Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
9
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 29 EG 108/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 29/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 EG 6/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 9. September 2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 19. mit 24. Lebensmonat (06.08.1993 mit 05.02.1994) ihres Sohnes A. streitig.
I.
Die am 1964 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 1990 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung war, ist die Mutter des am 1992 in M. geborenen Kindes. Sie lebt seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreut und erzieht das Kind und übt daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie ist bei der Betriebskrankenkasse der D. familienversichert. Nach der Aktenlage erhielt sie für den 1. mit 18. Lebensmonat Bundeserziehungsgeld (BErzg).
Der am 11.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 18.06.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999 C 262/96, können Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das am 1992 geborene Kind hätte spätestens am 05.02.1994 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Der hiergegen erhobene Rechtsbehelf blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15.07.2002).
II.
Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 09.09.2002 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates (ARB Nr. 3/80) vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.
III.
Mit der am 21.10.2002 zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung wendet die Klägerin ein, das S.-Urteil des EuGH, welches hinsichtlich des Kindergeldes ergangen sei und inter partes gelte, sei zwar wegen des Auslegungsmonopols des EuGH hinsichtlich des Gemeinschaftsrechtes zu beachten, jedoch sei die Frage der zeitlichen Beschränkung keine Frage der Auslegung und damit nicht bindend. Der Anspruch der Klägerin stütze sich unmittelbar auf Art.3 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 und nicht auf die S.-Entscheidung. Im Übrigen sei der vom EuGH angesprochene Grundsatz der Rechtssicherheit nicht kodifiziert, sondern lediglich über das Gewohnheitsrecht anwendbar. Es stellte sich jedoch die Frage, ob das Vertrauen der Mitgliedstaaten auf die jahrelange diskriminierende Praxis der Behörden allein den betroffenen türkischen Staatsbürgern aufgebürdet werden dürfe.
Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt.
Die Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 09.09. 2002 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06 ...2002 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 15.07.2002 zu verurteilen, der Klägerin für das am 1992 geborene Kind A. Landeserziehungsgeld zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 09.09.2002 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Erzg-Akte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 30.06.2003.
Entscheidungsgründe:
Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.
Der Senat entscheidet aufgrund der Einverständniserklärungen der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter, § 155 Abs.4 i.V.m. Abs.3 SGG.
Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S. 206). Anspruch auf BayLErzg hat gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07. 1993 geltenden Fassung (GVBl.1989 S. 206), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besaß (Nr. 5).
Nach Art.3 des Gesetzes wurde BayLErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonates endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen ist. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von fünf Sechstel des nach den §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Bundeserziehungsgeldes gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllt die Klägerin nach dem Sachverhalt unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayErzGG, denn sie hat nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1990 in Bayern, lebt mit ihrem am 06.02. 1992 in München geborenen Sohn A. , für den ihr die Personensorge zusteht, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreut das Kind selbst und übt keine Erwerbstätigkeit aus. Zur Überzeugung des Senats steht auch die Nr. 5 der Vorschrift dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Zwar besaß sie im Bewilligungszeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten, wie der Senat im Einzelnen in seiner Entscheidung vom 20.12.2000 (L 9 EG 7/00) dargelegt hat, vgl. auch BSG vom 29.01.2002, B 10 EG 2/01 R.
Damit hat die Klägerin zwar grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche oder EU-Staatsangehörige Anspruch auf LErzG. Jedoch kann sie sich auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 für den hier streitigen Anspruchszeitraum (06.08.1993 mit 05.02.1994) nicht berufen, denn dieser liegt weit vor dem 04.05.1999.
Mit der vorgenannten Entscheidung hat der Senat die S.-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, C-262/96 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Türkei, Nr.4, hinsichtlich des bayer. LErzg umgesetzt. Der Gerichtshof hat in der o.a. Rechtssache zum ersten Mal mit "erga-omnes-Wirkung" (vgl. EuGH Rechtssache 203/81, Sammlung 1982.3415) im Rahmen seiner Auslegungskompetenz für das Gemeinschaftsrecht gemäß Art.234 EGV den Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 verbindlich ausgelegt, welcher inhaltlich der für die Gemeinschaft im Bereich der sozialen Sicherheit geltenden EWG-Verordnung Nr. 1408/71 entspricht. In Abweichung von seiner früheren Entscheidung hinsichtlich der Art.12 und 13 des ARB Nr. 3/80 (vgl. EuGH C-277/94 Sammlung 1996, I-4087 T. M.) hat er festgestellt, dass das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.1 im Geltungsbereich des ARB Nr. 3/80 einen eindeutigen unbedingten Grundsatz aufstellt, der ausreichend bestimmt ist, so dass er von einem nationalen Gericht angewandt werden kann, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des Einzelnen zu regeln.
Auslegungsurteile des EuGH gemäß Art.234 EGV haben zwar grundsätzlich rückwirkende Kraft, das heißt sie bestimmen den Inhalt des Gemeinschaftsrechtes mit Wirkung von dem Zeitpunkt an, zu dem letzteres in Kraft getreten ist, vgl. EuGH Rechtssache 127 und 128/79, Sammlung 1980.1237/1260. Das kann im Einzelfall erhebliche Auswirkungen haben, wenn eine Gemeinschaftsregelung im Sinne des Art.234 EGV, zu der auch Abkommen mit Drittstaaten und Assoziationsratsbeschlüsse zählen (vgl. Borchardt in Maximilian Fuchs, Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 3. Auflage 2002, Baden-Baden, S.738 f) in einer von dem bisherigen Verständnis und der bisherigen Praxis abweichenden Weise ausgelegt wird und dadurch weitreichende Folgen entstehen. Insoweit hat der EuGH bereits wiederholt - auch im Sozialrecht - in analoger Anwendung der für Nichtigkeitsangelegenheiten maßgebenden Regelung des Art.231 Abs.2 EGV eine Ausnahme von der zeitlichen Wirkung seiner Entscheidung gemacht, vgl. Rechtssache 43/75 D. , Sammlung 1976.455, Rechtssache 33/84 F. , Sammlung 1985.1605, Rechtssache 24/86 B. , Sammlung 1988.379, Rechtssache 41/84 P. , Sammlung 1986, 1/26, Rechtssache 262/88 B. , Sammlung 1990 I-1889/1955).
Die Beschränkung der zeitlichen Wirkung einer Vorabentscheidung kommt danach beim Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes und der Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen in Betracht, sie kann allerdings nur angenommen werden, wenn sie in dem jeweiligen Urteil ausdrücklich angesprochen worden ist, vgl. Borchardt, a.a.O., S.755. Insoweit hat der EuGH in der o.a. S.-Entscheidung vom 04.05.1999, welche einen Anspruch auf Kindergeld betrifft, ausdrücklich ausgeführt, dass es zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit ausschließen, Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des vorliegenden Urteils abschließend geregelt waren, in einer Situation wieder in Frage zu stellen, in der dies die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten rückwirkend erschüttern würde. Die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des Beschlusses Nr.3/80 kann damit nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass des vorliegenden Urteils geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Diese Voraussetzungen einer rückwirkenden Leistung erfüllt die Klägerin nicht. Denn sie hat vor dem 04.05.1999 weder einen Antrag auf LErzg gestellt noch einen Rechtsbehelf, insbesondere eine Klage, erhoben. Der EuGH sieht den Anlass für die Beschränkung der Rückwirkung in dem der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit.
Die analoge Anwendung der Vorschrift des § 231 Abs.2 EGV entspricht den Grundsätzen der in § 79 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) niedergelegten Rechtsgedanken, vgl. BVerfGG 7.194 (195 ff.), 20.230 (235), welche die Folgen regelt, die eintreten, wenn eine Norm für verfassungswidrig erklärt wird. Der Gesetzgeber hat sich darin in dem Konflikt zwischen zwei Elementen des Rechtsstaatsprinzips, nämlich der Einzelfallgerechtigkeit und des Rechtsfrieden, zu dem die Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen gehört, mit bestimmten Ausnahmen für den letzteren Grundsatz entschieden, vgl. BVerfG 7.194 /196. Akte der öffentlichen Gewalt, deren Rechtsgrundlage mit der Verfassung nicht vereinbar sind, bleiben danach prinzipiell unangetastet, wenn sie im Rechtsweg nicht mehr angefochten werden können. Das BVerfG hat anerkannt, dass § 79 BVerfGG einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, vgl. BVerfGE 37.217 (263); 97.35 /48. Dieser beruht letztlich auf der Einsicht, dass der Rechtsgemeinschaft nicht damit gedient ist, dass deren Mittel und Kapazitäten von der Bearbeitung abgeschlossener oder nicht in Gang gesetzter Rechtsfälle aus der Vergangenheit beansprucht würden, so dass dadurch die Erfüllung gegenwärtiger und zukünftiger Aufgaben erheblich beeinträchtigt wäre, vgl. zum angemessenen Verwaltungsaufwand BVerfGE 1997.35 (48). Es wird dem Bürger daher eine Anfechtungslast aufgebürdet. Wer eine Entscheidung akzeptiert, muss sich grundsätzlich auch bei späterer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage daran festhalten lassen, vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfG, § 79 Rdnr.2, 5, 9.
Ungeachtet der beim Kindergeld nach dem BKGG gegebenen längeren Anspruchsdauer sind die Grundsätze des S.-Urteils auf das BErzg und LErzg anzuwenden, denn einerseits hat der EuGH das Erziehungsgeld einer Familienleistung nach der EWG-Verordnung 1408/71 gleichgestellt, vgl. Rechtssache C-245/94 und 312/94 H. und Z ... Andererseits gelten die Darlegungen zur Rechtssicherheit im Rahmen des Art.231 Abs.2 EGV und des § 79 Abs.1 BVerfGG entsprechend. Der EuGH hat sich auf die im dortigen Verfahren angehörten Regierungen bezogen, welche "schwerwiegende finanzielle Konsequenzen" für die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten befürchten. Unter diesem Aspekt ist die Äußerung des EuGH auf Seite 52 zu verstehen, auf der von einer Erschütterung der sozialen Sicherungssysteme die Rede ist. Schwerwiegende finanzielle Folgen träten im vorliegenden Fall ein, wenn die EuGH-Entscheidung unbegrenzt in die Vergangheit zurückwirken würde. Insbesondere ist die hohe Anzahl von Personen zu berücksichtigen, die Anspruch auf LErzg haben. Ferner ist insoweit der nicht unerhebliche Verwaltungsaufwand zu nennen, den die Verwaltung zusätzlich neben den laufenden Aufgaben zu bewältigen hätte und der dadurch noch wesentlich gesteigert würde, dass lange zurückliegende Sachverhalte aufzuklären wären.
Anhaltspunkte für eine rückwirkende Anwendung des Gleichheitsgebots im Sinne des Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 sind auch anderweitig nicht ersichtlich. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die zeitlichen Grenzen der EuGH-Entscheidung vom 04.05.1999 kommt nicht in Betracht. Bei der zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des EuGH-Urteils liegt nämlich keine gesetzliche Frist im Sinne des § 27 SGB X vor, worunter nur Verfahrens- und materiellrechtliche Fristen zu verstehen sind, vgl. Krasney in Kasseler Kommentar, § 27 SGB X Rdnr.3.
Auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben (unzulässige Rechtsausübung) ergibt sich nichts anderes. Vor der Klarstellung durch die EuGH-Entscheidung vom 04.05.1999 ist die Vereinbarkeit von Landesrecht (BayLErzGG) mit europäischem Assoziationsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt worden, vgl. BSG vom 03.11.1993 SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Nr. 1, und Bundesverwaltungsgerichts-Urteil vom 18.12.1992 in DVBl. 1993, S.787. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht noch am 28.03.1995 (Az.: 2 BvR 368/93) eine Verfassungsbeschwerde gegen letztgenannte Entscheidung nicht angenommen. Bei bestehenden Bedenken gegen diese höchstrichterliche Rechtsprechung wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, vorsorglich LErzg zu beantragen und den Rechtsweg zu beschreiten.
Anhaltspunkte für eine nachweislich entgegen einem klar geäußerten Willen der Antragstellerin und unter Verstoß gegen Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts vorliegende Nichtannahme oder Nichtverbescheidung von Leistungsanträgen sind weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Weiterhin lässt sich aus dem von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs ein Leistungsanspruch nicht ableiten. Die dafür erforderliche Pflichtverletzung des Beklagten kann nämlich nicht in einer bloßen Beratung oder Auskunftserteilung entsprechend den Vorgaben eines formellen Gesetzes und der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesehen werden, selbst wenn letztere aus späterer Sicht unrichtig gewesen ist. Andernfalls würden die zeit- lichen Begrenzungen unterlaufen, die der EuGH entsprechend Art.231 Abs.2 EGV für geboten erachtet hat. Insoweit kommt es auf die 4-Jahresgrenze im Sinne des § 44 Abs.4 SGB X nicht mehr an, die für den Herstellungsanspruch entsprechend gilt, vgl. BSG SozR 3-1300 § 44 Nr.25, S.60.
Dem Sachverhalt zufolge ist vor dem 11.02.2002 ein Antrag auf LErzg nicht gestellt worden, so dass auch die Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid im Sinne des § 44 SGB X nicht vorliegen.
Insgesamt hat der Beklagte daher zu Recht LErzg versagt.
Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war der Beklagte, der für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die der Klägerin zu ihrer Rechtsverfolgung im Berufungsverfahren entstanden sind.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs.2 Nr.1 SGG.
II. Außergerichtliche Kosten des zweiten Rechtszuges sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Landeserziehungsgeld (LErzg) für den 19. mit 24. Lebensmonat (06.08.1993 mit 05.02.1994) ihres Sohnes A. streitig.
I.
Die am 1964 geborene Klägerin, eine verheiratete türkische Staatsangehörige, welche seit 1990 im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung war, ist die Mutter des am 1992 in M. geborenen Kindes. Sie lebt seither mit diesem und ihrem Ehemann in einem gemeinsamen Haushalt, betreut und erzieht das Kind und übt daneben keine Erwerbstätigkeit aus. Sie ist bei der Betriebskrankenkasse der D. familienversichert. Nach der Aktenlage erhielt sie für den 1. mit 18. Lebensmonat Bundeserziehungsgeld (BErzg).
Der am 11.02.2002 gestellte Antrag auf Bewilligung von LErzg wurde durch Bescheid vom 18.06.2002 im Wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, Urteil vom 04.05.1999 C 262/96, können Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor Erlass dieses Urteils nicht geltend gemacht werden. Der Leistungszeitraum für das am 1992 geborene Kind hätte spätestens am 05.02.1994 geendet, so dass LErzg nicht gewährt werden könne. Der hiergegen erhobene Rechtsbehelf blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15.07.2002).
II.
Das angerufene Sozialgericht (SG) München wies die Klage durch Gerichtsbescheid vom 09.09.2002 im Wesentlichen mit der Begründung ab, zwar könnten nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 neben Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union und eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum auch türkische Staatsangehörige LErzg erhalten, wenn sie in den persönlichen Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates (ARB Nr. 3/80) vom 19.09.1980 fallen. Jedoch könne die Klägerin daraus keine Rechte herleiten. Denn der EuGH habe Ansprüche auf Leistungen für die Zeit nach dem Erlass seiner Entscheidung vom 04.05.1999 beschränkt und eine Ausnahme hierfür nur zugelassen, wenn vor diesem Zeitpunkt bereits eine Klage erhoben oder ein gleichwertiger Rechtsbehelf eingelegt worden sei. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor.
III.
Mit der am 21.10.2002 zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegten Berufung wendet die Klägerin ein, das S.-Urteil des EuGH, welches hinsichtlich des Kindergeldes ergangen sei und inter partes gelte, sei zwar wegen des Auslegungsmonopols des EuGH hinsichtlich des Gemeinschaftsrechtes zu beachten, jedoch sei die Frage der zeitlichen Beschränkung keine Frage der Auslegung und damit nicht bindend. Der Anspruch der Klägerin stütze sich unmittelbar auf Art.3 Abs.1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 und nicht auf die S.-Entscheidung. Im Übrigen sei der vom EuGH angesprochene Grundsatz der Rechtssicherheit nicht kodifiziert, sondern lediglich über das Gewohnheitsrecht anwendbar. Es stellte sich jedoch die Frage, ob das Vertrauen der Mitgliedstaaten auf die jahrelange diskriminierende Praxis der Behörden allein den betroffenen türkischen Staatsbürgern aufgebürdet werden dürfe.
Der Senat hat neben der Erziehungsgeldakte des Beklagten die Streitakte des ersten Rechtszuges beigezogen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter erklärt.
Die Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 09.09. 2002 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 18.06 ...2002 in der Gestalt des Widerspruchs- bescheides vom 15.07.2002 zu verurteilen, der Klägerin für das am 1992 geborene Kind A. Landeserziehungsgeld zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 09.09.2002 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Verfahrensakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Erzg-Akte Bezug genommen, insbesondere auf die Niederschrift der Senatssitzung vom 30.06.2003.
Entscheidungsgründe:
Die mangels Vorliegens einer Beschränkung gemäß § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) grundsätzlich statthafte, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte, und insgesamt zulässige Berufung der Klägerin, §§ 143 ff. SGG, erweist sich als in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Erstgericht die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage abgewiesen.
Der Senat entscheidet aufgrund der Einverständniserklärungen der Beteiligten durch den Berichterstatter als Einzelrichter, § 155 Abs.4 i.V.m. Abs.3 SGG.
Rechtsgrundlage für die Gewährung bayer. Landeserziehungsgeldes ist das Gesetz zur Gewährung eines LErzg und zur Ausführung des BErzGG (BayLErzGG) vom 12.06.1989 (GVBl.1989 S. 206). Anspruch auf BayLErzg hat gemäß Art.1 Abs.1 BayLErzGG in der für Geburten vor dem 01.07. 1993 geltenden Fassung (GVBl.1989 S. 206), wer seine Hauptwohnung oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt seit der Geburt des Kindes, mindestens jedoch 15 Monate in Bayern hatte (Nr. 1), mit einem nach dem 30.06.1989 geborenen Kind, für das ihm die Personensorge zustand, in einem Haushalt lebte (Nr. 2), dieses Kind selbst betreute und erzog (Nr. 3), keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübte (Nr. 4) und schließlich die deutsche Staatsangehörigkeit oder diejenige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union besaß (Nr. 5).
Nach Art.3 des Gesetzes wurde BayLErzg ab dem in § 4 Abs.1 BErzGG für das Ende des Bezuges von BErzg festgelegten Zeitpunkt bis zur Vollendung von weiteren sechs Lebensmonaten des Kindes gewährt (Abs.1). Vor dem Ende des sechsten Bezugsmonates endete der Anspruch mit dem Ablauf des Lebensmonats, in dem eine der Anspruchsvoraussetzungen entfallen ist. Im Fall der Aufnahme einer vollen Erwerbstätigkeit endete der Anspruch mit dem Beginn der Erwerbstätigkeit (Abs.3). Nach Art.5 betrug das LErzg DM 500,00 monatlich. Bei einer Überschreitung der nach §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Einkommensgrenzen wurde es auf den Betrag von fünf Sechstel des nach den §§ 5, 6 BErzGG zu berechnenden Bundeserziehungsgeldes gekürzt (Abs.1 Satz 1, 2).
In der vorliegenden Streitsache erfüllt die Klägerin nach dem Sachverhalt unstreitig die Anspruchsvoraussetzungen des Art.1 Abs.1 Satz 1 Nrn.1 mit 4 BayErzGG, denn sie hat nach Aktenlage ihren Wohnsitz seit 1990 in Bayern, lebt mit ihrem am 06.02. 1992 in München geborenen Sohn A. , für den ihr die Personensorge zusteht, und mit ihrem Mann in einem Haushalt, betreut das Kind selbst und übt keine Erwerbstätigkeit aus. Zur Überzeugung des Senats steht auch die Nr. 5 der Vorschrift dem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Zwar besaß sie im Bewilligungszeitraum weder die deutsche Staatsangehörigkeit noch die eines Mitgliedstaates der EU. Insoweit sind jedoch aufgrund der vorliegenden türkischen Staatsangehörigkeit die Regeln über die seit 1963 bestehende Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei zu beachten, wie der Senat im Einzelnen in seiner Entscheidung vom 20.12.2000 (L 9 EG 7/00) dargelegt hat, vgl. auch BSG vom 29.01.2002, B 10 EG 2/01 R.
Damit hat die Klägerin zwar grundsätzlich unter denselben Voraussetzungen wie Deutsche oder EU-Staatsangehörige Anspruch auf LErzG. Jedoch kann sie sich auf die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 für den hier streitigen Anspruchszeitraum (06.08.1993 mit 05.02.1994) nicht berufen, denn dieser liegt weit vor dem 04.05.1999.
Mit der vorgenannten Entscheidung hat der Senat die S.-Entscheidung des EuGH vom 04.05.1999, C-262/96 in SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Türkei, Nr.4, hinsichtlich des bayer. LErzg umgesetzt. Der Gerichtshof hat in der o.a. Rechtssache zum ersten Mal mit "erga-omnes-Wirkung" (vgl. EuGH Rechtssache 203/81, Sammlung 1982.3415) im Rahmen seiner Auslegungskompetenz für das Gemeinschaftsrecht gemäß Art.234 EGV den Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 verbindlich ausgelegt, welcher inhaltlich der für die Gemeinschaft im Bereich der sozialen Sicherheit geltenden EWG-Verordnung Nr. 1408/71 entspricht. In Abweichung von seiner früheren Entscheidung hinsichtlich der Art.12 und 13 des ARB Nr. 3/80 (vgl. EuGH C-277/94 Sammlung 1996, I-4087 T. M.) hat er festgestellt, dass das Diskriminierungsverbot des Art.3 Abs.1 im Geltungsbereich des ARB Nr. 3/80 einen eindeutigen unbedingten Grundsatz aufstellt, der ausreichend bestimmt ist, so dass er von einem nationalen Gericht angewandt werden kann, und der daher geeignet ist, die Rechtsstellung des Einzelnen zu regeln.
Auslegungsurteile des EuGH gemäß Art.234 EGV haben zwar grundsätzlich rückwirkende Kraft, das heißt sie bestimmen den Inhalt des Gemeinschaftsrechtes mit Wirkung von dem Zeitpunkt an, zu dem letzteres in Kraft getreten ist, vgl. EuGH Rechtssache 127 und 128/79, Sammlung 1980.1237/1260. Das kann im Einzelfall erhebliche Auswirkungen haben, wenn eine Gemeinschaftsregelung im Sinne des Art.234 EGV, zu der auch Abkommen mit Drittstaaten und Assoziationsratsbeschlüsse zählen (vgl. Borchardt in Maximilian Fuchs, Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 3. Auflage 2002, Baden-Baden, S.738 f) in einer von dem bisherigen Verständnis und der bisherigen Praxis abweichenden Weise ausgelegt wird und dadurch weitreichende Folgen entstehen. Insoweit hat der EuGH bereits wiederholt - auch im Sozialrecht - in analoger Anwendung der für Nichtigkeitsangelegenheiten maßgebenden Regelung des Art.231 Abs.2 EGV eine Ausnahme von der zeitlichen Wirkung seiner Entscheidung gemacht, vgl. Rechtssache 43/75 D. , Sammlung 1976.455, Rechtssache 33/84 F. , Sammlung 1985.1605, Rechtssache 24/86 B. , Sammlung 1988.379, Rechtssache 41/84 P. , Sammlung 1986, 1/26, Rechtssache 262/88 B. , Sammlung 1990 I-1889/1955).
Die Beschränkung der zeitlichen Wirkung einer Vorabentscheidung kommt danach beim Vorliegen eines Vertrauenstatbestandes und der Gefahr unerwarteter und erheblicher finanzieller Auswirkungen in Betracht, sie kann allerdings nur angenommen werden, wenn sie in dem jeweiligen Urteil ausdrücklich angesprochen worden ist, vgl. Borchardt, a.a.O., S.755. Insoweit hat der EuGH in der o.a. S.-Entscheidung vom 04.05.1999, welche einen Anspruch auf Kindergeld betrifft, ausdrücklich ausgeführt, dass es zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit ausschließen, Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des vorliegenden Urteils abschließend geregelt waren, in einer Situation wieder in Frage zu stellen, in der dies die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten rückwirkend erschüttern würde. Die unmittelbare Wirkung des Art.3 Abs.1 des Beschlusses Nr.3/80 kann damit nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Leistungen für Zeiten vor Erlass des vorliegenden Urteils geltend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben. Diese Voraussetzungen einer rückwirkenden Leistung erfüllt die Klägerin nicht. Denn sie hat vor dem 04.05.1999 weder einen Antrag auf LErzg gestellt noch einen Rechtsbehelf, insbesondere eine Klage, erhoben. Der EuGH sieht den Anlass für die Beschränkung der Rückwirkung in dem der Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit.
Die analoge Anwendung der Vorschrift des § 231 Abs.2 EGV entspricht den Grundsätzen der in § 79 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) niedergelegten Rechtsgedanken, vgl. BVerfGG 7.194 (195 ff.), 20.230 (235), welche die Folgen regelt, die eintreten, wenn eine Norm für verfassungswidrig erklärt wird. Der Gesetzgeber hat sich darin in dem Konflikt zwischen zwei Elementen des Rechtsstaatsprinzips, nämlich der Einzelfallgerechtigkeit und des Rechtsfrieden, zu dem die Rechtsbeständigkeit rechtskräftiger Entscheidungen gehört, mit bestimmten Ausnahmen für den letzteren Grundsatz entschieden, vgl. BVerfG 7.194 /196. Akte der öffentlichen Gewalt, deren Rechtsgrundlage mit der Verfassung nicht vereinbar sind, bleiben danach prinzipiell unangetastet, wenn sie im Rechtsweg nicht mehr angefochten werden können. Das BVerfG hat anerkannt, dass § 79 BVerfGG einen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, vgl. BVerfGE 37.217 (263); 97.35 /48. Dieser beruht letztlich auf der Einsicht, dass der Rechtsgemeinschaft nicht damit gedient ist, dass deren Mittel und Kapazitäten von der Bearbeitung abgeschlossener oder nicht in Gang gesetzter Rechtsfälle aus der Vergangenheit beansprucht würden, so dass dadurch die Erfüllung gegenwärtiger und zukünftiger Aufgaben erheblich beeinträchtigt wäre, vgl. zum angemessenen Verwaltungsaufwand BVerfGE 1997.35 (48). Es wird dem Bürger daher eine Anfechtungslast aufgebürdet. Wer eine Entscheidung akzeptiert, muss sich grundsätzlich auch bei späterer Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage daran festhalten lassen, vgl. Bethge in Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfG, § 79 Rdnr.2, 5, 9.
Ungeachtet der beim Kindergeld nach dem BKGG gegebenen längeren Anspruchsdauer sind die Grundsätze des S.-Urteils auf das BErzg und LErzg anzuwenden, denn einerseits hat der EuGH das Erziehungsgeld einer Familienleistung nach der EWG-Verordnung 1408/71 gleichgestellt, vgl. Rechtssache C-245/94 und 312/94 H. und Z ... Andererseits gelten die Darlegungen zur Rechtssicherheit im Rahmen des Art.231 Abs.2 EGV und des § 79 Abs.1 BVerfGG entsprechend. Der EuGH hat sich auf die im dortigen Verfahren angehörten Regierungen bezogen, welche "schwerwiegende finanzielle Konsequenzen" für die Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten befürchten. Unter diesem Aspekt ist die Äußerung des EuGH auf Seite 52 zu verstehen, auf der von einer Erschütterung der sozialen Sicherungssysteme die Rede ist. Schwerwiegende finanzielle Folgen träten im vorliegenden Fall ein, wenn die EuGH-Entscheidung unbegrenzt in die Vergangheit zurückwirken würde. Insbesondere ist die hohe Anzahl von Personen zu berücksichtigen, die Anspruch auf LErzg haben. Ferner ist insoweit der nicht unerhebliche Verwaltungsaufwand zu nennen, den die Verwaltung zusätzlich neben den laufenden Aufgaben zu bewältigen hätte und der dadurch noch wesentlich gesteigert würde, dass lange zurückliegende Sachverhalte aufzuklären wären.
Anhaltspunkte für eine rückwirkende Anwendung des Gleichheitsgebots im Sinne des Art.3 Abs.1 des ARB Nr. 3/80 sind auch anderweitig nicht ersichtlich. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Bezug auf die zeitlichen Grenzen der EuGH-Entscheidung vom 04.05.1999 kommt nicht in Betracht. Bei der zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des EuGH-Urteils liegt nämlich keine gesetzliche Frist im Sinne des § 27 SGB X vor, worunter nur Verfahrens- und materiellrechtliche Fristen zu verstehen sind, vgl. Krasney in Kasseler Kommentar, § 27 SGB X Rdnr.3.
Auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes von Treu und Glauben (unzulässige Rechtsausübung) ergibt sich nichts anderes. Vor der Klarstellung durch die EuGH-Entscheidung vom 04.05.1999 ist die Vereinbarkeit von Landesrecht (BayLErzGG) mit europäischem Assoziationsrecht durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt worden, vgl. BSG vom 03.11.1993 SozR 3-6935 Allg. EWG-Abkommen Nr. 1, und Bundesverwaltungsgerichts-Urteil vom 18.12.1992 in DVBl. 1993, S.787. Bekanntlich hat das Bundesverfassungsgericht noch am 28.03.1995 (Az.: 2 BvR 368/93) eine Verfassungsbeschwerde gegen letztgenannte Entscheidung nicht angenommen. Bei bestehenden Bedenken gegen diese höchstrichterliche Rechtsprechung wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, vorsorglich LErzg zu beantragen und den Rechtsweg zu beschreiten.
Anhaltspunkte für eine nachweislich entgegen einem klar geäußerten Willen der Antragstellerin und unter Verstoß gegen Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts vorliegende Nichtannahme oder Nichtverbescheidung von Leistungsanträgen sind weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Weiterhin lässt sich aus dem von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelten Rechtsinstitut des Herstellungsanspruchs ein Leistungsanspruch nicht ableiten. Die dafür erforderliche Pflichtverletzung des Beklagten kann nämlich nicht in einer bloßen Beratung oder Auskunftserteilung entsprechend den Vorgaben eines formellen Gesetzes und der höchstrichterlichen Rechtsprechung gesehen werden, selbst wenn letztere aus späterer Sicht unrichtig gewesen ist. Andernfalls würden die zeit- lichen Begrenzungen unterlaufen, die der EuGH entsprechend Art.231 Abs.2 EGV für geboten erachtet hat. Insoweit kommt es auf die 4-Jahresgrenze im Sinne des § 44 Abs.4 SGB X nicht mehr an, die für den Herstellungsanspruch entsprechend gilt, vgl. BSG SozR 3-1300 § 44 Nr.25, S.60.
Dem Sachverhalt zufolge ist vor dem 11.02.2002 ein Antrag auf LErzg nicht gestellt worden, so dass auch die Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid im Sinne des § 44 SGB X nicht vorliegen.
Insgesamt hat der Beklagte daher zu Recht LErzg versagt.
Die Kostenfolge ergibt sich aus den Vorschriften der §§ 183, 193 SGG. Im Hinblick auf den Verfahrensausgang war der Beklagte, der für das Berufungsverfahren keine Veranlassung gegeben hat, nicht zur Erstattung der notwendigen Aufwendungen zu verpflichten, die der Klägerin zu ihrer Rechtsverfolgung im Berufungsverfahren entstanden sind.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs.2 Nr.1 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved