L 6 R 232/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 625/03 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 232/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 164/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17. November 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit bzw. wegen Erwerbsminderung.

Die Klägerin ist 1950 geboren. Sie ist Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina, wo sie auch heute wieder wohnt. Sie hat keinen Beruf erlernt und hat Versicherungszeiten in ihrer Heimat von 1969 bis 1970 zurückgelegt. Im Anschluss war sie von November 1970 bis Dezember 1974 in Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. In Bosnien-Herzegowina hat sie dann noch Versicherungszeiten von 1975 bis 1977 mit Lücken sowie von März 1978 bis zur Arbeitsaufgabe im April 1992.

Ihren ersten Rentenantrag stellte die Klägerin am 12.01.2001 über den heimischen Versicherungsträger in T ...

Mit Bescheid vom 29.04.2002, adressiert an Frau N. H. (letzteres ist der frühere Name der Klägerin), lehnte die Beklagte den Antrag aus versicherungsrechtlichen Gründen ab: Sie prüfte dabei nicht, ob die Klägerin tatsächlich erwerbsgemindert war, da bereits die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Versicherungsrechtlich sei erforderlich, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt worden seien. Der maßgebende Zeitraum liege hier vom 12.01.1996 bis zum 11.01.2001, ausgehend von der Antragstellung am 12.01.2001. In diesem Zeitraum seien keine Pflichtbeitragszeiten enthalten. Auch bestehe kein Anhaltspunkt, dass z.B. ein Arbeitsunfall Ursache für die evtl. Erwerbsminderung sei. Schließlich liege auch nicht die alternativ erforderliche durchgehende Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten ab 01.01.1984 vor.

Zu diesem Bescheid ist ein Zustellungsnachweis in der Akte nicht enthalten. In der Folge führte die Beklagte ein Kontenklärungsverfahren durch. Die entsprechende Befragung der Klägerin erfolgte auf einem Formular mit dem Betreff "Ihr Rentenantrag". Der Kontenklärungsbescheid erging am 16.12.2002.

Daraufhin wandte sich die Klägerin mit Schreiben vom 18.12. 2002, eingegangen am 30.01.2003, an die Beklagte mit der Bitte, ihr zu "schicken alles Geld was ich habe". Sie brauche dieses Geld für ihre Krankheit, ihren Lebensunterhalt und den ihrer Familie.

Mit zwei Schreiben vom 04.02.2003 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Antrag abgelehnt sei und ihr auch eine Beitragserstattung nicht zustehe.

Die Klägerin formulierte dann mit undatierten Schreiben ihr Anliegen dahingehend, dass sie "normal-monatliche Rente" begehre.

Die Beklagte wies am 27.02.2003 die Klägerin auf die Möglichkeit eines neuen Rentenantrags hin. Mit einem Schreiben vom 25.03.2003 zeigte sich die Klägerin mit der Antragsablehnung unzufrieden. Sie strebe gerichtliche Überprüfung an.

Die Beklagte wertete dieses Schreiben als unzulässigen Widerspruch und wies diesen mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2003 zurück. Der Widerspruch sei unzulässig, da die angefochtene Mitteilung vom 27.02.2003 nur eine Benachrichtigung, jedoch kein belastender Verwaltungsakt sei.

Hiergegen erhob die Klägerin am 27.05.2003 Klage zum Sozialgericht Landshut. Mit Schreiben vom 22.10.2004 wies die Klägerin daraufhin, dass sie zu einer mündlichen Verhandlung nicht reisefähig sei, da sich ihr Gesundheitszustand in letzter Zeit wesentlich verschlechtert habe. Sie legte ärztliche Befundberichte für den Zeitraum 1995 bis 1998 vor.

Mit Urteil vom 17.11.2004 wies das Sozialgericht die Klage als unzulässig mangels Beschwer ab. Die angegriffene Äußerung des Versicherungsträgers sei kein anfechtbarer Verwaltungsakt. Das Urteil wurde der Klägerin am 06.03.2005 zugestellt.

Am 15.03.2005 legte die Klägerin gegen das Urteil Berufung ein. Sie sei krank und habe daher ein Recht auf Rente.

Mit Schreiben vom 20.05.2005 fragte die Klägerin an wegen der Möglichkeit einer Beitragserstattung. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 17.06.2005 darauf hin, dass ein Beitragserstattungsanspruch nicht bestehe. Auch hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, in dem sie wiederum auf ihre Invalidität hinwies und aktuelle Befunde ebenso beilegte wie Befunde aus den Jahren 1987 und 1988. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.2005 wies die Beklagte den auf Beitragserstattung gerichteten Widerspruch zurück.

Die Beklagte nahm nunmehr auch zu dem Gutachten der Invalidenkommission S. vom 31.01.2002 Stellung, wonach das Leistungsvermögen seit dem Untersuchungstag auf unter zwei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abgesunken sei; ihr Prüfarzt Dr. D. hatte sich dieser Auffassung angeschlossen. Im Berufungsverfahren sieht für die Beklagte der Chirurg Dr. L. keinen medizinischen Sachverhalt, der den Eintritt einer zeitlichen Leistungsminderung vor dem 12.01.2001 begründen könnte.

Das Gericht wies die Klägerin auf die Sach- und Rechtslage hin, wonach der Eintritt einer evtl. Erwerbsminderung bis Mai 1994 erforderlich sei, wohingegen medizinische Unterlagen erst für die Zeit ab Oktober 1995 vorlägen.

Die Klägerin hielt an der Berufung fest. Sie sei krank und benötige daher die Rente die ihr auch zustehe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 17.11.2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 29.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts Landshut sowie die Prozessakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Streitgegenstand ist allein die Erwerbsminderungsrente. Das Beitragserstattungsbegehren ist ein eigenständiges Begehren und somit nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens geworden.

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Senat geht dabei allerdings, anders als die Beklagte und das Sozialgericht, von der Zulässigkeit von Widerspruch und Klage aus. Denn der nicht richtig adressierte Rentenablehnungsbescheid vom 29.04.2002 ist der Klägerin nicht nachweisbar zugegangen. Ein Zugang kann auch nicht aus dem nachfolgenden Prozessverhalten der Klägerin gefolgert werden. Die Klägerin konnte im Gegenteil davon ausgehen, dass das Rentenverfahren noch offen sei, nachdem die Beklagte im anschließenden Kontenklärungsverfahren ein Formblatt mit dem Bezug "Ihr Rentenantrag" verwendet hat. Angesichts dessen ist der Widerspruch der Klägerin vom 25.03. 2003 in erster Linie auf den Rentenablehnungsbescheid vom 29.04.2002 selbst zu beziehen und stellt insoweit einen zulässigen, insbesondere nicht verfristeten Rechtsbehelf dar.

Unabhängig davon überzeugt das Vorgehen der Beklagten auch aus einem anderen Grund nicht: Schon mit ihren dem Widerspruch vorangehenden Schreiben hat die Klägerin ihren Rentenwunsch deutlich gemacht. Die Beklagte hätte hierauf nicht nur informatorisch reagieren, sondern bereits dieses Schreiben als formlosen Rentenantrag behandeln müssen.

2. In der Sache konnte die Klägerin mit der Berufung jedoch keinen Erfolg haben. Denn die Klägerin erfüllt zwar die medizinischen, nicht aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung nach den Vorschriften des Sechsten Sozialgesetzbuches (SGB VI) in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung.

Die Klägerin ist zwar voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI. Dies gilt jedoch frühestens seit dem Rentenantrag im Januar 2001. Der Senat folgt hier der Leistungsbeurteilung durch Dr. D. , der anhand der medizinischen Unterlagen des Versicherungsträgers T. eine Aufhebung des Leistungsvermögens - unter drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt - seit der Rentenantragstellung im Januar 2001 festgestellt hat. Er hat dies auch in Kenntnis dessen getan, dass aus versicherungsrechtlicher Sicht nur eine früher eingetretene Erwerbsminderung zum begehrten Rentenanspruch führen würde. Diese Sicht der Dinge ist auch überzeugend. Denn auch aus dem Gutachten der Invalidenkommission S. vom 31.02.2002 kann die Klägerin keinen früheren Eintritt der Erwerbsminderung herleiten, im Gegenteil: Die dortige Invalidenkommission hat die dort festgestellte Aufhebung des Leistungsvermögens auf unter zwei Stunden erst ab dem Tag der Untersuchung, also ab 31.01. 2002, angenommen.

In medizinischer Hinsicht gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bereits deutlich vor diesem Zeitpunkt erwerbsgemindert war. Die übrigen medizinischen Unterlagen aus der Heimat der Klägerin datieren überwiegend vom November 2001, gehen also keinesfalls über das Urteil von Dr. D. hinaus. In der dort berichteten Vorgeschichte werden zwar bestimmte Erkrankungen - operierter Tumor am Eierstock, Diabetiserkrankung, Bluthochdruck - berichtet. Unterlagen darüber existieren jedoch nicht. Über eine evtl. Arbeitsunfähigkeit bereits vor der Rentenantragstellung wird nicht berichtet. Somit kann nicht von einer medizinisch bedingten Aufgabe der Erwerbstätigkeit im Jahre 1992 ausgegangen werden. Im Vordergrund stehen lt. Gutachten der Invalidenkommission sicherlich chronische Erkrankungen wie das Bluthochdruckleiden, der Diabetes mellitus Typ II mit Sekundärauswirkungen und eine depressive Störung, die sich allmählich entwickelt haben dürften. Dennoch kann ohne jeglichen objektiven Anhaltspunkt für die Zeit vor 2001 nicht von einer gravierenden gesundheitlichen Leistungseinschränkung aufgrund dieser Erkrankungen ausgegangen werden, geschweige denn von einer Leistungseinschränkung im Hinblick auf die zumutbare Arbeitszeit. Der Senat hält vielmehr die Klägerin - erst - seit der Rentenantragstellung im Januar 2001 nicht mehr für in der Lage, sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein.

3. Zu diesem Zeitpunkt sind jedoch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht mehr erfüllt. § 43 Abs. 1 und 2, jeweils Satz 1 Nr. 2 SGB VI verlangen eine Belegung des Fünf-Jahres-Zeitraums vor Eintritt der Erwerbsminderung mit mindestens drei Jahren Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit. Nachdem bei der Klägerin die Belegung mit Pflichtbeiträgen nur bis April 1992 reicht, sind diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals für einen evtl. Eintritt der Erwerbsminderung im Mai 1994 erfüllt, nachdem auch sogenannte Aufschubzeiten im Sinne von § 43 Abs. 4 seit April 1992 nicht mehr zurückgelegt worden sind. Auf diese versicherungsrechtlichen Voraussetzungen kann hier auch nicht nach der Vorschrift des § 43 Abs. 5 verzichtet werden. Denn die Erwerbsminderung ist nicht aufgrund eines Arbeitsunfalls oder eines sonstigen priviligierten Tatbestandes eingetreten. Auch die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 241 Abs. 2 - lückenlose Belegung des Zeitraums ab Januar 1984 mit rentenrechtlichen Zeiten - sind nicht erfüllt. Seit der Arbeitsaufgabe liegen keinerlei rentenrechtliche Zeiten bei der Klägerin mehr vor. Schließlich ist auch eine nachträgliche Belegung der "Lücken" im Versicherungsverlauf nicht mehr möglich. Insbesondere freiwillige Beiträge können nur zeitnah gezahlt werden. So hätten beispielsweise freiwillige Beiträge für das Jahr 1992 spätestens bis 31.03.1993 gezahlt sein müssen (§ 197 Abs. 2 SGB VI). Eine Verlängerung dieser Frist wegen besonderer Härte (§ 197 Abs. 3) oder aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs wegen eines Beratungsfehlers der Beklagten kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Für die Zeit vor dem Rentenantrag 2001 ist keinerlei Kontaktaufnahme der Klägerin mit der Beklagten dokumentiert. Nur bei einem Beratungsersuchen oder einer zumindest irgendwie gearteten Kontaktaufnahme ist jedoch die Beklagte im Rahmen von § 13 des SGB I ggf. zur Information über die rentenrechtliche Situation verpflichtet. Dies bedeutet zugleich, dass die Klägerin sich auch nicht mit Erfolg auf § 197 Abs. 3 SGB VI stützen kann. Eine besondere Härte setzt nämlich voraus, dass der oder die Versicherte nachweisen kann, ohne Verschulden an der fristgerechten Beitragszahlung gehindert gewesen zu sein. Vorliegend muss es sich die Klägerin jedoch als eigenes Verschulden zurechnen lassen, dass sie die einschlägigen Beitragszahlungsfristen versäumt hat. § 197 Abs. 3 kommt somit nicht zu ihren Gunsten zur Anwendung. Nach alledem verbleibt es dabei, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen letztmals für eine fiktiven Eintritt der Erwerbsminderung im Mai 1994 erfüllt waren, später aber nicht mehr.

Im Ergebnis liegen somit für den festgestellten Versicherungsfall im Januar 2001 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI nicht mehr vor.

4. Die Klägerin hat auch nicht Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI. Denn als ungelernte Arbeiterin genießt sie keinen Berufsschutz und kann daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt in voller Breite verwiesen werden. Auch unter dem Aspekt der Berufsunfähigkeit lässt sich kein früherer Leistungsfall als im Jahr 2001 feststellen.

Die Berufung konnte somit keinen Erfolg haben.

Nach heutiger Rechtslage könnte die Klägerin ab Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente haben.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved