L 14 R 582/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 1143/02 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 582/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 255/05 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 26. September 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Klage wegen Beitragserstattung wird abgewiesen.
III. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anstelle der bisher gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1949 geborene, aus Bosnien stammende und in S. (Serbien und Montenegro) lebende Kläger war in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1969 und 1981 versicherungspflichtig beschäftigt. In seiner Heimat war er danach bis Juni 1997 tätig und bezieht seitdem eine Invalidenrente vom Versicherungsträger in N ...

Auf seinen Rentenantrag vom 20.12.1996 bewilligte die Beklagte nach einer Begutachtung des Klägers in der Ärztlichen Gutachterstelle in R. in der Zeit vom 06.-08.07.1996 - ausgehend von einem Berufsschutz des Klägers als Schlosser - mit Bescheid vom 22.10.1998 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 01.01.1997 (monatlicher Zahlbetrag im Dezember 1998 DM 262,61 unter Berücksichtigung eines im Jahre 1984 wegen Scheidung erfolgten Versorgungsausgleichs). Einen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte ab, da der Kläger eine Erwerbstätigkeit noch in gewisser Regelmäßigkeit ausüben und mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen könne. Der Bescheid wurde vom Kläger nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen angefochten. Er wurde damit für die Beteiligten bindend.

Mit einem am 05.09.2002 beim Sozialgericht Landshut (SG) eingegangenen Schreiben erhob der Kläger Klage und begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit rückwirkend ab Antragstellung im Jahre 1996.

Er berief sich auf eine in seiner Heimat erfolgte Anerkennung als Kriegsinvalide wegen Verwundungen im jugoslawischen Bürgerkrieg 1991 und 1993 und auf die dort seit 25.06.1997 gewährte Invalidenrente. Er vertrat die Auffassung, dass ihm die gleiche Rente auch in Deutschland "im Ganzen" zustehen müsse. Alternativ beantragte er die Auszahlung des Geldes, das er zwischen dem 08.12.1969 und 26.01.1981 eingezahlt habe, nebst Verzinsung.

Die Beklagte, die auf die Verfristung der Klage hinwies, wertete das erstmals mit der Klageschrift zum Ausdruck gebrachte Begehren einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. voller Erwerbsminderung als formlosen neuen Rentenantrag, den sie überprüfen und verbescheiden wolle.

Der Kläger äußerte dazu lediglich, er habe alle seine Unterlagen bei Antragstellung am 20.12.1996 übergeben und sei nicht Schuld, dass "Jugoslawien unter Sanktion war".

Das SG setzte ohne vorherige Aufklärung und Anhörung der Beteiligten das Verfahren mit Beschluss vom 04.10.2002 gemäß § 114 SGG analog zum Zwecke der Nachholung des fehlenden Vorverfahrens aus. Auf die Beschwerde des Klägers gegen diesen Beschluss hob der 6. Senat des Bayerischen Landessozialgerichts mit Beschluss vom 14.01.2003 die Entscheidung wegen mangelnder Bereitschaft des Klägers, das Verfahrenshindernis zu beseitigen, auf.

Das SG, das allein von einem auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichteten Klagebegehren ausging, wies nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2003 als unzulässig ab. Das gemäß § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vor Erhebung einer Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren, das mit der Erhebung des Widerspruchs beginne, sei nicht durchgeführt worden. Der Kläger habe gegen den Bescheid vom 22.10.1998 keinen Widerspruch eingelegt. Selbst wenn man das Klageschreiben zugleich als Widerspruch behandeln würde, sei der Widerspruch gemäß § 84 SGG verfristet.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen diese Entscheidung. Er wiederholt im wesentlichen sein bisheriges Vorbringen, ohne auf die Verfristung der Klage einzugehen. Er legt ärztliche Bescheinigungen von Oktober 2003 und Januar 2004 vor, wonach bei ihm Arbeitsunfähigkeit auf Dauer wegen Epilepsie, dauerhafter Persönlichkeitsveränderung auf Grund von Katastrophenerfahrung, psychoorganischen Syndroms und orthopädisch-neurologischer Beschwerden vorliege. Alternativ beantragt er erneut Beitragserstattung.

Die Beklagte prüfte während des Verfahrens den Anspruch auf Umwandlung der gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bzw. wegen voller Erwerbsminderung und forderte vom zuständigen Versicherungsträger in S. die neuesten medizinischen Unterlagen. Es erfolgte eine erneute Begutachtung durch die Invalidenkommission in N. vom 26.03.2004.

Mit Bescheid vom 22.06.2005 lehnte sie den "Antrag vom 11.11.2002 auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung" anstelle von Rente wegen Berufsunfähigkeit mangels Feststellbarkeit der medizinischen Voraussetzungen des § 43 Abs.2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ab. Die notwendige Abklärung des derzeitigen Gesundheitszustands und der verbliebenen Leistungsfähigkeit in der Gutachterstelle in R. sei mangels eines gültigen Reisepasses des Klägers derzeit nicht möglich. Weiter hieß es in dem Bescheid, er werde gemäß § 96 SGG Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens.

Mit Schreiben vom 04.08.2005 gab der Senat Hinweise zur Rechtslage und teilte dem Kläger mit, dass der Bescheid vom 22.06.2005 entgegen der Auffassung der Beklagten nicht Gegenstand des Verfahrens geworden sei, sondern mit dem Widerspruch angefochten werden müsse.

Der Kläger hat sich dazu nicht mehr geäußert.

Er beantragt sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides vom 26.09.2003 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 20.12.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit anstelle der bisher gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen, hilfsweise, die eingezahlten Versicherungsbeiträge zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Klage auf Beitragserstattung abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

1. Zutreffend hat das Erstgericht die am 05.09.2002 eingegangene Klage auf Umwandlung der bisherigen Rente wegen Berufsunfähigkeit in Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wegen Unzulässigkeit abgewiesen.

Es handelt sich dabei um eine Anfechtungsklage, die sich gegen die Ablehnung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Bescheid vom 22.10.1998 richtet. Zu den Prozessvoraussetzungen einer Anfechtungsklage gehört das Vorverfahren (§ 78 SGG), das vor Klageerhebung durchgeführt sein muss, d.h. es muss grundsätzlich zunächst Widerspruch bei der Stelle eingelegt werden, die den Verwaltungsakt erlassen hat (§ 84 SGG). Dem entsprach auch die Rechtsmittelbelehrung im Bescheid vom 22.10.1998 (siehe Seite 6 des Bescheides), wobei dort allerdings unzutreffend eine Widerspruchsfrist von einem Monat angegeben war, während die Widerspruchsfrist bei Bekanntgabe des Bescheids im Ausland entsprechend der schon damals vertretenen Auffassung der Rechtsprechung drei Monate betrug (vgl. § 84 Abs.1 Satz 2 SGG, eingefügt mit Wirkung vom 02.01.2002 durch das 6.SGG-ÄndG vom 17.08.2001 (BGBl. S.2144), der insoweit eine Klarstellung enthält).

Die falsche bzw. unvollständige Rechtsmittelbelehrung hat aber lediglich zur Folge, dass anstelle der kurzen Frist die Jahresfrist des § 66 Abs.2 SGG läuft, d.h. der Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.10.1998 war noch binnen eines Jahres nach seiner Bekanntgabe zulässig. Der Kläger hat diese erweiterte Frist nicht eingehalten. Er hat nie Widerspruch bei der Beklagten eingelegt und sich statt dessen erst nach Ablauf von mehreren Jahren unmittelbar mit der Klage an das Gericht gewandt. Zwar kann in der Klage ein Widerspruch enthalten sein. Ein im Jahre 2002 erhobener Widerspruch wäre jedoch - wie sich aus dem bisher Gesagten ergibt - verfristet. Aus den Akten der Beklagten ist insoweit ersichtlich, dass der Bescheid vom 22.10.1998 am 28.10.1998 zur Post gegeben wurde, ferner, dass sich der Kläger mit einem "Antwortschreiben auf den Rentenbescheid", datierend vom 06.11.1998, mit einem Antrag auf Kindergeld an die Beklagte wandte. Der Bescheid war also unmittelbar vorher zugegangen. Bis in das Jahr 2000 hinein erfolgte danach ein Schriftwechsel zwischen dem Kläger und der Beklagten bezüglich der Rentennachzahlung, nicht aber wegen Einwendungen gegen den Rentenbescheid selbst.

Da somit ein Widerspruch innerhalb der Fristen der §§ 84 Abs.1 Satz 2 und 66 Abs.2 SGG nicht erfolgte, wurde der Bescheid vom 22.10.1998 im November 1999 für die Beteiligten in der Sache bindend (§ 77 SGG).

Dem Kläger ist bezüglich der längst abgelaufenen Frist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 84 Abs.2 Satz 3 i.V.m. § 67 SGG). Ein entsprechender Antrag wurde vom Kläger nicht ausdrücklich gestellt. Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 66 Abs.2 SGG vorliegen, d.h. dass der Kläger ohne Verschulden verhindert war, die Widerspruchsfrist einzuhalten (§ 66 Abs.1) und innerhalb der Antragsfrist von sechs Monaten nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt hätte (Abs.2). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen der Auswirkungen des jugoslawischen Bürgerkriegs in seinem Heimatort S. an der Einlegung des Widerspruchs durch höhere Gewalt (vgl. § 66 Abs.2 SGG) gehindert gewesen sein könnte, bestehen nicht. Der Kläger hat Entsprechendes nicht wirklich geltend gemacht, er hat lediglich andeutungsweise im Klageverfahren vorgebracht, Jugoslawien sei "unter Sanktion" gewesen. Im Übrigen ergibt sich aus den Beklagtenakten eindeutig, dass in der Zeit nach Bekanntgabe des fraglichen Bescheides bis ins Jahr 2000 hinein ein Schriftwechsel des Klägers mit der Beklagten tatsächlich erfolgte, ein Postverkehr also ohne weiteres möglich war.

Nach alledem war bereits die Klage unzulässig, so dass auch die Berufung keinen Erfolg haben konnte.

Eine Überprüfung des während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheides vom 22.06.2005 konnte schon aus diesem Grunde nicht erfolgen. Der Bescheid ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Er ändert oder ersetzt nicht den Bescheid vom 22.10.1998, gegen den der bisherige Rechtsstreit gerichtet ist, in dem der Kläger (im Wege der unzulässsigen Klage) Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Antragstellung im Jahre 1996 anstelle der gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit begehrt. Der Bescheid vom 22.06.2005 bezieht sich vielmehr allein auf einen neuen Rentenantrag, den die Beklagte in der Klageerhebung sah und nach dem neuen, ab 01.01.2001 geltenden Rentenrecht überprüfte.

2. Die in der Berufungsinstanz erneut erhobene, auf Beitragserstattung gerichtete und vom Erstgericht nicht abgehandelte Klage ist ebenfalls unzulässig. Es fehlt diesbezüglich an jeglichen formellen Prozessvoraussetzungen. Ein ablehnender Bescheid, der gerichtlich überprüft werden könnte, ist nicht ergangen, ein entsprechender Antrag wurde beim zuständigen Versicherungsträger nie gestellt. Bei einem gleichzeitigen Rentenbezug wegen Berufsunfähigkeit konnte er auch nicht erfolgversprechend sein.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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