S 55 SO 173/06 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
55
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 55 SO 173/06 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Sicherstellung des Lebensunterhaltes ist auch bei einer längerfristigen stationären Unterbringung Aufgabe der Sozialhilfe, wenn jedenfalls - möglicherweise zu Unrecht - keine finanziellen Mittel durch die Einrichtung selbst (persönliches Taschengeld) zur Verfügung gestellt werden.
2. Die Ablehnung der Hilfe zum Lebensunterhalt kann nicht mit der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers begründet werden, wenn dieser tatsächlich keine Zahlungen erbringt.
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig für die Zeit vom 08.05.2006 bis zum 31.07.2006, höchstens aber bis zur Bestandskraft des Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006, Hilfe zum Lebensunterhalt in Form des Barbetrags nach § 35 Abs. 2 SGB XII zu gewähren.

2. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

3. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.

Gründe:

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung des Barbetrags nach § 35 Abs. 2 SGB XII (Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch).

Der 1972 geborene Antragsteller hat seinen Wohnsitz in H ... Er ist seit dem 25.11.2005 nach § 126a Strafprozessordnung (StPO) in der Klinik für forensische Psychiatrie XY. untergebracht. Vorher bezog er Arbeitslosengeld nach dem Dritten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB III).

Mit Schreiben vom 29.11.2005 bat die Klinik um die Gewährung eines Barbetrags nach dem SGB XII für den Antragsteller und fügte einen vom Antragsteller selbst unter dem 28.11.2005 gezeichneten Antrag bei. Beigefügt war weiter ein Schreiben des bei der Klinik beschäftigten Sozialarbeiters, D., wonach sich bezüglich des Entlassungsdatums zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine konkreten Angaben treffen ließen. Es sei allerdings von einer Aufenthaltsdauer in der Klinik von mehr als sechs Monaten auszugehen.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.01.2006 ab, wobei er die Auffassung vertrat, dass die Justizvollzugsanstalt bzw. die Einrichtung zur einstweiligen Unterbringung alle für die Führung eines menschwürdigen Daseins notwendigen und fürsorgerechtlich anerkannten Bedarfe zu erbringen habe. Seien die Leistungen der Justizvollzugsanstalt bzw. Einrichtung nicht ausreichend, den beschriebenen Bedarf zu decken, könne ein Verweis auf die nachrangige Grundsicherung für Erwerbsfähige nicht erfolgen. Dieses sei analog für die Leistungen nach dem SGB XII zu sehen.

Den Widerspruch des Klägers vom 12.01.2006 wies der Main-Kinzig-Kreis als Widerspruchsbehörde durch Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf eine entsprechende Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit vom 28.06.2005 vertrat auch die Widerspruchsbehörde die Auffassung, dass es alleinige Aufgabe der Vollzugseinrichtungen und somit der Länder sei, während der Haft bzw. der Unterbringung für die notwendigen und fürsorgerechtlich anerkannten Bedarfe zu sorgen. Der Antragsteller müsse sich mithin auf die vorrangige Inanspruchnahme der Leistungen der Einrichtung verweisen lassen. Der Widerspruchsbescheid verwies im Rahmen der Rechtsmittelbelehrung auf das Sozialgericht Gießen als für die Klage zuständiges Gericht. Außerdem enthält die Rechtsmittelbelehrung den Passus: "Die Klage hat den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen."

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 04.05.2006, eingegangen bei Gericht am 08.05.2006, beim Sozialgericht Gießen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

Das SG Gießen hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 24.05.2006 an das hiesige Sozialgericht verwiesen.

Zur Begründung hat der Antragsteller darauf verwiesen, dass die Klinik nicht für alle notwendigen Bedarfe wie z.B. Toiletten- und Hygieneartikel oder habe keinerlei finanzielle Mittel, um diesen Bedarf zu decken.

Der Antragsteller hat sinngemäß beantragt,
den Antragsgegner im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihm vorläufig den Barbetrag nach § 35 Abs. 2 SGB XII zu gewähren.

Der Antragsgegner hat beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Er macht weiterhin - gestützt auf die erwähnte Stellungnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit - geltend, dass die notwendigen Bedarfe vollständig durch die Länder zu decken seien.

II. Der Antrag ist zulässig und ganz überwiegend begründet.

1. Der Antrag ist als Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Namentlich ergibt sich die örtliche Zuständigkeit des SG Frankfurt/Main bereits aus dem nach §§ 98 SGG i.V.m. 17a GVG bindenden Verweisungsbeschluss des SG Gießen.

2. Der Antrag ist ganz überwiegend auch begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Regelungsanordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang liegen vor.

a) Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt dabei einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus. Diese sind glaubhaft zu machen. Erforderlich ist, dass dem Antragsteller nicht zugemutet werden kann, den Ausgang eines Hauptsacheverfahrens abzuwarten (Anordnungsgrund). Außerdem muss ein Anordnungsanspruch bestehen. Dieser setzt voraus, dass der Antragsteller überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache hat. Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung der Art, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (vgl. die st. Rspr. des Hess. LSG, für viele: Beschl. v. 29.06.2005, Az. L 7 AS 1/05 ER u.a.). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich auf Grund ihres funktionalen Zusammenhangs ein so genanntes bewegliches System (Meyer-Ladewig, Komm. z. SGG, § 86b, Rn. 27 und 29): Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden (vgl. nochmals HLSG, Beschl. v. 29.06.2005, Az.: L 7 AS 1/05 ER u.a.). Das BVerfG (1. Senat 3. Kammer, Beschluss v. 19.03.2004, Az: 1 BvR 131/04; vgl. für das SGB II inzwischen auch BVerfG, 1 BvR 569/05 v. 12.05.2005) hat den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit dabei zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz) aufgegeben, in erster Linie zu verhindern, dass es durch die Versagung von einstweiligem Rechtsschutz zu schweren und unzumutbaren Nachteilen führt. Es hat dazu ausgeführt: "Je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbunden sind, um so weniger darf das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition zurückgestellt werden. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69 (74); 94, 166 (216)). Die Gerichte sind, wenn sie ihre Entscheidung nicht an einer Abwägung der widerstreitenden Interessen, sondern an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache orientieren, in solchen Fällen gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 -, NJW 2003, S. 1236 (1236 f.))."

b) Ein Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung kann auch vor Erhebung der Klage in der Hauptsache gestellt werden. Dies ergibt sich bereits daraus, dass nach § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 926 ZPO dem Antragsteller auf Antrag eines anderen Beteiligten eine Frist zur Klageerhebung gesetzt werden kann.

Der Umstand, dass bisher nach den eigenen Angaben des Antragstellers Klage noch nicht erhoben worden ist, zwingt vorliegend auch unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Bestandskraft des ablehnenden Bescheides vom 11.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 nicht zur Abweisung des Antrags auf Eilrechtsschutz. Der genannte Bescheid ist nämlich trotz der bisher ausstehenden Klageerhebung im Hauptsacheverfahren noch nicht bestandskräftig: Zwar ist angesichts der Formulierung des Antragsschriftsatzes unter dem 04.05.2006 zweifelsfrei davon auszugehen, dass der Widerspruchsbescheid vom 26.04.2006 dem Antragsteller vor mehr als einem Monat zugestellt worden ist. Die regelmäßig einen Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides betragende Frist zur Klageerhebung (§ 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 SGG) hat vorliegend jedoch nicht zu laufen begonnen, da die im Widerspruchsbescheid enthaltene Rechtsmittelbelehrung unzutreffend war. Dies ergibt sich bereits daraus, dass als zuständiges Gericht das SG Gießen aufgeführt ist. Da der Kläger aber durch die Einweisung in die Klinik in XY. - das im Übrigen im Zuständigkeitsbereich des SG Marburg liegt - seinen auch für die gerichtliche Zuständigkeit maßgeblichen Wohnsitz nach § 30 Abs. 3 SGB I in H. nicht verloren hat, wäre als zuständiges Gericht das SG Frankfurt anzugeben gewesen. Überdies erweckt die Rechtsmittelbelehrung den Eindruck als sei die Angabe des Klägers, des Beklagten und des Streitgegenstandes bereits in der Klageschrift zwingende Voraussetzung der Klageerhebung, während § 92 S. 1 SGG insoweit nur eine Sollvorschrift enthält: Im Hinblick auf die rechtlich u.U. ungewandten Kläger, die den Rechtsschutz der Sozialgerichtsbarkeit in Anspruch nehmen, sollten die genannten Angaben und allgemein ein bestimmter Inhalt gerade nicht zwingend vorgeschrieben werden (vgl. nur Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. z. SGG, § 92, Rn. 1). Die Rechtsmittelbelehrung erweckt somit den Eindruck, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als dies in Wahrheit der Fall ist. Anerkanntermaßen unzutreffend ist eine Rechtsmittelbelehrung aber gerade, wenn eine Sollvorschrift als Mussvorschrift bezeichnet wird (vgl. nur BSG v. 31.08.2000, Az.: B 3 P 18/99 R). Die Frist zur Klageerhebung hat daher gemäß § 66 Abs. 1 SGG noch gar nicht zu laufen begonnen, so dass der Kläger zur Vermeidung der Bestandskraft nur gezwungen ist, Klage in der Hauptsache innerhalb eines Jahres nach Zustellung des Widerspruchsbescheides zu erheben, § 66 Abs. 2 S. 1 SGG.

c) Die Kammer geht derzeit von offenen Erfolgsaussichten einer potentiellen Klage in der Hauptsache aus. Die unter diesen Umständen gebotene Interessenabwägung muss zugunsten des Antragstellers entschieden werden.

aa) Der Kläger macht hier Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII in Form des Barbetrags zur persönlichen Verfügung nach § 35 Abs. 2 SGB II geltend.

Der Anspruch ist dabei nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger als erwerbsfähige Person dem Grunde nach leistungsberechtigt nach dem SGB II wäre. Der grundsätzliche Ausschluss entsprechender Leistungen nach § 21 S. 1 SGB XII und - übereinstimmend - § 5 Abs. 2 SGB II greift vorliegend, obwohl an der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers keine Zweifel bestehen, nicht ein: Gemäß § 7 Abs. 4 SGB II erhält nämlich Leistungen nach diesem Buch nicht, wer für länger als sechs Monate in einer stationären Einrichtung untergebracht ist.

Zu den stationären Einrichtungen iSd § 7 Abs. 4 SGB II gehört auch eine Justizvollzugs- oder eine Untersuchungshaftanstalt (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B, SG Würzburg, Beschluss vom 29.03.2005, Az.: S 10 AS 27/05 ER; vgl. auch Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rdn. 34; Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II Loseblattsammlung, § 9 Rdn. 69; aA LSG Schleswig Holstein, Beschluss vom 14.11.2005, Az.: L 9 B 260/05 SO ER und LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.03.2006, Az.: L 7 AS 423/05 ER). Gleiches muss auch – wenn nicht umso mehr – für Kliniken gelten, und zwar auch dann, wenn die Aufnahme auf einer zwangsweisen Unterbringung nach § 126a StPO beruht: Im SGB II findet sich keine Definition, was unter stationären Einrichtungen zu verstehen ist. Die Regelung in § 7 Abs. 4 SGB II ist daher im Zusammenhang mit § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII zu interpretieren (vgl. hierzu und zum Folgenden: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B). Diese Bestimmungen schließen für Personen, die erwerbsfähig sind, Leistungen nach dem SGB XII aus (§ 7 Abs. 1 Nr. 2 SGB II). Da auch in stationären Einrichtungen Untergebrachte erwerbsfähig sein können, ist § 7 Abs. 4 Hs. 1 SGB II als gesetzliche Fiktion der Nichterwerbsfähigkeit auszulegen (Spellbrink, in: Eicher/Spellbrink, SGB II München 2005, § 7 Rdnr. 33). Wer somit voraussichtlich länger als sechs Monate untergebracht sein wird, ist von vornherein nicht nur nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II; für ihn greift umgekehrt der Ausschluss des Sozialhilfeanspruchs gemäß § 5 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 21 SGB XII nicht durch (Spellbrink, aaO). Als Einrichtung iSd § 7 Abs. 4 Hs. 1 SGB II kann vor diesem Hintergrund jede vollstationäre Einrichtung aufgefasst werden, in der der Einrichtungsträger von der Aufnahme bis zur Entlassung des Hilfebedürftigen die Gesamtverantwortung für dessen tägliche Lebensführung übernimmt und Gemeinschaftseinrichtungen vorhanden sind (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.03.2006, Az.: L 8 AS 1171/06 ER-B unter Berufung auf Spellbrink aaO Rdnr. 34). Diese Voraussetzungen sind bei einer Klinik für forensische Psychiatrie, in die der Hilfebedürftige nach § 126a StPO eingewiesen ist, erfüllt.

Hinsichtlich der Zeitdauer der Unterbringung hat sich angesichts der Aufnahme des Antragstellers am 25.11.2005 zwischenzeitlich bereits die – auch von vornherein nicht zu beanstandende – Prognose der Klinik bestätigt, dass mit einer Aufenthaltsdauer von mehr als sechs Monaten zu rechnen sei.

bb) Die damit grundsätzlich möglichen Hilfen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII setzen nach § 19 Abs. 1 SGB XII voraus, dass der Anspruchsteller nicht in der Lage ist, den notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln zu beschaffen.

Der Antragsteller hat verschiedene Bedarfe aus dem Bereich der Hygiene und der Kommunikation, die seitens der Anstalt nicht abgedeckt würden, benannt und glaubhaft gemacht. Auch die Klinik selbst geht im Übrigen erkennbar davon aus, dass entsprechende Bedarfe bestehen, wie sich aus der Unterstützung des Antragstellers durch die Klinik im Rahmen des Verwaltungs- und auch im Gerichtsverfahren ergibt.

Es erscheint dabei zwar auch nach Auffassung der Kammer als nahe liegend, dass der Antragsteller die Deckung entsprechender Bedarfe – über die Gewährung eines Taschengeldes – im Rahmen des Vollzugsverhältnisses verlangen kann (vgl. zum Ganzen auch Volckart, Maßregelvollzug, 5. Aufl., S. 79): Nach Ziff. 90 Abs. 2 der Untersuchungshaftvollzugsordnung (in Hessen in Kraft auf Grund RdErl. v. 15. 12. 1976 (JMBl. 1977 S. 49)) gelten für den Vollzug der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO, soweit nicht Rücksichten auf das Verfahren entgegenstehen oder anderes bestimmt ist, die Vorschriften über den Vollzug der Unterbringung gemäß §§ 63, 64 StGB entsprechend. Diesbezüglich verweist wiederum § 138 StVollzG auf die Regelungen des Landesrechts, soweit Bundesgesetze nichts anderes bestimmen. Maßgeblich ist danach in Hessen das Gesetz über den Vollzug von Maßregeln der Besserung und Sicherung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (Maßregelvollzugsgesetz) vom 3. Dezember 1981 (GVBl. I S. 414, 440). Nach dessen § 11 erhält der Untergebrachte einen Barbetrag zur persönlichen Verfügung (Taschengeld) unter den Voraussetzungen und in der Höhe, wie es in vergleichbaren Fällen nach den Vorschriften des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch psychisch Kranken und seelisch oder geistig Behinderten gewährt wird.

Der Antragsgegner dürfte den Antragsteller auf diese, prinzipiell durchaus vorrangige Möglichkeit der Bedarfsdeckung aber nur verweisen, sofern es sich um "bereite Mittel" handeln würde. Soweit im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erkennbar, sind die Klinik bzw. das Land Hessen derzeit aber gerade nicht bereit, alle relevanten Bedarfe abzudecken und namentlich den Anspruch auf ein Taschengeld zu erfüllen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller diesbezüglich kurzfristig eine Änderung erreichen könnte. Dies wäre aber notwendig, um die Hilfe unter Hinweis auf die alternativ bestehenden Ansprüche gegen Dritte abzulehnen.

Der Verweis des Antragsgegners auf die Zuständigkeit der Länder und eine entsprechende Stellungnahme des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit erweckt dabei im Übrigen den Eindruck, als gehe es vorliegend "letztlich" um die Abgrenzung der finanziellen Zuständigkeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen bei der Abdeckung des geltend gemachten Bedarfs von (einstweilig) Untergebrachten.

Die Einrichtung bzw. der Einrichtungsträger oder das Land Hessen können zwar trotzdem, auch wenn sie zur Absicherung des Lebensunterhalts verpflichtet sind, nicht als Sozialleistungsträger angesehen werden, so dass sich eine vorläufige Leistungspflicht des Antragsgegners nicht aus § 43 Abs. 2 SGB I herleiten lässt. Auch diese Vorschrift macht allerdings deutlich, dass die Gewährung von Sozialleistungen – und dies muss in besonderem Maße für existenzsichernde Leistungen gelten – nicht an ungeklärten Zuständigkeiten scheitern soll.

Im vorliegenden Fall kann sich der Antragsteller daher zwar nicht auf § 43 SGB I, wohl aber darauf berufen, dass der Antragsgegner seine Leistungen nur verweigern darf, wenn es sich bei den vorrangigen Ansprüchen um bereite Mittel handelt (vgl. für viele Brühl, in LPK-SGB XII, § 2, Rn. 14ff.).

Unter den gegebenen Umständen ist daher im Ergebnis umgekehrt der Antragsgegner darauf zu verweisen, mögliche Ansprüche des Antragstellers gegen die Klinik oder das Land Hessen nach § 93 SGB XII auf sich überzuleiten. Dies würde im Übrigen die unmittelbare Auseinandersetzung zwischen den öffentlich-rechtlichen Körperschaften ermöglichen und damit einen angemessenen Weg eröffnen, die Zuständigkeitsfragen zu klären. Nicht angängig ist es jedenfalls, dies sozusagen "auf dem Rücken" der Betroffenen auszutragen.

cc) Da sich die sachliche und örtliche Zuständigkeit des in Anspruch genommenen Sozialhilfeträgers aus §§ 97, 98 SGB XII ergibt, hat die Kammer im Ergebnis keinen Zweifel, dass die Abwägung der wechselseitigen Interessen zu Gunsten des Antragstellers auszugehen hat und damit die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vorliegen.

Dies gilt umso mehr, als es jedenfalls für die Kammer nicht ersichtlich ist, dass der Antragsgegner den Antragsteller bei der Durchsetzung etwaiger alternativer Ansprüche beraten oder unterstützt hätte. Die eher allgemein gehaltenen Hinweise auf eine Zuständigkeit der Vollzugseinrichtung, während der Unterbringung für die fürsorgerechtlich anerkannten Bedarfe zu sorgen, ist insofern nicht ausreichend. Namentlich nachdem, wie aus dem in der Verwaltungsakte enthaltenen Schriftverkehr deutlich wird, die Vollzugseinrichtung den Antragsteller auf die Leistungen der Sozialhilfe verwiesen (vgl. das Schreiben vom 29.11.2005) hatte, ist nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller konkrete Unterstützung bei der Durchsetzung seiner Ansprüche aus § 11 Maßregelvollzugsgesetz zuteil geworden wäre. Gerade dies wäre aber nach Auffassung der Kammer angesichts der Verpflichtung zur Beratung und Unterstützung aus § 11 SGB XII und angesichts der für einen juristischen Laien schwer zu überschauenden rechtlichen Situation Voraussetzung dafür, dass der Antragsteller auf alternative Ansprüche, deren Durchsetzung erkennbar nicht unproblematisch ist, hätte verwiesen werden können bzw. dafür, dass im Rahmen des Eilverfahrens trotz des nach Auffassung der Kammer erkennbar dringenden Bedarfes des Antragstellers zugunsten des Antragsgegners hätte entschieden werden können.

dd) In zeitlicher Hinsicht war die einstweilige Anordnung allerdings auf die Zeit vom Antragseingang bis zum Ablauf des auf die Entscheidung folgenden Monats zu begrenzen.

Auch im Bereich des SGB XII ist eine rückwirkende Leistungserbringung im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur in engen Ausnahmefällen, nämlich bei einer auf Grund der unterbliebenen Leistungserbringung fortdauernden Notlage, möglich, die hier nicht erkennbar ist.

Hinsichtlich ihres Endes war die einstweilige Anordnung auf den 31.07.2006 zu begrenzen. Bei der Sozialhilfe handelt es sich – auch im Rahmen des SGB XII – nicht um eine Dauerleistung, sondern um eine Leistung über die letztlich Monat für Monat neu zu entscheiden ist. Dies führt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nach Auffassung der Kammer dazu, dass einstweilige Anordnungen regelmäßig nicht über den Ablauf des der Entscheidung folgenden Monats hinaus ergehen können. Hier kommt hinzu, dass, wie bereits ausgeführt, viel dafür spricht, dass dem Antragsteller prinzipiell vorrangige Ansprüche aus dem Vollzugsverhältnis zustehen dürften. Nachdem dies jedenfalls auf Grund dieses Beschlusses auch für den Antragsteller hinreichend deutlich geworden sein dürfte, wird der Antragsteller vor Erlass einer weiteren bzw. verlängerten einstweiligen Anordnung dartun müssen, was er zur Durchsetzung seiner Ansprüche aus § 11 Maßregelvollzugsgesetz unternommen hat. Sollte der Ablehnungsbescheid vom 11.01.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2006 trotz der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung vor dem 31.07.2006 bestandskräftig werden, würde damit ein Erfolg in einem potentiellen Hauptsacheverfahren aussichtslos werden. Die einstweilige Anordnung war daher auch unter diesem Gesichtspunkt zu beschränken.

Der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz war zumindest seinem Wortlaut weder hinsichtlich des Leistungsbeginns noch hinsichtlich dessen Endes beschränkt und ist somit als auch für die Zeit vor dem 08.05.2006 und nach dem 31.07.2006 gestellt anzusehen. Er war aus den erwähnten Gründen für diese Zeiträume und damit im Übrigen abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dabei hält es die Kammer in Ausübung des ihr insoweit zustehenden Ermessens für sachgerecht, dem Antragsgegner die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten des Antragstellers aufzugeben. Der Antragsteller hat in der entscheidenden Frage Recht bekommen; die Abweisung im Übrigen beruht auf der Begrenzung des Bewilligungszeitraums und der formal nicht beschränkten Antragstellung durch den rechtsunkundigen Antragsteller. Dies fällt nach Auffassung der Kammer bei der Abwägung der für die Kostenentscheidung maßgeblichen Umstände nicht ins Gewicht.
Rechtskraft
Aus
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