L 5 R 2017/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 1060/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 2017/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 27.04.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente wegen Erwerbsminderung.

Die am 1961 geborene Klägerin hat in der ehemaligen DDR den Beruf der Feinoptikerin erlernt. Zuletzt war sie (seit 2008) als Servicekraft in einem Spielcasino versicherungspflichtig beschäftigt (Arbeitsunfähigkeit seit Dezember 2011).

Mit Bescheid vom 10.06.2013 gewährte die Beklagte der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 01.03.2013 bis 31.08.2014. Im Rentenverfahren war das Gutachten des Internisten Dr. Z. vom 24.05.2013 erhoben worden (Diagnosen: Leberzirrhose Stadium CHILD B mit Dekompensation im Juli 2012, chronische Blutungsanämie bei rezidivierender Metrorrhagie bei Uterus myomatosus, Angst und Depression; Leistungsfähigkeit unter 3 Stunden täglich; Rückbildung der Leberzirrhose in das Stadium CHILD A nicht mehr wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschließen, daher Nachuntersuchung in 12 Monaten).

Nachdem die Klägerin die Weitergewährung der Zeitrente beantragt hatte, erhob die Beklagte das Gutachten des Dr. Z. vom 23.07.2014. Dieser stellte auf Grund der Untersuchung der Klägerin (bei neutraler Stimmung und unauffälligem Antrieb) am 15.07.2014 folgende Diagnosen: Leberzirrhose Stadium CHILD A, Z.n. hydropischer Dekompensation und ED einer Leberzirrhose im klinischen Stadium CHILD B im Juli 2012, Eisenmangelanämie bei rezidivierender gynäkologischer Blutung 2012, Schulter-Arm-Syndrom bds., aktuell ohne höhergradige funktionelle Einschränkung, anamnestisch depressive Erschöpfung 2012, Uterus myomatosus, Sinustachykardie, Cholezystolithiasis (asymptomatisch). Mittlerweile bestehe wieder ein günstigeres Krankheitsstadium der Leberzirrhose und das Blutbild sei wieder normalisiert. Die Klägerin könne (seit 15.07.2014, Tag der Untersuchung) leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Mit Bescheid vom 01.08.2014 lehnte die Beklagte den Weitergewährungsantrag ab. Den dagegen am 22.08.2014 eingelegten Widerspruch der Klägerin wies sie (nach Einholung der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. Z. vom 26.03.2015) mit Widerspruchsbescheid vom 22.04.2015 zurück. Am 18.05.2015 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Konstanz (SG). Sie könne wegen ihrer Erkrankungen nicht mehr erwerbstätig sein.

Die Beklagte trat der Klage unter Bezugnahme auf die Begründung des Widerspruchsbescheids entgegen.

Das SG befragte zunächst die behandelnden Ärzte. Dr. B. (Hausarzt) vertrat die Auffassung, die Klägerin könne nicht mehr erwerbstätig sein. Prof. Dr. N. (Universitätsklinik T.) gab eine Leistungseinschätzung im Hinblick auf die Lebererkrankung der Klägerin nicht ab (Bericht vom 06.07.2015). Dr. K. (Klinikum Tu.) führte im Bericht vom 02.09.2015 aus, bei einer Leberzirrhose im Stadium CHILD B liege volle Erwerbsminderung vor.

Das SG erhob sodann das Gutachten des Prof. Dr. Sc. (Klinikum K., Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie) vom 09.06.2016 und das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Di. vom 14.11.2016.

Prof. Dr. Sc. stellte auf Grund der Untersuchung der Klägerin am 19.04.2016 folgende Diagnosen: Leberzirrhose, am ehesten äthyltoxischer Genese, Stadium CHILD A (5 Punkte), MELD-Score 6 Punkte, Z.n. einmaliger hydropischer Dekompensation 07/2012, Ösophagusvarizen zur Zeit Grad II mit Z.n. Ösophagusvarizenblutung 12/2014 (damals Ösophagusvarizen Grad III), Z.n. viermaligem Ösophagusvarizenbanding, Splenomegalie, kein Hinweis auf hepatische Enzephalopathie, Hypothyreose, medikamentös substituiert, Uterus myomatosus mit Z.n. rezidivierenden vaginalen Blutungen und Z.n. Curettage 02/2013. Derzeit liege ein kompensierter Zustand der Leberzirrhose vor. Die Leberleistung liege im Normalbereich. Entscheidend für die berufliche Leistungsfähigkeit sei neben der Leberzirrhose jedoch der Umstand, dass sich im Dezember 2014 eine lebensbedrohliche Blutung der Ösophagusvarizen ereignet habe; dazu könne es mit erhöhter Wahrscheinlichkeit erneut kommen. Deshalb sei mehrfach eine prophylaktische Behandlung mit endoskopischer Gummibandligatur durchgeführt worden. Arbeiten mit intraabdomineller Druckerhöhung dürften nicht ausgeführt werden. Die Klägerin könne daher nur leichte Tätigkeiten (unter qualitativen Einschränkungen) bis zu 6 Stunden täglich verrichten. Die Klägerin werde derzeit auf der Transplantationsliste für eine Lebertransplantation in der Universitätsklinik Tübingen geführt. Eine Lebertransplantation sei bei komplett kompensierter Leberzirrhose aber sehr unwahrscheinlich. Mit Schreiben vom 28.07.2016 bekräftigte der Gutachter auf Nachfrage des SG (Leistungsvermögen unter oder mindestens 6 Stunden täglich?), dass die Klägerin leichte Tätigkeiten (ohne abdominelle Druckerhöhung) bis zu 6 Stunden täglich verrichten könne.

Dr. Di. eruierte den Tagesablauf der Klägerin (Aufstehen zwischen 8.00 Uhr und 8.30 Uhr, Kaffee und Fernsehen, danach Hausarbeit, gemeinsames Kochen mit der Tochter, abends Kartenspielen oder Fernsehen, spät zu Bett, Spaziergänge, Fahrten zu einem nahen See, gelegentlich auch an den Bodensee, Einkäufe am Wochenende mit dem Ehemann, Beschäftigung mit Enkeln, bei schönem Wetter in den Garten, am Wochenende Unternehmungen mit dem Ehemann, letzter Urlaub im bayerischen Wald, einmal wöchentlich mit einer Freundin ins Thermalbad nach Bad Saulgau, zu Hause Nähen, gelegentlich Verwandtenbesuche in Thüringen) und stellte auf Grund der Untersuchung der Klägerin am 10.11.2016 (Befund u.a.: Grundstimmung über weite Strecken ausgeglichen mit gelegentlich subdepressiver Note, affektive Resonanzfähigkeit erhalten, keine durchgehende Anhedonie, kein Interessenverlust, keine wesentliche Antriebsreduktion) auf seinem Fachgebiet folgende Diagnosen: Angst- und depressive Störung, Wirbelsäulensyndrom ohne neurologisches Defizit. Eine Behandlung auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet finde nicht statt. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) vollschichtig (8 Stunden täglich) verrichten.

Mit Gerichtsbescheid vom 27.04.2017 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, der Klägerin stehe Erwerbsminderungsrente nicht zu, weil sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch 6 Stunden täglich erwerbstätig sein könne (§ 43 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch, SGB VI). Das gehe aus den Gutachten des Prof. Dr. Sc. und des Dr. Di. überzeugend hervor. Danach führten die Erkrankungen der Klägerin zwar zu qualitativen, nicht jedoch zu (rentenberechtigenden) quantitativen (zeitlichen) Leistungseinschränkungen. Der abweichenden Einschätzung behandelnder Ärzte sei nicht zu folgen. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB IV) komme für die am 22.04.1961 geborene Klägerin nicht in Betracht.

Gegen den ihr am 08.05.2017 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 15.05.2017 Berufung eingelegt. Sie bekräftigt ihr bisheriges Vorbringen; ein Vergleichsangebot der Beklagten (Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme) hat die Klägerin abgelehnt.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 27.04.2017 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 01.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.04.2015 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung über den 31.08.2014 hinaus auf Dauer zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend; das im sozialgerichtlichen Verfahren unterbreitete Vergleichsangebot werde nicht mehr aufrechterhalten.

Der Senat hat auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das internistische Gutachten des Prof. Dr. v. B. (Medizinische Klinik S.) vom 22.01.2018 erhoben. Dieser hat auf Grund der Untersuchung der Klägerin am 23.11.2017 eine gut kompensierte Leberzirrhose Stadium CHILD A (5 Punkte), MELD Score 7 (Laborwerte fast vollständig im Normbereich) diagnostiziert. Die Klägerin könne (jedenfalls) leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen, keine Arbeit mit intraabdomineller Druckerhöhung) 6 Stunden täglich verrichten. Im Verlauf der Anamnese habe sich eine gewisse depressive Symptomatik gezeigt, die Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit ergeben könnten. Dem Gutachten des Prof. Dr. Sc. werde zugestimmt.

Die Beteiligten haben sich mit einer Senatsentscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze sowie die Akten der Beklagten, des SG und des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG).

Die gem. §§ 143,144,151 SGG statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, ihr Rente wegen Erwerbsminderung über den 31.08.2014 hinaus (auf Dauer) zu gewähren. Sie hat darauf keinen Anspruch.

Gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 1 Satz 2 bzw. § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit (länger als 6 Monate - vgl. KassKomm/Gürtner, SGB VI § 43 Rdnr. 25 unter Hin¬weis auf § 101 Abs. 1 SGB VI) außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI); volle Erwerbsminderung liegt vor, wenn das Leistungsvermögen krankheits- oder behinderungsbedingt auf unter 3 Stunden täglich abgesunken ist (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Davon ausgehend kann die Klägerin Erwerbsminderungsrente nicht beanspruchen, weil sie leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts (unter qualitativen Einschränkungen) 6 Stunden täglich verrichten kann, weshalb Erwerbsminderung nicht vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Das hat die Begutachtung der Klägerin im Verwaltungsverfahren (Gutachten des Dr. Z. 23.07.2014), im sozialgerichtlichen Verfahren (Gutachten des Prof. Dr. Sc. vom 09.06.2016 und Gutachten des Dr. Di. vom 14.11.2016) und im Berufungsverfahren (Gutachten gemäß § 109 SGG des Prof. Dr. v. B. vom 22.01.2018) ergeben. Die Leistungseinschätzung der Gutachter ist schlüssig und überzeugend. Dass in dem von der Klägerin zuletzt vorgelegten Bericht des Klinikum Tu. vom 22.09.2017 von einer Leberzirrhose, Z.n. CHILD B, die Rede ist, ändert daran nichts.

Bei dieser Sachlage drängen sich dem Senat angesichts der vorliegenden Gutachten und Arztberichte weitere Ermittlungen, insbesondere weitere Begutachtungen nicht auf.

Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB IV) kommt für die am 1961 geborene Klägerin (von vornherein) nicht in Betracht (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved