L 4 KR 122/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 KR 69/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 122/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 26/05 R
Datum
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 8. Mai 2003 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte wird in Aufhebung des Bescheides vom 20. Januar 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Februar 2003 verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 1. bis 19. September 2002 Krankengeld zu bezahlen.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.09.2002 bis 19.09.2002 Krankengeld zu bezahlen hat.

Der 1946 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten. Er war seit 10.06.1971 bei der H. Fahrrad GmbH & Co. KG als Metallarbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde aus betriebsbedingten Gründen mit Kündigung vom 29.01.2002 zum 31.08.2002 aufgelöst. Der Kläger war ab 12.08.2002 arbeitsunfähig, nach Einschätzung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern - MDK - war eine Vermittlung in Arbeit ab 01.11.2002 möglich. Der Arbeitgeber zahlte das Arbeitsentgelt weiter bis 31.08.2002. Zusätzlich zahlte der Arbeitgeber für 14 Tage Urlaubsabgeltung. Die Zahlung erfolgte laut Lohnbescheinigung zusammen mit der Zahlung für den Abrechnungsmonat August 2002 und belief sich auf 1.477,28 EUR.

Laut Bescheid vom 20.01.2003 bezahlte die Beklagte Krankengeld vom 20.09.2002 bis 31.10.2002. Mit der Begründung, dass nicht erkennbar sei, der Gesetzgeber wollte arbeitsunfähige Versicherte während der Ruhenszeit nach § 143 Abs.2 SGB III besser stellen als arbeitsfähige Versicherte, ging die Beklagte unter Berufung auf ein Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen vom 22./23.11.2001 davon aus, wegen der für 14 Arbeitstage gezahlten Urlaubsabgeltung beginne die Krankengeldzahlung frühestens ab 20.09. 2002. Der Bevollmächtigte des Klägers legte hiergegen Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.02.2003 zurückwies. § 5 Abs.1 Nr.2 SGB V sei durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2001 mit Wirkung ab 01.01.2002 so ergänzt worden, dass die Krankenversicherungspflicht der Arbeitslosen teilweise auf Zeiten ausgedehnt werde, in denen der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 143 Abs.2 SGB III wegen einer Urlaubsabgeltung ruht. Allerdings sei parallel eine Änderung des § 49 Abs.1 SGB V nicht vorgenommen worden. Während der Ruhenszeit nach § 143 Abs.2 SGB III wegen einer Urlaubsentgeltung ruhe der Anspruch auf Krankengeld nicht von Gesetzes wegen. Im Ergebnis würde dadurch eine Besserstellung der arbeitsunfähigen Empfänger von Urlaubsabgeltung gegenüber arbeitsfähigen Empfängern eintreten. Aus dem Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen gehe hervor, dass nicht erkennbar sei, dass der Gesetzgeber dies gewollt habe. Die Besprechungsteilnehmer hätten sich deshalb darauf verständigt, während dieses Zeitraums ruhe der Anspruch auf Krankengeld in analoger Anwendung der Regelung über die Sperrzeit nach dem SGB III gemäß § 49 Abs.1 Nr.3 SGB V. Krankengeld könne an die Empfänger von Urlaubsabgeltungen nicht gezahlt werden.

Hiergegen richtete sich die am 24.02.2003 beim Sozialgericht Nürnberg eingegangene Klage. Zur Begründung wurde vorgetragen, das Besprechungsergebnis der Spitzenverbände der Krankenkassen könne nicht die bestehende gesetzliche Regelung außer Kraft setzen, hierzu bedürfte es einer Gesetzesänderung. Der Kläger habe daher Anspruch auf Zahlung von Krankengeld auch für den Zeitraum 01.09.2002 bis 19.09.2002.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 08.05.2003 abgewiesen. Nach § 44 SGB V entstehe dem Grunde nach ein Krankengeldanspruch bei Bestehen eines entsprechenden Versicherungsschutzes und Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit, wobei nach Abs.3 der Norm vorrangig arbeitsrechtliche Regelungen auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts bei Arbeitsunfähigkeit zur Anwendung kommen. Die Versicherungspflicht habe beim Kläger mit Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses zum 31.08.2002 geendet. Nachdem unstreitig bereits seit 12.08.2002 (bis 31.10.2002) Arbeitsunfähigkeit vorgelegen habe, ergebe sich dem Grunde nach für den Kläger bezüglich des hier streitigen Zeitraums ein Anspruch auf Fortbestand der Leistungen gemäß § 19 Abs.2 SGB V. Aus rechtlicher Sicht sei jedoch der Zeitraum vom 01.09.2002 bis 19.09.2002 so zu werten, als ob der Kläger eine Erwerbstätigkeit ausgeübt habe, denn er habe Arbeitsentgelt erzielt. Der Kläger sei zwar nicht in einem neuen Beschäftigungsverhältnis gestanden, er habe jedoch weiterhin Leistungen aus seiner früheren Erwerbstätigkeit erzielt, da ihm noch ein diesem Zeitraum zuzuordnender Anspruch auf Urlaubsabgeltung zustand. Urlaubsabgeltung stelle ein Arbeitsentgelt im Sinne des § 14 Abs.1 Satz 1 SGB IV dar. Nach § 9 Bundesurlaubsgesetz sei zunächst ab der zum 12.08.2002 eingetretenen Arbeitsunfähigkeit der Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub unterbrochen gewesen. Es sei ein Anspruch auf Krankenentgelt begründet worden, das vom bisherigen Arbeitgeber bis zum Ablauf des bereits durch fristgerechte betriebsbedingte Kündigung beendeten Beschäftigungsverhältnisses nach den Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes zu leisten war. In der Lohnabrechnung für August komme zum Ausdruck, dass für den vollen Monat das bisherige Arbeitsentgelt an den Kläger ausbezahlt wurde. Zusätzlich sei in der Monatsabrechnung für August eine Urlaubsabgeltung ausgewiesen worden. Hierbei handele es sich zur Überzeugung der Kammer ersichtlich um den anteiligen Entgeltbetrag, der für den wegen Erkrankung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr als Erholungsurlaub in Natura durchsetzbaren Resturlaubsanspruch des Klägers für 19 Tage anfiel. Der Zufluss des Entgeltersatzanspruchs (Urlaubsabgeltung) im Monat August ändere nichts daran, dass aus rechtlicher Sicht dieses Arbeitsentgelt zeitlich erst dem Monat September zuzuordnen sei. Grundsätzlich könne ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung erst entstehen, wenn während des bestehenden Arbeitsverhältnisses eine tatsächliche Inanspruchnahme von Erholungsurlaub nicht mehr möglich ist. Dies sei grundsätzlich erst der Fall, wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet ist. Auch die von der Beklagten dargelegte teleologische Auslegung stütze dieses rechtliche Ergebnis. Es sei mit dem Wesen des Krankengeldes, welchem eine Lohnersatzfunktion zukomme, nicht zu vereinbaren, dass letztlich die finanzielle Lage eines Leistungsempfängers gegenüber einem nicht arbeitsunfähigen Versicherten verbessert werde. Hätte beim Kläger keine Arbeitsunfähigkeit bestanden, wäre der Urlaub in Natura abgegolten und vergütet worden. Nach Arbeitslosmeldung hätte er ab 01.09.2002 Arbeitslosengeld beanspruchen können. Nach der Regelung des § 143 SGB III hätte er erst ab 20.09.2002 Leistungen in Gestalt von Arbeitslosengeld erhalten, da sein Anspruch infolge der für 19 Tage erhaltenen Urlaubsabgeltung während dieses Zeitraums nach Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses geruht hätte. Es könne zur Überzeugung der Kammer dahingestellt bleiben, ob die rechtliche Würdigung in Rechtsanalogie zu den Regelungen des SGB III und § 49 Abs.1 Nr.1 SGB V getroffen werde oder durch teleologische Auslegung der anspruchsbegründenden Vorschrift des § 19 Abs.2 SGB V.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 27.05.2003 beim Sozialgericht eingegangene Berufung, die damit begründet wird, im Fall des Klägers sei die Urlaubsabgeltung als Entschädigung für die vereitelte Möglichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme seines Urlaubs zu sehen. Der Gesetzgeber habe offensichtlich bewusst diesen Sachverhalt anders gesehen als im Fall der Urlaubsentgeltung eines arbeitsfähigen Versicherten, so dass das Urteil des Sozialgerichts keinen Bestand haben könne.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.05.2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.01.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.02.2003 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.09.2002 bis 19.09.2002 Krankengeld in Höhe von 923,59 EUR zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten und der Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat in der Zeit vom 01.09.2002 bis 19.09.2002 Anspruch auf Krankengeld. Dies ergibt sich aus § 44 Abs.1 Satz 1 SGB V.

Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkassen stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs.4, §§ 24, 40 Abs.2 und § 41) behandelt werde. Es steht fest, dass der Kläger in der streitgegenständlichen Zeit arbeitsunfähig war. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts handelt es sich auch nicht um einen nachgehenden Anspruch nach § 19 Abs.2 SGB V. Der Kläger wurde nämlich während des Bestehens des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses arbeitsunfähig, seine Mitgliedschaft blieb gemäß § 192 Abs.1 Nr.2 SGB V wegen des Anspruchs auf Krankengeld erhalten. Dabei spielt keine Rolle, dass der Anspruch gemäß § 49 Abs.1 Nr.1 SGB ruhte, weil der Kläger im August beitragspflichtiges Arbeitsentgelt erhalten hat. Ab 01.09.2009 lag die Voraussetzung dieser Ruhensvorschrift nicht mehr vor. Wie das Bundessozialgericht bereits mit Urteil vom 20.03.1984 (SozR 2200 § 189 Nr.4) entschieden hat, ist Urlaubsabgeltung kein mit der Krankengeldzahlung zeitlich konkurrierendes Arbeitsentgelt. Diese Auffassung hat es mit Urteil vom 27.06.1984 bestätigt (SozR 2200 § 189 Nr.5). Aber auch wenn man die Auffassung vertritt, die dort getroffenen Feststellungen hätten unter der Geltung des SGB V keine Wirkung mehr, lässt sich ein Ruhen aus § 49 SGB V nicht herleiten.

Dass Ruhenstatbestände nach § 49 Abs.2 Ziffern 2-6 SGB V vorliegen, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

Entgegen der Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen, der Beklagten und des Sozialgerichts ist eine analoge Anwendung der Regelung aus dem SGB III nicht möglich. Es trifft zwar zu, dass arbeitsunfähige Empfänger von Urlaubsabgeltungen gegenüber arbeitsfähigen Empfängern finanziell besser gestellt werden, es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass eine planwidrige Lücke im Gesetz vorliegt. Der Gesetzgeber hat nicht übersehen, eine § 143 Abs.2 Satz 2 SGB III entsprechende Regelung in § 49 SGB V einzufügen. Es ist nämlich nach dem Job-AQTIV-Gesetz vom 10.12.2001 der Gesetzestext des § 49 SGB V nochmals geändert worden, und zwar durch Gesetz vom 24.12.2003 (BGBl.I S.2954). Die Änderung gilt seit 01.01.2005 und regelt, dass auch der Bezug von Arbeitslosengeld II Krankengeld zum Ruhen bringt. Hätte der Gesetzgeber im Zusammenhang mit Arbeitslosengeld und Ruhen des Krankengelds eine Regelungslücke gesehen, hätte er sie spätestens dann schließen können.

Im Übrigen ergibt sich aus dem Gesetzestext des § 49 SGB V, nämlich aus § 49 Abs.1 Nr.3 SGB V, dass Ruhenstatbestände aus dem SGB III bereits Eingang in die Krankenversicherung gefunden haben. Krankengeld ruht nämlich, soweit und solange Versicherte Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld, Unterhaltsgeld, Kurzarbeitergeld oder Winterausfallgeld beziehen oder der Anspruch wegen einer Sperrzeit nach dem SGB III ruht. Dass in § 49 Abs.1 Nr.3a SGB V die Sperrzeit nicht ausdrücklich erwähnt wird, obwohl Sperrzeiten typischerweise gerade bei Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe eintreten, wird in der Literatur als Regelungslücke angesehen, die durch analoge Anwendung der Nr.3 Halbsatz 2 zu schließen ist (Höfler, KassKomm Rz.16 zu § 49 SGB V). Im hier zu entscheidenden Fall ruht der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld nicht wegen einer Sperrzeit gemäß § 144 SGB III, sondern wegen der Zahlung von Urlaubsabgeltung. Der Kläger hat sich also nicht versicherungswidrig verhalten, was Voraussetzung des Ruhens bei Sperrzeit nach § 144 Abs.1 Satz 1 SGB III wäre. Damit liegt eine planwidrige Lücke im Gesetz nicht vor, es werden unterschiedliche Tatbestände unterschiedlich geregelt. Der Senat folgt der Auffassung von Berchtold (Krankengeld, Handbuch, Nomos 2004 Rz.811), der unter Hinweis auf die oben aufgeführten Urteile des BSG in § 189 RVO weiterhin die Urlaubsabgeltung als unschädliche Einmalzahlung ansieht.

Deshalb ist kein Raum gegeben für richterliche Rechtsfortbildung, die Eingriffe der Verwaltung in Rechte der Versicherten ohne gesetzliche Grundlage sanktionieren (siehe hierzu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Kapitel 5). Der Empfehlung der Spitzenverbände kann nicht gefolgt werden. Es liegt kein Verstoß gegen ein in diesem Falle eingreifendes Gleichbehandlungsgebot vor.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Obsiegen des Klägers.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache wird die Revision gemäß § 160 Abs.2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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