L 9 R 2523/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 R 1507/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2523/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Mai 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1956 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie war zuletzt als Maschinenbedienerin bei der Fa. C. GmbH & Co.KG in W. beschäftigt.

Ein erster Rentenantrag der Klägerin vom 31.01.2013 wurde nach Einholung des Gutachtens der Internistin Dr. H. vom 15.03.2013 mit Bescheid vom 22.03.2013 abgelehnt.

Vom 04.02.2014 bis 04.03.2014 gewährte die Beklagte der Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der K.-Klinik, Fachklinik für Psychosomatik und Psychotherapie, in St. B ... Die Klägerin wurde mit den Diagnosen agitierte depressive Episode, mittelgradig, degeneratives BWS- und LWS-Syndrom, Adipositas, Hypertonie und Restbeschwerden an der rechten Hand nach Karpaltunnelsyndrom-Operation arbeitsunfähig entlassen. Die Entlassung erfolgte aus psychischen Gründen weiterhin arbeitsunfähig bis zur Aufnahme einer einzuleitenden weiterführenden Psychotherapie. Bezüglich der letzten beruflichen Tätigkeit als Maschinenbedienerin bestehe dann voraussichtlich weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne Nachtarbeit zumutbar. Qualitative Einschränkungen bestünden dabei aufgrund der Diagnosen aus psychischen Gründen hinsichtlich Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen und aus körperlichen Gründen hinsichtlich Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Belastbarkeit und Motilität von BWS und/oder LWS und/oder rechter Hand und ohne wechselnde Arbeitshaltungen.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 12.03.2014 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 04.04.2014 ab. Die Klägerin sei noch in der Lage, über sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig zu sein. Zwar sei sie vor dem 02.01.1961 geboren, so dass eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit in Betracht zu ziehen sei; sie sei jedoch aufgrund ihres Lebenslaufs auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar.

Hiergegen erhob die Klägerin am 17.04.2014 Widerspruch. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens veranlasste die Beklagte Begutachtungen der Klägerin durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie B. und den Facharzt für Chirurgie Dr. L. Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 26.09.2014 ausgeführt, bei der Begutachtung habe sich eine mittelschwere depressive Symptombildung gezeigt. Die Klägerin sei eher agitiert als gehemmt gewesen. Behandelt sei das depressive Syndrom definitiv nicht psychopharmakologisch, auch nicht konsequent psychiatrisch. Klinisch-neurologisch sei eine leichtgradige, für sich nicht leistungsrelevante Polyneuropathie bei cranio-caudaler Reflexabschwächung und Palhypästhesie bimalleolär festzustellen gewesen. Funktionelle Einschränkungen von dem seit Jahren operierten Karpaltunnelsyndrom rechtsseitig bestünden nicht. Unter nervenärztlich-sozialmedizinischen Gesichtspunkten sei von keiner quantitativen Leistungsminderung auszugehen. Dr. L. hat in seinem Gutachten vom 08.12.2014 über degenerative Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule, die nicht wesentlich über das altersentsprechende Maß hinausgingen, berichtet. Aktuell bestünden auch keine Folgeerscheinungen aus den vorausgegangenen Beinvenenthrombosen mit anschließender Lungenembolie. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit sei nicht mehr leidensgerecht; leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten, auch als angelernte Arbeiterin, jedoch ohne Akkord und Wirbelsäulenzwangshaltungen könne die Klägerin noch verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.2015 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Einschränkungen führten nicht dazu, dass sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine sechs Stunden mehr erwerbstätig sein könne. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenbedienerin sei zwar nicht mehr leidensgerecht, die Klägerin gehöre jedoch zum Kreis der ungelernten Arbeiterinnen und könne deshalb auf alle gesundheitlich zumutbaren ungelernten Tätigkeiten verwiesen werden. Daher bestehe weder ein Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, noch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Hiergegen hat die Klägerin am 09.03.2015 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht ausreichend gewürdigt. Im Vordergrund stünden die erheblichen orthopädischen Beeinträchtigungen sowie die psychischen Beschwerden. Die Klägerin leide an einer mittelgradigen Depression.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat das SG die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen gehört und die Fachärztin für Orthopädie Dr. B. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. hat am 24.07.2015 ausgesagt, die Klägerin klage über Tinnitus rechts, chronische Kopfschmerzen beidseits, bedrückte Verstimmung und Antriebsminderung und Schulter-Arm-Schmerzen beidseits mit Verkrampfung der Hände. Sie sei noch in der Lage, täglich sechs Stunden als Maschinenbedienerin tätig zu sein, jedoch ohne Akkord sowie ohne Heben und Tragen von Lasten über 5 kg. Das maßgebliche Leiden liege auf orthopädischem Fachgebiet. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. O. hat am 25.08.2015 angegeben, die Klägerin seit 1995 in relativ regelmäßigen Abständen zu behandeln. Eine Einstufung des Leistungsvermögens sei ihm nur nach einer gutachterlichen Nachuntersuchung möglich.

In ihrem Gutachten vom 25.11.2016 hat Dr. B. angegeben, die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin sei unter Berücksichtigung der auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Befunde für eine mittelschwere und schwere körperliche Tätigkeit einzuschränken. Eine leichte körperliche Tätigkeit im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, ohne Überkopfarbeiten, ohne Arbeiten über Schulterhöhe, ohne wirbelsäulenverdrehende Haltungen und ohne Gehen auf unebenem Gelände sie aufgrund der orthopädischen Befunde weiterhin mindestens sechs Stunden täglich möglich. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Maschinenbedienerin sei hingegen nicht mehr leidensgerecht.

Nach vorheriger Anhörung hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 29.05.2017 abgewiesen. Die – näher dargelegten – Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung lägen nicht vor. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten. Hinsichtlich der orthopädischen Beeinträchtigungen sei die Beurteilung von Dr. B. schlüssig und nachvollziehbar. Die von der Sachverständigen erhobenen Diagnosen und die von ihr festgestellten Bewegungseinschränkungen und Funktionsbeeinträchtigungen geben keinen Anlass, an deren Leistungsbeurteilung zu zweifeln. Auch die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Erkrankungen führten nicht zu einer Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden. Diese Einschätzung ergebe sich neben der Aussage des Dr. F. auch aus dem von der Klägerin in der Begutachtungssituation gegenüber Dr. B. geschilderten Tagesablauf. Bei der durch die Klägerin zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Maschinenbedienerin handle es sich um eine ungelernte oder allenfalls einfach angelernte Tätigkeit, so dass eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ebenfalls nicht zu gewähren sei.

Gegen den ihr am 31.05.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 29.06.2017 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, aus ihrer Sicht hätten die auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Beeinträchtigungen ein über die Feststellungen im Gutachten von Dr. B. hinausgehendes Ausmaß erreicht. Mangelhaft sei aber die insbesondere die Sachverhaltsaufklärung auf psychiatrischem Fachgebiet. Die Klägerin leide ausweislich des beigefügten Attests der Nervenärztin M. vom 20.06.2017 unter einer rezidivierenden depressiven Reaktion bei negativistischer Neurosendisposition auf dem Boden einer selbstunsicheren Persönlichkeit, mittelschwere Episode, und einer Involutionsdepression. Die psychiatrische Erkrankung müsse aus fachärztlicher Sicht gewürdigt werden. Dies gelte umso mehr, als bereits 2014 in der K.-Klinik nach einer stationären Therapie die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin festgestellt worden sei. Die Bewertung der Dr. M. sei nicht nachvollziehbar. Nach dem Gutachten solle es sich bei der depressiven Störung um eine leichte Verlaufsform handeln und der Antrieb sei ausreichend. Dem stehe entgegen, dass sie vom Hausarzt für arbeitsunfähig gehalten und daher krankgeschrieben werde. Der Unterstellung, es sei ein Tendenzverhalten im Sinne einer Simulation demonstriert worden, werde widersprochen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Mai 2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. Februar 2015 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid. Aus der bei der Klägerin in der K.-Klinik festgestellten Arbeitsunfähigkeit könne nicht auf eine Erwerbsminderung im Sinne der Rentenversicherung geschlossen werden.

Der Senat hat die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. M. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 19.09.2017 hat sie in ihrem Gutachten vom 02.10.2017 ausgeführt, die Klägerin leide auf ihrem Fachgebiet unter einer depressiven Störung, bei der es sich um eine leichte Verlaufsform handle, und einem Karpaltunnelsyndrom beidseits. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Den Ausführungen der behandelnden Psychiaterin und Psychotherapeutin M. werde nicht zugestimmt, da kein Behandlungsverlauf und keine Behandlungsfrequenz dokumentiert sei, eine Eskalation der Behandlungsmaßnahmen trotz angegebener ausgeprägter Störung nicht festzustellen sei und das laufende Rentenverfahren in der Aussage nicht berücksichtigt worden sei.

Die Beteiligten haben sich im Rahmen eines Termins zur Erörterung des Sachverhalts am 19.12.2017 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden konnte, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG vom 29.05.2017 sowie der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 04.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10.02.2015 sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung hat.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze, wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert, dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Eine volle Erwerbsminderung liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens drei bis unter sechs Stunden erwerbstätig sein kann, der Teilzeitarbeitsmarkt aber verschlossen ist (Gürtner in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Juli 2017, § 43 SGB VI, Rdnr. 58 und 30 ff.).

An diesem gesetzlichen Maßstab orientiert, ist die Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert. Sie hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.

Eine Erwerbsminderung der Klägerin, das heißt ein Absinken ihrer beruflichen oder körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich, lässt sich zur Überzeugung des Senats nicht belegen. Dies ergibt sich aus der Gesamtwürdigung der ärztlichen Unterlagen, insbesondere der Gutachten von Dr. B. und Dr. M. sowie der im Wege des Urkundenbeweises verwertbaren Gutachten von Dr. L. und des Nervenarztes B.

Die Klägerin leidet auf orthopädischem Fachgebiet unter Schmerzen im Bereich der rechten und der linken Schulter mit freier Beweglichkeit bei Verdacht auf degenerative Veränderungen der Rotatorenmanschette, Hüftschmerzen rechts mit freier Beweglichkeit bei degenerativen Veränderungen im Bereich beider Pfannendächer im Sinne einer beginnenden Coxarthrose rechts, Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Rotationseinschränkung nach links bei degenerativen Veränderungen ohne Nervenwurzelreizung, Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule bei degenerativen Veränderungen mit geringer Funktionseinschränkung ohne Nervenwurzelreizung, Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule ohne Funktionseinschränkung und ohne Nervenwurzelreizung bei degenerativen Veränderungen im Segment L5/S1 und geringfügig in den darüber liegenden Segmenten sowie Kniegelenksbeschwerden im Sinne von Knirschen beim Bewegen ohne Schmerzen bei freier Funktion und ohne Reizerscheinung bei radiologisch unauffälligem Befund sowie auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet unter einer depressiven Störung mit leichter Verlaufsform und einem Karpaltunnelsyndrom beidseits.

Weder die Erkrankungen auf orthopädischem, noch die Erkrankungen auf psychiatrischem Fachgebiet führen dazu, dass das Leistungsvermögen der Klägerin auf unter sechs Stunden arbeitstäglich eingeschränkt wäre.

Hinsichtlich der orthopädischen Erkrankungen entnimmt dies der Senat im Wesentlichen dem Gutachten von Dr. B., die sich ausführlich mit den durch die Klägerin geklagten Beschwerden und der Krankheitsvorgeschichte auseinandergesetzt und gründlich Befunde erhoben hat. Sie ist in Übereinstimmung mit Dr. L., dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwerten kann, zu der Auffassung gelangt, dass der Klägerin jedenfalls leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugemutet werden können. Zu einer anderen Beurteilung führt auch die Aussage des behandelnden Orthopäden Dr. O. nicht; er hat keine Aussage über die Leistungsfähigkeit der Klägerin getroffen, und aus den von ihm vorgelegten Befundberichten lassen sich keine Befunde entnehmen, die in dem Gutachten von Dr. B. nicht berücksichtigt worden wären.

Auch die psychiatrische Erkrankung, die nach dem klägerischen Vortrag zwischenzeitlich im Vordergrund steht, führt nicht zu einer Einschränkung des Leistungsvermögens auf unter sechs Stunden arbeitstäglich. Nach dem Gutachten der Dr. M. leidet die Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet unter einer depressiven Störung mit einer leichten Verlaufsform. Dr. M. leitet diese Diagnose für den Senat überzeugend aus den von ihr erhobenen Befunden ab. Der psychopathologische Untersuchungsbefund war im Wesentlichen unauffällig, die Stimmung wird als allenfalls leicht gedrückt beschrieben. Eine durchgängige schwere depressive Stimmungslage war nicht feststellbar. Diese Einschätzung ist auch anhand des geschilderten Tagesablaufs und der Freizeitgestaltung nachvollziehbar. Die Klägerin pflegt Hobbys, fährt Auto und geht mit dem Hund spazieren. Der körperlich-neurologische Untersuchungsbefund war bei Dr. M. unauffällig; zwar fanden sich "eventuell" Hinweise auf eine beginnende Polyneuropathie, der klinische Befund war aber regelrecht, eine Gangstörung nicht festzustellen. Elektroneurographisch war ein Karpaltunnelsyndrom zu objektivieren. Anhand der von Dr. M. mitgeteilten Befunde ist auch deren Leistungseinschätzung für den Senat nachvollziehbar und überzeugend. Die Leistungseinschätzung steht darüber hinaus auch in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. B. und der sachverständigen Zeugenaussage des Dr. F. Soweit die derzeit behandelnde Psychiaterin und Psychotherapeutin M. in ihrem Attest vom 20.06.2017 über eine rezidivierende depressive Reaktion bei negativistischer Neurosendisposition auf dem Boden einer selbstunsicheren Persönlichkeit, mittelschwere Episode berichtet, konnte dies durch die Gutachterin bei der Untersuchung am 19.09.2017 nicht bestätigt werden. Dr. M. weist überzeugend darauf hin, dass durch die behandelnde Ärztin weder ein Behandlungsverlauf noch eine Behandlungsfrequenz dokumentiert wurde, aus der sich eine Eskalation der Behandlungsmaßnahmen trotz der angenommenen ausgeprägten Störung ergibt, und in dem Attest das laufende Rentenverfahren nicht berücksichtigt wird. Dr. M. schildert – auch vor dem Hintergrund des laufenden Rentenverfahrens – vielmehr ein Tendenzverhalten. Insgesamt ist die Einschätzung der Gutachterin überzeugend, so dass auch aus den psychiatrischen Erkrankungen keine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens abgeleitet werden kann.

Weitere Erkrankungen, die sich auch auf das zeitliche Leistungsvermögen auswirken würden, sind nicht festzustellen. Insbesondere waren bereits bei der Untersuchung durch Dr. L. im Dezember 2014 keine Folgeerscheinungen aus den vorausgegangenen Beinvenenthrombosen mit anschließender Lungenembolie mehr festzustellen.

Aufgrund der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen sind die durch Dr. B. und Dr. M. genannten qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens zu berücksichtigen. Nicht mehr leidensgerecht sind aufgrund der orthopädischen Erkrankungen mittelschwere und schwere körperliche Tätigkeiten; zu vermeiden sind außerdem Überkopfarbeiten, Arbeiten über Schulterhöhe, wirbelsäulenverdrehende Haltungen und Arbeiten mit dem Erfordernis des Gehens auf unebenem Gelände. Wegen der psychiatrischen Erkrankungen sind Tätigkeiten mit Nachtarbeit, im Akkord, mit übernormalem Stress und Druck nicht leidensgerecht. Kognitive Einschränkungen und Einschränkungen des Konzentrationsvermögens, wie sie die Klägerin schildert, konnten durch Dr. M. nicht bestätigt werden.

Die vorliegenden Einschränkungen können damit zwar das Spektrum der für die Klägerin in Betracht kommenden Tätigkeiten einschränken, sie begründen aber keine Zweifel an der normalen betrieblichen Einsatzfähigkeit für leichtere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes. Ein Rentenanspruch kann vorliegend somit auch nicht auf die Grundsätze einer schweren spezifischen Leistungsbeeinträchtigung oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.1983, 5a RKn 28/82, Juris). Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist bei Versicherten mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. Eine Verweisungstätigkeit braucht erst dann benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Hinsichtlich der vorhandenen qualitativen Beschränkungen hängt das Bestehen einer Benennungspflicht im Übrigen daher entscheidend von deren Anzahl, Art und Umfang ab, wobei zweckmäßigerweise in zwei Schritten - einerseits unter Beachtung der beim Restleistungsvermögen noch vorhandenen Tätigkeitsfelder, andererseits unter Prüfung der "Qualität" der Einschränkungen (Anzahl, Art und Umfang) - zu klären ist, ob hieraus eine deutliche Verengung des Arbeitsmarktes resultiert (vgl. BSG, Urteile vom 20.08.1997, 13 RJ 39/96, vom 11.05.1999, B 13 RJ 71/97; vom 24.02.1999, B 5 RJ 30/98 und vom 09.09.1998, B 13 RJ 35/97 R, Juris). Eine spezifische Leistungseinschränkung liegt nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.04.1982, 1 RJ 132/80, Juris) jedenfalls dann nicht vor, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen von Gegenständen, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es nicht, wenn Tätigkeiten wie das Verpacken leichter Gegenstände, einfache Prüfarbeiten oder die leichte Bedienung von Maschinen noch uneingeschränkt möglich sind. Ausgehend hiervon liegt bei der Klägerin unter Berücksichtigung der bereits beschriebenen qualitativen Einschränkungen weder eine besondere spezifische Leistungsbeeinträchtigung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, nachdem der Klägerin noch weite Teile des Arbeitsmarktes für leichte Tätigkeiten offen stehen. Unter Berücksichtigung der genannten qualitativen Einschränkungen sind der Klägerin körperlich leichte Tätigkeiten in Produktion, Logistik und Dienstleistung, etwa das Verpacken leichter Industrie- oder Handelserzeugnisse, Montier- oder Sortierarbeiten oder vergleichbare Hilfsarbeiten zumutbar.

Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht in der Lage wäre, einen Arbeitsplatz aufzusuchen, bestehen nicht; bei der Klägerin liegen keine Erkrankungen vor, die sich auf die Gehfähigkeit derart auswirken, dass es ihr nicht mehr möglich wäre, viermal täglich eine Strecke von 500 Metern in einem zumutbaren Zeitaufwand zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die Wegefähigkeit der Klägerin ist nach der Einlassung aller gehörten Gutachter nicht in rentenrelevantem Ausmaß beeinträchtigt, so dass auch aus diesem Grund keine volle Erwerbsminderung resultiert.

Nachdem im Berufungsverfahren allein die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung beantragt wurde, war ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit nach § 241 SGB VI nicht mehr zu prüfen. Die Ausführungen des SG, auf die der Senat Bezug nimmt, sind auch im Hinblick auf den Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit allerdings nicht zu beanstanden.

Die Berufung war zurückzuweisen.

Die Kostenfolge beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass die Klägerin auch im Berufungsverfahren unterlegen ist.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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