L 6 VG 4071/17 B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VG 4071/17 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts K. vom 12. September 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt in der Hauptsache mit einer am 6. Juli 2017 erhobenen Klage beim Sozialgericht K. (SG) sinngemäß die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. den einschlägigen Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Die 1971 geborene Klägerin macht geltend, sie sei kurz nach ihrer Geburt bis etwa zu ihrem 17. Lebensjahr in ihrem Elternhaus oder im Haus ihrer Großmutter mehrfach durch ihren Vater sexuell missbraucht worden. Eine Strafanzeige war nie erstattet worden. Der beschuldigte Vater ist 1997 gestorben. Die Klägerin trägt hierzu vor, sich erst seit etwa 2010 wieder an die traumatischen Ereignisse erinnern zu können.

Das beklagte Land hatte den ersten auf Beschädigtenversorgung gerichteten Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 2. September 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2014 abgelehnt. Tätliche Angriffe seien nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Im Widerspruchsverfahren hatte der Beklagte zunächst die Brüder der Klägerin schriftlich angehört, die aber zu den erhobenen Vorwürfen keine Angaben machen konnten. Daraufhin hatte der Beklagte das aussagepsychologische Sachverständigengutachten der Dipl.-Psych. B. vom 6. Juli 2014 erhoben. Dieses war unter anderem nach einer persönlichen Exploration der Klägerin zu dem Ergebnis gekommen, dass die Angaben der Klägerin nicht mit Wahrscheinlichkeit erlebnisbasiert seien. Sie beruhten zwar nicht auf einer Täuschung durch die Klägerin, die subjektiv von der Wahrheit ihrer Angaben überzeugt sei. Ihre Grundlage sei jedoch wahrscheinlich eine Suggestion bzw. Autosuggestion. Die Angaben der Klägerin ließen sich vollständig und mühelos mit den aussagepsychologischen Annahmen erklären, die der insoweit relevanten Suggestionshypothese zu Grunde lägen. Die dagegen vor dem Sozialgericht K. (SG) unter dem Aktenzeichen AZ. erhobene Klage hatte die Klägerin zurückgenommen, nachdem ihr dortiges Prozesskostenhilfegesuch auch in der Beschwerde vor dem erkennenden Senat (Az.) erfolglos geblieben war.

Am 19. Januar 2017 begehrte die Klägerin eine erneute Bescheidung ihres Antrages auf Beschädigtenversorgung, den das beklagte Land mit Bescheid vom 31. Januar 2017 ablehnte, da keine neuen Gesichtspunkte oder rechtserheblichen Tatsachen vorgebracht worden seien, die nicht schon bei Erteilung des ablehnenden Bescheides vom 2. September 2013 bekannt gewesen seien, weshalb an dessen Bindungswirkung festzuhalten sei. Im Widerspruchsverfahren legte die Klägerin neben einem undatierten Attest der Frauenärztin Dr. F. B. über die regelmäßige gynäkologische Behandlung durch den Praxisvorgänger Dr. S. von 1993 bis 2011 Bescheinigungen ihrer behandelnden Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. J. S. vom 31. Januar und 9. Februar 2017 sowie ihrer psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psych. R. S. vom 26. Februar 2017 vor, wonach die Klägerin infolge massiv traumatischer biografischer Erlebnisse an einer komplexen chronifizierten psychischen Beeinträchtigung leide. Unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabes gemäß § 6 Abs. 3 OEG i.V.m. § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) sei ein ausreichender Nachweis geführt worden, dass der behauptete Missbrauch stattgefunden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Diagnosen der behandelnden Ärzte und der Psychotherapeuten ließen keinen gesicherten Rückschluss auf einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit zu. Auch der abgesenkte Beweismaßstab des § 15 KOVVfG komme nicht zur Anwendung, da nach dem aussagepsychologischen Gutachten von Dipl.-Psych. B. vom 6. Juli 2014 die Angaben der Klägerin nicht erlebnisbegründet seien. Hiergegen hat die Klägerin am 6. Juli 2017 Klage beim SG erhoben und am 12. September 2017 beantragt, ihr unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren.

Mit dem hier angegriffenen Beschluss vom 12. September 2017 hat das SG den Antrag auf Bewilligung von PKH und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten abgelehnt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung biete keine hinreichenden Erfolgsaussichten. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Opferentschädigung unter Rücknahme des Bescheides vom 2. September 2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 5. November 2014. Es sei weder nachgewiesen noch habe die Klägerin glaubhaft gemacht, dass sie von Geburt an bis zum 17. oder 18. Lebensjahr sexuell missbraucht worden sei. Das Gericht schließe sich den Ausführungen in den Beschlüssen AZ. und Az. an, worin unter wesentlicher Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten von Dipl.-Psych. B. dargestellt werde, dass auf tatsächlicher Ebene keine Aussicht bestünde, den Vortrag der Klägerin, sie sei von Geburt an bis zum 17. oder 18. Lebensjahr sexuell missbraucht worden, ausreichend wahrscheinlich zu machen. Aus den im Überprüfungsverfahren eingereichten Bescheinigungen ergebe sich nicht, dass der geltend gemachte sexuelle Missbrauch nunmehr zumindest glaubhaft sei. Zum einen fehle den behandelnden Ärzten und Therapeuten die eigene Wahrnehmungsmöglichkeit bezüglich der geltend gemachten Missbräuche und zum anderen könne der nachzuweisende Missbrauch nicht durch die Stellung von Diagnosen durch behandelnde Ärzte und Therapeuten ersetzt werden. Allein die bloße Möglichkeit, dass frühkindlicher Missbrauch zu derartigen Krankheitsbildern führe, reiche nicht aus, den Beweis als geführt anzusehen, der angeschuldigte Angriff habe so tatsächlich stattgefunden. Aus diesem Grund bestehe auch kein Anlass zu weiteren medizinischen Ermittlungen.

Gegen diesen – dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 18. September 2017 zugestellten – Beschluss hat die Klägerin am 18. Oktober 2017 beim SG Beschwerde eingelegt und zur Begründung auf ihren Schriftsatz vom 9. Oktober 2017 verwiesen, aus dem sich neuer Vortrag ergebe, der zu einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Klage führe. Mit diesem Schriftsatz hat sie eine Stellungnahme ihrer seit dem 21. März 2017 behandelnden psychologischen Psychotherapeuten Dipl.-Psych. V. vom 27. September 2017 vorgelegt, worin diese ausführt, dass bei der Klägerin die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung besser passe. Das Phänomen, dass traumatisch-bedrohliche Erinnerungen lange Zeit dem Bewusstsein verborgen bleiben könnten, sei in der traumatherapeutischen Arbeit nicht ungewöhnlich und komme im Zusammenhang mit frühen Traumatisierungen, wie sexuellem Missbrauch, gehäuft vor. In der Psychotherapie gehe es allerdings anders als vor Gericht nicht darum, konkrete Beweise zu erbringen, dass man Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sei, sondern um Stabilisierung der meist sehr verzweifelten Frauen und die Aufarbeitung des Traumas. Das Gutachten von Dipl.-Psych. B. erscheine ihr – Dipl.-Psych. V. – angesichts dessen, dass die bisherigen Therapeutinnen der Klägerin, einschließlich ihr selbst, die über längere Zeit mit ihr gearbeitet hätten und sie glaubwürdig erlebten, ziemlich einseitig. Die Darstellung der Glaubwürdigkeit in diesem Gutachten werde ihrer Ansicht nach der Situation und dem Erleben der Klägerin nicht gerecht. Ihrer Stellungnahme fügte sie zwei Buchauszüge bei (Vorwort von Onno van der Hart zur Auswirkung der Erinnerung an ein frühes Trauma und ein Kapitel über frühkindliche Erinnerungen aus dem autobiografischen Buch "Tagkind-Nachtkind" von Marilyn van der Bur).

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts K. vom 12. September 2017 aufzuheben und ihr Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten für das Klageverfahren zu gewähren.

Die Beklagte hat mitgeteilt, dass eine Stellungnahme nicht beabsichtigt sei.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG). Insbesondere war sie nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 Buchstaben a oder b SGG ausgeschlossen. Das SG hat in dem hier angegriffenen Beschluss nicht – nur oder auch – die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen einer PKH-Bewilligung verneint, sondern allein die hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage. Ein abweisendes Urteil des SG wäre für die Klägerin auch ohne gesonderte Zulassung berufungsfähig, da sie mit ihrer Klage laufende Sozialleistungen für voraussichtlich mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin fristgerecht bei dem dafür zuständigen SG eingelegt (§ 173 Satz 1 SGG).

Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Bewilligung von PKH und daraus folgend die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin abgelehnt. Der Klage fehlen die nach § 73a Abs. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten.

Zu dieser Einschätzung kommt der Senat ebenso wie das SG anhand einer in einem PKH-Verfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Prüfung. Er verkennt dabei nicht den verfassungsrechtlichen Maßstab aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG), wonach PKH bewilligt werden muss, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde, oder wenn schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen aufgeworfen und in einem Hauptsacheverfahren zu klären sind (vgl. im Einzelnen Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, juris).

Schwierige und höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfragen stellen sich im Verfahren der Klägerin nicht.

Ebenso wie das SG geht der Senat davon aus, dass auf tatsächlicher Ebene für die Klägerin nach wie vor keine Aussichten bestehen, den Anforderungen auch des § 15 Satz 1 KOVVfG zu genügen und ihren Vortrag, sie sei von Geburt an bis zum 17. oder 18. Lebensjahr sexuell missbraucht worden, ausreichend glaubhaft zu machen, so dass kein Anlass für eine Rücknahme des Bescheides vom 2. September 2013 nach § 44 SGB X besteht.

Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 13. April 2016 (L 6 VG 1258/16 B) ausgeführt hat, ist das von der Beklagten eingeholte Gutachten von Dipl.-Psych. B. überzeugend und beruht nicht auf inhaltlichen Mängeln. Es beachtet die Vorgaben für Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialgerichtlichen Verfahren, in denen der abgesenkte Wahrscheinlichkeitsmaßstab des § 15 Satz 1 KOVVfG gilt (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R , juris, Rz. 58) und kann im Rahmen des Urkundsbeweises gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) gerichtlich verwertet werden.

Dabei ist zu beachten, dass die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung gehört und daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut ist. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 1 StR 618/98 -, BGHSt 45, 182 und dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 L 6 VG 584/11 -, juris, Rz. 41; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 B 9 V 4/12 B -, juris, Rz. 23). Dies kann der Fall sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 - und vom 22. Juni 2000 - 5 StR 209/00 -, jeweils zit. nach juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Klägerin als Aussageperson Besonderheiten auf noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im OEG eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015 - L 6 VG 2096/13 -, juris, Rz. 49).

Vor diesem Hintergrund geht der Senat weiterhin nicht von einer Täuschung durch die Klägerin aus, sondern davon, dass sie von der Wahrheit ihrer Angaben überzeugt ist. An ihrer Glaubwürdigkeit zweifelt der Senat mithin nicht. Wie bereits vom Senat im Beschluss vom 13. April 2016 (Az.) dargelegt, reichen die aktenkundigen Angaben jedoch inhaltlich nicht für eine Glaubhaftmachung der vorgeworfenen sexuellen Missbräuche aus, sondern sind in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dipl.-Psych. B. als Ergebnis einer Suggestion oder Autosuggestion anzusehen. Weder die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigungen noch die Stellungnahme von Dipl.-Psych. V. vom 27. September 2017 sind geeignet, diese Einschätzung zu erschüttern.

Dabei ist insbesondere unbeachtlich, welche diagnostische Einordnung getroffen wird und dass Dipl.-Psych. V. insoweit die Diagnose einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung für passender hält. Denn der grundsätzlich nachzuweisende sexuelle Missbrauch in der Kindheit als Voraussetzung eines Anspruchs nach dem OEG kann nicht durch Stellen psychiatrischer Diagnosen ersetzt werden (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. August 2015 - L 4 VG 5/13 -, juris, Rz. 22), auch nicht auf der Ebene bloßer Glaubhaftmachung. Allein die gute Möglichkeit, dass frühkindlicher Missbrauch zu derartigen Krankheitsbildern führt, reicht nicht aus, den Beweis als geführt anzusehen, der angeschuldigte Angriff habe so tatsächlich stattgefunden (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 29. Januar 2015 - L 10 VE 28/11 -, juris, Rz. 33; Rademacker, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl. 2012, § 1 OEG Rz. 48). Denn den aktuellen Behandlern fehlt die notwendige Wahrnehmungsmöglichkeit, sie können vielmehr nur Angaben über die Symptome machen, die sie ihren Diagnosen zu Grunde gelegt haben. Angaben zu weiteren Umständen, etwa den Ursachen der gefundenen Symptome, können sie nur vom Hörensagen machen, soweit nämlich der Patient selbst oder ein Dritter sie ihnen im Rahmen einer Anamnese mitgeteilt hat. Dies ist aber nicht ausreichend, insbesondere nicht, wenn diese Umstände im Rahmen einer Traumatherapie mitgeteilt werden. Ferner sind allein aus einer Diagnose keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Biografie möglich und schon gar nicht auf eine spezifische Person als möglichen Täter (Urteil des Senats vom 22. September 2016 L 6 VG 1927/15, juris, Rz. 92; so auch LSG NiederS.en-Bremen, Urteil vom 16. September 2011 - L 10 VG 26/07 -, juris, Rz. 31).

Soweit Dipl.-Psych. V. ausführt, dass sie selbst und auch die anderen Therapeutinnen der Klägerin diese als glaubwürdig erlebten und das Gutachten von Dipl.-Psych. B. daher einseitig erscheine und der Klägerin nicht gerecht werde, wird zudem verkannt, dass die Glaubwürdigkeit der Klägerin eine andere rechtliche Kategorie darstellt als die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen. Nur Letztere ist aufgrund der Genese der Erinnerungen mittels traumatherapeutischer Arbeit nicht ausreichend, da es bei solchen "Traumatherapien" nach der Stellungnahme von Dipl.-Psych. V. selbst gerade anders als vor Gericht nicht darum geht, konkrete Beweise zu erbringen, dass man Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sei, sondern um Stabilisierung der meist sehr verzweifelten Frauen und die Aufarbeitung des Traumas. Dessen konkrete Ursache bzw. Realitätsbezug aufzuklären, ist somit auch gar nicht Ziel der Therapie.

Wie der Senat bereits im Beschluss vom 13. April 2016 (Az.) ausgeführt hat, ist aber gerade der Realitätsbezug nicht hinreichend glaubhaft. Denn die Klägerin hatte nach ihren eigenen Angaben bis etwa 2010 keine Erinnerungen an Angriffe durch ihren Vater, sondern diese haben sich erst später entwickelt, z.T. durch äußere Ereignisse (ein Familienstreit auf der Straße), z.T. während einer später durchgeführten Therapie, die auch suggestionsfördernde Elemente wie Hypnose umfasste. Die Erinnerungen der Klägerin, insbesondere an etwaige Kerngeschehen, waren anfangs vollständig diffus. Dies entnimmt der Senat den umfangreichen Schilderungen der Klägerin in dem "Anhang" zu ihrem Antrag auf Versorgungsleistungen vom 10. Dezember 2012. In diesem Rahmen hatte die Klägerin zunächst überlegt, ob ihre Brüder sexuelle Missbräuche begangen hätten. Erst später, nachdem sie diese Hypothese verworfen hatte, begann sie sich an ihren Vater als mutmaßlichen Täter zu erinnern. Noch bei der Begutachtung bei Dipl.-Psych. B. im Jahre 2014 konnte sich die Klägerin zwar an Örtlichkeiten (Haus der Großmutter, Sofa) und äußere Umstände (bestimmte Fernsehserie, Art der getragenen Kleidung) erinnern, aber keine einzelnen Vorfälle konkret beschreiben. Zunächst hatte sie alle Übergriffe nur gemutmaßt, später dann einige Fälle des erzwungenen Oralverkehrs als Erinnerung eingestuft, Vaginalverkehre jedoch weiterhin nur vermutet. Diese Schilderungen hat Dipl.-Psych. B. aufgezeichnet, z.T. auch aus den Tagebüchern der Klägerin entnommen, die diese bei der Begutachtung vorgelegt hatte. Diese Genese der Erinnerungen und das lange Fehlen konkreter Angaben zum Kerngeschehen, obwohl die Übergriffe bis ins Erwachsenenalter angedauert haben sollen, sprechen gegen eine Erlebnisbasierung (vgl. Urteil des Senats vom 21. April 2015 - Az. -, juris, Rz. 44). Da bei der Klägerin keine gedächtnisphysiologischen Einschränkungen vorliegen, ist auch das von ihr vorgetragene Nichterinnern im Sinne einer partiellen Amnesie bis fast zu ihrem 40. Lebensjahr als Erklärung für die Genese ihrer jetzigen Erinnerungen nicht überzeugend.

Im Anschluss an den Beschluss des Senats vom 13. April 2016 (Az.) sind die Angaben der Klägerin weiterhin generell nicht glaubhaft, soweit sie sich auf Vorfälle schon als Säugling beziehen. Für die ersten Lebensjahre fehlt es an einem Erinnerungsvermögen, da in diesem Lebensalter das autobiografische Gedächtnis nicht ausgeprägt ist und es daher der so genannten "infantilen Amnesie" anheimfällt, was nach wie vor den Stand der medizinischen Wissenschaft darstellt (Urteile des Senats vom 7. Dezember 2017 - Az. -, juris, Rz. 80 und vom 21. April 2015 - L 6 VG 2096/13 -, juris, Rz. 43). Die mit der Stellungnahme von Dipl.-Psych. V. vorgelegten Buchauszüge belegen nichts anderes, zumal es sich dabei nicht um studienbasierte fachwissenschaftliche Erkenntnisse anerkannter Vertreter auf den Gebieten der Neurologie, Psychiatrie oder Psychologie handelt.

Andere Beweismittel, mit deren Hilfe die Klägerin ihre Vorwürfe im Sinne von § 15 Satz 1 KOVVfG glaubhaft machen könnte, liegen weiterhin nicht vor. Insofern ist auch keine Beweisaufnahme notwendig. Die behandelnden Therapeuten sind als Zeugen für die hier relevante Haupttatsache ungeeignet, weil sie keine eigenen Wahrnehmungen hinsichtlich der Missbräuche selbst gemacht haben können. Dass die Behandler die Angaben der Klägerin für glaubhaft halten, ist ebenfalls kein Grund für ihre Vernehmung. Nochmals weist der Senat darauf hin, dass deren subjektive Einschätzung zu diesem Punkt eine unerhebliche Tatsache ist, weil das Gericht – wie ausgeführt – selbst über die Glaubhaftigkeit von Angaben zu entscheiden hat.

Vor diesem Hintergrund kann offen bleiben, ob die die weiteren Voraussetzungen einer PKH-Bewilligung aus § 114 Abs. 1 ZPO vorliegen, insbesondere, ob die Klägerin im Sinne von § 115 ZPO bedürftig ist.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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