Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 Bl 4/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 BL 16/04 ZVW
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.06.1999 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes A. D. Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) für den Zeitraum 01.04.1996 mit 31.03.2001 zusteht.
Der 1952 geborene A. D. erlitt am 08.03.1993 einen Vorderwandinfarkt mit Kreislaufstillstand. Nach 35 Minuten währender Reanimation stellte sich zwar wieder eine messbare Kreislauffunktion ein, es war aber zu einem hypoxischen Hirnschaden gekommen, als Folge dessen bei A. D. ein apallisches Syndrom, d.h. einer Lähmung aller Gliedmaßen sowie Verlust der Kommunikationsfähigkeit ("Wachkoma") aufgetreten ist.
Im April 1996 beantragte die Klägerin für ihren Ehemann beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld.
Der Beklagte zog u.a. einen Befundbericht der Augenärzte Dres.L. vom 28.08.1996 sowie ein Attest des Allgemeinarztes Dr.S. vom gleichen Tag bei und holte eine versorgungsärztliche Stellungnahmen des Medizinaldirektors Dr.B. ein. Im Bericht der Dres.L. ist ausgeführt, die Augen von A. D. seien reizfrei, die Pupille reagiere auf Licht, im Augenhintergrund sei bei regelrechter Makula eine abgeblasste Papille festzustellen; Sehschärfe und Gesichtsfeld seien nicht prüfbar, der Patient sei Apalliker und kommuniziere nicht. Dr.B. vertrat die Auffassung, es könne bei A. D. nicht nachgewiesen werden, dass die Blindheit auf einem Defekt im optischen Apparat bzw. in der Verarbeitung von optischen Reizen beruhe.
Dementsprechend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.11.1996 den Antrag auf Gewährung von Blindengeld ab, weil mangels Bestimmbarkeit der Sehschärfe, etwaiger Gesichtsfeldeinschränkungen oder anderer Defekte im optischen Apparat der für die Leistungsgewährung unabdingbare Nachweis von Blindheit oder einer ihr gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens nicht zu führen sei. Das Fehlen des Nachweises anspruchsbegründender Tatsachen gehe nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast aber zu Lasten des Antragstellers.
Den Widerspruch des A. D. , mit dem ein Attest des Dr.S. L. vom 20.11.1996 vorgelegt wurde, das eine "erfahrungsgemäß" aus dem Augenbefund (weite, träge Pupillen sowie blasse Sehnerven) abzuleitende Sehschärfe von maximal 1/50 und damit das Vorliegen von Blindheit bestätigte, wies der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (Dr.D. vom 10.12.1996) mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.1997 zurück, weil auch das Attest des Dr.L. keine für den Nachweis von Blindheit ausreichenden objektiven Befunde enthalte.
Dagegen hat A. D. Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und beantragt, ihm ab Antragstellung Blindengeld zu gewähren: Sehen beinhalte Wahrnehmen und Erkennen; daher sei es unerheblich, ob ein Nichtwahrnehmen und ein Nichterkennenkönnen von Bildern auf einer Schädigung der Augen oder auf anderen Schädigungen beruhe. Über seine Bevollmächtigten hat A. D. einen Artikel aus der Zeitschrift "Wachkoma 2/99" vorgelegt, wonach auch Patienten im Wachkoma wegen faktischer Blindheit Blindengeld zustehe.
Das Sozialgericht hat die den Kläger betreffenden Blindengeld- und Schwerbehindertenakten des Beklagten sowie Befundberichte des Neurologen Dr.N. (05.05.1997), des Allgemeinarztes Dr.S. (14.05.1997) sowie der Augenärzte Dres.L. (19.05.1997) eingeholt. Im Auftrag des Sozialgerichts hat Prof.Dr.K. (Augenklinik der Universität M.) am 18.02./ 23.07.1998 ein Gutachten nach Aktenlage erstattet. Er gelangte darin zu der Auffassung, aufgrund der in den verschiedenen augenärztlichen Unterlagen beschriebenen Befunde - fehlende Fixation, krankhafte Pupillenreaktion, Außenschielen des rechten Auges und insbesondere Opticusatrophie - sei eine schwerste, der Blindheit gleichzuachtende Sehminderung anzunehmen.
Der Beklagte (versorgungsärztliche Stellungnahmen Dr.L. vom 30.04. und 03.11.1998) hat demgegenüber weiter die Auffassung vertreten, die erhobenen Befunde enthielten zwar Hinweise auf eine ausgeprägte Minderung des Sehvermögens, könnten aber keine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung belegen; dies gelte insbesondere für die nicht näher quantifizierte Opticusatrophie, aus der selbst bei einer klinisch total erscheinenden Form der Nachweis einer Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung nicht abgeleitet werden könne. Die mangelnde Fixationsaufnahme sowie auch das Fehlen von Folgebewegungen könnten allein durch die schwersten generellen cerebralen Störungen oberhalb der Sehrinde erklärt werden. Derartige auch die visuelle Wahrnehmung betreffenden Störungen sollten aber nach dem Willen des Gesetzgebers keine Blindengeldleistungen auslösen.
Mit Urteil vom 25.06.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil die bei A. D. bekannten augenärztlichen Befunde den Nachweis des Vorliegens einer der Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung nicht zuließen. Weitergehende Untersuchungen in diesem Zusammenhang seien wegen der schwersten cerebralen Behinderung des Klägers nicht durchführbar oder nicht zumutbar. Die Unmöglichkeit des Nachweises von Blindheit gehe zu Lasten von A. D ...
Gegen dieses Urteil hat A. D. Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und sich zur Begründung insbesondere auf die Beurteilung des augenärztlichen Sachverständigen Prof.Dr.K. bezogen.
Der Senat hat die A. D. betreffenden Blindengeld- und Schwerbehindertenakten des Beklagten beigezogen und von Amts wegen von dem Augenarzt Prof.Dr.M. am 08.02./30.06.2000/ 26.09.2001/31.01.2002 erstattete Gutachten eingeholt. Prof. Dr.M. , auf dessen Veranlassung auch eine aktuelle augenärztliche Befundung des A. D. am 08.03.2000 durch Dr.L. stattfand (Bericht vom 10.04.2000), teilte mit, die vorliegenden augenärztlichen Befunde bewiesen nicht ausreichend, dass A. D. aufgrund von Störungen der peripheren Sehbahn zweifelsfrei dem Kreis der Blinden oder diesen nach dem BayBlindG gleichzustellenden Personen zuzuordnen sei. Zusätzliche Erkenntnisse könnten sich möglicherweise aufgrund einer neurologischen Untersuchung/Begutachtung ergeben, bei der ein möglichst differenzierter Schädigungszustand der für die verschiedenen Sehfunktionen zuständigen Hirnareale zu erheben sei. Am Vorhandensein erheblicher Verluste an Sehfunktion aufgrund in der Peripherie gelegener Störungen bestehe aber kein Zweifel. Auch sei bei einem im Koma liegenden Apalliker davon auszugehen, dass von den massiven Hirnschäden auch die der visuellen Verarbeitung dienenden Areale schwer betroffen seien.
Am 23.03.2001 ist A. D. verstorben.
Der Auffassung, bei einem komatösen Apalliker seien in jedem Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit primäre, sekundäre und terziäre Sehrindenareale massiv betroffen, hat sich der Beklagte nicht anzuschließen vermocht (Schreiben vom 02.01.2002 mit versorgungsärztlicher Stellungnahme Medizinaldirektorin P. vom 17.12.2001 unter Bezugnahme auf das Protokoll einer Kommissionssitzung vom 28.11.2001 zur Beratung schwieriger Begutachtungsfälle nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz).
Der Anregung des augenärztlichen Sachverständigen folgend, hat der Senat von Amts wegen ein Gutachten von dem Neurologen Prof.Dr.W. (Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der Techn. Universität M.) eingeholt. Der Sachverständige vertrat in seinem Gutachten vom 11.03.2003 die Auffassung, dass "mit großer Wahrscheinlichkeit bei einem durch Sauerstoffmangel hervorgerufenen apallischen Syndrom das Erkennen-Können von Sehimpulsen nicht möglich" sei; positive entsprechende Nachweise durch apparative Untersuchungen lägen allerdings nicht vor.
Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt (Schreiben vom 31.08.2003), ihr Ehemann sei acht Jahre im Koma gewesen, habe sich nicht bewegen können und auf keine Einwirkungen der Umgebung (wie z.B. Ansprache durch Söhne, Radio, Fernseher) reagiert. Blindheitsbedingte Mehraufwendungen seien bei ihm nicht infrage gekommen.
Mit Urteil vom 28.10.2003 hat der Senat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, blindheitsbedingte Mehraufwendungen seien bei A. D. wegen seines Zustandes (apallisches Syndrom) nicht angefallen, weshalb entsprechend dem in Art.1 Abs.1 ausdrücklich kodifizierten Sinn und Zweck des Bayer. Blindengeldgesetzes - nämlich blindheitsbedingte Mehraufwendungen auszugleichen - Leistungen nach diesem Gesetz nicht zustünden.
Auf die vom Senat zugelassene Revision der Kläger hat das BSG dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayer. Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen (Urteil des BSG vom 26.10.2004): Die in Art.1 Abs.1 BayBlindG enthaltene Formulierung "zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen" beinhalte keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibe lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelungen. Die Verneinung des Leistungsanspruchs der Kläger könne deshalb nicht darauf gestützt werden, dass bei A. D. keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen angefallen seien. Der Rechtsstreit sei deshalb an das LSG zurückzuverweisen, welches zu prüfen habe, ob A. D. blind im Sinn des Art.1 Abs.2 BayBlindG gewesen sei. Zur Frage der Blindheit habe das BSG bereits in der Entscheidung vom 31.01.1995 ausgeführt, für den Begriff der faktischen Blindheit sei es nicht maßgeblich, auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruhe und ob das Sehorgan (Auge, Sehbahn) selbst geschädigt sei. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führten, seien zu berücksichtigen, und zwar alleine oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Allerdings sei in Abgrenzung vor allem zu Störungen, die dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zuzuordnen seien, zu differenzieren, ob das Sehvermögen, das heißt, das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt sei oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliege, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden könne, in der also die Störung nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betreffe. Ausfälle alleine des Benennen-Könnens erfüllten somit nicht die Voraussetzungen der faktischen Blindheit.
Der Senat hat erneut die A. D. betreffenden Akten des Beklagten (Blindengeld-, Schwerbehindertenakte) beigezogen.
Die Klägerin (Schreiben vom 01.02./23.03.2005) hat die Auffassung vertreten, aus dem Gutachten des Prof.Dr.W. ergebe sich, dass bei A. D. aufgrund des apallischen Syndroms das Erkennen-Können von Sehimpulsen nicht möglich gewesen sei. Wenn Blindheit somit nicht bereits aus der starken Schädigung des Opticusapparates selbst (so der Sachverständige Prof.Dr.K.) folge, so folge es jedenfalls aus dem Zusammenwirken dieser Schädigung mit den cerebralen Verarbeitungsstörungen, die das Erkennen-Können beträfen.
Der Beklagte (Schreiben vom 02.03.2005) hat demgegenüber den im Sinn des Vollbeweises zu fordernden Nachweis von Blindheit oder einer der Blindheit gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens nicht für erbracht erachtet. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof.Dr.K. entsprächen diesen Anforderungen nicht. Das Gleiche gelte für das Gutachten des Prof.Dr.W. , der es lediglich für sehr wahrscheinlich, nicht aber für sicher halte, dass bei einem apallischen Syndrom die das visuelle Erkennen betreffende cerebrale Verarbeitung nicht mehr intakt sei.
Nach Hinweis des Senats auf das Urteil des BSG vom 20.07.2005 (B 9a BL 1/05 R) hat die Klägerin vorgetragen, das Hörvermögen ihres Ehemannes sei deutlich besser gewesen als seine visuelle Wahrnehmungsfähigkeit; auch habe ein deutliches Schmerzempfinden bestanden. Die Klägerin hat dazu eine Bestätigung der Pflegedienstleiterin I. W. vom 17.10.2005 vorgelegt. Der Beklagte hat sich schriftsätzlich am 07.11.2005 geäußert.
Mit Schreiben vom 07.11./09.11.2005 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 155 Abs.4, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 25.06.1999 sowie des Bescheides vom 05.11.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.01.1997 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes A. D. Blindengeld vom 01.04.1996 bis 31.03.2001 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil der Sach- und Rechtslage entspreche.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten erster, zweiter und dritter Instanz sowie auf den Inhalt der zu Beweiszwecken beigezogenen Akten/Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (Art.7 Abs.2 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes A. D. Blindengeld vom 01.04.1996 bis 31.03.2001 zusteht.
Dies hat das Sozialgericht mit Recht verneint.
Gemäß Art.1 Abs.1 BayBlindG erhalten Blinde, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG).
Als blind gelten gemäß Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt, 2. bei denen durch Nr.1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von seinem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr.1 gleichzuachten sind.
A. D. fehlte, wie sich aus der verzögerten Pupillenlichtreaktion ergibt, das Augenlicht nicht völlig.
Auch der Nachweis von Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 2 Nr.1 BayBlindG kann nicht geführt werden. Denn die Reduzierung der Sehschärfe - also des Auflösungsvermögens der Augen - auf maximal 1/50 auf dem besseren Auge muss durch Messungen/Tests, die den Anforderungen des Vollbeweises genügen, festgestellt sein. Exakte Mess- und Testergebnisse waren bei A. D. aufgrund des apallischen Syndroms aber nicht zu erhalten. Auch kann aus der unstreitig bestehenden beidseitigen Atrophie der Sehnervenscheibe (Opticusatrophie) nicht im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, auf eine reduzierte Sehschärfe von maximal 1/50 geschlossen werden.
Die Voraussetzungen der Nr.2 des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG sind ebenfalls nicht erfüllt. Eine "faktische" Blindheit im Sinn dieser Vorschrift kann zwar auch auf dem Zusammenwirken von - hier unstreitig bestehenden - Schäden des Sehorganes (Opticusatrophie u.a.) und cerebralen Schäden in Gestalt zentraler Verarbeitungsstörungen beruhen. Es muss allerdings mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, dass die zentralen Verarbeitungsstörungen das visuelle Erkennen und nicht lediglich das Benennen des visuell Erkannten betreffen. Denn Ausfälle des Benennen-Könnens erfüllen die Voraussetzungen faktischer Blindheit nicht (BSG, 31.01.1995, 1 RS 1/93 = SozR 3-5920 § 1 Nr.1; 26.10.2004, B 7 SF 2/03 R; 20.07.2005, B 9a BL 1/05 R).
Der vom Senat in diesem Zusammenhang gehörte Sachverständige Prof.Dr.W. ist zwar nach Auswertung sämtlicher Unterlagen zu dem Schluss gelangt, dass es A. D. aufgrund des apallischen Syndroms mit großer Wahrscheinlichkeit nicht möglich gewesen sei, Sehimpulse zu erkennen. Der mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu führende Nachweis (vgl. Meyer-Ladewig u.a., Kommentar zum SGG, 8. Aufl., Rdnrn.6a zu § 103, 5 zu § 118, 3b zu § 128, jeweils m.w.N.) von das Erkennen-Können betreffenden cerebralen Verarbeitungsstörungen kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Das Vorliegen faktischer Blindheit im Sinne der Anforderungen der BSG-Rechtsprechung ist damit nicht bewiesen.
Nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der sog. "objektiven Beweislast" trägt jeder Beteiligte die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Kann das Gericht trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten bestimmte Tatsachen nicht feststellen, so geht diese verbliebene Ungewissheit zu Lasten desjenigen, der aus dieser Tatsache einen Anspruch ableiten will (Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnrn.19a zu § 103; 6 zu § 118, jeweils m.w.N.).
Hinzu kommt, dass nach jüngster Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.07.2005, B 9a BL 1/05 R) bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden, wie es ohne Zweifel beim Bestehen eines apallischen Syndroms der Fall ist, im Rahmen des Versuchs einer Abgrenzung zwischen Ausfällen des Erkennen-Könnens und des Benennen-Könnens eine weitere Differenzierung verlangt wird: im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen muss sich eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen. Insoweit genügt es zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Bei einem vollständigen apallischen Syndrom ist dies nicht der Fall.
Nach den Aktenunterlagen bestand bei A. D. ein dem Vollbild des apallischen Syndroms angenäherter Zustand. Die schwere Hirnschädigung hatte eine im Wesentlichen gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten zur Folge. Eine deutlich schlechtere Funktionsfähigkeit des Sehsinnes im Vergleich zu den anderen Sinnesmodalitäten ist nicht bewiesen. Auch die Bestätigung der Pflegedienstleiterin I. W. vom 17.10.2005 und der Vortrag der Klägerin, A. D. habe deutlich besser gehört als gesehen, vermögen dies nicht ausreichend zu belegen. Denn die Klägerin hat auf Anfrage des Gerichts in einem früheren Schreiben (31.08.2003) selbst bekundet, ihr Ehemann habe auf keine Einwirkungen der Umwelt - wie z.B. Ansprache durch Söhne, Radio, Fernseher - reagiert. Entsprechend hat auch der Neurologe Dr.N. bereits mit Befundbericht vom 05.05.1997 mitgeteilt, A. D. zeige keinerlei Reaktion auf Ansprache und auf Schmerzreize ausschließlich reflexartige Bewegungen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.06.1999 war nach alldem zurückzuweisen.
Der Senat konnte durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden (§ 155 Abs.3, 4 SGG), weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nrn.1 bis 2 SGG nicht vorliegen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes A. D. Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) für den Zeitraum 01.04.1996 mit 31.03.2001 zusteht.
Der 1952 geborene A. D. erlitt am 08.03.1993 einen Vorderwandinfarkt mit Kreislaufstillstand. Nach 35 Minuten währender Reanimation stellte sich zwar wieder eine messbare Kreislauffunktion ein, es war aber zu einem hypoxischen Hirnschaden gekommen, als Folge dessen bei A. D. ein apallisches Syndrom, d.h. einer Lähmung aller Gliedmaßen sowie Verlust der Kommunikationsfähigkeit ("Wachkoma") aufgetreten ist.
Im April 1996 beantragte die Klägerin für ihren Ehemann beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld.
Der Beklagte zog u.a. einen Befundbericht der Augenärzte Dres.L. vom 28.08.1996 sowie ein Attest des Allgemeinarztes Dr.S. vom gleichen Tag bei und holte eine versorgungsärztliche Stellungnahmen des Medizinaldirektors Dr.B. ein. Im Bericht der Dres.L. ist ausgeführt, die Augen von A. D. seien reizfrei, die Pupille reagiere auf Licht, im Augenhintergrund sei bei regelrechter Makula eine abgeblasste Papille festzustellen; Sehschärfe und Gesichtsfeld seien nicht prüfbar, der Patient sei Apalliker und kommuniziere nicht. Dr.B. vertrat die Auffassung, es könne bei A. D. nicht nachgewiesen werden, dass die Blindheit auf einem Defekt im optischen Apparat bzw. in der Verarbeitung von optischen Reizen beruhe.
Dementsprechend lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.11.1996 den Antrag auf Gewährung von Blindengeld ab, weil mangels Bestimmbarkeit der Sehschärfe, etwaiger Gesichtsfeldeinschränkungen oder anderer Defekte im optischen Apparat der für die Leistungsgewährung unabdingbare Nachweis von Blindheit oder einer ihr gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens nicht zu führen sei. Das Fehlen des Nachweises anspruchsbegründender Tatsachen gehe nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast aber zu Lasten des Antragstellers.
Den Widerspruch des A. D. , mit dem ein Attest des Dr.S. L. vom 20.11.1996 vorgelegt wurde, das eine "erfahrungsgemäß" aus dem Augenbefund (weite, träge Pupillen sowie blasse Sehnerven) abzuleitende Sehschärfe von maximal 1/50 und damit das Vorliegen von Blindheit bestätigte, wies der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme (Dr.D. vom 10.12.1996) mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.1997 zurück, weil auch das Attest des Dr.L. keine für den Nachweis von Blindheit ausreichenden objektiven Befunde enthalte.
Dagegen hat A. D. Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben und beantragt, ihm ab Antragstellung Blindengeld zu gewähren: Sehen beinhalte Wahrnehmen und Erkennen; daher sei es unerheblich, ob ein Nichtwahrnehmen und ein Nichterkennenkönnen von Bildern auf einer Schädigung der Augen oder auf anderen Schädigungen beruhe. Über seine Bevollmächtigten hat A. D. einen Artikel aus der Zeitschrift "Wachkoma 2/99" vorgelegt, wonach auch Patienten im Wachkoma wegen faktischer Blindheit Blindengeld zustehe.
Das Sozialgericht hat die den Kläger betreffenden Blindengeld- und Schwerbehindertenakten des Beklagten sowie Befundberichte des Neurologen Dr.N. (05.05.1997), des Allgemeinarztes Dr.S. (14.05.1997) sowie der Augenärzte Dres.L. (19.05.1997) eingeholt. Im Auftrag des Sozialgerichts hat Prof.Dr.K. (Augenklinik der Universität M.) am 18.02./ 23.07.1998 ein Gutachten nach Aktenlage erstattet. Er gelangte darin zu der Auffassung, aufgrund der in den verschiedenen augenärztlichen Unterlagen beschriebenen Befunde - fehlende Fixation, krankhafte Pupillenreaktion, Außenschielen des rechten Auges und insbesondere Opticusatrophie - sei eine schwerste, der Blindheit gleichzuachtende Sehminderung anzunehmen.
Der Beklagte (versorgungsärztliche Stellungnahmen Dr.L. vom 30.04. und 03.11.1998) hat demgegenüber weiter die Auffassung vertreten, die erhobenen Befunde enthielten zwar Hinweise auf eine ausgeprägte Minderung des Sehvermögens, könnten aber keine der Blindheit gleichzuachtende Sehstörung belegen; dies gelte insbesondere für die nicht näher quantifizierte Opticusatrophie, aus der selbst bei einer klinisch total erscheinenden Form der Nachweis einer Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung nicht abgeleitet werden könne. Die mangelnde Fixationsaufnahme sowie auch das Fehlen von Folgebewegungen könnten allein durch die schwersten generellen cerebralen Störungen oberhalb der Sehrinde erklärt werden. Derartige auch die visuelle Wahrnehmung betreffenden Störungen sollten aber nach dem Willen des Gesetzgebers keine Blindengeldleistungen auslösen.
Mit Urteil vom 25.06.1999 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen, weil die bei A. D. bekannten augenärztlichen Befunde den Nachweis des Vorliegens einer der Blindheit gleichzuachtenden Sehstörung nicht zuließen. Weitergehende Untersuchungen in diesem Zusammenhang seien wegen der schwersten cerebralen Behinderung des Klägers nicht durchführbar oder nicht zumutbar. Die Unmöglichkeit des Nachweises von Blindheit gehe zu Lasten von A. D ...
Gegen dieses Urteil hat A. D. Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und sich zur Begründung insbesondere auf die Beurteilung des augenärztlichen Sachverständigen Prof.Dr.K. bezogen.
Der Senat hat die A. D. betreffenden Blindengeld- und Schwerbehindertenakten des Beklagten beigezogen und von Amts wegen von dem Augenarzt Prof.Dr.M. am 08.02./30.06.2000/ 26.09.2001/31.01.2002 erstattete Gutachten eingeholt. Prof. Dr.M. , auf dessen Veranlassung auch eine aktuelle augenärztliche Befundung des A. D. am 08.03.2000 durch Dr.L. stattfand (Bericht vom 10.04.2000), teilte mit, die vorliegenden augenärztlichen Befunde bewiesen nicht ausreichend, dass A. D. aufgrund von Störungen der peripheren Sehbahn zweifelsfrei dem Kreis der Blinden oder diesen nach dem BayBlindG gleichzustellenden Personen zuzuordnen sei. Zusätzliche Erkenntnisse könnten sich möglicherweise aufgrund einer neurologischen Untersuchung/Begutachtung ergeben, bei der ein möglichst differenzierter Schädigungszustand der für die verschiedenen Sehfunktionen zuständigen Hirnareale zu erheben sei. Am Vorhandensein erheblicher Verluste an Sehfunktion aufgrund in der Peripherie gelegener Störungen bestehe aber kein Zweifel. Auch sei bei einem im Koma liegenden Apalliker davon auszugehen, dass von den massiven Hirnschäden auch die der visuellen Verarbeitung dienenden Areale schwer betroffen seien.
Am 23.03.2001 ist A. D. verstorben.
Der Auffassung, bei einem komatösen Apalliker seien in jedem Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit primäre, sekundäre und terziäre Sehrindenareale massiv betroffen, hat sich der Beklagte nicht anzuschließen vermocht (Schreiben vom 02.01.2002 mit versorgungsärztlicher Stellungnahme Medizinaldirektorin P. vom 17.12.2001 unter Bezugnahme auf das Protokoll einer Kommissionssitzung vom 28.11.2001 zur Beratung schwieriger Begutachtungsfälle nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz).
Der Anregung des augenärztlichen Sachverständigen folgend, hat der Senat von Amts wegen ein Gutachten von dem Neurologen Prof.Dr.W. (Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum rechts der Isar der Techn. Universität M.) eingeholt. Der Sachverständige vertrat in seinem Gutachten vom 11.03.2003 die Auffassung, dass "mit großer Wahrscheinlichkeit bei einem durch Sauerstoffmangel hervorgerufenen apallischen Syndrom das Erkennen-Können von Sehimpulsen nicht möglich" sei; positive entsprechende Nachweise durch apparative Untersuchungen lägen allerdings nicht vor.
Auf Anfrage des Senats hat die Klägerin mitgeteilt (Schreiben vom 31.08.2003), ihr Ehemann sei acht Jahre im Koma gewesen, habe sich nicht bewegen können und auf keine Einwirkungen der Umgebung (wie z.B. Ansprache durch Söhne, Radio, Fernseher) reagiert. Blindheitsbedingte Mehraufwendungen seien bei ihm nicht infrage gekommen.
Mit Urteil vom 28.10.2003 hat der Senat die Berufung mit der Begründung zurückgewiesen, blindheitsbedingte Mehraufwendungen seien bei A. D. wegen seines Zustandes (apallisches Syndrom) nicht angefallen, weshalb entsprechend dem in Art.1 Abs.1 ausdrücklich kodifizierten Sinn und Zweck des Bayer. Blindengeldgesetzes - nämlich blindheitsbedingte Mehraufwendungen auszugleichen - Leistungen nach diesem Gesetz nicht zustünden.
Auf die vom Senat zugelassene Revision der Kläger hat das BSG dieses Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayer. Landessozialgericht (LSG) zurückverwiesen (Urteil des BSG vom 26.10.2004): Die in Art.1 Abs.1 BayBlindG enthaltene Formulierung "zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen" beinhalte keine eigenständige Anspruchsvoraussetzung, sondern umschreibe lediglich die allgemeine Zielsetzung der gesetzlichen Regelungen. Die Verneinung des Leistungsanspruchs der Kläger könne deshalb nicht darauf gestützt werden, dass bei A. D. keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen angefallen seien. Der Rechtsstreit sei deshalb an das LSG zurückzuverweisen, welches zu prüfen habe, ob A. D. blind im Sinn des Art.1 Abs.2 BayBlindG gewesen sei. Zur Frage der Blindheit habe das BSG bereits in der Entscheidung vom 31.01.1995 ausgeführt, für den Begriff der faktischen Blindheit sei es nicht maßgeblich, auf welchen Ursachen die Störung des Sehvermögens beruhe und ob das Sehorgan (Auge, Sehbahn) selbst geschädigt sei. Auch cerebrale Schäden, die zu einer Beeinträchtigung des Sehvermögens führten, seien zu berücksichtigen, und zwar alleine oder im Zusammenwirken mit Beeinträchtigungen des Sehorgans. Allerdings sei in Abgrenzung vor allem zu Störungen, die dem Bereich der seelisch-geistigen Behinderung zuzuordnen seien, zu differenzieren, ob das Sehvermögen, das heißt, das Sehen- bzw. Erkennen-Können beeinträchtigt sei oder ob - bei vorhandener Sehfunktion - (nur) eine zentrale Verarbeitungsstörung vorliege, bei der das Gesehene nicht richtig identifiziert bzw. mit früheren visuellen Erinnerungen verglichen werden könne, in der also die Störung nicht (schon) das Erkennen, sondern (erst) das Benennen betreffe. Ausfälle alleine des Benennen-Könnens erfüllten somit nicht die Voraussetzungen der faktischen Blindheit.
Der Senat hat erneut die A. D. betreffenden Akten des Beklagten (Blindengeld-, Schwerbehindertenakte) beigezogen.
Die Klägerin (Schreiben vom 01.02./23.03.2005) hat die Auffassung vertreten, aus dem Gutachten des Prof.Dr.W. ergebe sich, dass bei A. D. aufgrund des apallischen Syndroms das Erkennen-Können von Sehimpulsen nicht möglich gewesen sei. Wenn Blindheit somit nicht bereits aus der starken Schädigung des Opticusapparates selbst (so der Sachverständige Prof.Dr.K.) folge, so folge es jedenfalls aus dem Zusammenwirken dieser Schädigung mit den cerebralen Verarbeitungsstörungen, die das Erkennen-Können beträfen.
Der Beklagte (Schreiben vom 02.03.2005) hat demgegenüber den im Sinn des Vollbeweises zu fordernden Nachweis von Blindheit oder einer der Blindheit gleichzuachtenden Störung des Sehvermögens nicht für erbracht erachtet. Die Ausführungen des Sachverständigen Prof.Dr.K. entsprächen diesen Anforderungen nicht. Das Gleiche gelte für das Gutachten des Prof.Dr.W. , der es lediglich für sehr wahrscheinlich, nicht aber für sicher halte, dass bei einem apallischen Syndrom die das visuelle Erkennen betreffende cerebrale Verarbeitung nicht mehr intakt sei.
Nach Hinweis des Senats auf das Urteil des BSG vom 20.07.2005 (B 9a BL 1/05 R) hat die Klägerin vorgetragen, das Hörvermögen ihres Ehemannes sei deutlich besser gewesen als seine visuelle Wahrnehmungsfähigkeit; auch habe ein deutliches Schmerzempfinden bestanden. Die Klägerin hat dazu eine Bestätigung der Pflegedienstleiterin I. W. vom 17.10.2005 vorgelegt. Der Beklagte hat sich schriftsätzlich am 07.11.2005 geäußert.
Mit Schreiben vom 07.11./09.11.2005 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter gemäß § 155 Abs.4, 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erklärt.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 25.06.1999 sowie des Bescheides vom 05.11.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24.01.1997 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin ihres Ehemannes A. D. Blindengeld vom 01.04.1996 bis 31.03.2001 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil der Sach- und Rechtslage entspreche.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten erster, zweiter und dritter Instanz sowie auf den Inhalt der zu Beweiszwecken beigezogenen Akten/Unterlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig (Art.7 Abs.2 BayBlindG i.V.m. §§ 143, 151 SGG).
Sie ist jedoch nicht begründet.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes A. D. Blindengeld vom 01.04.1996 bis 31.03.2001 zusteht.
Dies hat das Sozialgericht mit Recht verneint.
Gemäß Art.1 Abs.1 BayBlindG erhalten Blinde, soweit sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Bayern haben, zum Ausgleich der blindheitsbedingten Mehraufwendungen auf Antrag ein monatliches Blindengeld.
Blind ist, wem das Augenlicht vollständig fehlt (Art.1 Abs.2 Satz 1 BayBlindG).
Als blind gelten gemäß Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG auch Personen, 1. deren Sehschärfe auf dem besseren Auge nicht mehr als 1/50 beträgt, 2. bei denen durch Nr.1 nicht erfasste Störungen des Sehvermögens von seinem solchen Schweregrad bestehen, dass sie der Beeinträchtigung der Sehschärfe nach Nr.1 gleichzuachten sind.
A. D. fehlte, wie sich aus der verzögerten Pupillenlichtreaktion ergibt, das Augenlicht nicht völlig.
Auch der Nachweis von Blindheit im Sinne von Art.1 Abs.2 Satz 2 Nr.1 BayBlindG kann nicht geführt werden. Denn die Reduzierung der Sehschärfe - also des Auflösungsvermögens der Augen - auf maximal 1/50 auf dem besseren Auge muss durch Messungen/Tests, die den Anforderungen des Vollbeweises genügen, festgestellt sein. Exakte Mess- und Testergebnisse waren bei A. D. aufgrund des apallischen Syndroms aber nicht zu erhalten. Auch kann aus der unstreitig bestehenden beidseitigen Atrophie der Sehnervenscheibe (Opticusatrophie) nicht im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, auf eine reduzierte Sehschärfe von maximal 1/50 geschlossen werden.
Die Voraussetzungen der Nr.2 des Art.1 Abs.2 Satz 2 BayBlindG sind ebenfalls nicht erfüllt. Eine "faktische" Blindheit im Sinn dieser Vorschrift kann zwar auch auf dem Zusammenwirken von - hier unstreitig bestehenden - Schäden des Sehorganes (Opticusatrophie u.a.) und cerebralen Schäden in Gestalt zentraler Verarbeitungsstörungen beruhen. Es muss allerdings mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein, dass die zentralen Verarbeitungsstörungen das visuelle Erkennen und nicht lediglich das Benennen des visuell Erkannten betreffen. Denn Ausfälle des Benennen-Könnens erfüllen die Voraussetzungen faktischer Blindheit nicht (BSG, 31.01.1995, 1 RS 1/93 = SozR 3-5920 § 1 Nr.1; 26.10.2004, B 7 SF 2/03 R; 20.07.2005, B 9a BL 1/05 R).
Der vom Senat in diesem Zusammenhang gehörte Sachverständige Prof.Dr.W. ist zwar nach Auswertung sämtlicher Unterlagen zu dem Schluss gelangt, dass es A. D. aufgrund des apallischen Syndroms mit großer Wahrscheinlichkeit nicht möglich gewesen sei, Sehimpulse zu erkennen. Der mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu führende Nachweis (vgl. Meyer-Ladewig u.a., Kommentar zum SGG, 8. Aufl., Rdnrn.6a zu § 103, 5 zu § 118, 3b zu § 128, jeweils m.w.N.) von das Erkennen-Können betreffenden cerebralen Verarbeitungsstörungen kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Das Vorliegen faktischer Blindheit im Sinne der Anforderungen der BSG-Rechtsprechung ist damit nicht bewiesen.
Nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der sog. "objektiven Beweislast" trägt jeder Beteiligte die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Kann das Gericht trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten bestimmte Tatsachen nicht feststellen, so geht diese verbliebene Ungewissheit zu Lasten desjenigen, der aus dieser Tatsache einen Anspruch ableiten will (Meyer-Ladewig u.a., a.a.O., Rdnrn.19a zu § 103; 6 zu § 118, jeweils m.w.N.).
Hinzu kommt, dass nach jüngster Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 20.07.2005, B 9a BL 1/05 R) bei Vorliegen umfangreicher cerebraler Schäden, wie es ohne Zweifel beim Bestehen eines apallischen Syndroms der Fall ist, im Rahmen des Versuchs einer Abgrenzung zwischen Ausfällen des Erkennen-Könnens und des Benennen-Könnens eine weitere Differenzierung verlangt wird: im Vergleich zu anderen - möglicherweise ebenfalls eingeschränkten - Gehirnfunktionen muss sich eine spezifische Störung des Sehvermögens feststellen lassen. Insoweit genügt es zum Nachweis einer zu faktischer Blindheit führenden schweren Störung des Sehvermögens, dass die visuelle Wahrnehmung deutlich stärker betroffen ist als die Wahrnehmung in anderen Sinnesmodalitäten. Bei einem vollständigen apallischen Syndrom ist dies nicht der Fall.
Nach den Aktenunterlagen bestand bei A. D. ein dem Vollbild des apallischen Syndroms angenäherter Zustand. Die schwere Hirnschädigung hatte eine im Wesentlichen gleichmäßige und allgemeine Herabsetzung der Wahrnehmungs- und Verarbeitungsfähigkeiten zur Folge. Eine deutlich schlechtere Funktionsfähigkeit des Sehsinnes im Vergleich zu den anderen Sinnesmodalitäten ist nicht bewiesen. Auch die Bestätigung der Pflegedienstleiterin I. W. vom 17.10.2005 und der Vortrag der Klägerin, A. D. habe deutlich besser gehört als gesehen, vermögen dies nicht ausreichend zu belegen. Denn die Klägerin hat auf Anfrage des Gerichts in einem früheren Schreiben (31.08.2003) selbst bekundet, ihr Ehemann habe auf keine Einwirkungen der Umwelt - wie z.B. Ansprache durch Söhne, Radio, Fernseher - reagiert. Entsprechend hat auch der Neurologe Dr.N. bereits mit Befundbericht vom 05.05.1997 mitgeteilt, A. D. zeige keinerlei Reaktion auf Ansprache und auf Schmerzreize ausschließlich reflexartige Bewegungen.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 25.06.1999 war nach alldem zurückzuweisen.
Der Senat konnte durch den zuständigen Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden (§ 155 Abs.3, 4 SGG), weil die Beteiligten dazu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision bestand kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 Nrn.1 bis 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
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