L 5 KR 1766/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 2761/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 1766/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.03.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme.

Die 1953 geborene Klägerin, bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert, bezieht seit Oktober 2015 Altersrente. Sie pflegt ihre 1982 geborene, körperlich und geistig schwerbehinderte Tochter. Diese wird in der Regel von täglich 08.00 Uhr bis 15.30 Uhr in einer Einrichtung der Lebenshilfe betreut.

Vom 14.12.2015 bis 14.01.2016 absolvierte die Klägerin eine vom Rentenversicherungsträger gewährte stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme auf onkologischem Fachgebiet in der R.-klinik, B. R ... Zuvor hatte sie ebenfalls auf Kosten des Rentenversicherungsträgers stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahmen in der R.-klinik vom 15.12.2014 bis 14.01.2015 (Entlassungsbericht vom 14.01.2015: DCIS linke Mamma pTis pNx G2 R1 kranial (klinisch R0) links, psychovegetative Erschöpfung, Impingement-Syndrom linke Schulter, muskulär statische Rückenschmerzen) und vom 16.12.2013 bis 14.01.2014 absolviert.

Am 02.03.2016 wurde die Klägerin an der linken Schulter operiert (Bericht des PD Dr. P. (V. Klinik, B. R.) vom 04.03.2016: Arthroskopie linkes Schultergelenk mit arthroskopischer Naht der Supraspinatussehne, Tenotomie der langen Bizepssehne, partielle Synovektomie, endoskopisch subacromiale Dekompression und arthroskopische AC-Gelenksresektion; postoperative intensive KG-Maßnahmen, passive Beübung für ambulante Weiterbehandlung rezeptiert).

Am 01.04.2016 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der R.-klinik, B. R., unter Begleitung ihrer behinderten Tochter. Der Antrag werde nach Durchführung der Schulteroperation auf ärztliche Anregung gestellt, weil sie seit 1983 einen Pflegebedürftigen (Tochter) mit Pflegestufe 2 pflege.

Vorgelegt wurde die Reha-Verordnung des Orthopäden Dr. K. vom 16.03.2016. Darin sind als rehabilitationsrelevante und als weitere Diagnosen angegeben: Z.n. Rotatorenmanschettenruptur links, Operation am 02.03.2016, Synovitis Schulter links; Skoliose; Osteochondrose LWS; Z.n. Mamma-Carcinom links 2013. Die Klägerin sei in der Pflege ihrer behinderten Tochter eingeschränkt. Die Rehabilitationsmaßnahme müsse zusammen mit der Tochter als Begleitperson durchgeführt werden.

Die Beklagte befragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK). Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. teilte der Beklagten im Zuge einer Direktberatung am 19.04.2016 mit, die Leistungsvoraussetzungen seien nicht erfüllt. Ambulante Physiotherapie werde empfohlen.

Mit Bescheid vom 22.04.2016 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Ambulante Maßnahmen am Wohnort seien ausreichend, insbesondere die Intensivierung der Krankengymnastik. Man könne auch die Gewährung einer ambulanten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme prüfen.

Am 03.05.2016 erhob die Klägerin Widerspruch. Eine ambulante medizinische Rehabilitationsmaßnahme komme wegen der Pflege ihrer Tochter nicht in Betracht. Diese könne auch vorübergehend in Kurzzeitpflege nicht aufgenommen werden. Nach Auffassung des Dr. K. sei ambulante Krankenbehandlung nicht ausreichend. Die Rehabilitationsmaßnahme könne nur stationär unter Begleitung ihrer Tochter durchgeführt werden (Attest der Allgemeinärztin (Hausärztin) Dr. St. vom 30.05.2016: Nachbehandlung nach Schulteroperation stationär unter Begleitung der Tochter, die von der Klägerin nicht dauerhaft getrennt werden könne, erforderlich).

Die Beklagte befragte erneut den MDK. Dr. G. führte im MDK-Gutachten (nach Aktenlage) vom 22.06.2016 aus, die Notwendigkeit einer Rehabilitationsbehandlung könne aus sozialmedizinischer Sicht weiterhin nicht nachvollzogen werden. Im aktuellsten Behandlungsbericht der V. Klinik vom 04.03.2016 sei ambulante Weiterbehandlung empfohlen, eine Reha-Empfehlung jedoch nicht abgegeben worden. Die Tochter der Klägerin werde von 8.00 Uhr bis 15.30 Uhr in einer Einrichtung der Lebenshilfe betreut. Während dieser Zeit könne die Klägerin intensivierte ambulante Maßnahmen auch 2- bis 3-mal wöchentlich durchführen. Eine medizinische Argumentation, warum ausschließlich eine stationäre Rehabilitationsbehandlung notwendig sei, könne nicht nachvollzogen werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, worauf die Klägerin am 12.08.2016 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhob. Die Durchführung einer ambulanten medizinischen Rehabilitationsmaßnahme würde für sie extremen Stress bedeuten, weil sie morgens ihre Tochter versorgen, sodann zur Rehabilitationsbehandlung gehen und später wieder ihre Tochter betreuen und außerdem den Haushalt erledigen müsste; das sei nicht zumutbar. Vorgelegt wurde das Attest des behandelnden Nervenarztes Dr. U. vom 11.07.2016 (seit mehr als 10 Jahren in Abständen medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung wegen rezidivierender depressiver Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode; dringende Indikation für eine psychosomatische/psychotherapeutische Rehabilitationsmaßnahme in einer Klinik mit der Möglichkeit zu orthopädischer Begleitbehandlung, etwa in der Kohlwaldklinik, St. Blasien).

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG befragte behandelnde Ärzte.

Dr. K. führte im Bericht vom 29.09.2016 aus, die Schultergelenksbeweglichkeit links sei am 10.08.2016 im Vergleich zur gesunden rechten Seite deutlich verringert gewesen. Durch intensivere balneophysikalische Maßnahmen im Rahmen eines stationären Heilverfahrens wäre eine Verbesserung zu erwarten. Aus rein medizinischer Sicht lasse sich dies auch mit einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme erreichen. Nach Angaben der Klägerin sei die Durchführung einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme jedoch aus persönlichen Gründen wegen der Pflegesituation der behinderten Tochter nicht möglich. Dr. St. gab im Bericht vom 12.11.2016 an, der Gesundheitszustand der Klägerin sei gleichgeblieben. Durch die Pflege ihrer Tochter sei sie einer hohen körperlichen und psychischen Belastung ausgesetzt. Medizinische Leistungen seien nur zur Sicherung eines optimalen Ergebnisses der Schultergelenksoperation notwendig.

Nachdem die Klägerin das Angebot der Beklagten zur Gewährung einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme abgelehnt hatte wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 31.03.2017 ab. Zur Begründung führte es aus, die Klage sei unbegründet; die Klägerin könne die Gewährung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme (nach Maßgabe der §§ 27 Abs. 1 Satz 1, 11 Abs. 2, § 40 Abs. 1 und 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch, SGB V) nicht beanspruchen. Nach dem gesetzlichen Stufensystem (vgl. § 40 SGB V) gehe ambulante Krankenbehandlung der ambulanten Rehabilitation, ambulante Rehabilitation der stationären Rehabilitation vor. Die Erforderlichkeit einer konkreten Rehabilitationsmaßnahme ergebe sich aus dem individuellen Rehabilitationsbedarf und dem spezifischen Leistungsangebot und -zweck unter Berücksichtigung angemessener Wünsche des Versicherten. Gemäß § 40 Abs. 3 Satz 4 SGB V könnten ambulante medizinische Rehabilitationsleistungen ebenso wie Leistungen der stationären Rehabilitation grundsätzlich nicht vor Ablauf einer Vierjahresfrist nach Durchführung solcher oder ähnlicher Leistungen erbracht werden, deren Kosten auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften getragen oder bezuschusst worden seien. Danach sei eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme nicht erforderlich. Die Klägerin leide zwar (insbesondere) an orthopädischen und psychiatrischen Erkrankungen. Die ambulanten Behandlungsmaßnahmen seien aber nicht ausgeschöpft. Das gehe hinsichtlich der Schulterbeschwerden aus dem Bericht des Dr. K. und den Stellungnahmen des MDK hervor. Dr. K. habe dargelegt, dass aus der insoweit maßgeblichen medizinischen Sicht eine Verbesserung der Schulterproblematik auch durch eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme, durch intensivierte Heilmittelbehandlung, erreicht werden könne. PD Dr. P. (V. Klinik, B. R.) habe im Bericht vom 04.03.2016 intensive Krankengymnastik und passive Beübung empfohlen. Die notwendigen Behandlungsmaßnahmen könnten im Rahmen einer ambulanten Rehabilitationsmaßnahme, die die Beklagte angeboten, die Klägerin aber abgelehnt habe, durchgeführt werden. Erkrankungen der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet könnten die Erforderlichkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme ebenfalls nicht begründen, zumal die Klägerin nur die Gewährung einer orthopädischen Rehabilitationsmaßnahme beantragt habe. Beim Nervenarzt Dr. U. sei die Klägerin auch nur in Abständen ambulant behandelt worden; die ambulante Behandlung wäre ggf. zu intensivieren. Die Pflegebedürftigkeit der Tochter der Klägerin rechtfertige keine andere Sicht der Dinge. Die Erforderlichkeit einer stationären Rehabilitationsmaßnahme richte sich nach medizinischen Gesichtspunkten, wie Art und Ausmaß der Schädigungen, Beeinträchtigungen der Aktivitäten, stark ausgeprägte Multimorbidität. Davon abgesehen werde die Tochter der Klägerin in der Regel von täglich 08:00 bis 15:30 Uhr in einer Einrichtung der Lebenshilfe betreut. Schließlich könne die Klägerin auch eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme für pflegende Angehörige in Begleitung ihrer Tochter nicht beanspruchen (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SGB V), da Rehabilitationsmaßnahmen dieser Art der Entlastung der Pflegepersonen dienten, weshalb die Mitaufnahme der Tochter dem Rehabilitationszweck widersprechen würde.

Gegen den ihr am 06.04.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 26.04.2017 Berufung eingelegt. Sie bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen. Seit Januar 2017 sei ihre Tochter in Pflegegrad 4 eingestuft. Sie habe sich einer Operation (auch) an der rechten Schulter unterziehen müssen, weshalb sie erst im November 2017 wieder rehabilitationsfähig sei (Bericht des PD Dr. P., (V. Klinik) vom 21.04.2017: Schulteroperation rechts am 19.04.2017; postoperativ intensive KG-Maßnahmen, passive Beübung für ambulante Weiterbehandlung rezeptiert; stationäre Reha-Maßnahme mit Einbeziehung des Schultergelenks in den kommenden 6 Monaten nicht sinnvoll). Dann wäre eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme aber dringend notwendig, damit sie ihre Tochter baldmöglichst schmerzfrei pflegen könne. Eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme sei für sie nicht sinnvoll; sie würde enormen Stress verursachen und sei nicht zumutbar.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 31.03.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 22.04.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.08.2016 zu verurteilen, ihr eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme in Begleitung der Tochter zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144, 151 SGG statthaft und auch sonst zulässig, jedoch nicht begründet. Die Beklagte hat die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung zu Recht abgelehnt; die Klägerin hat darauf keinen Anspruch.

Das SG hat in seinem Gerichtsbescheid zutreffend dargelegt, welche Rechtsvorschriften für das Leistungsbegehren der Klägerin maßgeblich sind und weshalb die Klägerin danach die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung nicht beanspruchen kann. Der Senat nimmt auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend sei angemerkt:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer medizinischen Rehabilitationsbehandlung auf orthopädischem Fachgebiet wegen der Durchführung einer Schulteroperation links am 02.03.2016; hierauf richtet sich der am 01.04.2016 gestellte Leistungsantrag. Die am 19.04.2017 durchgeführte Schulteroperation rechts ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Gewährung medizinischer Rehabilitationsbehandlungen richtet sich nach medizinischen Erfordernissen. Wie aus dem MDK-Gutachten des Dr. G. vom 22.06.2016 klar hervorgeht, begründen medizinische Erfordernisse die Gewährung einer stationären medizinischen Rehabilitationsbehandlung jedoch nicht. Erforderlich und ausreichend ist vielmehr die ambulante Krankenbehandlung (ambulante Physiotherapie) bzw. eine ambulante medizinische Rehabilitationsmaßnahme (die die Beklagte der Klägerin auch angeboten hat). Eine (stationäre) Reha-Empfehlung hat die V. Klinik, in der die Schulteroperation der Klägerin durchgeführt worden ist, nicht abgegeben, vielmehr postoperativ intensive Krankengymnastik angeraten und die passive Beübung für die - ambulante - Weiterbehandlung rezeptiert. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. K. hat im Bericht vom 29.09.2016 (nur) eine ambulante medizinische Rehabilitationsbehandlung für erforderlich erachtet. Dass die Klägerin dies aus persönlichen Gründen als mit zu viel Stress verbunden ablehnt, kann gesetzlich nicht begründete (weitergehende) Leistungsansprüche gegen die Krankenkasse nicht begründen. Davon abgesehen hat das SG zu Recht darauf verwiesen, dass die Klägerin ambulante Behandlungen während der Zeiten in Anspruch nehmen kann, zu denen ihre pflegebedürftige Tochter in der Einrichtung der Lebenshilfe untergebracht ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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