L 3 U 263/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 9 U 536/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 263/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 302/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.04.2004 wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass den Klägern Hinterbliebenenleistungen gemäß § 63 Abs.1 Ziffer 1, 2 und 3 SGB VII zu gewähren sind.
II. Die Beklagte hat den Klägern die außergericht- lichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob den Klägern aus Anlass des Todes ihres Ehemannes und Vaters F. K. (FK) Hinterbliebenenleistungen zu gewähren sind.

Der 1953 geborene FK, Ehemann der Klägerin zu 1) M. K. und Vater der Klägerin zu 2) B. R. , geborene K. , geb. 1980 und des Klägers zu 3) W. K. , geb. 1990, war 25 Jahre als Maurer und anschließend drei Jahre als Wasserwerker beim Wasserwirtschaftsamt T. tätig gewesen, als er am 03.06.1999 im Hochsilo seines landwirtschaftlichen Anwesens Selbstmord durch Erhängen verübte.

Am 23.07.1999 beantragte die Klägerin zu 1) bei der Beklagten Witwenrente. Sie legte ein Attest des Arztes für Allgemeinmedizin Dr.E. (A.) vom 21.07.1999 vor, wonach FK nach einem Arbeitsunfall am 12.04.1995 zunehmend depressiv geworden sei und zur Problembewältigung mehr und mehr dem Alkohol zugesprochen habe.

Bei diesem Arbeitsunfall hatte FK als Arbeiter im Wasserwerk bei Holzarbeiten eine Verletzung am linken Ellenbogen durch ein Holzscheit erlitten. Es hatte sich eine Ellenbogengelenksvereiterung entwickelt, die nach Operation zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild führte. Es war durch eine (wahrscheinliche) Staphylokokkensepsis zu einem allgemeinen Organversagen und einem cerebralen Insult gekommen. FK befand sich vom 22.04. bis 29.05.1995 im Krankenhaus Bad R. , vom 29.05.1995 bis 16.06.1995 in der Neurologischen Klinik G. und vom 20.06. bis 12.09.1995 in der L.-Klinik B ... Nach Wiedereingliederungsmaßnahmen war es FK nur noch möglich, 25 Stunden pro Woche im Wasserwerk zu arbeiten.

Die Beklagte anerkannte nach Einholung von Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. vom 29.05.1996, 14.07.1997, 09.10.1998, des Orthopäden Dr.K. vom 30.07.1996 und des Internisten und Arbeitsmediziners Dr.K. vom 10.07.1996 mit Bescheid vom 18.12.1997 als Folgen des Unfalls an "in Rückbildung begriffene Schädigung des gesamten Armnervengeflechts rechts mit noch entsprechenden Funktionsausfällen des rechten Armes und der rechten Hand, insbesondere einer Streckschwäche der Langfinger mit Krallenhandstellung, Verschmächtigung der Unterarmmuskulatur und der kleinen Handmuskeln; restriktive Atemstörung nach Lungenentzündung; ein Teil der Leberstörung". Sie gewährte Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 60 v.H. ab 02.06.1996 und 50 v.H. ab 01.08.1997.

Einen weiteren Arbeitsunfall hatte FK am 20.01.1999 erlitten. Bei Baumschneidearbeiten im eigenen Betrieb war er von einer Leiter gesprungen und umgeknickt. Zuständig für diesen Versicherungsfall ist die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (LBG) Oberbayern. FK hatte eine komplexe Bandverletzung des rechten oberen Sprunggelenks mit Innen- und Außenbandruptur erlitten. Es erfolgte eine Operation am 25.01.1999 mit Nachbehandlung durch einen Unterschenkelliegegips bis zum Abschluss der Wundheilung, dann einem Gehgips mit Sohlenkontakt ohne Belastung für weitere vier Wochen. Wegen posttraumatischer Bewegungseinschränkung und Schmerzen am rechten oberen Sprunggelenk erfolgte eine erneute Operation am 27.04.1999. FK bewegte sich bis zu seinem Tod mit Krücken fort. Am 26.05.1999 bestand noch eine deutliche Schwellung am Innen- und Außenknöchel (Bericht des Kreiskrankenhauses T. vom 25.06.1999).

Zur Aufklärung des Sachverhaltes zog die Beklagte die Akten der LBG Oberbayern, der Staatsanwaltschaft T. und der LVA Oberbayern bei. Die Akte der Staatsanwaltschaft T. enthielt insbesondere die Niederschriften der Einvernahme der Klägerin und des Vaters des FK vom Todestag und Kopie von zwei bei dem Toten gefundene Zettel (Abschiedsbrief). Die Akte der LVA Oberbayern enthielt insbesondere einen ärztlichen Entlassungsbericht des Fachkrankenhauses A. vom 11.03.1998 nach einer stationären Entziehungskur vom 13.01.1998 bis 09.03.1998 und einen Bericht des Caritaszentrums T. vom 19.04.2000 über die ambulante Nachsorgebehandlung ab Juni 1998. Die Beklagte holte nach Einholung eines Berichtes des behandelnden Arztes Dr.E. vom 28.01.2001 ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. vom 10.08.2000/12.03.2001 ein. Dieser führte aus, eine krankheitswertige depressive Stimmungslage des FK sei nicht durch Unterlagen belegt und wies daraufhin, dass dieser nicht bis zum Arbeitsunfall am 12.04.1995 arbeitsfähig gewesen sei, da zwischen 1979 und 1995 ein erheblicher Alkoholkonsum bestanden habe. Die Bescheinigung des Dr.E. sei möglicherweise unter dem Druck der Angehörigen erfolgt.

Daraufhin lehnte es die Beklagte mit Bescheiden vom 24.07.2001 ab, den Klägern Leistungen gemäß § 63 Abs.1 Nr.1 bis 3 Sozialgesetzbuch (SGB) VII zu gewähren. Sie gewährte der Klägerin zu 1) eine einmalige Witwenbeihilfe gemäß § 63 Abs.1 Nr.4 SGB VII. Zur Begründung führte sie aus, der Tod des FK sei nicht infolge eines Versicherungsfalles eingetreten. Aufgrund einer schon vor dem Unfall vom 12.04.1995 bestehenden Störung in der Persönlichkeitsstruktur und aufgrund der mehrjährigen Alkoholerkrankung komme dem Unfall und seinen Auswirkungen nicht die rechtlich wesentliche Ursache bzw. Teilursache für die Selbsttötung zu.

Den Widerspruch der Kläger, mit dem sie geltend machten, die Alkoholsucht des FK habe sich nach dem Unfall, da er nicht mehr vollständig habe arbeiten können, verschlimmert, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2002 zurück.

Gegen die Bescheide vom 24.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 haben die Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und beantragt, ihnen Hinterbliebenenleistungen zu gewähren.

Das SG hat mit Beschluss vom 18.03.2003 die LBG Oberbayern dem Verfahren beigeladen und ein Gutachten des Prof.Dr.S. (M.) vom 09.01.2003/01.10.2003/01.12.2003 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, der Selbstmord des FK sei auf mehrere Bedingungsfaktoren zurückzuführen. Neben einer vorbestehenden Persönlichkeitsstörung sei die schwere Staphylokokkensepsis, die zu einer hirnorganischen Störung geführt habe, die wesentliche Bedingung für die Entwicklung einer schweren Depression und den zunehmenden Alkoholmissbrauch gewesen. Der zweite Unfall 1999 mit langandauernder Gehbehinderung sei der eigentliche Auslöser für den depressionsbedingten Selbstmord. Auf Nachfrage des SG maß er der ursächlichen Bedeutung der beiden Unfälle je 50 % zu. Daraufhin hat das SG die Beklagte mit Urteil vom 21.04.2004 verurteilt, der Klägerin und ihren Kindern W. und B. Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Es hat sich dem Gutachten des Prof.Dr.S. angeschlossen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt. Sie hat vorgetragen, der im Verwaltungsverfahren gehörte Dr.K. habe bei dreimaliger Untersuchung des Verstorbenen zur Frage der Unfallfolgen keine Depression festgestellt. Motive für den Freitod seien in Eheproblemen und der Angst vor einer Trennung zu sehen. Dies habe zu einer Kurzschlusshandlung geführt. Die Ausführungen des Prof.Dr.S. seien widersprüchlich und - sofern er die "eigentliche" Ursache für den Selbstmord in dem zweiten Unfall sehe, sei die Beigeladene für die Hinterbliebenenleistungen zuständig.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.04.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 24.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 abzuweisen. Hilfsweise beantragt sie, ein weiteres psychiatrisches Gutachten wegen der sich widersprechenden Ausführungen von Dr.K. und Prof.Dr.S. einzuholen und die Revision zuzulassen.

Die Kläger beantragen, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21.04.2004 zurückzuweisen.

Die Beigeladene beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und der Beigeladenen sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz hingewiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das SG hat die Beklagte zu Recht mit Urteil vom 21.04.2004 verurteilt, den Klägern unter Aufhebung der Bescheide vom 24.07.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29.07.2002 Hinterbliebenenleistungen zu gewähren. Der Tenor des Urteils war lediglich insofern zu berichtigen, als das SG die schon erfolgte Gewährung von Witwenbeihilfe gemäß § 63 Abs.1 Ziffer 4 SGB VII übersehen hatte.

Gemäß § 63 Abs.1 Satz 2 SGB VII bestehen Ansprüche nach § 63 Abs.1 Nr.1 bis 3 SGB VII nur, wenn der Tod infolge eines Versicherungsfalles eingetreten ist. Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs.1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Arbeitsunfälle sind gemäß § 8 Abs.1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Selbstmord ist nach herrschender Meinung kein Arbeitsunfall, denn es fehlt am Tatbestandsmerkmal des Unfallereignisses, nämlich einem von außen auf den Körper einwirkenden Ereignisses, da der Selbstmord auf einer willentlichen Handlung des Versicherten beruht (Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung § 8 Anm.9.9; Benz in NZS 1999, 437; BSG vom 08.12.1998 USK 98172).

Der Selbstmord kann aber durch einen vorangegangenen Arbeitsunfall verursacht worden sein. Voraussetzung ist, dass die Folgen des Arbeitsunfalles die Entschließung zur Selbsttötung wesentlich mitbedingt haben. Den Grundsatz des rechtlich wesentlichen Zusammenhangs bejahte der 8. Senat des BSG im Urteil vom 08.01.1990 (BSGE 66, 164 f.) unter Aufgabe der Rechtsansicht des 5a Senates des BSG im Urteil vom 24.11.1982 (BSGE 54, 104), wonach Folgen des Arbeitsunfalls alleiniger Beweggrund für die Selbsttötung sein mussten und unter Weiterentwicklung der Ansicht des zweiten Senates im Urteil vom 18.12.1962 (BSGE 18, 163 f.). Bei der Beurteilung des rechtlich wesentlichen Zusammenhanges sind die Grundsätze der konkurrierenden Kausalität zu beachten. Nur wenn die Folgen des Versicherungsfalls neben privaten Faktoren als annähernd gleichwertige Bedingung zur Selbsttötungshandlung geführt haben, ist der Selbstmord als rechtlich wesentlicher Folgeschaden des vorangegangenen Versicherungsfalles anzuerkennen (Benz a.a.O., S.440). Bei der Prüfung, welche Bedingungen als wesentlich anzusehen sind, sind auch Geschehensabläufe einzubeziehen, die sich im Bereich des psychischen und geistigen zugetragen haben. Auch sie können Ursache im Rechtssinne sein (BSG, Urteil vom 29.02.1984 2 RU 35/83; BSGE 18, 163, 164).

Im vorliegenden Fall waren die Folgen des Arbeitsunfalls vom 12.04.1995 neben privaten Faktoren und neben dem weiteren Arbeitsunfall vom 20.01.1999 eine zumindest gleichwertige Bedingung für die Selbsttötung. Zu dieser Auffassung gelangte der Senat aufgrund des Gutachtens des Prof.Dr.S. vom 09.01.2003/01.10.2003/01.12.2003, das ihn überzeugte. Der Senat geht davon aus, dass die Staphylokokkensepsis - verursacht durch die Ellenbogenverletzung mit anschließender Schleimbeutelvereiterung - zu einem Multiorganversagen mit einer Blutgerinnungsstörung geführt hat. Hierdurch ist es zu Thromben- und Mikroembolien gekommen, die die am Gehirn des FK festgestellten Störungen, nämlich Insult mit Hemiplegie und Aphasie, Bewusstseinsstörung, Amnesie für das gesamte Krankheitsgeschehen, Sinusvenenthrombose, Durchblutungsstörungen im Hirnstamm und Großhirn, verursachten. Diffuse neurologische Defizite waren die Folge, die affektiv emotionale Störungen und depressive Verstimmungszustände bedingten. Auf eine psycho-organische Wesensveränderung wurde schon im Krankenhaus Bad R. hingewiesen und auch der Psychiater Dr.B. in F. sprach von einem hirnorganischen Syndrom nach Sepsis (Berichte vom 25.04.1995 und 26.04.1995). Dementsprechend wird im Bericht der Caritas vom 19.04.2000 eine depressive Stimmung hervorgehoben, die mit den Unfallfolgen im Zusammenhang stehe. Da tatsächlich bei FK Symptome einer hochgradigen unteren Armplexusparese mit erheblicher Arthrophie und Schwäche der Ulnaris-versorgten kleinen Handmuskeln und zusätzlicher Atrophie und Parese der radialis-versorgten Unterarmstrecker vorlag - verursacht durch den Unfall vom 12.04.1995 - (Gutachten Dr.K. vom 09.10.1998) ist die depressive Verstimmung gut nachvollziehbar. Auch decken sich die Angaben im Bericht der Caritas vom 19.04.2000, FK habe sich als untauglich und nicht zu gebrauchen "als Krüppel" gefühlt, mit den Angaben der Klägerin und dem Vater des FK, die diese am Todestag gegenüber der Kriminalpolizei gemacht haben. Die Klägerin gab zu Protokoll, ihr Mann habe sich als "nichts mehr wert gefühlt, weil er nicht mehr voll arbeiten konnte". Der Vater gab an, der Sohn sei sicher sehr schwer depressiv wegen seiner Behinderung gewesen. Tatsächlich hatte FK seit dem Arbeitsunfall vom 12.04.1995 nicht mehr voll arbeiten können, sondern er musste sich nach Wiedereingliederungsmaßnahmen seitens der Beklagten mit einer 25-Stunden-Woche zufrieden geben. Da die Angaben der Zeugen unabhängig voneinander und spontan unter dem Eindruck des Geschehens am Todestag und damit nicht von versicherungsrechtlichen Überlegungen beherrscht, gemacht worden sind, sind sie glaubhaft.

In verhängnisvoller wechselseitiger Verstärkung - wie Prof. Dr.S. formuliert - kam es zu dem zunehmenden Alkoholmissbrauch. Nachdem bei FK schon seit dem 20.Lebensjahr Suchttendenzen bestanden (mit acht Flaschen Bier täglich als Maurer) eskalierte der Alkoholkonsum dahingehend, dass er in Kenntnis der Tatsache, dass sich die Behinderung der rechten Hand nicht bessern würde, zusätzlich hochprozentige Alkoholika konsumierte (1,5 Liter Schnaps pro Woche) und hierdurch eine Entzugstherapie notwendig wurde. Dies entnimmt der Senat dem Reha-Bericht der Fachklinik A. vom 11.03.1998 und den Ausführungen des behandelnden Arztes Dr.E ... Die Annahme des Dr.K. , Dr.E. habe unter dem Druck der Angehörigen eine Depression attestiert, entbehrt jeder Grundlage und ist, da spekulativ, nicht geeignet, dessen Angaben zu entkräften.

Da FK während der Nachsorgebehandlung ab Juli 1998 nach der Entzugstherapie vom 13.01.1998 bis 09.03.1998 einen weiteren Unfall am 20.01.1999 erlitt, wodurch er in seiner Gehfähigkeit stark eingeschränkt war und zwei Operationen notwendig waren, ist es nachvollziehbar, wenn Prof.Dr.S. durch diesen Unfall den Eintritt des FK in einen schweren Verstimmungszustand - Major Depression - annimmt. FK hatte sich am 26.05.1999 zuletzt im Kreiskrankenhaus T. vorgestellt, und es war noch eine deutliche Schwellung am Innenknöchel und am Außenknöchel vorhanden. Nach längerer Belastung waren noch Schmerzen aufgetreten. Die Folge ist jedoch nicht, dass der zweite Unfall und/oder die familiäre Konfliktsituation aufgrund eines bei FK erfolgten Alkoholrückfalls die rechtlich wesentliche Ursache für den Selbstmord war. Vielmehr steigerte sich hierdurch die ohnehin schon bestandene seelische Belastung für FK, und es ist einsehbar, wenn der Sachverständige Prof.Dr.S. in der fehlenden Anpassung an Behinderungen infolge des ersten Unfalls die Grundlage für die schwere depressiv-psychotische Dekompensation einschließlich der Alkoholeskalation bis hin zur Realisation der wohl schon länger schwebenden Suizidgedanken ansieht. Die Tatsache, dass durch die beim Toten gefundenen zwei Zettel (Abschiedsbrief) nicht die gesundheitliche Problematik als Grund für den Freitod aufscheint, führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Denn zum einen sollte ein Abschiedsbrief nicht überbewertet werden (Schönberger-Mehrtens-Valentin, 7. Auflage S.348; Köhler, Isolierte psychische Trauma und Suizidversuch in SGB 77, 487) und zum anderen sind die vorliegenden Zeilen zu allgemein gehalten, um hieraus den Schluss zu ziehen, eine eheliche Konfliktsituation sei die wesentliche Ursache für den Selbstmord und die schwierige gesundheitliche Situation habe damit nichts zu tun. Zum Ausdruck kommt aber zweifelsohne das geringe Selbstwertgefühl des FK.

Wenn Prof.Dr.S. den zweiten Unfall als die "eigentliche" Ursache des Selbstmordes beschreibt, so ist mit dieser Formulierung offenkundlich gemeint, dass der zweite Unfall letztlich den Selbstmord ausgelöst hat. Die weitere Aussage des Sachverständigen, die ursächliche Bedeutung des ersten und zweiten Unfalls habe jeweils 50 % betragen, erfolgte im Hinblick auf eine vom SG signalisierte mögliche Lastenverteilung und der Auffassung des Sachverständigen, es solle eine hälftige Lastverteilung stattfinden. Aber selbst wenn der Sachverständige von einer hälftigen Mitwirkung des ersten Unfalls und des zweiten Unfalls als Unfallursache ausgegangen wäre, so ist der erste Unfall eine rechtlich gleichwertige Ursache. Eines weiteren Sachverständigengutachtens bedurfte es daher nicht.

Der Senat folgt nicht den Ausführungen des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. , der FK dreimal untersucht hat und Gutachten vom 29.05.1996, 14.07.1997 und 09.10.1998 erstellt hat. In diesen Gutachten hat er sich nicht mit etwaigen psychischen Folgen des Unfalls vom 12.04.1995 beschäftigt, und es fehlt deshalb an einer differenzierten neuro-psychologischen und psychiatrischen Untersuchung. Dies, obwohl ihm bekannt war, dass bei FK ein Multiorganversagen mit möglichen hirnorganischen und psychischen Folgen vorgelegen hat und er nur eingeschränkt arbeiten konnte. Hinzu kommt, dass Dr.K. bei der Untersuchung für das Gutachten vom 14.07.1997 einen "Foetor alcoholicus" am Vormittag feststellte und am 09.10.1998 FK als "etwas rotgesichtig" beschreibt. Diesen Anzeichen ist er in keiner Weise nachgegangen. Im Gutachten vom 10.08.2000/12.03.2001 stellt er den Alkoholabusus in den Vordergrund seiner Überlegungen ohne die Folgen der Sepsis zu würdigen. Dabei übersieht er, dass der Alkoholabusus nach dem Unfall von 1995 erheblich zugenommen hatte und zu einer Entzugsbehandlung geführt hatte. Auch berücksichtigt er nicht, dass FK trotz Alkoholabusus vor dem Unfall 1995 durchgehend arbeitsfähig gewesen ist (25 Jahre Maurer, drei Jahre Wasserwerker) und der berufliche Einbruch erst nach dem Unfall 1995 erfolgte.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich bei FK, der eine Persönlichkeitsstörung hatte, durch den ersten Unfall nach septischen Multiorganversagen mit cerebralen Folgen eine Depression entwickelt hatte, die ihn veranlasste, den Alkoholkonsum zu steigern bzw. hinderte, den Alkoholkonsum einzustellen, woraus eine weitere belastende familiäre Situation entstand und die ihn auch hinderte, den zweiten Unfall zu verkraften. In verhängnisvoller Wechselwirkung endete die seelische Belastung im Selbstmord. Neben den aufgezeigten Bedingungsfaktoren ist der erste Unfall eine wesentliche bzw. zumindest gleichwertige Ursache für den Selbstmord.

Damit ist der Selbstmord des FK ein rechtlich wesentlicher Folgeschaden des Unfalls vom 12.04.1995 und Hinterbliebenenleistungen gemäß § 63 Abs.1 Ziffer 1, 2, 3 SGB VII sind zu gewähren.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München war zurückzuweisen.

Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht (§ 160 Abs.2 Nrn.1 bis 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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