L 9 R 1283/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 2182/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 1283/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. März 2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung eine Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die 1967 in Portugal geborene Klägerin ist in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen und hat verschiedene Hilfstätigkeiten ausgeführt. Seit 2005 war sie überwiegend arbeitslos, übte aber zuletzt über zwei Jahre hinweg mit einem befristeten Vertrag bis November 2013 Fabrikarbeitertätigkeiten aus. Nach einer Nephrektomie rechts 2013 bestand ab 07.11.2013 Arbeitsunfähigkeit mit Bezug von Krankengeld. Vom Landratsamt R.-Kreis wurde mit Bescheid vom 02.02.2015 ein Grad der Behinderung von 60 seit dem 02.09.2014 festgestellt. Für die Zeit ab 01.05.2016 wurden der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch gezahlt. Seit 28.02.2017 hält sich die Klägerin wieder dauerhaft in Portugal auf.

Nach einem Antrag auf die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 13.02.2015 beantragte die Klägerin am 24.02.2015 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Unter Berücksichtigung eines beigezogenen sozialmedizinischen Gutachtens des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Baden-Württemberg vom 23.10.2014, eines Berichtes des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. vom 03.02.2015 sowie einer sozialmedizinischen Stellungnahme der Ärztin für Innere Medizin Dr. D. vom 15.04.2015 sowie eines Berichtes der Rehaklinik G., wo sich die Klägerin vom 30.06.2015 bis 13.07.2015 zu einer stationären medizinischen Rehabilitation befand (und aus der sie auf eigenen Wunsch frühzeitig entlassen wurde), lehnte die Beklagte den Antrag nach einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. D. vom 10.11.2015 mit Bescheid vom 12.11.2015 und Widerspruchsbescheid vom 19.01.2016 ab. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass die Klägerin auch unter Berücksichtigung der Diagnosen Angst- und Panikstörung, reaktiv-depressive Störung, derzeit mittelgradig ausgeprägt, Hyperventilationssyndrom, arterielle Hypertonie ohne gesicherte Folgeschäden und Adipositas und erfolgreicher Behandlung eines Nierenkarzinoms rechts sowie erfolgter Narbenrevisionsoperation 03/2014 leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter Berücksichtigung genannter Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr ausüben könne. Mit einem am 10.02.2016 eingegangenen Schreiben erhob die Klägerin "Widerspruch" gegen den Bescheid vom 19.01.2016 und stellte auf Anfrage der Beklagten klar, dass ihr Schreiben als Überprüfungsantrag hinsichtlich des Bescheides vom 12.11.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.01.2016 zu werten sei.

Hierauf beauftragte die Beklagte den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. mit der Erstellung eines Gutachtens. Dieser diagnostizierte in seinem Gutachten vom 12.08.2016 eine von je her vorbestehend vielschichtige Persönlichkeitsakzentuierungen bei gleichzeitigem nur sehr niedrigem Persönlichkeitsstrukturniveau, eine langjährig bekannte Agoraphobie, eine Adipositas per magna und eine Anpassungsstörung. Die Klägerin sei unter zumutbarer Willensanspannung und ggf. auch zumutbarer Inanspruchnahme ambulanter Behandlungsmöglichkeiten in der Lage, Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten. Auszuschließen seien Tätigkeiten auf Leitern oder Gerüsten, sowie an unmittelbar gefährdenden Maschinen. Auch Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit sowie mit fordernden sozialen Interaktionen, Tätigkeiten mit Stressfaktoren wie Nacht- und Wechselschicht sollten ausgeschlossen bleiben. Ungeachtet des zu beschreibenden vollschichtigen Leistungsvermögens sei auf unzureichend wahrgenommene ambulante Behandlungsmöglichkeiten hinzuweisen.

Mit Bescheid vom 18.08.2016 lehnte die Beklagte unter Berücksichtigung einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme von Dr. D. vom 17.08.2016 den (Überprüfungs-)Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab.

Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch erhob die Klägerin Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. B., worauf die Beklagte eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen veranlasste. In seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 22.02.2017 hielt Dr. B. daran fest, dass kein konkreter Sachverhalt erkennbar sei, aus dem auf eine überdauernde quantitative Leistungsminderung geschlossen werden könne.

Dieser Einschätzung schloss sich auch Dr. D. in ihrer für die Beklagte erstellten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 23.02.2017 an.

Gegen den sich hierauf stützenden Widerspruchsbescheid vom 11.04.2017 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht S. erhoben, welches den Rechtsstreit nach erfolgter Anhörung mit Beschluss vom 23.06.2017 an das Sozialgericht Karlsruhe (SG) verwiesen hat. Unter Wiederholung und Vertiefung des bisherigen Vortrages hat die Klägerin an ihrem Begehren festgehalten.

Das SG hat sodann Beweis erhoben durch das Einholen von sachverständigen Zeugenaussagen bei der Arztpraxis für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H. und Dr. M., W., dem Facharzt für Allgemeinmedizin und Anästhesie Dr. M. und dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. Erstere haben unter dem 29.09.2017 angegeben, dass die gestellten Beweisfragen nicht beantwortet werden könnten, weil sich die Patientin seit 2012 nicht mehr in Behandlung befunden habe. Dr. M. hat in seiner sachverständigen Aussage vom 28.09.2017 mitgeteilt, dass er die Klägerin zuletzt im Februar 2017 zu einem Check-up gesehen habe. Seither befinde sie sich in Spanien (gemeint: Portugal) und sei nicht mehr erreichbar. Eine aktuelle Einschätzung der körperlichen und seelischen Verfassung sei ihm daher nicht möglich. Er gab einen chronischen Schmerz bei lumbalem Wurzelreizsyndrom und Gonarthrose links, rezidivierende depressive Episoden und einen Zustand nach Nierenzellkarzinom 2013, verbunden mit anschließender Angst vor erneutem Krebsleiden an. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. P. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 24.11.2017 nach einer letzten Behandlung der Klägerin am 15.11.2016 eine rezidivierende depressive Störung, eine generalisierte Angststörung, eine Nephrektomie rechts bei kleinzelligem Nierenkarzinom 2013 und eine Hypertonie angegeben und die Auffassung vertreten, dass die Klägerin aus psychiatrischer Sicht aufgrund der während der Behandlung in seiner Praxis durchgehend auffälligen Symptomatik selbst für leichte Tätigkeiten nicht vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt belastbar gewesen sei. Eine Herabsetzung der Arbeitsfähigkeit auf bis zu vier Stunden täglich sei gutachterlich festzustellen.

Dem ist Dr. W. in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 04.01.2018, die von der Beklagten vorgelegt wurde, entgegengetreten. Sie hat darauf hingewiesen, dass die generalisierte Angststörung auf Grund der anamnestischen Angaben zum Freizeitverhalten im Gutachten von Dr. B. nicht nachvollziehbar sei. Auch die von Dr. P. genannten psychiatrischen Diagnosen und angegebenen Befunde, wie die durchgehend mittelschwere bis schwere ängstlich-depressive Symptomatik, die Aufmerksamkeitsstörung, das auf Sorgen und Beschwerden eingeengte Denken und die nicht modulierbare ängstliche Grundstimmung seien in Kenntnis des ausführlichen Gutachtens von Dr. B. nicht nachvollziehbar, weshalb auch die Leistungsbeurteilung nicht geteilt werden könne.

Mit Urteil vom 14.03.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Überzeugung der Kammer könne die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes täglich noch mindestens sechs Stunden unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen arbeiten und sei deshalb nicht erwerbsgemindert. Eine zeitliche Leistungsminderung habe insbesondere nicht aufgrund von im Vordergrund des Beschwerdebildes stehenden neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen bestanden. Qualitativ hätten sich insoweit Einschränkungen ergeben, als die Klägerin keine schweren Arbeiten mehr verrichten könne und außerdem Tätigkeiten auf Leitern, Gerüsten oder an unmittelbar gefährdenden Maschinen sowie Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit und fordernden sozialen Interaktionen vermeiden solle. Ebenfalls auszuschließen seien Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht. Die Kammer hat sich insoweit der Leistungseinschätzung im Gutachten des Dr. B. angeschlossen. Dieser habe sich umfassend, ausführlich und differenziert mit dem Beschwerdebild der Klägerin befasst und für die Kammer nachvollziehbar und anschaulich dargelegt, dass eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens nicht bestehe. Aufgrund des Gutachtens stehe eine ausreichende Belastbarkeit der Klägerin fest. So habe die Klägerin von ihren Urlaubsplanungen und ihren Alltagsaktivitäten erzählt, wie Spazieren- oder Essengehen mit dem Cousin und dessen Lebensgefährtin, dem gemeinsamen Kochen, was sie richtig gerne mache, den gemeinsamen Unternehmungen mit ihrem Sohn und ihren Freunden und außerdem angegeben, dass sie am liebsten puzzle, wenn sie alleine sei oder putze, was sie richtig gerne tue. Ihre Einkäufe erledige sie teils alleine zu Fuß und manchmal mit der Freundin ihres Cousins zusammen. Auch im Garten arbeite sie ab und zu. Sie sei außerdem ein großer Tierfreund und verbringe viel Zeit mit ihrem Hund, mit dem sie dreimal am Tag für 10 bis 15 Minuten spazieren gehe, manchmal auch länger in Begleitung von Freunden und deren Hunden. Seit sie ihren portugiesischen Freund habe, sei sie glücklich, wenn sie sich jedoch aufregen müsse, blockiere sie und gehe in ihr Zimmer. Das mache sie schon immer so. Im Hinblick auf diese Freizeitgestaltung sei es der Klägerin durchaus zumutbar, eine mindestens sechsstündige leichte bis mittelschwere Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuführen. Nachdem die Klägerin angegeben habe, die "Blockaden" schon immer entwickelt zu haben, wenn sie Streit oder Ärger habe, sehe das Gericht hierin erst recht keine relevante Leistungsminderung, weil die Klägerin in früheren Erwerbstätigkeiten nicht beeinträchtigt gewesen sei. Auch die lebendige Antriebslage, die lebendige affektive Resonanz und die während der gesamten, fast drei Stunden andauernden Begutachtung durchgehend ungestörte Auffassung, Konzentration, Merkfähigkeit sowie Aufmerksamkeit ohne Erschöpfung oder Ermüdung sprächen gegen eine Erwerbsminderung. Die Klägerin sei zwar inhaltsabhängig affektlabil, aber laut Dr. B. keineswegs überdauernd depressiv eingeengt und durchaus noch auslenkbar hin zu anderen Themen gewesen. Dr. B. habe die Klägerin dann als humorvoll erlebt und sie als wirklich lachend beschrieben. Der Nachvollziehbarkeit des Gutachtens stünden die Diagnosen von Dr. P. sowie die des Rehaentlassungsberichts nicht entgegen. Zum einen seien für eine Leistungsminderung nicht die Diagnosen entscheidend, sondern wie sich Gesundheitsstörungen auf die Leistungsfähigkeit auswirkten. Zum anderen beschreibe Dr. B. die Klägerin sehr ausführlich und anschaulich, indem er häufig den genauen Wortlaut ihrer Aussage wiedergebe. Hierauf bezogen sich auch nicht die Einwände der Klägerin, die diese gegen das Gutachten vorgebracht habe. Die Schilderungen von Dr. P. seien außerdem im Vergleich dazu eher oberflächlich und bezögen sich vor allem auf allgemeine Befunde ohne die Symptome näher zu beschreiben. Gleiches gelte auch für den Rehaentlassungsbericht, der die Klägerin nicht in der Tiefe, wie Dr. B. dies gemacht habe, beschreibe. Selbst wenn die von Dr. P. genannten Erkrankungen und die daraus resultierende Leistungsminderung vorliegen sollten, wäre damit noch nicht eine rentenrelevante Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens nachgewiesen. Für einen Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung aufgrund einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung lägen keine Anhaltspunkte vor.

Gegen das dem Bevollmächtigten am 19.03.2018 zugestellte Urteil hat dieser am 09.04.2018 Berufung eingelegt und bemängelt, dass das Gericht keinerlei Ermittlungen angestellt habe, sondern sich zur Begründung allein auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des Dr. B. gestützt habe. Es sei sowohl im Widerspruchsverfahren also auch im Klageverfahren gerügt worden, dass das Gutachten nicht nachvollziehbar sei. Der behandelnde Facharzt habe eine rezidivierende depressive Störung sowie eine generalisierte Angststörung diagnostiziert und auch im Rehaentlassungsbericht werde von einer Angst- und Panikstörung gesprochen, einem Hyperventilationssyndrom, einer mittelgradigen depressiven Episode, einer essentiellen Hypertonie und einer Adipositas. Im Widerspruch zu sämtlichen Vorbefunden und ohne seine abweichende Diagnose zu begründen, habe Dr. B. statt einer depressiven Erkrankung eine Agoraphobie, also umgangssprachlich eine Platzangst festgestellt. Gerügt habe er außerdem, dass Dr. B. sein Gutachten ausschließlich auf die vorgenommene Anamnese gestützt habe und im Widerspruch zu den fachlichen Richtlinien nicht die erforderlichen testpsychologischen Untersuchungen vorgenommen habe und die von der Klägerin in der Anamnese gemachten Angaben teilweise ignoriert habe. So habe die Klägerin in der Anamnese mehrfach erwähnt, dass sie beim Auftreten psychosomatischer Belastungen sofort blockiere. Obwohl sich die entsprechenden Angaben mehrfach in der Anamnese fänden, habe der Sachverständige die Klägerin weder gefragt, wie sich diese Blockaden bei ihr äußerten, noch habe er sich durch diese Angaben zu weiteren testpsychologischen Untersuchungen veranlasst gefühlt. Das Blockieren äußere sich darin, dass die Klägerin sich zurückziehe und sich einkapsele und in dieser Situation nichts mehr von ihrer Umgebung wissen wolle. Sie sei in diesen Phasen nahezu handlungsunfähig. Weil diese Blockierungen auch bei alltäglichen Belastungen im Arbeitsleben auftreten, ergebe sich zwanglos, dass die Klägerin bei diesem Beschwerdebild nicht in der Lage sei, eine wirtschaftlich verwertbare Tätigkeit vollschichtig auszuüben. Das Gericht hätte sich bei dieser Sachlage veranlasst fühlen müssen, von Amts wegen ein eigenes Sachverständigengutachten einzuholen.

Die Klägerin beantragt, sachdienlich gefasst,

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. März 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. August 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 12. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2016 zurückzunehmen und ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, dass sich aus der Berufungsbegründung keine neuen Gesichtspunkte ergeben, die eine Änderung des bisherigen Streitstandpunktes zuließen.

Mit Schreiben vom 05.10.2018 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

II.

Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, weil die Klägerin keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung hat. Die dieses Begehren ablehnenden Entscheidungen sind rechtmäßig, die Klägerin wird hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin auf Korrektur des bestandskräftig gewordenen Bescheids vom 12.11.2015 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2016) ist § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich – unter anderem – im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden ist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Der Bescheid vom 12.11.2015 ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, weil er den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf eine Rente wegen Erwerbsminderung ablehnte. Mit den Bescheiden vom 18.08.2016 und 11.04.2017 lehnte die Beklagte eine Aufhebung oder Abänderung dieser Entscheidung ab. Richtige Klageart ist daher die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage, mit dem Ziel, die die Rücknahme des Bescheides ablehnende Entscheidung aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 12.11.2015 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.01.2016) zurückzunehmen und der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Antrages vom 24.02.2015 zu gewähren (vgl. KassKomm/Steinwedel, 101. EL September 2018, SGB X § 44 Rn. 29). Dementsprechend sachdienlich war das Begehren der Klägerin zu fassen.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zutreffend die rechtlichen Grundlagen für die hier von der Klägerin beanspruchte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bzw. 43. Abs. 1 SGB VI) dargelegt und ebenso zutreffend ausgeführt, dass ein Anspruch auf Rente wegen voller und teilweiser Erwerbsminderung nicht besteht, weil die Klägerin noch wenigstens sechs Stunden täglich leistungsfähig ist. Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung und unter Berücksichtigung des Vorbringens im Berufungsverfahren uneingeschränkt an, sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab und weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils zurück.

Ergänzend zu den im Berufungsverfahren vorgebrachten Einwendungen ist Folgendes auszuführen:

Der Senat sieht in Übereinstimmung mit dem SG den Sachverhalt durch das vom Beklagten eingeholte Gutachten von Dr. B. als geklärt an. Dieses Gutachten ist im Wege des Urkundenbeweises verwertbar und hat keine Gesundheitsstörungen feststellen können, die den streitigen Rentenanspruch begründen könnten. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass nach dem stationären Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik G. (30.06.2015 bis 13.07.2015), den die Klägerin auf eigenen Wunsch vorzeitig abgebrochen hat, der gutachterlichen Untersuchung durch Dr. B. im August 2016 und einer letzten Behandlung durch Dr. P. am 15.11.2016 (vgl. sachverständige Zeugenaussage vom 24.11.2017) keine medizinischen Befunde auf psychiatrischem Fachgebiet mehr vorliegen. Seit dieser letzten Behandlung bei Dr. P. befindet sich die Klägerin ganz offensichtlich und auch nach ihren eigenen Angaben nicht mehr in einer psychiatrischen Behandlung, sodass der Verlauf der Erkrankung und daraus resultierende Einschränkungen auf Dauer nicht belegt sind.

Nach den Feststellungen von Dr. B., der dem Senat als erfahrener, kompetenter und sorgfältig begutachtender Arzt seit Jahren bekannt ist, weswegen der Senat keinen Zweifel an dessen Beurteilung hegt, sind Einschränkungen wie sie Dr. P. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 24.11.2017 und damit ein Jahr nach einer letzten Konsultation der Klägerin beschrieben hat, so nicht belegt und nachgewiesen.

Insoweit dürfte zunächst zu berücksichtigen sein, dass Dr. P. die Klägerin ausweislich der vorliegenden Kopien der Krankenakte auch in 2016 nur viermal gesehen hat und sich dieser Krankenakte keine Befunddokumentation entnehmen lässt. Deswegen bleibt schon zweifelhaft, auf welche konkreten Untersuchungen und welche konkreten Zeiträume seit Januar 2013 sich die Angaben des Dr. P. beziehen. So führt der sachverständige Zeuge aus, dass die Klägerin über eine rasche Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Ängste mit einer Vermeidungshaltung, sozialem Rückzug und Isolation, Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit "berichtete", ohne dass er dargelegt hat, wann und ob und ggf. wie diese Angaben verifiziert wurden. In welcher Weise und in welchem Umfang Aufmerksamkeitsstörungen "auffällig" gewesen sein sollen, das Denken eingeengt gewesen ist auf Sorgen und Beschwerden mit Gedankenkreisen und Grübeln, ist von ihm nicht näher ausgeführt worden und lässt sich auch den vorgelegten Kopien der Krankenakte nicht entnehmen. Wie das SG bereits ausführlich wiedergegeben hat, hat das Gutachten von Dr. B. den psychischen Befund umfassend, schlüssig und nachvollziehbar beschrieben und damit belegt, dass Einschränkungen mit Auswirkungen auf das zeitliche Leistungsvermögen zumindest zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung nicht bestehen. Bezogen auf im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legende Anforderungen an leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne – wie Dr. B. angemerkt hat – Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, an unmittelbar gefährdenden Maschinen, mit besonderen Anforderungen an die Konfliktfähigkeit sowie fordernden sozialen Interaktionen sowie mit Stressfaktoren wie Nacht- und Wechselschicht, lassen die vom Sachverständigen erhobenen Befunde die Annahme, dass solche Tätigkeiten nicht mehr zugemutet werden können, nicht zu. So vermag auch der Senat Fähigkeitsstörungen, die einer leichten Tätigkeit in o.g. Sinn entgegenstehen könnten, nicht festzustellen. Denn die Klägerin zeigte während der fast dreistündigen Untersuchung keine Störungen von Auffassung und Konzentration, auch keine Störungen der Merkfähigkeit, des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit. Schon diese Feststellungen stehen im Gegensatz zu den Angaben des behandelnden Arztes, der seinerseits anderslautende Einschränkungen (rasche Erschöpfbarkeit, Konzentrationsstörungen, Schlafstörungen, Ängste mit Vermeidungshaltung und sozialem Rückzug und Isolation, Antriebslosigkeit und Niedergeschlagenheit) nur aufgrund der Angaben der Klägerin ihm gegenüber und nicht aufgrund eigener Beobachtung und Befunderhebung wiedergibt. Während der Untersuchung und wiederum im Widerspruch zu den Einlassungen des gehörten Zeugen fanden sich auch keine Anzeichen für eine Erschöpfung und Ermüdung, es fanden sich keine Wahrnehmungsstörungen, keine Ich-Störungen, keine paranoiden Inhalte und auch im Längsschnitt keine Hinweise auf eine psychotische Erkrankung. Viel entscheidender ist (und was ebenfalls im Widerspruch zum Befund des behandelnden Arztes steht), dass die Klägerin "bis zuletzt" eine lebendige Antriebslage, auch eine lebendige affektive Resonanz zeigte und damit kein Grund für die Annahme besteht, die Klägerin könne eine Arbeit nicht aufnehmen oder durchhalten. Dem steht die vom Sachverständigen beschriebene Affektlabilität, die inhaltsabhängig war, nicht entgegen, weil die Klägerin in der Untersuchung nicht überdauernd depressiv gewesen ist, sondern genauso lebendig in anderes inhaltlich wie affektiv auslenkbar gewesen ist (lachend und humorvoll). Einer leichten Tätigkeit steht auch die von Dr. B. als unreif beschriebene Persönlichkeitsentwicklung mit deutlichen dependenten Zügen und begrenzter Konfliktfähigkeit und begrenzter Frustrationstoleranz nicht entgegen, weil sich solche nicht bei Tätigkeiten leistungsmindernd auswirken, die in der Regel bei ungelernten Arbeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes anzufallen pflegen (Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen o. ä.). Nichts anderes ergibt sich für die von Dr. B. diagnostizierte Agoraphobie aufgrund der Angaben der Klägerin, Plätze zu meiden, wenn dort zu viele Menschen anwesend sind (Kirmes, Straßenbahn, Zug, Flugzeug). Allerdings lässt sich ein umfassendes Vermeidungsverhalten nicht feststellen, da die Klägerin selbst angegeben hat, mehrmals in der Woche die Straßenbahn zu nutzen und auch Flugreisen zu unternehmen. Es trifft auch nicht zu, dass die Klägerin die Wohnung nicht mehr verlässt, wenn sie angibt, regelmäßig dreimal am Tag mit dem Hund spazieren zu gehen, mit Cousin und Lebensgefährtin Essen oder Eis essen zu gehen und auch einen Stadtbummel in Mannheim zu machen.

Wie oben bereits dargelegt lassen sich aus den von Dr. B. festgestellten Einschränkungen bezogen auf eine nur begrenzte Konfliktfähigkeit und eine begrenzte Frustrationstoleranz keine überdauernden Leistungseinschränkungen begründen. Das von der Klägerin beschriebene "Blockieren", das Zurückziehen und Einkapseln, und nichts mehr von der Umgebung wissen wollen, so wie sie es auch gegenüber Dr. B. beschrieben hat, führt weder zur Annahme, dass ihr Tätigkeiten nicht wenigstens sechs Stunden am Tag zugemutet werden können, noch dazu, davon ausgehen zu können, dass sie nicht mehr in der Lage ist, eine Beschäftigung aufzunehmen und wenigstens sechs Stunden am Tag im Rahmen einer Fünftagewoche durchzuhalten. Die Behauptung, solche Blockierungen träten auch bei alltäglichen Belastungen im Arbeitsleben auf, ist durch nichts belegt und steht im Widerspruch dazu, dass die Klägerin erwerbstätig war und keine gesundheitsbedingten Kündigungen bekannt sind. Ferner werden von solchen Einschränkungen weder vom behandelnden Psychiater noch von der Klinik G. während des stationären Aufenthaltes berichtet, was aber zu erwarten wäre, wenn es sich dabei tatsächlich um eine so gravierende Einschränkung handeln würde, die bereits bei alltäglicher Belastung auftritt. Der Senat vermochte sich daher nicht davon zu überzeugen, dass die Klägerin nicht mehr in der Lage sein soll, Arbeit von wirtschaftlichem Wert zu verrichten. Auch Dr. P. spricht (in einem anderen Zusammenhang) lediglich davon, dass die Klägerin "phasenweise" nicht in der Lage gewesen sei, eigenständig und adäquat ihre Angelegenheiten zu besorgen, weswegen der Senat insoweit allenfalls von Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit, nicht aber bereits von einer überdauernden Erwerbsminderung ausgehen kann.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass dann, wenn aufgrund einer Angststörung bzw. einer verminderten Konfliktfähigkeit oder Frustrationstoleranz tatsächlich gravierende Einschränkungen bestünden, die Angabe einer (nur) zeitlichen Leistungsfähigkeit, die Dr. P. mit bis zu vier Stunden am Tag angibt, unschlüssig wäre, denn die von der Klägerin geschilderten "Blockaden" müssten zur Annahme führen, dass ihr überhaupt keine Arbeiten mehr zumutbar sind. Soweit ist hingegen auch der behandelnde Arzt bei seiner Einschätzung der Leistungsfähigkeit nicht gegangen.

Der Senat vermochte sich auch aufgrund der Befunde im Entlassungsbericht der stationären Rehabilitationsmaßnahme nicht von einer überdauernden und damit über sechs Monaten anhaltenden Minderung der Erwerbsfähigkeit auf weniger als sechs Stunden am Tag zu überzeugen. Mit Dr. D. (sozialmedizinische Stellungnahme vom 10.11.2015) ist der Senat der Überzeugung, dass sich durch die dort mitgeteilten Befunde bei erhaltenen sozialen Kontakten noch keine schwergradige psychische Beeinträchtigung ableiten lässt, die eine überdauernde Leistungsminderung belegt, zumal die Leistungsbeurteilung im Entlassungsbericht noch von einem Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten als Hilfsarbeiterin von sechs Stunden und mehr ausgegangen ist.

Soweit die Klägerin ihre Einwendungen gegen das Gutachten auch im Klage- und Berufungsverfahren wiederholt, ist darauf hinzuweisen, dass zu diesen Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 22.02.2017 erwidert und dabei erläutert hat, auf welcher Grundlage er zu abweichenden Diagnosen (Agoraphobie) gekommen war. Dass in dem Gutachten keine testpsychologischen Untersuchungen durchgeführt worden sein sollen und es sich um keine leitliniengerechte gutachterliche Untersuchung gehandelt haben soll, wird von der Klägerin zwar behauptet aber nicht substantiiert. So negiert sie die im Gutachten beschriebenen testpsychologischen Untersuchungen wie Freiburger Persönlichkeitsinventar und Hannover-Selbstregulations-Inventar und belegt auch nicht inwiefern die gutachterliche Untersuchung nicht leitliniengerecht durchgeführt worden sei.

Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen besteht keine Notwendigkeit weiterer Ermittlungen von Amts wegen.

Die Berufung der Klägerin war daher zurückzuweisen.

Hierauf und auf § 193 SGG beruht die Kostenentscheidung.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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