L 7 SO 3291/17 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 21 SO 1771/17 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 3291/17 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 26. Juli 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihr ein persönliches Budget in Höhe von ursprünglich monatlich 4.000,00 Euro, zuletzt wohl in Höhe von mindestens 2.000,00 Euro zu gewähren, begehrt, ist aber unbegründet. Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt.

a) Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss des Ersten Senats vom 13. April 2010 – 1 BvR 216/07 – juris Rdnr. 64; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. August 2014 – 1 BvR 1453/12 – juris Rdnr. 9). Eine Folgenabwägung ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn eine Prüfung der materiellen Rechtslage nicht möglich ist (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. September 2016 – 1 BvR 1335/13 – juris Rdnr. 20).

Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander; es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. Januar 2007 – L 7 SO 5672/06 ER-B – juris Rdnr. 2). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rdnr. 4). Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Auch dann kann aber nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15. November 2013 – L 15 AS 365/13 B ER – juris Rdnr. 18; Hessisches LSG, Beschluss vom 5. Februar 2007 – L 9 AS 254/06 ER – juris Rdnr. 4).

b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Denn jedenfalls ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht worden. Hinsichtlich des Anordnungsgrundes muss der Antragsteller darlegen, welche Nachteile zu erwarten sind, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen wird (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 7; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. September 2015 – L 7 SB 48/14 B ER – juris Rdnr. 21).

aa) Ein Anordnungsgrund besteht nicht, wenn der Antragsteller jedenfalls gegenwärtig auf eigene Mittel oder zumutbare Hilfe Dritter zurückgreifen kann (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 8; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. September 2014 – L 5 KR 147/14 B ER – juris Rdnr. 17; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 28. März 2011 – L 5 KR 20/11 B ER – juris Rdnr. 10), etwa zur Vorfinanzierung (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 8; LSG Thüringen, Beschluss vom 26. November 2015 – L 6 KR 1266/15 B ER – juris Rdnr. 14 f.; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. September 2014 – L 5 KR 147/14 B ER – juris Rdnr. 17). Dies ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss vom 21. September 2016 – 1 BvR 1825/16 – juris Rdnr. 4; BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 – 1 BvR 1241/16 – juris Rdnr. 7). Zumutbare Hilfe Dritter kann auch in der Beschaffung eines Darlehens zum Zwecke der Vorfinanzierung bestehen (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 8).

Bei der Frage des Anordnungsgrundes können auch Mittel Berücksichtigung finden, die bei der materiellen Frage der Hilfebedürftigkeit außen vor bleiben müssen, weil es sich um Schonvermögen (§ 60a, § 90 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch [SGB XII]) oder nicht zu berücksichtigendes Einkommen (§§ 85 ff. SGB XII) handelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. März 2007 – 1 BvR 535/07 – n.v.) oder weil es sich (etwa gemäß § 92 Abs. 2 SGB XII) generell nicht um eine bedarfsabhängige Leistung handelt (Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 9).

bb) Nach diesen Maßstäben ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht.

Dass eine Eilbedürftigkeit nicht gegeben ist, ergibt sich aus dem Vorbringen der Antragstellerin selbst. Unter Berücksichtigung des Schriftsatzes der Antragstellerin vom 14. November 2017 sowie des nach Hinweisen des Berichterstatters auf fehlende Angaben vorgelegten Schriftsatzes der Antragstellerin vom 18. Dezember 2017 ergibt sich folgendes Bild:

Die Antragstellerin verfügt über ein Nettoeinkommen aus ihrer richterlichen Tätigkeit in Höhe von monatlich mindestens 7.531,89 Euro; dies ergibt sich aus der erstinstanzlich vorgelegten Besoldungsmitteilung 2/17 für die Zeit ab Februar 2017; aufgrund zwischenzeitlicher allgemeiner Besoldungserhöhungen zum 1. März 2017 (1,8 Prozent) dürfte der Betrag inzwischen noch höher sein; im Schriftsatz vom 14. November 2017 gibt die Antragstellerin ein Nettoeinkommen von 7.547,16 Euro an. Die bewilligten Leistungen (begleitende Hilfen im Arbeitsleben) des Kommunalverbandes für Jugend und Soziales Baden-Württemberg (KVJS) betragen monatlich derzeit 2.537,00 Euro, das Pflegegeld der Pflegeversicherung nach Darstellung der Antragstellerin 272,50 Euro. Damit stehen der Antragstellerin mindestens Einnahmen in Höhe von 10.341,39 Euro monatlich zur Verfügung. Hierbei ist Kindergeld in Höhe von 192,00 Euro, das der Antragstellerin nach dem Vortrag der Antragsgegnerin zufließt, noch nicht berücksichtigt.

Übereinstimmend gehen die Beteiligten von Kosten für die Assistenzkräfte in Höhe von monatlich 7.848,00 Euro aus, so dass sich insofern ein überschießender Betrag von 2.493,39 Euro ergibt. Hiervon ist das von der Antragstellerin zu zahlende Hausgeld in Höhe von 270,00 Euro abzuziehen, das sie zuletzt im Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 angegeben hat. Soweit sie im Schriftsatz vom 14. November 2017 noch von einem Hausgeldbetrag von 431,00 Euro ausgegangen ist, hat sie daran offenbar nicht festgehalten. Zu Gunsten der Antragstellerin können zudem noch die monatlichen Zinszahlungen für den Wohnungskredit in Höhe von 1.156,53 Euro berücksichtigt werden. Damit übersteigt das so berechnete vorhandene Einkommen den aktuellen Regelsatz für Alleinstehende von monatlich 416,00 Euro um noch 650,86 Euro. Ausgaben für Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge hat die Antragstellerin trotz Hinweises des Berichterstatters nicht geltend gemacht; nach Aktenlage werden diese Beiträge auch von ihrem getrennt lebenden Ehemann finanziert.

Die Tilgungszahlungen für den Wohnungskredit in Höhe von 528,00 Euro monatlich können hingegen – jedenfalls im Rahmen des Anordnungsgrundes – nicht berücksichtigt werden. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragstellerin es nicht jedenfalls vorübergehend zumutbar wäre, den Wohnungskredit nur noch hinsichtlich der Zinsen zu bedienen, aber dessen Tilgung – in Höhe von derzeit 528,00 Euro monatlich – auszusetzen. Solange die Zinsverpflichtungen weiter bedient werden, dürfte auch keine Zwangsvollstreckung in das Grundstück drohen; jedenfalls ist Gegenteiliges – trotz Hinweis des Berichterstatters – weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil lässt sich den in der Akte der Antragsgegnerin enthaltenen Darlehenskontoauszügen der Konten X ... (Darlehen über 290.000,00 Euro) und Y ... (Darlehen über 25.000,00 Euro) der Antragstellerin bei der ... Bausparkasse für das Jahr 2012 entnehmen, dass jedenfalls im Jahr 2012 für diese beiden Darlehen keine Tilgung erfolgt ist, sondern nur die Darlehenszinsen gezahlt wurden. Der Verweis auf die Verwendung eigener Mittel unter Verzicht auf die zeitweise Rückführung bereits bestehender Verbindlichkeiten ist auch nicht unzumutbar. Denn im Falle einer vorübergehenden Zahlungsverpflichtung der Antragsgegnerin durch einstweilige Anordnung wäre die Antragstellerin dem Risiko einer zusätzlichen Verschuldung ausgesetzt. Würde sich die einstweilige Anordnung im Hauptsacheverfahren nicht bestätigen, stünde der Antragsgegnerin ein Rückerstattungsanspruch gegen die Antragstellerin zu (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 – B 1 KR 1/16 R – juris Rdnr. 8). Die Antragstellerin könnte daher auch mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht argumentieren, Rechtssicherheit hinsichtlich des Kostenrisikos erlangen zu wollen. Denn dieses Kostenrisiko würde ihr durch eine Entscheidung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gerade nicht abgenommen (vgl. Beschluss des Senats vom 6. März 2017 – L 7 SO 420/17 ER-B – juris Rdnr. 15).

Auch die angegebenen Raten für das behindertengerechte Auto, die die Antragstellerin in Höhe von 446,70 Euro geltend macht, können nicht berücksichtigt werden, da die Antragstellerin – wiederum trotz Hinweises des Berichterstatters – nicht dargelegt hat, in welcher Höhe es sich hierbei um Zinszahlungen und in welcher Höhe um Tilgungsleistungen handelt. Selbst wenn man den Betrag zu Gunsten des Antragstellerin berücksichtigen würde, verbliebe aber immer noch ein den Bedarf überschießendes Einkommen in Höhe von 204,16 Euro. Dieser Restbetrag ist selbst dann nicht erschöpft, wenn man auf Bedarfsseite noch einen behinderungsbedingten Mehrbedarf von 35 Prozent vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe in Anlehnung an § 30 Abs. 4 SGB XII, also von derzeit 145,60 Euro, berücksichtigen würde.

Vor diesem Hintergrund ist eine "Notlage", von der die Antragstellerin spricht, nicht erkennbar. Ein Fehlbetrag von 2.000,00 Euro, den die Antragstellerin in ihrem letzten Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 behauptet, ergibt sich selbst dann nicht, wenn man nur die dort von ihr angegeben Beträge zugrunde legt: Es stehen dann einem Gesamtbedarf vom 10.249,23 Euro (Hausgeld 270,00 Euro, Zinszahlung für Wohnungskredit 1.156,53 Euro, Tilgung für Wohnungskredit 528,00 Euro, Rate für das Auto 446,70 Euro und Kosten für die Assistenten 7.848,00 Euro) Einnahmen von 10.356,66 Euro (Besoldung: 7.547,16 Euro [insoweit Schriftsatz vom 14. November 2017], Zahlungen des K ... 2537,00 Euro, Pflegegeld 272,50 Euro) gegenüber.

Abgesehen davon führt die Antragstellerin selbst aus, dass eine vorläufige Regelung einen nicht allzu langen Zeitraum betreffen müsse, weil sie nach Erhalt des Widerspruchsbescheides Klage erheben werde und alsbald mündlich verhandelt werden könne. Der Zeitraum, in dem die Antragstellerin etwa die Darlehenstilgung aussetzen müsste, ist also nach ihrer eigenen Darstellung begrenzt. Auch dies spricht gegen die Notwendigkeit einer einstweiligen Regelung durch den Senat. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass beim LSG Baden-Württemberg bereits – wenn auch für einen früheren Zeitraum (16. September 2014 bis 31. März 2015) und hinsichtlich des sachlichen Streitgegenstandes zwischen den Beteiligten umstritten – ein Berufungsverfahren (L 2 SO 2295/16) anhängig ist, das – auch aufgrund des insoweit notwendigen Antrages (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 251 Satz 1 ZPO) der Antragstellerin – seit dem 21. Februar 2017 ruht, von ihr aber jederzeit angerufen werden könnte.

Ob und in welchem Umfang das Einkommen der Antragstellerin aus ihrer Richterbesoldung bedarfsmindernd zu berücksichtigen ist oder ob – worauf die Antragstellerin abgestellt hat –, die Ausgaben für die persönlichen Assistenten jedenfalls teilweise als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgaben gemäß § 82 Abs. 2 Nr. 4 SGB XII vom Einkommen abzusetzen sind, ist im Hauptsacheverfahren zu klären. Hiervon geht ausdrücklich auch die Antragstellerin aus. Der Berücksichtigung der Einnahmen aus der Besoldung im Rahmen des Anordnungsgrundes steht dies nach den oben dargelegten Maßstäben jedoch nicht entgegen. Abgesehen davon dürften die Kosten für die Arbeitsassistenten kaum sowohl auf der Einkommensseite als einkommensmindernd als auch auf der Bedarfsseite und damit doppelt berücksichtigt werden.

Ebenso ist für den Anordnungsgrund nicht erheblich, in welcher Höhe das Einkommen der Antragstellerin nach Maßgabe unter anderem der §§ 85, 87 Abs. 1 SGB XII bei der Berechnung eines Anspruchs aus materiellrechtlicher Sicht zu berücksichtigen wäre; auch dies ist im Hauptsacheverfahren zu klären.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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