Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 1 AL 3629/00
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Leistungsempfänger kann auf richtiges Verwaltungshandeln vertrauen. Insbesondere dann, wenn eine Verwaltung falsch entscheidet, dies aber für den Begünstigten nicht ohne weiteres erkennbar ist. Die Rücknahme der Entscheidung ist in diesem Fall nicht mehr möglich.
Der Bescheid vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 2000 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von 2.371,16 DM gezahlter Arbeitslosenhilfe.
Die 1972 geborene Klägerin war von August 1991 bis April 1998 als Verkäuferin bei A. beschäftigt. Bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 30. April 1999 bezog sie Arbeitslosengeld in Höhe von 179,97 DM. Am 22. März 1999 beantragte sie die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe und gab im Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" das Vermögen ihres Ehemannes U. B. an. Mit Schreiben vom 31. März 1999, ausweislich des Absendevermerks am 1. April 1999 zur Post gegeben, teilte die Beklagte der Klägerin mit, aus dem beigefügten Berechnungsbogen könne die Klägerin ersehen, wie der Anrechnungsbetrag errechnet worden sei. Mit Bescheid vom 7. April 1999 bewilligte die Beklagte der Klägerin dann Arbeitslosenhilfe ab 30. April 1999 in Höhe von 153,09 DM wöchentlich. Ein davon abzusetzender wöchentlicher Anrechnungsbetrag ist nicht ausgewiesen. Gleiches gilt für den Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2000, wo als vom wöchentlichen Leistungsbetrag in Höhe von 158,69 DM abzusetzender wöchentlicher Anrechnungsbetrag 0,00 angegeben ist.
Nach Anhörung (Schreiben vom 18. Mai 2000) teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 20. Juli 2000 mit, die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe werde ab 30. April 19999 in Höhe von 45,35 DM wöchentlich aufgehoben. Der für die von der Aufhebung betroffene Zeit erhaltene Betrag von 2.371,16 DM sei von der Klägerin zu erstatten.
Hiergegen legte die Klägerin am 11. August 2000 Widerspruch ein: Es habe keinesfalls grobe Fahrlässigkeit vorgelegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 17. Oktober 2000. Die Klägerin trägt vor, aufgrund der komplizierten Berechnungsmethode leuchte es keinesfalls ein, dass im konkreten Fall ein Anrechnungsbetrag abzusetzen sei. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass ihre Angaben in die Berechnung mit einfließen würden. Das Schreiben vom 31. März 1999 habe sie nicht erhalten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Des Weiteren trägt sie vor, die Klägerin sei mit Schreiben vom 31. März 1999 über die Anrechnung eines Betrages aus dem Einkommen des Ehemannes auf die Arbeitslosenhilfe informiert worden. Sie hätte die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung erkennen können.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG). Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2000 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Eine Rechtsgrundlage für die streitige teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 30. April 1999 ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ersichtlich; insbesondere die Voraussetzungen der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte liegen nicht vor.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich wesentlichen Vorteil begründet oder bestätigt hat – begünstigender Verwaltungsakt – rechtswidrig ist, darf er, nachdem er unanfechtbar geworden ist – nur unter den nachfolgend erörterten Einschränkungen zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 30. April 2000 mit Bescheid vom 7. April 1999 enthält einen begünstigenden Verwaltungsakt. Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn bei Erlass des Verwaltungsakts das – materielle oder formelle – Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (Bickel, Kommentar zum SGB X, Anmerkung 2 a zu § 45). Die Rechtswidrigkeit muss auch hier bereits bei Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts vorgelegen haben (Bickel, a. a. O., Anmerkung 2 a zu § 45); nachträglich eingetretene Unrichtigkeiten sind nur im Rahmen des § 48 SGB X korrigierbar. Die Rechtswidrigkeit der Bewilligung bei Erlass dieser Entscheidung ist dadurch eingetreten, dass die Klägerin – worüber die Beteiligten nicht streiten – ab Leistungsbeginn ab 30. April 1999 lediglich einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe in Höhe von 107,74 DM statt in Höhe von 153,09 DM und ab 1. Januar 2000 einen Anspruch in Höhe von 113,34 DM statt in Höhe von 158,69 DM hatte. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf jedoch nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und dessen Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist regelmäßig schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X). Ob ein Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts vorgelegen hat, ist Tatfrage. Hierbei kann allerdings nicht in erster Linie darauf abgestellt werden, ob der Begünstigte das Vertrauen betätigt hat; das ist im Rahmen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu prüfen. Regelmäßig wird der Bürger jedoch darauf vertrauen dürfen, dass der Verwaltungsakt einer Behörde dem Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entspricht (Sozialgericht Marburg, Urteil vom 19. Februar 1998, Az.: S 5 AL 314/97). Hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist abzuwägen zwischen dem Interesse des Staates und damit der Allgemeinheit auf Herstellung eines rechtmäßigen, d. h. gesetzmäßigen Zustandes und dem des gutgläubigen Bürgers auf Aufrechterhaltung seiner durch den früheren Verwaltungsakt begründeten, wenn auch rechtswidrigen Position (SG Marburg a. a. O.). Die Abwägung ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalles vorzunehmen. Für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Bürgers nennt das Gesetz selbst als Regelbeispiel, dass der Begünstigte die erbrachte Leistung verbraucht – hierauf beruft sich die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben vom 9. August 2000 – oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er zumutbar nicht mehr rückgängig machen kann. Nicht berufen kann sich der Begünstigte auf Vertrauen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X), soweit: - er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, Nr. 1, - der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, Nr. 2, - er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, Nr. 3. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Nr. 2 und – worauf die Beklagte abstellt – Nr. 3 liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 letzter Halbsatz SGB X). Ob sie gegeben ist, richtet sich nicht nach objektiven ("im Verkehr erforderlichen") Merkmalen, sondern nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit des Begünstigten, seinem Einsichtsvermögen und den sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalles (SG Marburg a. a. O.). Sie setzt eine Verletzung der Sorgfaltspflichten in ungewöhnlich hohem Ausmaß voraus, eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung; es hat dem Begünstigten ohne jede weitere Überlegung klar sein müssen, was hier rechtens war (so: Sozialgericht Marburg, Urteil vom 4. März 1999, S 5 AL 846/97). Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze lässt sich der von der Beklagten gezogene Schluss, die Klägerin hätte die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 7. April 1999 infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt, nicht aufrechterhalten. Ob der Klägerin grobe Fahrlässigkeit vorzuhalten ist, richtet sich wie ausgeführt nach ihrer persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, ihrem Einsichtsvermögen und Verhalten sowie den besonderen Umständen. Grobe Fahrlässigkeit setzt damit eine Sorgfaltspflichtverletzung auch in subjektiver Hinsicht voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was in gegebenem Fall jedem einleuchten muss. Grobe Fahrlässigkeit wäre der Klägerin daher nur dann vorzuwerfen, soweit es ihr ohne weitere Überlegung hätte klar sein müssen, dass die Zahlung der Arbeitslosenhilfe nur mit Anrechnungsbetrag hätte erfolgen müssen. Hierfür wäre jedoch erforderlich gewesen, dass die Klägerin die Anspruchshöhe richtig erkannt hatte. Eine solche Sicht der Dinge verkennt jedoch, dass dem Begünstigten eine eigene rechtliche Wertung eingeräumt wird (BSGE 47, 28, 33). Pflichtwidrigkeit und Schuldhaftigkeit in diesem Sinne könne deshalb nur bejaht werden, wenn der Verpflichtete die erforderliche Einsicht in die Erheblichkeit der dem Bewilligungsbescheid vom 7. April 1999 zugrunde liegenden Berechnungsgrößen hatte oder haben konnte. Dem Umstand, dass ein Anrechnungsbetrag in dem Bewilligungsbescheid vom 7. April 1999 und dem Bescheid vom 11. Januar 2000 nicht angegeben war, kommt hier keine entscheidende Bedeutung zu, unabhängig davon, ob der Klägerin das Schreiben vom 31. März 1999 zugegangen ist. Denn der Ursprungsbescheid vom 7. April 1999 wurde unter dem 11. Januar 2000 bestätigt. Dies ist eine Verfestigung der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung aus Sicht des Begünstigten. Im Übrigen gilt auch der Amtsermittlungsgrundsatz für die Beklagte, sodass der Leistungsträger auch bei laufend erbrachten Leistungen ermitteln muss, ob die Voraussetzungen für die Leistungen noch vorliegen. Die Überprüfung des Leistungsfalls gehört eindeutig zu den Aufgaben des Leistungsträgers. Da die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten in vollem Umfang nachgekommen ist, ist es eine Überforderung des Leistungsempfängers, dem Leistungsempfänger nicht nur die Pflicht zur Angabe der leistungsrelevanten Tatsachen aufzuerlegen, sondern ihn auch zu überwachen und zu verpflichten, ob ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren eingeleitet worden ist. Dies entzieht sich regelmäßig auf seinem Wissen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von 2.371,16 DM gezahlter Arbeitslosenhilfe.
Die 1972 geborene Klägerin war von August 1991 bis April 1998 als Verkäuferin bei A. beschäftigt. Bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 30. April 1999 bezog sie Arbeitslosengeld in Höhe von 179,97 DM. Am 22. März 1999 beantragte sie die Fortzahlung von Arbeitslosenhilfe und gab im Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" das Vermögen ihres Ehemannes U. B. an. Mit Schreiben vom 31. März 1999, ausweislich des Absendevermerks am 1. April 1999 zur Post gegeben, teilte die Beklagte der Klägerin mit, aus dem beigefügten Berechnungsbogen könne die Klägerin ersehen, wie der Anrechnungsbetrag errechnet worden sei. Mit Bescheid vom 7. April 1999 bewilligte die Beklagte der Klägerin dann Arbeitslosenhilfe ab 30. April 1999 in Höhe von 153,09 DM wöchentlich. Ein davon abzusetzender wöchentlicher Anrechnungsbetrag ist nicht ausgewiesen. Gleiches gilt für den Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2000, wo als vom wöchentlichen Leistungsbetrag in Höhe von 158,69 DM abzusetzender wöchentlicher Anrechnungsbetrag 0,00 angegeben ist.
Nach Anhörung (Schreiben vom 18. Mai 2000) teilte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 20. Juli 2000 mit, die Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe werde ab 30. April 19999 in Höhe von 45,35 DM wöchentlich aufgehoben. Der für die von der Aufhebung betroffene Zeit erhaltene Betrag von 2.371,16 DM sei von der Klägerin zu erstatten.
Hiergegen legte die Klägerin am 11. August 2000 Widerspruch ein: Es habe keinesfalls grobe Fahrlässigkeit vorgelegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf den Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 17. Oktober 2000. Die Klägerin trägt vor, aufgrund der komplizierten Berechnungsmethode leuchte es keinesfalls ein, dass im konkreten Fall ein Anrechnungsbetrag abzusetzen sei. Sie habe darauf vertrauen dürfen, dass ihre Angaben in die Berechnung mit einfließen würden. Das Schreiben vom 31. März 1999 habe sie nicht erhalten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Des Weiteren trägt sie vor, die Klägerin sei mit Schreiben vom 31. März 1999 über die Anrechnung eines Betrages aus dem Einkommen des Ehemannes auf die Arbeitslosenhilfe informiert worden. Sie hätte die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsentscheidung erkennen können.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG). Sie ist auch begründet.
Der Bescheid vom 20. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2000 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 SGG).
Eine Rechtsgrundlage für die streitige teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 30. April 1999 ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht ersichtlich; insbesondere die Voraussetzungen der Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte liegen nicht vor.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich wesentlichen Vorteil begründet oder bestätigt hat – begünstigender Verwaltungsakt – rechtswidrig ist, darf er, nachdem er unanfechtbar geworden ist – nur unter den nachfolgend erörterten Einschränkungen zurückgenommen werden (§ 45 Abs. 1 SGB X). Die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ab 30. April 2000 mit Bescheid vom 7. April 1999 enthält einen begünstigenden Verwaltungsakt. Rechtswidrigkeit liegt vor, wenn bei Erlass des Verwaltungsakts das – materielle oder formelle – Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist (Bickel, Kommentar zum SGB X, Anmerkung 2 a zu § 45). Die Rechtswidrigkeit muss auch hier bereits bei Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts vorgelegen haben (Bickel, a. a. O., Anmerkung 2 a zu § 45); nachträglich eingetretene Unrichtigkeiten sind nur im Rahmen des § 48 SGB X korrigierbar. Die Rechtswidrigkeit der Bewilligung bei Erlass dieser Entscheidung ist dadurch eingetreten, dass die Klägerin – worüber die Beteiligten nicht streiten – ab Leistungsbeginn ab 30. April 1999 lediglich einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslosenhilfe in Höhe von 107,74 DM statt in Höhe von 153,09 DM und ab 1. Januar 2000 einen Anspruch in Höhe von 113,34 DM statt in Höhe von 158,69 DM hatte. Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt darf jedoch nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und dessen Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist regelmäßig schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X). Ob ein Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Verwaltungsakts vorgelegen hat, ist Tatfrage. Hierbei kann allerdings nicht in erster Linie darauf abgestellt werden, ob der Begünstigte das Vertrauen betätigt hat; das ist im Rahmen der Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu prüfen. Regelmäßig wird der Bürger jedoch darauf vertrauen dürfen, dass der Verwaltungsakt einer Behörde dem Verfassungsgrundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung entspricht (Sozialgericht Marburg, Urteil vom 19. Februar 1998, Az.: S 5 AL 314/97). Hinsichtlich der Schutzwürdigkeit des Vertrauens ist abzuwägen zwischen dem Interesse des Staates und damit der Allgemeinheit auf Herstellung eines rechtmäßigen, d. h. gesetzmäßigen Zustandes und dem des gutgläubigen Bürgers auf Aufrechterhaltung seiner durch den früheren Verwaltungsakt begründeten, wenn auch rechtswidrigen Position (SG Marburg a. a. O.). Die Abwägung ist nach den Gesamtumständen des Einzelfalles vorzunehmen. Für die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Bürgers nennt das Gesetz selbst als Regelbeispiel, dass der Begünstigte die erbrachte Leistung verbraucht – hierauf beruft sich die Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben vom 9. August 2000 – oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er zumutbar nicht mehr rückgängig machen kann. Nicht berufen kann sich der Begünstigte auf Vertrauen (§ 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X), soweit: - er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, Nr. 1, - der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, Nr. 2, - er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, Nr. 3. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Nr. 2 und – worauf die Beklagte abstellt – Nr. 3 liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 letzter Halbsatz SGB X). Ob sie gegeben ist, richtet sich nicht nach objektiven ("im Verkehr erforderlichen") Merkmalen, sondern nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit des Begünstigten, seinem Einsichtsvermögen und den sonstigen besonderen Umständen des Einzelfalles (SG Marburg a. a. O.). Sie setzt eine Verletzung der Sorgfaltspflichten in ungewöhnlich hohem Ausmaß voraus, eine auch subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung; es hat dem Begünstigten ohne jede weitere Überlegung klar sein müssen, was hier rechtens war (so: Sozialgericht Marburg, Urteil vom 4. März 1999, S 5 AL 846/97). Unter Beachtung der vorstehenden Grundsätze lässt sich der von der Beklagten gezogene Schluss, die Klägerin hätte die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides vom 7. April 1999 infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt, nicht aufrechterhalten. Ob der Klägerin grobe Fahrlässigkeit vorzuhalten ist, richtet sich wie ausgeführt nach ihrer persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, ihrem Einsichtsvermögen und Verhalten sowie den besonderen Umständen. Grobe Fahrlässigkeit setzt damit eine Sorgfaltspflichtverletzung auch in subjektiver Hinsicht voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Subjektiv schlechthin unentschuldbar ist ein Verhalten, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was in gegebenem Fall jedem einleuchten muss. Grobe Fahrlässigkeit wäre der Klägerin daher nur dann vorzuwerfen, soweit es ihr ohne weitere Überlegung hätte klar sein müssen, dass die Zahlung der Arbeitslosenhilfe nur mit Anrechnungsbetrag hätte erfolgen müssen. Hierfür wäre jedoch erforderlich gewesen, dass die Klägerin die Anspruchshöhe richtig erkannt hatte. Eine solche Sicht der Dinge verkennt jedoch, dass dem Begünstigten eine eigene rechtliche Wertung eingeräumt wird (BSGE 47, 28, 33). Pflichtwidrigkeit und Schuldhaftigkeit in diesem Sinne könne deshalb nur bejaht werden, wenn der Verpflichtete die erforderliche Einsicht in die Erheblichkeit der dem Bewilligungsbescheid vom 7. April 1999 zugrunde liegenden Berechnungsgrößen hatte oder haben konnte. Dem Umstand, dass ein Anrechnungsbetrag in dem Bewilligungsbescheid vom 7. April 1999 und dem Bescheid vom 11. Januar 2000 nicht angegeben war, kommt hier keine entscheidende Bedeutung zu, unabhängig davon, ob der Klägerin das Schreiben vom 31. März 1999 zugegangen ist. Denn der Ursprungsbescheid vom 7. April 1999 wurde unter dem 11. Januar 2000 bestätigt. Dies ist eine Verfestigung der ursprünglichen Verwaltungsentscheidung aus Sicht des Begünstigten. Im Übrigen gilt auch der Amtsermittlungsgrundsatz für die Beklagte, sodass der Leistungsträger auch bei laufend erbrachten Leistungen ermitteln muss, ob die Voraussetzungen für die Leistungen noch vorliegen. Die Überprüfung des Leistungsfalls gehört eindeutig zu den Aufgaben des Leistungsträgers. Da die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten in vollem Umfang nachgekommen ist, ist es eine Überforderung des Leistungsempfängers, dem Leistungsempfänger nicht nur die Pflicht zur Angabe der leistungsrelevanten Tatsachen aufzuerlegen, sondern ihn auch zu überwachen und zu verpflichten, ob ein ordnungsgemäßes Verwaltungsverfahren eingeleitet worden ist. Dies entzieht sich regelmäßig auf seinem Wissen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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