L 5 R 116/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 12 RA 771/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 R 116/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 RA 285/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. August 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Überprüfungsentscheidung der Beklagten, der Klägerin Kindererziehungszeiten, die diese in Angola sowie in Brasilien zurückgelegt hat, nicht anzuerkennen.

Die 1940 geborene Klägerin hat in Deutschland, Frankreich sowie in Luxemburg Versicherungszeiten zurückgelegt, zuletzt bis 30.03.1969 als Angestellte bei der Firma M. in K ... Am 1967 heiratete sie den 1944 geborenen H. G. ; am gleichen Tag wurde die gemeinsame Tochter K. geboren. Aus Anlass der Heirat wurden der Klägerin die zur Rentenversicherung geleisteten Beiträge erstattet.

Am 11.07.1970 zog sie nach L./Angola. Dort war der Ehemann als Ingenieur tätig, ohne rentenrechtliche Zeiten nach deutschem oder ausländischem Recht zurückzulegen. Dort wurden am 1972 die Zwillinge S. und F. geboren.

Als Nachwirkung der "Nelkenrevolution" in Portugal von 1974 ergaben sich 1975 Bürgerkriegsunruhen in Angola (Unabhängigkeit Angolas am 11.11.1975), in deren Folge die Klägerin mit ihrer Familie im Juni 1975 kurzfristig nach Deutschland zurückkehrte, von wo sie ab 22.08.1975 nach Rio de Janeiro/Brasilien übersiedelte. Dort war der Ehemann der Klägerin nicht versicherungspflichtig beschäftigt; erst nach der Rückkehr nach Deutschland hat er freiwillige Rentenbeiträge für diese Zeit nachentrichtet.

Zum 30.08.1979 kehrte die Familie nach Deutschland zurück, wo sie den Wohnsitz in K. nahm. Auf den Bescheid vom 29.04.1996 hin zahlte die Klägerin freiwillige Beiträge für die vormals erhaltene Heiratserstattung nach und erwarb so nachträglich (nicht durchgängig belegte) rentenrechtliche Zeiten von 1957 bis 1967.

Im Rahmen des Verfahrens auf Nachzahlung freiwilliger Beiträge bei Heiratserstattung beantragte die Klägerin auch die Anerkennung von Erziehungszeiten für die 1967 und 1972 geborenen Kinder. Mit Bescheid vom 23.08.1996 anerkannte die Beklagte die Zeit vom 01.05.1967 bis 30.04.1968 als Kindererziehungszeit/Pflichtversicherungszeit sowie die Zeit vom 11.04.1967 bis 31.07.1970 als Berücksichtigungszeit für die 1967 geborene Tochter K ... Die übrige Zeit vom 01.08.1970 bis 10.04.1977 wurde nicht als Berücksichtigungszeit anerkannt, weil das Kind im Ausland erzogen worden war. Für die 1972 geborenen Zwillinge S. und F. wurde ausschließlich die Zeit vom 31.08.1979 bis 20.03.1982 als Berücksichtigungszeit anerkannt, die übrige Zeit weder als Kindererziehungs- noch als Berücksichtigungszeit, weil Erziehung im Ausland vorgelegen hatte. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin nur insoweit Widerspruch, als Nachentrichtungszeiten vom 01.11.1955 bis 05.03.1956 nicht anerkannt worden waren; in Bezug auf die Kindererziehungs-/Berücksichtigungszeiten wurde der Bescheid bestandskräftig.

In einer Rentenauskunft vom 22.06.2000 führte die Beklagte neben Anderem die bereits anerkannten Kindererziehungs-/Berücksichtigungszeiten auf. Mit Schreiben vom 03.07.2000 begehrte die Klägerin, Kindererziehungs-/Berücksichtigungszeiten für die am 21.03.1972 geborenen Zwillinge anzuerkennen, weil Angola zu dieser Zeit zu Portugal gehört habe und weil Angehörigen des Auswärtigen Dienstes entsprechende Zeiten anerkannt würden. Mit Bescheid vom 24.08.2000/Widerspruchsbescheid vom 07.06.2001 lehnte die Beklagte die Überprüfung des Anerkennungsbescheides vom 23.08.1996 und die Anerkennung weiterer Berücksichtigungs-/Kindererziehungszeiten mit der Begründung ab, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Kinder seien nicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erzogen worden. Ausnahmeregelungen seien nicht erfüllt, weil die Klägerin unmittelbar vor Beginn der Erziehungszeit nicht im Ausland beschäftigt gewesen sei und relevante Beschäftigszeiten des Ehegatten vor der Erziehung im Ausland nicht bestünden.

Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München erhoben und beantragt, Kindererziehungszeiten für den Zeitraum 01.08.1970 bis 30.08.1979 anzuerkennen. Die Klägerin sei vor Geburt der Tochter K. bei einem deutschen Arbeitgeber versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Tochter habe in Luanda die deutsche Schule besucht, hierfür sei Schulgeld entrichtet worden. Auch für S. und F. sei eine Kindererziehungszeit anzuerkennen, weil Angola als Überseeprovinz Portugals im Rahmen der Europäischen Union dem Inland gleichzustellen sei. Die Zeiten in Rio de Janeiro/Brasilien seien ebenfalls anzuerkennen, weil die Kinder dort deutsche Kindergärten und Schulen besucht hätten. Zudem habe der Ehemann der Klägerin unmittelbar nach Rückkehr aus Brasilien Nachversicherungsbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet und so berücksichtigungsfähige Rentenzeiten erworben.

Mit Urteil vom 13.08.2004 hat das Sozialgericht die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin sei zuletzt am 30.03.1969 beitragspflichtig versichert gewesen. Sie selbst habe im Kontenklärungsantrag vom 16.08.1995 angegeben, bis zur Rückkehr aus R. sei sie Hausfrau gewesen. Der Ehemann sei bis zu seiner Beschäftigung in Deutschland bei Firmen tätig gewesen, die keinerlei Beziehung zu einem deutschen Mutterunternehmen gehabt hätten. Auch aus EU-Recht ergebe sich nichts Anderes, weil ein - damals nicht vorhandenes - Beschäftigungsverhältnis Voraussetzung wäre. Ein Anspruch auf Anerkennung weiterer Kinderzeiten bestehe somit nicht.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt mit der Begründung, sie sei noch in der Berücksichtigungszeit für die Tochter K. in eine portugiesische Überseeprovinz übersiedelt. Noch während dieser Berücksichtigungszeit seien die Zwillinge S. und F. geboren. Die Kindererziehung für K. dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen. Zudem müsse wenigstens die Zeit vom 30.06.1975 bis 22.08.1975, in welcher sich die Familie in Deutschland aufgehalten habe, Berücksichtigung finden. Die Beklagte habe Beitragsnachzahlungen sowohl für die Klägerin als auch für deren Ehemann akzeptiert, so dass eine ausreichende Beziehung zum deutschen Rentenrecht bestehe. Im Übrigen dürften Spätaussiedler und Russlanddeutsche, die zum größten Teil überhaupt keine Beitragszeiten zurückgelegt hätten, nicht besser gestellt werden als die Klägerin.

Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 13.08.2004 sowie des Bescheides vom 24.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2001 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 23.08.1996 die Beklagte zu verurteilen, den Zeitraum vom 01.08.1970 bis 10.04.1977 als Berücksichtigungszeit für die 1967 geborene Tochter K. sowie die Zeit vom 01.04.1972 bis 31.03.1973 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 21.03.1972 bis 30.08.1979 als Berücksichtigungszeit für die 1972 geborenen Zwillinge S. und F. anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.08.2004 zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2005 waren die Verwaltungsakten der Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 24.08.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2001, mit welchem sie es abgelehnt hat, den Bescheid vom 23.08.1996 hinsichtlich weiterer Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten zu Gunsten der Klägerin abzuändern. Diese Entscheidung ist zu Recht ergangen, ebenso wie das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.08.2004. Die Klägerin hat über die bereits anerkannten Zeiten hinaus keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten.

Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X -.

Zu Recht hat die Beklagte entschieden, dass der Ausgangsbescheid vom 23.08.1996 sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht zutreffend war. In der im Ergebnis nicht zu beanstandenden Entscheidung vom 13.08.2004 hat das Sozialgericht sowohl hinsichtlich der Kindererziehungszeiten § 56 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - als auch hinsichtlich der Berücksichtigungszeiten § 57 SGB VI zutreffend angewandt und auf die fehlende Inlandserziehung sowie auf eine fehlende, der Erziehung unmittelbar vorausgehende Auslandsbeschäftigung hingewiesen. Insofern sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück (§ 153 Abs.2 SGG). Die Klägerin kann deshalb auch nicht eine Korrektur gemäß § 44 SGB X verlangen.

Ergänzend ist anzumerken, dass Angola bis zur Unabhängigkeit am 11.11.1975 nicht dem Staatsgebiet Portugals zuzurechnen, sondern eine Kolonie Portugals war. Aus diesem Grunde kann auch eine Gleichstellung der Erziehung in Angola gemäß Art.5 der EG-Verordnung 883/2004 vom 29.04.2004 (Amtsblatt der Europäischen Union L 166/1 vom 30.04.2004) nicht erfolgen. Diese Verordnung erfasst ausschließlich die Staaten der Europäischen Union und deren Staatsgebiet. Zum Staatsgebiet der Republik Portugal gehört Angola jedoch nicht.

Eine Einbeziehung der streitigen Zeiten entsprechend der Vorgängerregelung zur Verordnung 883/2004, der EG-Verordnung 1408/71 in Verbindung mit 574/72 ist nicht möglich. Art. 67 EGVO 1408/71 bezieht sich zum einen nur auf Beschäftigungszeiten, die als Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedsstaates zurückgelegt worden sind. Zum anderen erfassen diese Verordnungen, die vor der Aufnahme Portugals in die Europäische Union ergangen sind, portugiesische Kolonien nicht; zudem war Angola vor der Aufnahme Portugals in die Europäische Union unabhängig geworden.

Eine Gebietsgleichstellung der in Angola zurückgelegten Zeiten im Rahmen des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Portugiesischen Republik über soziale Sicherheit (vom 06.11.1964 - BGBl.1968 II S.474 in der Fassung des Änderungsabkommens vom 08.12.1966 - BGBl.1975 II S.381) scheitert daran, dass dessen Geltungsbereich ausschließlich das europäische Gebiet Portugals umfasst.

Der kurzfristige Zwischenaufenthalt in Deutschland vom 30.06. bis 22.08.1975 kann nicht als Berücksichtigungszeit anerkannt werden, § 57 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 56 Abs.3 Satz 1 SGB VI. Voraussetzung wäre nämlich ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland und nicht nur eine rund neun Wochen dauernde Überbrückungszeit als Teil der Übersiedlung aus Angola nach Brasilien.

Die Berufung war deshalb in vollem Umfange zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 SGG).
Rechtskraft
Aus
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