L 5 RJ 388/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1161/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 388/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 43/03 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Abweisung der Klage im Übrigen - der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 14. Juni 2002 insoweit abgeändert, als darin der Bescheid vom 30. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Oktober 2000 in vollem Umfange aufgehoben wurde. Dieser Bescheid wird nur insoweit abgeändert und der Klage dagegen stattgegeben, als er auf die Hinzuverdienstgrenze die Bezüge aus dem Vertreterversorgungswerk anrechnet.
II. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
III. Die Beklagte erstattet dem Kläger ein Drittel der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Rückforderung von Berufsunfähigkeitsrente wegen der Anrechnung eines Berufsunfähigkeitsrentenbezugs aus einem privatrechtlichen Versorgungswerk ab 01.12.1997.

Der Kläger war bis 1978 rentenversicherungspflichtig und hat ab 01.06.1978 als selbständiger Handelsvertreter freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet. Die Vermittlung von Versicherungen hat er zum 01.06.1999 abgemeldet. Bis dahin hat er auch eine Lotto-Toto-Annahmestelle betrieben.

Im Zusammenhang mit seinem am 22.01.1997 gestellten Rentenantrag legte der Kläger am 03.09.1997 eine Einkommensschätzung seines Steuerberaters vor, wonach sich der Jahresgewinn aus Gewerbebetrieb 1997 voraussichtlich auf 13.000,00 DM belaufen werde. Mit Bescheid vom 19.09.1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger ab 01.08.1997 Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit bis 31.12.1999 in voller Höhe.

Am 03.09.1999 legte der Kläger den Einkommensteuerbescheid für 1997 vor, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 35.482,00 DM auswies. Entsprechend der am 15.03.2000 vorgelegten vorläufigen Berechnung des Steuerberaters betragen die Einkünfte aus Gewerbebetrieb 1998 voraussichtlich 40.664,00 DM.

Mit Bescheid vom 30.03.2000 stellte die Beklagte eine Überzahlung in Höhe von 14.916,88 DM bis 31.05.1999 fest. Wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen habe Berufsunfähigkeitsrente von Anfang an nicht zugestanden.

Dem widersprach der Kläger unter Vorlage des Schreibens der A.-Versicherungs-AG vom 16.12.1997, wonach er ab 01.12. 1997 aus dem Vertreterversorgungswerk eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.647,00 DM monatlich erhält. Auf Anfrage teilte die A. mit, die Berufsunfähigkeitsrente sei eine Leistung der betrieblichen Altersversorgung der A.-Gesellschaften; als nachträgliche Einkunft aus selbständiger Tätigkeit sei sie gemäß § 24 Einkommensteuergesetz steuerpflichtig.

Laut Steuerberater des Klägers sind im steuerpflichtigen Be- trag von 1998 23.058,00 DM als Einkommen aus dem Versorgungswerk enthalten, der Rest von 17.606,00 DM als Gewinn aus der Lotto-Toto-Annahmestelle. Entsprechend dem Einkommensteuerbescheid 1999 belaufe sich das Einkommen aus Gewerbebetrieb auf 41.401,00 DM, wobei 19.764,00 DM aus Einkommen des Versorgungswerks stammten, der Rest aus der Lotto-Toto-Annahmestelle.

Die Beklagte wies den Widerspruch am 12.10.2000 zurück. Die Bezüge aus dem Versorgungswerk seien nach Auffassung der Rentenversicherungsträger Einkommen nach § 15 Abs.1 Satz 2 SGB IV, weil sie wegen der früheren Tätigkeit als Versicherungsvertreter gezahlt würden. Bei der Bestimmung von "Arbeitseinkommen" sei nicht auf die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit abzustellen, sondern auf die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Einkünfte. Lediglich nach Beendigung der selbständigen Tätigkeit noch zufließende Beträge, die bereits während der Ausübung der selbständigen Tätigkeit erwirtschaftet wurden, würden nicht berücksichtigt.

Mit seiner am 30.10.2000 erhobenen Klage hat der Kläger Rentenzahlung für die Zeit vom 01.08.1997 bis 30.05.1999 beantragt. Betriebliche Altersversorgung sei eine Ergänzung der Grundsicherung und könne nicht zur Minderung der Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung führen. Es handle sich um Versorgungsbezüge nach § 229 SGB V.

Mit Gerichtsbescheid vom 14.06.2002 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 30.03.2000 aufgehoben. Die Rente aus dem Versorgungswerk sei kein Arbeitseinkommen, sondern Betriebsrente, die vom Gesetzgeber bewusst aus der Einkommensanrechung ausgenommen worden sei. Die steuerrechtliche Behandlung sei nicht entscheidend, weil alle Betriebsrenten der Besteuerung unterlägen.

Gegen den am 24.06.2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 23.07.2002 Berufung eingelegt und einen Verstoß gegen § 96a SGB VI i.V.m. § 15 SGB IV geltend gemacht. Einkommen sei als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten sei.

Im Erörterungstermin am 22.10.2002 haben die Beteiligten bekundet, dass der die Überzahlung vom 01.06.1999 bis 30.11.2000 feststellende Bescheid vom 25.10.2000 nicht Gegenstand des Verfahrens sei, weil er erst einen Folgezeitraum betreffe. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Versorgungszusage der A. an die Abgabe des Versicherungsbestands geknüpft gewesen sei.

Ein Vergleich über die Rücknahme der Klage gegen den Bescheid vom 30.03.2000 ist innerhalb der Widerrufsfrist widerrufen worden.

In der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte erklärt, dass die Anrechnung der Einnahmen aus der Lotto-Toto-Annahmestelle auf die Berufsunfähigkeitsrente nicht in Streit stehe.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 14.06. 2002 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30.03. 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.10. 2000 abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 14.06.2002 zurückzuweisen, soweit die Bezüge aus dem Vertreterversorgungswerk auf die Berufsunfähigkeitsrente angerechnet werden.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakten Bezug geommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 14.06.2002 ist insoweit abzuändern, als damit der Bescheid vom 30.03.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2000 in vollem Umfang aufgehoben wurde. Der streitgegenständliche Bescheid ist nur insoweit aufzuheben, als darin die Berufsunfähigkeitsrente aus dem Vertreterversorgungswerk auf die Hinzuverdienstgrenze des § 96a Abs.2 Ziffer 2 SGB VI angerechnet wird. Im Übrigen ist die Rückforderung wegen Überschreitens der Hinzuverdienstgrenzen rechtmäßig. Letzteres ist in Anbetracht der in der mündlichen Verhandlung am 08.07.2003 gestellten Anträge nicht mehr strittig.

Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, soweit die Rente des Klägers aus der betrieblichen Altersvorsorge auf die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit angerechnet werde, sei der Bescheid der Beklagten vom 30.03.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.10.2000 rechtswidrig. Gemäß § 96a SGB VI in der zwischen dem 01.01.1996 und 31.12.2000 maßgebenden Fassung des SGB VI-Änderungsgesetzes vom 15.12.1995 (BGBl.I 1824) gelten für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die dort genannten Hinzuverdienstgrenzen. Anders als im Rahmen der Einkommensanrechnung auf Renten wegen Todes nach § 97 SGB VI können die Hinzuverdienstgrenzen für Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur durch Arbeitsentgelt oder -einkommen überschritten werden, nicht durch sonstige zum Gesamteinkommen im Sinne des § 16 SGB IV zählende Einkünfte. Die Rente aus dem Vertreterversorgungswerk ist weder Arbeitsentgelt noch -einkommen. Vielmehr handelt es sich entsprechend dem Schreiben der A. Versicherungs AG vom 24.07.2000 um eine Betriebsrente, für die das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung gilt.

Arbeitseinkommen ist der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (§ 15 Abs.1 SGB IV).

Zwar werden die Rentenleistungen der A. Versicherungs AG als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 24 Einkommensteuergesetz versteuert. Der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit ist als Arbeitseinkommen im sozialversicherungsrechtlichen Sinn in § 15 SGB IV definiert. Dementsprechend heißt es in der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.09.1999 (SozR 3-2600 § 34 Nr.2), § 15 Abs.1 Satz 1 SGB IV schließe es aus, dass der Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit für die Zwecke der Sozialversicherung anders ermittelt werde als im Einkommensteuerrecht. Weil der mit Wirkung vom 01.01.1995 eingefügte § 15 Abs.1 Satz 2 SGB IV bestimmt, dass Einkommen als Arbeitseinkommen zu werten ist, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist, wird daraus geschlossen, dass jetzt eine volle Parallelität von Einkommensteuerrecht und Sozialversicherungsrecht sowohl bei der Zuordnung zum Arbeitseinkommen als auch bei der Höhe des Arbeitseinkommens besteht (Niesel in Kasseler Kommentar § 34 SGB VI Rdziff.17). Dem kann in dieser Allgemeinheit nicht zugestimmt werden.

Wie das Bundessozialgericht entschieden hat, kann § 15 SGB IV nicht entnommen werden, dass die steuerrechtliche Qualifizierung bestimmter Einkünfte als eine der sieben Einkunftsarten des § 2 Einkommensteuergesetz auch darüber entscheidet, ob im Sinne von § 15 SGB IV von einer selbständigen Tätigkeit und damit hieraus resultierenden Einkünften als Arbeitseinkommen auszugehen ist (BSG, Urteil vom 27.01.1999 in SozR 3-2400 § 15 Nr.6). Das Einkommensteuerrecht kennt den Begriff des "Arbeitseinkommens" nicht. "Wäre das Arbeitseinkommen stets identisch mit dem vom Finanzamt ermittelten Gewinn, würden einem Hinterbliebenen unter Umständen Einkünfte als Erwerbseinkommen angerechnet, die auf privater Vorsorge und damit auf der sog. 3. Säule der Altersvorsorge beruhen. Diese sind nach dem System der §§ 18a ff. SGV IV aber gerade nicht zu den anrechenbaren Einkünften zu zählen" - so das BSG am 27.01.1999 (a.a.O.). Wenn aber die weitreichende Anrechnungsvorschrift des § 18a SGB IV, die Arbeitseinkommen und vergleichbares Einkommen (Abs.2) sowie Renten öffentlich-rechtlicher Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen bestimmter Berufsgruppen wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit (Abs.3 Ziffer 7) erfasst, Bezüge aus privater Vorsorge von der Anrechnung ausnimmt, muss dies umso mehr für § 96a SGB VI gelten, womit die rentenschädlichen Einkünfte auf Erwerbseinkommen begrenzt werden.

Die Parallelität von steuerlichem Gewinn und Arbeitseinkommen im Sinn von § 15 SGB IV setzt voraus, dass jemand selbständig tätig ist und aus dieser selbständigen Tätigkeit einen steuerlichen Gewinn erzielt. Die von der A.-Versicherungs-AG gezahlten Versorgungsbezüge resultieren nicht aus einer selbständigen Tätigkeit, sie knüpfen vielmehr an die Beendigung dieser selbständigen Tätigkeit als Handelsvertreter an. Einkünfte gefährden den Rentenanspruch nicht, wenn sie ihre Grundlage nicht in einer während des Rentenbezugs zeitgleich ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit haben. Insbesondere gilt dies für Betriebsrenten (Kreikebohm in Gesamtkommentar SGB VI/77 April 2002 § 34 Rdziff.63). Die Rentenversicherungsträger schließen sich dem an, wenn sie nach Beendigung der selbständigen Tätigkeit noch zufließende Beträge, die bereits während der Ausübung der selbständigen Tätigkeit erwirtschaftet wurden, von der Anrechnung ausnehmen. Weshalb Vergleichbares nicht auch für Renten gelten soll, die auf privatrechtlicher Basis erwirtschaftet wurden, ist nicht ersichtlich.

Bei den Einkünften aus dem Vertreterversorgungswerk handelt es sich um Einkünfte, die auf privater Vorsorge und damit auf der sog. 3. Säule der Altervorsorge beruhen. Derartige Einkünfte genießen einen Sonderstatus, wie das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Anrechnung von Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen auf Hinterbliebenenrenten der gesetzlichen Rentenversicherung entschieden hat (Beschluss des 1. Senats vom 18.02.1998 Az.: 1 BvR 1318, 1484/86), und zählen nach dem System der 18a ff. SGB IV nicht zu den anrechenbaren Einkünften. Ähnlich wie es bei § 18a Abs.1 SGB IV darum geht, dasjenige Einkommen zu erfassen, das der Hinterbliebene aus dem Einsatz seiner Arbeitskraft erzielt, geht es bei § 96a SGB VI darum, den Hinzuverdienst zu berücksichtigen, den der Versicherte trotz Erwerbsminderung erzielt. Oftmals hatten BU-Rentner vor Einführung des § 96a SGB VI aus Rente und Hinzuverdienst aus unzumutbarer Tätigkeit bzw. auf Kosten der Gesundheit ein höheres Einkommen zur Verfügung als vor dem Versicherungsfall. Dies stand im Widerspruch zur Lohnersatzfunktion der Rente (BR-Ds 496/95, S.41 f). Die strittigen Bezüge erzielt der Kläger jedoch nicht aus der Verwertung seiner Restarbeitskraft, sondern aus einem neben der gesetzlichen Rentenversicherung bestehenden Versorgungssystem. Die Einkünfte aus dem Versorgungswerk erhält der Kläger nicht neben weiterer Erwerbstätigkeit, sondern gerade wegen seiner Erwerbsminderung nach Aufgabe der selbständigen Tätigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache war die Revision zuzulassen. Die Rentenversicherungsträger stellen entsprechend dem Beschluss der FAVR 1/2000 (TOP 10) allein auf die einkommensteuerrechtliche Behandlung der Einkünfte ab, so dass ein Klärungsbedarf besteht.
Rechtskraft
Aus
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