L 14 R 73/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 11 RJ 560/04 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 73/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 82/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 23. Dezember 2004 wegen Unterhalts- bzw. Pflegegeldes wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass insoweit die Klage unzulässig gewesen ist. II. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit wegen Waisenrente mit teilweiser Rücknahme der Berufung im April 2005 seine Erledigung gefunden hat.
III. Die im Mai 2005 erneut erhobene Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. September 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 2003 wegen Waisenrente wird abgewiesen.
IV. Die Beklagte hat der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig zwischen den Beteiligten ist der Anspruch auf Waisenrente ab 23.03.2002 eines 1973 geborenen schwerbehinderten Kindes und (oder) die Gewährung von "Pflege- bzw. Unterhaltsgeld".

Der Kindsmutter, die seit dem Jahre 1981 von dem rentenversicherten Vater geschieden ist, wurde mit Urteil des Familiengerichts P. vom 07.04.1980 das Sorgerecht für das Kind J. (Klägerin) übertragen. Im Jahre 1991 erhielt die Mutter - sie lebte mit dem Kind wieder im Heimatland Serbien - die Vormundschaft für das geistig behinderte Kind.

Die gesetzliche Vertreterin beantragte am 02.09.2002 unmittelbar bei der Beklagten die Gewährung einer Waisenrente mit der Begründung, das Kind sei auf Dauer arbeits- und erwerbsunfähig und bisher von dem am 23.03.2002 verstorbenen Vater unterhalten worden. Dieser hatte von der Beklagten ab Januar 1994 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und später Regelaltersrente bezogen und war im Jahre 1980 zur Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente für das Kind verurteilt worden.

Die Beklagte lehnte den Antrag mit dem am 19.09.2002 zur Post gegebenen Bescheid vom 17.09.2002 ab, weil die Halbwaise zum Zeitpunkt des Todes des versicherten Vaters bereits das 27. Lebensjahr vollendet habe, die Zahlung einer Hinterbliebenenrente wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung aber nur bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres möglich sei.

Mit einem bei der Beklagten am 19.12.2002 eingegangenen Schreiben legte eine Frau S. W. aus B. unter Vorlage einer Vollmacht der Mutter der Klägerin gegen den Bescheid vom 17.09.2002, der der Klagepartei am 08.10.2002 zugegangen sein soll, Widerspruch ein. Die Beklagte übersandte hierauf unmittelbar an die Klägerin das ausführlich zur Sach- und Rechtslage aufklärende Schreiben vom 14.01.2003 und wies nach Anhörung mit dem an Frau W. gerichteten Bescheid vom 05.05.2003 diese als Bevollmächtigte gemäß § 13 Abs.5 des Sozialgesetzbuches Teil X (SGB X) wegen unbefugter geschäftsmäßiger Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zurück. (Die nach § 13 Abs.7 Satz 1 SGB X vorgeschriebene Benachrichtigung des Beteiligten von der Zurückweisung des Bevollmächtigten unterblieb.)

Auf den nochmals nach Formblatt JU-D 2002 am 25.09.2002 bei der serbischen Verbindungsstelle gestellten und am 24.04.2003 bei der Beklagten eingegangenen Waisenrentenantrag teilte die Leistungsabteilung der Beklagten der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin mit, dass hierüber bereits mit Bescheid vom 17.09.2002 entschieden worden sei (Schreiben vom 21.05.2003). Das Nichtbestehen eines Waisenrentenanspruchs wurde ferner auch der Verbindungsstelle bekannt gegeben (Schreiben der Beklagten vom 26.05.2003).

Kurz vorher, dies war der Leistungsabteilung der Beklagten noch nicht bekannt, hatte die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2003 den Rechtsbehelf gegen den Bescheid vom 17.09.2002 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid war zwar unmittelbar an die gesetzliche Vertreterin der Klägerin adressiert, wurde aber mit einem gesonderten Begleitschreiben am 12.05.2003 an die wenige Tage zuvor zurückgewiesene Bevollmächtigte gesandt. Auf dem Begleitschreiben ist "Bekanntgabe des Bescheides nach § 37 SGB X" vermerkt und das Datum der Aufgabe zur Post mit dem 12.05.2003 angebracht; Hinweise auf eine förmliche Zustellung fehlen, auch ist nicht später der Nachweis einer (versehentlich erfolgten) förmlichen Zustellung zu den Akten der Beklagten gelangt.

Aufgrund einer nicht datierten, am 22.12.2003 bei der Beklagten eingegangenen Erinnerung der serbischen Verbindungsstelle wegen einer Verbescheidung übersandte die Beklagte dieser am 19.01. 2004 Kopien des Ablehnungs- und Widerspruchsbescheides. Mit Schreiben vom 09.03.2004 übermittelte die Beklagte ferner der Mutter der Klägerin (nur) eine Kopie des Ablehnungsbescheides, weil nach dem Telefonanruf einer "Bekannten" vom 08.03.2004 die gesetzliche Vertreterin diesen Bescheid angeblich nicht erhalten habe. In diesem Schreiben vom 09.03.2004 befindet sich am Schluss nochmals der Hinweis, ein Anspruch auf Waisenrente bestehe nicht, weil das Kind zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits das 27. Lebensjahr vollendet habe.

Am 31.03.2004 ging bei der Beklagten ein maschinegeschriebenes Schreiben der gesetzlichen Vertreterin vom 22.03.2004, überschrieben mit Zalbu ("Beschwerde"), ein, mit dem in serbischer Sprache um Untersuchung und Entscheidung der "zweitinstanzlichen Kommission" zu einem Waisenrentenanspruch, hilfsweise um Gewährung von Hilfe zur Pflege bzw. Unterhalt (Pflege- bzw. Unterhaltsgeld) gebeten wurde, weil die Klägerin invalide und ihr von der Versichertengemeinschaft des Heimatlandes ein Anspruch auf Hilfe und Pflege zuerkannt worden sei. Falls die "Beschwerde" nicht als Widerspruch im Sinne des Gesetzes und der gesetzlich vorgesehenen Fristen gelte, werde die Eingabe in einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgeändert.

Am 16.04.2004 kam bei der Beklagten das handschriftlich in deutscher Sprache verfasste Schreiben der gesetzlichen Vertreterin vom 31.03.2004 in Einlauf, mit dem "Einspruch" gegen das Schreiben der Beklagten vom 09.03.2004 erhoben wurde, weil es nicht um einen Anspruch auf Waisenrente gehe, sondern um einen Anspruch des behinderten Kindes auf Pflegegeld.

Die Beklagte übersandte der gesetzlichen Vertreterin mit Schreiben vom 26.04.2004 Kopien des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2003 sowie des aufklärenden Schreibens vom 14.01.2003, gab nochmals Hinweise auf die Rechtslage und teilte mit, es bestehe kein Anspruch mehr auf die Durchführung eines nochmaligen Widerspruchsverfahrens in der gleichen Sache, sondern nur die Möglichkeit, das Schreiben vom 31.03.2004 als Klage an das Sozialgericht Landshut weiterzuleiten. Sofern die Antragstellerin die Entscheidung der Landesversicherungsanstalt vom 12.05.2003 vor dem zuständigen Sozialgericht in einem förmlichen Klageverfahren überprüfen lassen wolle, werde um Mitteilung gebeten, wann sie den an die (ehemals) bevollmächtigte Frau W. übersandten Widerspruchsbescheid vom 12.05.2003 erhalten habe. Die Akten würden dann an das Sozialgericht weitergeleitet. Beigefügt war eine vorgedruckte Kurzantwort; den in dieser Anwort vorgegebenen Satz "1. Den Widerspruchsbescheid vom 12.05.2003 habe ich am ... erhalten" beantwortete die Klägerin mit dem "20.05.2003". Den weiteren Satz "2. Mein neuerlicher Einspruch vom 22.03.2004 soll als Klage an das Sozialgericht weitergeleitet werden oder mein neuerlicher Widerspruch vom 22.03.2004 ist aufgrund des Aufklärungsschreibens vom 24.05.2004 erledigt" beantwortete die Klägerin in beiden Fällen mit "ja". Dieses Antwortschreiben vom 11.05.2004 war von einem Rechtsanwalt und der Klägerin unterschrieben und gelangte am 21.05.2004 bei der Beklagten in Rücklauf.

Die Beklagte übersandte daraufhin dem Sozialgericht das Schreiben der Klägerin vom 31.03.2004 (anstelle des Schreibens vom 22.03.2004) und das Schreiben vom 11.05.2004 als Klage (Eingang beim Sozialgericht am 07.06.2004) und beantragte zugleich, diese wegen Fristversäumnis als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.

Das Sozialgericht wies die Klagepartei darauf hin, dass zwischen Zusendung des Widerspruchsbescheides am 12.05.2003 und Eingang der Klage am 07.06.2004 mehr als ein Jahr lägen und das Rechtsmittel als unzulässig verworfen werden müsste, sofern keine Tatsachen vorlägen, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigten (Schreiben vom 24.06.2004). Die Klägerin übersandte der Landesversicherungsanstalt daraufhin nochmals die "Beschwerde" vom 22.03.2004 unter dem abgeänderten Datum vom 03.08.2004.

Das Sozialgericht hörte die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung an, der dann am 23.12.2004 erging. Die Klage wegen Verpflichtung der Beklagten zu "Zahlungen zur Bestreitung des Unterhalts (Pflegegeld, Rente oder ähnliches)" wurde abgewiesen. Das Sozialgericht sah zwar die Klage als zulässig an; hinsichtlich des Widerspruchsbescheides sei kein Zustellungsnachweis in der Akte vorhanden. Auch wenn die Klägerin den Zugang nicht ausdrücklich bestreite, so könne dennoch von einem nachgewiesenen Zugang des Widerspruchsbescheides nicht ausgegangen werden. Zumindest sei die "Erinnerung" der Klägerin vom 09.03.2004 (gemeint: Telefonanruf einer Bekannten der gesetzlichen Vertreterin am 08.03.2004 wegen Übersendung eines angeblich nicht zugegangenen Ablehnungsbescheides) noch innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs.2 SGG erfolgt, so dass die Klage zulässig sei. Die Klage sei aber unbegründet, weil in der Rentenversicherung ein Anspruch auf Waisenrente für über 27 Jahre alte Kinder oder auf Pflegegeld oder ähnliche Leistungen nicht vorgesehen sei.

Mit dem Rechtsmittel der Berufung bringt die gesetzliche Vertreterin vor, sie und das Kind lebten von einer kleinen Rente der Mutter aus der BRD in Höhe von 285,90 EUR, was aber zum Überleben nicht ausreiche. Ihrer Auffassung nach habe die Tochter einen Rechtsanspruch auf die Rente oder - besser gesagt - auf einen Teil der Rente des verstorbenen Vaters, zumal dieser ihr monatlich Unterhalt gezahlt habe. Sie hoffe, dass das Gericht ihr entgegenkomme und einer "Hilfe" zustimme.

Mit Rechtshinweisen des Senats an die Klägerin ist eine in deutscher Sprache verfasste "Erklärung" übersandt worden (1. Ich nehme die Berufung zurück. 2. Ich beantrage, die Beklagte zur Zahlung einer Waisenrente zu verurteilen. 3. Ich beantrage, die Beklagte zur Zahlung eines Pflegegelds/Unterhaltsgelds zu verurteilen. 4. Mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung bin ich einverstanden.). Die Klägerin hat alle Fragen mit "ja" beantwortet. Nach richterlichem Hinweis auf die Widersprüchlichkeit unter gleichzeitiger Übersendung der "Erklärung" in serbischer Sprache beantwortete die Klägerin am 14.04.2005 die Frage 1. nicht, die Frage 2. (Waisenrente) mit "nein", die Frage 3. (Pflegegeld/Unterhaltsgeld) mit "ja" und die Frage 4. mit "nein". Auf die Änderung des klägerischen Begehrens hingewiesen führte die Beklagte im Schriftsatz vom 03.05.2005 aus, die gesetzlichen Bestimmungen der deutschen Rentenversicherung sähen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts aufgrund von Bedürftigkeit für Versicherte und Hinterbliebene im In- und Ausland nicht vor; es werde daher die Zurückweisung der geänderten Berufung beantragt.

Nach Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 16.06.2005 bringt die Vertreterin der Klägerin erneut vor, dass ihrer Tochter ein Rechtsanspruch auf die Rente oder einen Teil der Rente des verstorbenen Vaters zustehe, der laut einem im Jahre 1997 geschlossenen Unterhaltsvergleich 20 % der deutschen Rente (monatlich 250,00 DM) als Unterhalt gezahlt habe, und erklärt gleichzeitig auf einer Kopie der (der in Deutsch verfassten) "Erklärung", sie nehme die Berufung nicht zurück und beantrage, die Beklagte zur Zahlung einer Waisenrente und zur Zahlung eines Pflegegelds/Unterhaltsgelds zu verurteilen; sie sei mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (Schreiben vom 10.05.2005).

Die Klägerin beantragt (damit sinngemäß), den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 23.12. 2004 und den Bescheid der Beklagten vom 17.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2003 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihr Halbwaisenrente oder eine sonstige Hilfe (Pflegegeld, Unterhaltsgeld) wegen der Versicherteneigenschaft bzw. des Rentenbezugs des verstorbenen Vaters zu zahlen.

Die Beklagte widerspricht der erneuten Klageänderung und beantragt zuletzt, die Berufung wegen Unterhalts- und Pflegegelds zurückzuweisen, hinsichtlich der begehrten Waisenrente festzustellen, dass sich die Berufung durch Zurücknahme erledigt hat, und die erneute Klage in gleicher Angelegenheit wegen Unzulässigkeit abzuweisen.

Dem Senat haben zur Entscheidung die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die zu Beweiszwecken beigezogene Rentenakte der Beklagten vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143 ff., 151 SGG) ist zulässig.

Aufgrund dessen, dass das Sozialgericht über zwei Streitgegenstände entschieden hat und die Klägerin sich gegen den Gerichtsbescheid mit einem sehr vage gefassten Begehren gewendet hat (Anspruch auf Waisenrente, aber auch einen "Teil der Versichertenrente" und auf "Hilfe" im Sinne einer finanziellen Unterstützung), geht der Senat zugunsten der Klägerin davon aus, dass sie Rechtsmittel sowohl hinsichtlich der Waisenrente als auch wegen Unterhalts-/Pflegegelds eingelegt hat (§ 123 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 143 f., 151 SGG). 1. Sie war bei Einlegung hinsichtlich der Waisenrente unbegründet, weil die diesbezügliche Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig gewesen ist; das Sozialgericht hat zu Recht die Klage mit Gerichtsbescheid abgewiesen, wenn auch mit der unzutreffenden Begründung, dass ein Waisenrentenanspruch nicht bestehe. Die diesbezügliche Berufung ist von der Klägerin im April 2005 zurückgenommen worden, so dass sich der Rechtsstreit erledigt hat und über die Zulässigkeit und Begründetheit des Rechtsmittels ein Urteilsspruch nicht mehr ergehen konnte und durfte. Die erneut nach Beendigung des Rechtsstreits eingelegte Klage ist unzulässig und deswegen vom Senat abzuweisen. 2. Die Berufung wegen Pflege- bzw. Unterhaltsgelds ist unbegründet. Bei fehlenden Prozessvoraussetzungen (vorausgehende Verbescheidung durch die Beklagte und vorausgehendes Widerspruchsverfahren) war die Klage beim Sozialgericht unzulässig und musste deswegen in erster Instanz abgewiesen werden. Der zutreffende Urteilsspruch (Tenor) des Gerichtsbescheids war vom Senat nicht aufzuheben oder zu ändern, wenn auch das Sozialgericht zum zweiten Mal die Unzulässigkeit übersehen und die Klage mit der unrichtigen Argumentation zur Unbegründetheit der Klage abgewiesen hat.

1. Waisenrente. Hinsichtlich der Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 12.05.2003 betrug die Rechtsmittelfrist drei Monate nach Zustellung oder Bekanntgabe außerhalb des Geltungsbereichs des SGG, also im Ausland (§ 87 Abs.1 Satz 2 SGG). Keinesfalls war von einer Frist von einem Jahr auszugehen, wie das Sozialgericht meinte; denn eine ausnahmsweise Rechtsmittelfrist von einem Jahr ist nur dann gegeben, wenn die Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist (§ 66 Abs.2 SGG). Die Belehrung im Widerspruchsbescheid war aber hinsichtlich der Frist und der Stelle, bei der die Klage einzulegen ist, korrekt.

Der Widerspruchsbescheid vom 12.05.2003 ist der Klägerin tatsächlich am 20.05.2003 zugegangen, wie sie ausdrücklich - unter anwaltlicher Hilfestellung - bestätigt hat. Unerheblich ist es vorliegend, dass die Beklagte den Widerspruchsbescheid an eine Frau W. abgesandt hatte, deren Vollmacht ab dem Zeitpunkt der Zurückweisung als Bevollmächtigte (mit Bekanntgabe des Bescheides vom 05.05.2003) als erloschen galt; der Widerspruchsbescheid ist jedenfalls von dieser an die gesetzliche Vertreterin der Klägerin gesandt worden und hat Letztere erreicht. Die Klagefrist war, drei Monate nach der Bekanntgabe am 20.05. 2003, mit dem 20.08.2003 abgelaufen (§ 64 Abs.2 SGG). Hierauf ist es ohne Einfluss, dass der Widerspruchsbescheid nicht förmlich zugestellt worden ist bzw. - wie das Sozialgericht gemeint hat - ein Zustellungsnachweis fehlte. Nur in der bis zum Jahr 1998 geltenden Fassung des § 85 Abs.3 Satz 1 SGG war vorgeschrieben, dass der Widerspruchsbescheid den Beteiligten zuzustellen ist, was bei Verstoß gegen die Zustellungsvorschriften zur Folge hatte, dass die Frist für ein Rechtsmittel, wie z.B. die Klage, nicht zu laufen begann (§ 63 Abs.1 SGG und § 63 Abs.2 SGG i.V.m. § 9 Abs.2 Verwaltungszustellungsgesetz); nach dieser Regelung wäre der Widerspruchsbescheid zwar bei tatsächlichem Zugang wirksam geworden, aber Klage hätte jederzeit, auch noch nach Ablauf der (nicht geltenden) Jahresfrist des § 66 Abs.2 SGG, erhoben werden können, sofern dem nicht das Rechtsinstitut der Verwirkung entgegenstand. Mit Wirkung ab 01.06.1998 wurde § 85 Abs.3 Satz 1 SGG dahingehend gefasst, dass der Widerspruchsbescheid den Beteiligten bekanntzugeben ist. Damit ist auch für den Widerspruchsbescheid die bereits für Verwaltungsakte geltende Vorschrift des § 37 SGB X anzuwenden. Die Bekanntgabe erfolgt mit Zugang des Verwaltungsakts in den Machtbereich des Empfängers (sofern nicht der Versicherungsträger die Bekanntgabe mittels Zustellung wählt).

Mit Ablauf des 20.08.2003 ist der streitgegenständliche Bescheid vom 17.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2003 rechtsverbindlich geworden. Die telefonische Bitte vom 08.03.2004 um Übersendung eines angeblich nicht erhaltenen Bescheides stellt keine Klage dar, wie das Sozialgericht offenbar meinte, und wäre im Übrigen als Klage auch bereits verfristet gewesen; nur nebenbei wird darauf hingewiesen, dass der Zugang des Bescheides vom 17.09.2002 durch die Tatsache der Erhebung eines Widerspruchs gegen diesen Bescheid im Dezember 2002 und der Zugang des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2003 am 20.05.2003 durch die nachträgliche Bestätigung der Klägerin bei Stellung eines Antrags auf "Wiederaufnahme bzw. Wiedereinsetzung" nachgewiesen sind, mithin das damalige Vorbringen einer "Bekannten" (Vollmacht fehlt!) vom 08.03.2004 nur darauf abzielen konnte, unter Angabe unrichtiger Tatsachen die Rechtsbehelfsfristen wieder zu eröffnen.

Eine Klage ist erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist am 20.08. 2003 erhoben worden, gleich in welchem Vorgang man nun die Klage sieht. Offen kann bleiben, ob bereits das Schreiben der Klägerin vom 22.03.2004 als Klage zu werten ist. Naheliegender wäre hier ein Antrag gemäß § 44 SGB X hinsichtlich der Waisenrente (erneute Überprüfung nach rechtsverbindlicher Ablehnung) und ein Erstantrag auf Zahlung von "Pflege- bzw. Unterhaltsgeld" gewesen, zumal eine "Umdeutung" des Wiederaufnahmeantrags im Sinne einer verfristeten Klage keinen Sinn macht. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die gesetzliche Vertreterin der Klägerin mit Schreiben vom 31.03.2004 bekundet hat, für das Kind nicht einen Anspruch auf Waisenrente, sondern auf Pflege- und Unterhaltsgeld zu erheben.

Die Weiterleitung eines Widerspruchs (Schreiben vom 22.03.2004) als Klage an das Sozialgericht ist seit Jahrzehnten nicht mehr möglich, nachdem die diesbezügliche Vorschrift des § 85 Abs.4 SGG außer Kraft ist. Der Beklagten stand es auch nicht zu, einem Schreiben der Klägerin nach irreführenden und vollständigen Hinweisen (es sei nur mehr Klage möglich, übergangen wurde hierbei die Möglichkeit des Antrags gemäß § 44 SGB X) eine andere Richtung oder eine andere Willensbestimmung zu geben, wobei wohlweislich verschwiegen wurde, dass die angekündigte Überprüfung des Widerspruchsbescheides durch das Gericht - jeder Laie versteht hierunter die Überprüfung in der Hauptsache - offensichtlich nicht mehr stattfinden durfte, weil eine Klage unzulässig gewesen wäre. Im Ergebnis hat sich die Beklagte unter Verschweigen wesentlicher Umstände weitere Verwaltungsarbeit erspart (Verbescheidung des Pflegegelds; Verbescheidung eines Antrags gemäß § 44 SGB X; eventuelle Verbescheidung des weiteren "Widerspruchs" vom 31.03.2004) und den Fall vermutlich nur abschieben wollen, worauf die Weiterleitung des Schreibens an das Sozialgericht als Klage bei gleichzeitigem Antrag der Beklagten auf Abweisung der Klage wegen Unzulässigkeit hinweist. (Dem steht nicht die Tatsache entgegen, dass das Sozialgericht in unverständlicher Weise sowohl einen Teil des Sachverhalts nicht gesehen als auch die Prozessvoraussetzungen für eine Klage unrichtig beurteilt hat; dies kann das vorausgehende Verhalten der Beklagten nicht entschuldigen).

Der Senat konnte es letztlich offenlassen, ob das Schreiben der Klagepartei vom 22.03.2004 bereits als Klage zu werten ist, was nur dann der Fall gewesen wäre, wenn aus diesem Schreiben selbst der Wille zur Klageerhebung hervorgeht; unerheblich ist es, wenn die Klagepartei selbst auf nachträgliches Befragen ein nicht so gemeintes Schreiben nunmehr als Klage nachträglich ansehen wollte. Die Klagepartei hat jedenfalls während des Sozialgerichtsverfahrens ihre ehemalige "Beschwerde" in Bezug auf die Waisenrente und das Pflege-/Unterhaltsgeld wiederholt. Gleich, ob die Klage im Schreiben vom 22.03.2004 (so die Beklagte und das Sozialgericht) oder in dem von der Beklagten provozierten Antwortschreiben vom 11.05.2004 (so der Senat) oder in dem noch späteren Schreiben vom 03.08.2004 liegt, ist und bleibt das Rechtsmittel der Klage verfristet und war als unzulässig zu behandeln.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat das Sozialgericht selbst nicht gewährt, weil es die Klage wegen fehlerhafter Anwendung der Vorschriften über die Bekanntgabe und die Zustellung als fristgerecht hielt. Die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kam auch nicht in Frage, weil die Klägerin nicht ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs.1 SGG). Entschuldigende Hindernisse sind trotz sozialgerichtlicher Aufforderung nicht von der Klagepartei genannt worden und auch nicht nach Aktenlage ersichtlich.

Die wegen Unzulässigkeit der Klage unbegründete Berufung ist von der Klägerin zurückgenommen worden. Dies ergibt sich eindeutig aus ihrer Erklärung vom 14.04.2005, worin sie - befragt nach dem konkret im Berufungsverfahren verfolgtem Ziel - den Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Waisenrente nicht mehr aufrechterhalten und nur mehr das Begehren wegen Pflege- und Unterhaltsgeldes verfolgen wollte. Der Senat sieht in diesem Zusammenhang sehr wohl das wechselhafte Verhalten der Klägerin im Verwaltungs-, Widerspruchs- und Berufungsverfahren und vernachlässigt keineswegs den Gesichtspunkt der laienhaften Unkundigkeit der Klagepartei. Sie ist aber mit schlichten einfachen Worten - zum ersten Mal in ihrer Muttersprache - befragt worden und hat eine eindeutige Antwort geben können und auch gegeben. Die Einschränkung des Berufungsantrags ist als (teilweise) Rücknahme zu werten und erledigt insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Satz 2 SGG). Nachdem die Klägerin den Rechtsstreit hinsichtlich der Waisenrente aber in zweiter Instanz "wiederaufnehmen" bzw. wieder weiterführen wollte (Erklärung vom 10.05.2005), war seitens des Senats festzustellen, dass der Rechtsstreit insoweit im April 2004 beendigt worden ist. Gleichzeitig war die erneut erhobene Klage abzuweisen. Diesbezüglich liegt - die Berufung war außerdem noch wegen des Unterhalts- bzw. Pflegegelds anhängig - eine Klageerweiterung (Klageänderung im Sinne von § 99 Abs.1 SGG) vor, die nicht zulässig ist: weder hat die Beklagte in die Klageerweiterung eingewilligt noch hält der Senat die Änderung für sachdienlich. Die Sachdienlichkeit war schon deswegen zu verneinen, weil bei "Zulassung" der Änderung die Klage aus anderen Gründen (Bestandskraft des Bescheids vom 17.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2004 seit August 2003) unzulässig wäre bzw. bliebe.

2. Pflegegeld/Unterhaltsgeld. Die diesbezügliche Berufung ist unbegründet. Dies ergibt sich nicht daraus, dass die Klage - wie das Sozialgericht meinte - unbegründet gewesen ist, sondern vielmehr aus dem Umstand, dass die diesbezügliche Klage unzulässig gewesen ist. Einen Antrag auf eine irgendwie geartete Hilfe wegen Pflege oder Unterhalt des Kindes, wobei die Klagepartei offenbar von einem eigenen Anspruch des Kindes ausgeht, der irgendwie auf der Versicherteneigenschaft oder dem früheren Rentenbezug des verstorbenen Vaters beruht, wurde bereits im Rentenverfahren gestellt. Ein rechtsmittelfähiger Bescheid ist bisher nicht erteilt worden, ebenso ist kein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden. Beides sind Prozessvoraussetzungen für eine Klage, die nur als Anfechtungsklage und nicht als allgemeine Leistungs- oder Verpflichtungsklage ohne vorausgegangenen Verwaltungsakt zulässig ist (§ 54 SGG).

3. Überprüfung eines rechtsverbindlichen, möglicherweise rechtswidrigen Verwaltungsakts hinsichtlich einer Rücknahme und eventuell nachträglich zu erbringender Leistungen: Im Wege des § 44 SGB X hatte der Senat keine eigenständige erstmalige Entscheidung darüber zu treffen, ob der bestandskräftige Bescheid vom 17.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2003 bereits bei Erlass unrichtig gewesen und ggf. von der Beklagten zurückzunehmen ist. Dies muss einem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorbehalten bleiben (§ 44 Abs.3 SGB X, §§ 78, 85 SGG).

Unter Berücksichtigung aller Umstände konnte die Berufung und die in zweiter Instanz neu erhobene Klage keinen Erfolg haben. Bei der Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG berücksichtigte der Senat in Ausübung seines Ermessens, dass einerseits die Klägerin in vollem Umfange unterlegen gewesen ist und daher im Regelfall ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat (Grundgedanke des § 91 Abs.1 der Zivilprozessordnung - ZPO -), andererseits die Beklagte durch ein nicht ordnungsgemäßes Verhalten im Verwaltungsverfahren und das Unterlassen der gebotenen Schritte einen unnötigen Rechtsstreit verursacht hat (Veranlassungsprinzip); durch diesen Rechtsstreit wird auch nicht ein späterer Rechtsstreit - diesmals unter den richtigen "Vorzeichen" - ausgeschlossen, wobei es unerheblich ist, dass Letzterer für die Klägerin höchstwahrscheinlich aussichtslos verlaufen wird.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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