Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 14 AS 4867/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 12 AS 968/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.02.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtlichen Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II; Arbeitslosengeld [Alg] II) für die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.01.2013 bzw. für den Zeitraum 01.11.2012 bis 28.02.2013 teilweise aufheben und von den Klägern für diese Zeiträume zu Unrecht gewährte Leistungen zur Erstattung fordern durfte.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 1., dem mit ihr verheirateten, am 1958 geborenen Kläger zu 2. und deren Tochter, der am 1994 geborene Klägerin zu 3. mit Bescheid vom 18.10.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 in Höhe von monatlich 1.412,00 EUR (für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.11.2012) bzw. 1418,00 EUR (für die Zeit vom 01.12.2012 bis 30.04.2013).
Der Kläger zu 2. hatte zuvor in der Zeit von Mai bis Anfang November 2011 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden; der Arbeitgeber hatte das Arbeitsverhältnis am 04.11.2011 fristlos gekündigt. Im Zuge eines Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Stuttgart hatten die Beteiligten einen Vergleich geschlossen (Beschluss vom 10.07.2012 – 8 CA 405/11), nach dem das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15.12.2012 endete. Gleichzeitig hatte sich der Arbeitgeber gegenüber dem Kläger zu 2. zur Nachzahlung von noch ausstehendem Arbeitsentgelt verpflichtet.
Mit Schreiben vom 22.11.2012 forderte der Beklagte den Kläger zu 2. auf, Nachweise über die Höhe und den Zuflusszeitpunkt der Gehaltsnachzahlungen vorzulegen. Der Kläger zu 2. teilte daraufhin durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 29.11.2012, beim Beklagten eingegangen am 03.12.2012, mit, er habe Ende November 2012 lediglich eine Teilzahlung in Höhe von 2.500,00 EUR netto erhalten. Eine Abrechnung sei noch nicht erfolgt; weitere Zahlungen noch nicht geleistet worden.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 19.02.2013 hob der Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1. die Bewilligung von Alg II in Höhe von 426,01 EUR (Zeitraum 01.12.2012 bis 28.02.2013), gegenüber dem Kläger zu 2. in Höhe von 426,03 EUR (Zeitraum 01.12.2012 bis 31.01.2013) und gegenüber der Klägerin zu 3. in Höhe von 254,23 EUR (Zeitraum 01.12.2012 bis 28.02.2013) auf. Gleichzeitig forderte der Beklagte von den Klägern die Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen in dieser Höhe. Der Beklagte rechnete dabei monatlich jeweils ein Sechstel der zugeflossenen Summe, also 416,67 EUR abzüglich einer Versicherungspauschale (30,00 EUR) und Kfz-Versicherung (53,74 EUR), im Ergebnis also 332,93 EUR an. Wegen der Berechnung der Erstattungsforderungen im Einzelnen wird auf Bl. 732,733 und 848 bis 857 der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Gegen diese Bescheide erhoben die Kläger am 06.03.2013 Widerspruch. Zur Begründung trugen sie vor, die Gesamtforderung des Klägers zu 2. gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber belaufe sich auf 4.804,76 EUR. Die geschuldete Nachzahlung betreffe jedoch Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, in dem die Kläger gar keine Leistungen vom Beklagten erhalten hätten. Außerdem sei in dem ausgezahlten Betrag eine Urlaubsabgeltung enthalten, die grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfe.
Nachdem dem Kläger zu 2. eine weitere Zahlung aus dem Vergleich vom 10.07.2012 zugeflossen war, hob der Beklagte mit (weiteren) Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 04.06.2013 gegenüber der Klägerin zu 1. die Bewilligung von Alg II in Höhe von 768,15 EUR (Zeitraum 01.01.2013 bis 31.05.2013), gegenüber dem Kläger zu 2. in Höhe von 768,15 EUR (Zeitraum 01.01.2013 bis 31.05.2013) und gegenüber der Klägerin zu 3. in Höhe von 459,30 EUR (Zeitraum 01.01.2013 bis 31.05.2013) auf. Gleichzeitig forderte der Beklagte von den Klägern die Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen in dieser Höhe. Auch gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 01.08.2014 (betreffend die Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 3.) wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerinnen zu 1. und 3. gegen die Bescheide vom 19.02.2013 zurück. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2014 reduzierte der Beklagte gegenüber dem Kläger zu 2. die Erstattungsforderung auf 277,19 EUR und wies im Übrigen den Widerspruch zurück.
Gegen diese Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 05.09.2014 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dem Kläger zu 2. sei zugesichert worden, dass eine Ausbildung zum Prüfingenieur, die er auf Anraten des Beklagten begonnen habe, förderungsfähig sei und insbesondere die Kosten für den Erwerb eines LKW-Führerscheins und die Prüfgebühren übernommen würden. Dies habe der Beklagte dann wider Erwarten aber doch mit Bescheid 11.06.2012 abgelehnt. Der Kläger zu 2. habe deshalb über 6.000,00 EUR aus eigener Tasche zahlen müssen. Dafür habe er die Abfindung verwendet. Die Klägerin zu 3. habe ein Studium aufgenommen und sei aus diesem Grund nicht in der Lage, die Rückforderungssumme zu begleichen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat vorgetragen, dem Kläger zu 2. habe ein Anspruch auf Förderung seiner Ausbildung nicht zugestanden; hierbei habe es sich vielmehr um eine ins Ermessen der Beklagten gestellte Entscheidung gehandelt. Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, die angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide seien rechtmäßig. Der Beklagte habe die den Klägern gewährten Leistungen wegen der ihnen am 30.08.2012 zugeflossenen Zahlung zu Recht teilweise zurückgefordert.
Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten gemäß Empfangsbekenntnis am 16.02.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 16.03.2015 schriftlich beim SG eingelegte Berufung der Kläger. Sie tragen vor, der ehemalige Arbeitgeber des Klägers zu 2. habe am 31.08.2012 einen Betrag in Höhe von 2.500,00 EUR und am 07.12.2012 weitere 2.394,70 EUR an den Kläger zu 2. gezahlt.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.02.2015 und die Bescheide des Beklagten vom 19.02.2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 01.08.2014 und vom 05.08.2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand der (isolierten) Anfechtungsklage sind die Bescheide vom 19.02.2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 01.08.2014 und vom 05.08.2014, mit denen der Beklagte die mit Bescheid vom 18.10.2012 verfügte Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.11.2012 bis 28.02.2013 teilweise aufgehoben und von den Klägern die Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen gefordert hat. Diese Bescheide erweisen sich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in subjektiven Rechten.
In formeller Hinsicht ist die fehlende Anhörung der Kläger dadurch geheilt worden, dass in den angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 19.02.2013 alle aus Sicht des Beklagten für die getroffene, in Rechte der Kläger eingreifende Entscheidung maßgeblichen Tatsachen genannt worden sind und die Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]).
Verfahrensrechtliche Grundlage für die teilweise Zurücknahme des den Klägern für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 Alg II bewilligenden Bescheids vom 18.10.2012 ist § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er von Anfang an rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X u. a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2). Das Gleiche gilt, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser nach der zwingenden Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ohne dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre. Diese Vorschrift findet gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verfahren nach dem SGB II entsprechende Anwendung.
Der den Klägern für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 Alg II bewilligende Bescheid vom 18.10.2012 war von Anfang an rechtswidrig; den Kläger standen für diesen Zeitraum aufgrund der bereits am 31.08.2012 erhaltenen Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers zu 2. geringere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu, als mit Bescheid vom 18.10.2012 verfügt.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in allen im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassungen der Norm) Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach den §§ 19 ff. SGB erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Diese Leistungen sind in § 20 (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts), § 21 (Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt) und § 22 SGB II (Leistungen für Unterkunft und Heizung) näher ausgestaltet. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die Leistungen nach dem SGB II (nur) auf Antrag erbracht; bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt der Antrag allerdings auf den Ersten des Monats zurück (§ 37 Abs. 2 SGB II).
Diese Voraussetzung haben im Fall der Kläger dem Grunde nach vorgelegen, dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Die Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers zu 2., die, wie die Kläger im Berufungsverfahren eingeräumt haben, bereits am 31.08.2012 zugeflossen ist, führt zu einem geringeren Anspruch der Kläger auf Alg II in der in den angegriffenen Bescheiden verfügten Höhe. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen des mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheids Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung eigener Gründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein Freibetrag für Erwerbstätige (vgl. § 11b Abs. 3 SGB II), wie vom SG zutreffend entschieden, nicht in Ansatz zu bringen ist. § 11b Abs. 3 Satz 1 SGB II setzt voraus, dass die Leistungsberechtigten erwerbstätig sind, bzw. (hier) im streitigen Zeitraum erwerbstätig gewesen sind. Dies war nicht der Fall; denn das fragliche Einkommen stammt zwar aus einer Erwerbstätigkeit, diese war jedoch zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs bereits seit längerer Zeit beendet. Dieses am Wortlaut des Gesetzes orientierte Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm. Der zusätzliche Erwerbstätigenfreibetrag soll einen Anreiz dafür schaffen, neben dem Alg II-Bezug eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um so die Möglichkeit zu eröffnen, langfristig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unabhängig zu werden. Dieses Ziel kann nicht mehr erreicht werden, wenn die Erwerbstätigkeit bereits lange Zeit vor dem Beginn des Leistungsbezugs aufgegeben worden ist.
Der Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidung vom 18.10.2012 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise zurückzunehmen (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dass der Einkommenszufluss am 31.08.2012 bei der Bewilligungsentscheidung nicht berücksichtigt worden ist, beruhte allein auf dem Umstand, dass die Kläger dies, obwohl sie vom Beklagten hierzu aufgefordert worden waren, nicht bzw. nicht zutreffend mitgeteilt haben. Die Kläger haben, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, noch mit Schreiben vom 29.11.2012 gegenüber dem Beklagten behauptet, eine erste Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers sei erst im November 2012 bei ihnen eingegangen. Dass dies nicht der Wahrheit entsprach, wussten die Kläger, denn sie haben später vorgetragen, mit diesem Geld Prüfungsgebühren und Kosten für einen LKW-Führerschein bestritten zu haben. Damit haben die Kläger vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige bzw. (bei Antragstellung) unvollständige Angaben gemacht (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich überschreitet; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 42, 184, 187; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273). Vorliegend findet sich zunächst keinerlei Anhalt, dass die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit der Kläger eingeschränkt war. Ihnen musste deshalb bewusst sein, dass zufließendes Einkommen in einer Gesamthöhe von knapp 5.000,00 EUR einen Einfluss auf ihren Anspruch auf steuerfinanzierte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben muss. Dass die falschen bzw. unterbliebenen Angaben über diesen Einkommenszufluss zu den fehlerhaften Bewilligungen beigetragen haben und diese darauf beruhen, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein und steht fest (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 14.02.1989 – 7 RAr 62/87 – in DBlR 3498a AFG/§ 137; BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 15). Die Rücknahme ist auch unter Einhaltung der Frist von zehn Jahren seit Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidungen verfügt worden (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X). Ebenfalls eingehalten ist die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, nachdem die streitgegenständlichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide bereits weniger als sechs Monate nach dem Einkommenszufluss ergangen sind.
Die Erstattungspflicht folgt dem Umfang der Aufhebung des Alg II gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nach. Den Umfang der zu erstattenden Leistungen hat die Beklagte zutreffend ermittelt; der Senat nimmt auch insoweit auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung und die in der Leistungsakte des Beklagten enthaltenen Berechnungen (Bl. 732,733 und 848 bis 857 der Verwaltungsakten des Beklagten) Bezug und macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Außergerichtlichen Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II; Arbeitslosengeld [Alg] II) für die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.01.2013 bzw. für den Zeitraum 01.11.2012 bis 28.02.2013 teilweise aufheben und von den Klägern für diese Zeiträume zu Unrecht gewährte Leistungen zur Erstattung fordern durfte.
Der Beklagte bewilligte der Klägerin zu 1., dem mit ihr verheirateten, am 1958 geborenen Kläger zu 2. und deren Tochter, der am 1994 geborene Klägerin zu 3. mit Bescheid vom 18.10.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 in Höhe von monatlich 1.412,00 EUR (für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.11.2012) bzw. 1418,00 EUR (für die Zeit vom 01.12.2012 bis 30.04.2013).
Der Kläger zu 2. hatte zuvor in der Zeit von Mai bis Anfang November 2011 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden; der Arbeitgeber hatte das Arbeitsverhältnis am 04.11.2011 fristlos gekündigt. Im Zuge eines Verfahrens vor dem Arbeitsgericht Stuttgart hatten die Beteiligten einen Vergleich geschlossen (Beschluss vom 10.07.2012 – 8 CA 405/11), nach dem das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15.12.2012 endete. Gleichzeitig hatte sich der Arbeitgeber gegenüber dem Kläger zu 2. zur Nachzahlung von noch ausstehendem Arbeitsentgelt verpflichtet.
Mit Schreiben vom 22.11.2012 forderte der Beklagte den Kläger zu 2. auf, Nachweise über die Höhe und den Zuflusszeitpunkt der Gehaltsnachzahlungen vorzulegen. Der Kläger zu 2. teilte daraufhin durch seinen Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 29.11.2012, beim Beklagten eingegangen am 03.12.2012, mit, er habe Ende November 2012 lediglich eine Teilzahlung in Höhe von 2.500,00 EUR netto erhalten. Eine Abrechnung sei noch nicht erfolgt; weitere Zahlungen noch nicht geleistet worden.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 19.02.2013 hob der Beklagte gegenüber der Klägerin zu 1. die Bewilligung von Alg II in Höhe von 426,01 EUR (Zeitraum 01.12.2012 bis 28.02.2013), gegenüber dem Kläger zu 2. in Höhe von 426,03 EUR (Zeitraum 01.12.2012 bis 31.01.2013) und gegenüber der Klägerin zu 3. in Höhe von 254,23 EUR (Zeitraum 01.12.2012 bis 28.02.2013) auf. Gleichzeitig forderte der Beklagte von den Klägern die Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen in dieser Höhe. Der Beklagte rechnete dabei monatlich jeweils ein Sechstel der zugeflossenen Summe, also 416,67 EUR abzüglich einer Versicherungspauschale (30,00 EUR) und Kfz-Versicherung (53,74 EUR), im Ergebnis also 332,93 EUR an. Wegen der Berechnung der Erstattungsforderungen im Einzelnen wird auf Bl. 732,733 und 848 bis 857 der Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Gegen diese Bescheide erhoben die Kläger am 06.03.2013 Widerspruch. Zur Begründung trugen sie vor, die Gesamtforderung des Klägers zu 2. gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber belaufe sich auf 4.804,76 EUR. Die geschuldete Nachzahlung betreffe jedoch Arbeitsentgelt für einen Zeitraum, in dem die Kläger gar keine Leistungen vom Beklagten erhalten hätten. Außerdem sei in dem ausgezahlten Betrag eine Urlaubsabgeltung enthalten, die grundsätzlich nicht berücksichtigt werden dürfe.
Nachdem dem Kläger zu 2. eine weitere Zahlung aus dem Vergleich vom 10.07.2012 zugeflossen war, hob der Beklagte mit (weiteren) Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 04.06.2013 gegenüber der Klägerin zu 1. die Bewilligung von Alg II in Höhe von 768,15 EUR (Zeitraum 01.01.2013 bis 31.05.2013), gegenüber dem Kläger zu 2. in Höhe von 768,15 EUR (Zeitraum 01.01.2013 bis 31.05.2013) und gegenüber der Klägerin zu 3. in Höhe von 459,30 EUR (Zeitraum 01.01.2013 bis 31.05.2013) auf. Gleichzeitig forderte der Beklagte von den Klägern die Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen in dieser Höhe. Auch gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 01.08.2014 (betreffend die Klägerin zu 1. und die Klägerin zu 3.) wies der Beklagte die Widersprüche der Klägerinnen zu 1. und 3. gegen die Bescheide vom 19.02.2013 zurück. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.08.2014 reduzierte der Beklagte gegenüber dem Kläger zu 2. die Erstattungsforderung auf 277,19 EUR und wies im Übrigen den Widerspruch zurück.
Gegen diese Widerspruchsbescheide haben die Kläger am 05.09.2014 Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben. Zur Begründung haben sie vorgetragen, dem Kläger zu 2. sei zugesichert worden, dass eine Ausbildung zum Prüfingenieur, die er auf Anraten des Beklagten begonnen habe, förderungsfähig sei und insbesondere die Kosten für den Erwerb eines LKW-Führerscheins und die Prüfgebühren übernommen würden. Dies habe der Beklagte dann wider Erwarten aber doch mit Bescheid 11.06.2012 abgelehnt. Der Kläger zu 2. habe deshalb über 6.000,00 EUR aus eigener Tasche zahlen müssen. Dafür habe er die Abfindung verwendet. Die Klägerin zu 3. habe ein Studium aufgenommen und sei aus diesem Grund nicht in der Lage, die Rückforderungssumme zu begleichen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat vorgetragen, dem Kläger zu 2. habe ein Anspruch auf Förderung seiner Ausbildung nicht zugestanden; hierbei habe es sich vielmehr um eine ins Ermessen der Beklagten gestellte Entscheidung gehandelt. Mit Gerichtsbescheid vom 10.02.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, die angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide seien rechtmäßig. Der Beklagte habe die den Klägern gewährten Leistungen wegen der ihnen am 30.08.2012 zugeflossenen Zahlung zu Recht teilweise zurückgefordert.
Gegen diesen ihrem Bevollmächtigten gemäß Empfangsbekenntnis am 16.02.2015 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 16.03.2015 schriftlich beim SG eingelegte Berufung der Kläger. Sie tragen vor, der ehemalige Arbeitgeber des Klägers zu 2. habe am 31.08.2012 einen Betrag in Höhe von 2.500,00 EUR und am 07.12.2012 weitere 2.394,70 EUR an den Kläger zu 2. gezahlt.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.02.2015 und die Bescheide des Beklagten vom 19.02.2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 01.08.2014 und vom 05.08.2014 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist statthaft, da Berufungsausschließungsgründe nicht eingreifen (vgl. §§ 143, 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) und auch im Übrigen zulässig; insbesondere wurden die maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 SGG) beachtet. Die Berufung ist jedoch unbegründet, das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Gegenstand der (isolierten) Anfechtungsklage sind die Bescheide vom 19.02.2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 01.08.2014 und vom 05.08.2014, mit denen der Beklagte die mit Bescheid vom 18.10.2012 verfügte Bewilligung von Alg II für die Zeit vom 01.11.2012 bis 28.02.2013 teilweise aufgehoben und von den Klägern die Erstattung der zu Unrecht gewährten Leistungen gefordert hat. Diese Bescheide erweisen sich sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in subjektiven Rechten.
In formeller Hinsicht ist die fehlende Anhörung der Kläger dadurch geheilt worden, dass in den angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden vom 19.02.2013 alle aus Sicht des Beklagten für die getroffene, in Rechte der Kläger eingreifende Entscheidung maßgeblichen Tatsachen genannt worden sind und die Kläger im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern (vgl. § 41 Abs. 1 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]).
Verfahrensrechtliche Grundlage für die teilweise Zurücknahme des den Klägern für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 Alg II bewilligenden Bescheids vom 18.10.2012 ist § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II (in der ab 01.04.2011 geltenden Fassung) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er von Anfang an rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X u. a. nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2). Das Gleiche gilt, wenn der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3). Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser nach der zwingenden Vorschrift des § 330 Abs. 2 SGB III auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, ohne dass der Beklagten insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre. Diese Vorschrift findet gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verfahren nach dem SGB II entsprechende Anwendung.
Der den Klägern für die Zeit vom 01.11.2012 bis 30.04.2013 Alg II bewilligende Bescheid vom 18.10.2012 war von Anfang an rechtswidrig; den Kläger standen für diesen Zeitraum aufgrund der bereits am 31.08.2012 erhaltenen Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers zu 2. geringere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu, als mit Bescheid vom 18.10.2012 verfügt.
Leistungen nach dem SGB II erhalten gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II (in allen im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden Fassungen der Norm) Personen, die (1.) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, (2.) erwerbsfähig sind, (3.) hilfebedürftig sind und (4.) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach den §§ 19 ff. SGB erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Alg II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Diese Leistungen sind in § 20 (Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts), § 21 (Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt) und § 22 SGB II (Leistungen für Unterkunft und Heizung) näher ausgestaltet. Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die Leistungen nach dem SGB II (nur) auf Antrag erbracht; bei Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts wirkt der Antrag allerdings auf den Ersten des Monats zurück (§ 37 Abs. 2 SGB II).
Diese Voraussetzung haben im Fall der Kläger dem Grunde nach vorgelegen, dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Die Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers zu 2., die, wie die Kläger im Berufungsverfahren eingeräumt haben, bereits am 31.08.2012 zugeflossen ist, führt zu einem geringeren Anspruch der Kläger auf Alg II in der in den angegriffenen Bescheiden verfügten Höhe. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen des mit der Berufung angegriffenen Gerichtsbescheids Bezug und sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung eigener Gründe ab (vgl. § 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass ein Freibetrag für Erwerbstätige (vgl. § 11b Abs. 3 SGB II), wie vom SG zutreffend entschieden, nicht in Ansatz zu bringen ist. § 11b Abs. 3 Satz 1 SGB II setzt voraus, dass die Leistungsberechtigten erwerbstätig sind, bzw. (hier) im streitigen Zeitraum erwerbstätig gewesen sind. Dies war nicht der Fall; denn das fragliche Einkommen stammt zwar aus einer Erwerbstätigkeit, diese war jedoch zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs bereits seit längerer Zeit beendet. Dieses am Wortlaut des Gesetzes orientierte Auslegungsergebnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm. Der zusätzliche Erwerbstätigenfreibetrag soll einen Anreiz dafür schaffen, neben dem Alg II-Bezug eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, um so die Möglichkeit zu eröffnen, langfristig von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unabhängig zu werden. Dieses Ziel kann nicht mehr erreicht werden, wenn die Erwerbstätigkeit bereits lange Zeit vor dem Beginn des Leistungsbezugs aufgegeben worden ist.
Der Beklagte war auch berechtigt, die Bewilligungsentscheidung vom 18.10.2012 mit Wirkung für die Vergangenheit teilweise zurückzunehmen (vgl. § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X). Dass der Einkommenszufluss am 31.08.2012 bei der Bewilligungsentscheidung nicht berücksichtigt worden ist, beruhte allein auf dem Umstand, dass die Kläger dies, obwohl sie vom Beklagten hierzu aufgefordert worden waren, nicht bzw. nicht zutreffend mitgeteilt haben. Die Kläger haben, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, noch mit Schreiben vom 29.11.2012 gegenüber dem Beklagten behauptet, eine erste Zahlung des ehemaligen Arbeitgebers sei erst im November 2012 bei ihnen eingegangen. Dass dies nicht der Wahrheit entsprach, wussten die Kläger, denn sie haben später vorgetragen, mit diesem Geld Prüfungsgebühren und Kosten für einen LKW-Führerschein bestritten zu haben. Damit haben die Kläger vorsätzlich, mindestens aber grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtige bzw. (bei Antragstellung) unvollständige Angaben gemacht (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Grobe Fahrlässigkeit setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung ungewöhnlich hohen Ausmaßes, d. h. eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich überschreitet; es müssen schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt, also nicht beachtet worden sein, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. Bundessozialgericht [BSG] BSGE 42, 184, 187; BSG SozR 4100 § 152 Nr. 10). Insoweit ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Betroffenen sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff; vgl. BSGE 44, 264, 273). Vorliegend findet sich zunächst keinerlei Anhalt, dass die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit der Kläger eingeschränkt war. Ihnen musste deshalb bewusst sein, dass zufließendes Einkommen in einer Gesamthöhe von knapp 5.000,00 EUR einen Einfluss auf ihren Anspruch auf steuerfinanzierte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben muss. Dass die falschen bzw. unterbliebenen Angaben über diesen Einkommenszufluss zu den fehlerhaften Bewilligungen beigetragen haben und diese darauf beruhen, kann ebenfalls nicht zweifelhaft sein und steht fest (zu diesem Erfordernis vgl. BSG, Urteil vom 14.02.1989 – 7 RAr 62/87 – in DBlR 3498a AFG/§ 137; BSG SozR 3-5425 § 25 Nr. 15). Die Rücknahme ist auch unter Einhaltung der Frist von zehn Jahren seit Bekanntgabe der Bewilligungsentscheidungen verfügt worden (vgl. § 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 SGB X). Ebenfalls eingehalten ist die Einjahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X, nachdem die streitgegenständlichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide bereits weniger als sechs Monate nach dem Einkommenszufluss ergangen sind.
Die Erstattungspflicht folgt dem Umfang der Aufhebung des Alg II gemäß § 50 Abs. 1 SGB X nach. Den Umfang der zu erstattenden Leistungen hat die Beklagte zutreffend ermittelt; der Senat nimmt auch insoweit auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung und die in der Leistungsakte des Beklagten enthaltenen Berechnungen (Bl. 732,733 und 848 bis 857 der Verwaltungsakten des Beklagten) Bezug und macht sich diese aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu eigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
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