dass offensichtliche Fehler beseitigt werden. Die daraus resultierende Hinweispflicht soll vermeiden, dass Beteiligte mit ihrem berechtigten Begehren allein wegen unbeabsichtigter Formfehler scheitern. Dementsprechend ist Wiedereinsetzung auch dann zu gewähren, wenn die Fristversäumnis auch auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen (BSG a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Rechnung vom 22.02.2017 war entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners offensichtlich unvollständig. Dies ergibt sich bereits daraus, dass keine Gesamtsumme ausgewiesen wurde. Außerdem hätte es keinen Sinn ergeben, in der Rechnung bereits den Stundensatz für die Honorarforderung festzulegen, wenn tatsächlich nur vorab und isoliert Gebühren für Röntgenbilder, Schreibgebühren, Kopien und Postgebühren in Rechnung gestellt werden sollten. Vor diesem Hintergrund musste sich der Kostenbeamtin schon bei der Festsetzung der Vergütung aufdrängen, dass dem Antragsteller bzw. dessen Mitarbeiterin bei der Rechnungstellung ersichtlich ein Fehler unterlaufen ist. Die Kostenbeamtin wäre hier deshalb gehalten gewesen, den Antragsteller auf die offensichtlich unvollständige Rechnung hinzuweisen. Dieser Fürsorgepflicht ist das LSG nicht nachgekommen und hat damit selbst wesentlich dazu beigetragen, dass der Fehler bei der Rechnungstellung nicht rechtzeitig behoben wurde.

Die Entscheidung ist unanfechtbar (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG). Sie ergeht kosten- und gebührenfrei (§ 2 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 4 Abs. 8 JVEG).
Rechtskraft
Aus
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