L 6 R 444/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 RJ 195/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 444/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 6. Juli 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen voller Erwerbsminderung, anstelle der seit 15.05.1996 bezogenen Berufsunfähigkeitsrente.

Der Kläger ist 1961 geboren. Er hat den Beruf Schlosser von 1979 bis 1981 erlernt und bis Juni 1991 versicherungspflichtig ausgeübt. Seit Oktober 1991 war er im Wesentlichen krank bzw. arbeitslos, von einer Beschäftigung vom 04.01. bis 17.07.1993 abgesehen.

Ab 1992 unterzog sich der Kläger mehrfach (Januar 1992, 1994 und März 1996) Bandscheibenoperationen an der Lendenwirbelsäule (L4/5). Am 02.04.1996 beantragte er medizinische Rehabilitation, die auch bewilligt und durchgeführt wurde (Fachklinik in I.).

Am 18.11.1996 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit. Diese ließ den Kläger durch den Nervenarzt Dr.K. von ihrem Sozialärztlichen Dienst untersuchen. Dieser kommt im Gutachten vom 04.02./17.03.1997 zur Feststellung von folgenden Gesundheitsstörungen: - Restbeschwerden nach dreimaliger Operation bei lumbalen Bandscheibenvorfällen mit sensiblen Wurzelreizerscheinungen und schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule sowie - (internistisch) Fettleber und Hepatitis C. Der Kläger betreibe jahrelang Drogenabusus. Der chronische Schmerz sei aufgrund des Postnukleotomiesyndroms trotz vorhandener Verdeutlichungstendenz organisch zu begründen. Das Leistungsvermögen als Schlosser sei mit unter halbschichtig, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit vollschichtig anzusetzen.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.04.1997 die beantragte Rente ab.

Auf den Widerspruch veranlasste die Beklagte weitere Begutachtungen auf nervenärztlichem und orthopädischem Fachgebiet. In seinem Gutachten vom 02.03.1998 sieht der Orthopäde Dr.M. bei einer Minderbelastbarkeit der Lendenwirbelsäule nach wie vor ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten im Wechselrhythmus. Der Nervenarzt Dr.K. sieht in seinem nochmaligen Gutachten vom 20.02./17.03.1998 ebenfalls ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis gelegentlich mittelschwere Arbeiten. Die Gehfähigkeit sei nicht eingeschränkt. Ein internistisches Zusatzgutachten sei nicht erforderlich, weil die Leberfunktion nicht beeinträchtigt sei. Der Sachverständige stellt eine Gewöhnung an die Einnahme von Valoron, noch unterhalb der Suchtschwelle, fest und verweist auf "das frühere Abhängigkeitsverhalten von Alkohol".

Mit Bescheid vom 05.11.1998 bewilligte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit auf Dauer ab 15.05.1996. Dabei wurde der Antrag auf medizinische Leistungen zur Rehabilitation als Rentenantrag gewertet.

Hiergegen erhob der Kläger am 24.11.1998 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.1999 wies die Beklagte den Widerspruch "gegen den Bescheid vom 28.04.1997 in der Fassung des Bescheides vom 05.11.1998" zurück.

Hiergegen erhob der Kläger am 24.03.1999 Klage zum Sozialgericht Augsburg.

Dieses veranlasste eine orthopädische Begutachtung durch Dr.U. , der aufgrund ambulanter Untersuchung vom 08.05.2000 in seinem Gutachten vom 10.05.2000 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule feststellte, wobei "während der gesamten Untersuchung ein gewisser Demonstrationseffekt nicht auszuschließen war".

Auf Antrag des Klägers beauftragte das Gericht den Orthopäden Prof.Dr.P. mit einer weiteren Begutachtung gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Laut Gutachten Dr.P. vom 05./13.02.2001 hat der Kläger nach wie vor Alkoholprobleme: er konsumiere etwa eine Flasche Schnaps pro Tag. Als Schmerzmedikation nehme er 100 mg Morphium täglich, vom Sachverständigen "als gewisse Sucht interpretiert". Prof.Dr.P. hält eine psy- chiatrische Zusatzbegutachtung für sinnvoll.

Daraufhin veranlasste das Gericht eine weitere Begutachtung durch die Nervenärztin Dr.A ... Dr.A. stellt nach ambulanter Untersuchung in ihrem Gutachten vom 01./11.06.2001 eine latent gereizte Stimmungslage fest. Der Kläger sei zeitweise subdepressiv, insgesamt angespannt bei leichter psychomotorischer Unruhe. Bsi auf eine "mäßige Einschränkung der affektiven Resonanz" werden im Übrigen keine Normabweichungen im psychischen Befund beschrieben. Dr.A. diagnostizierte eine chronifizierte Schmerzstörung sowie Alkoholabhängigkeit mit derzeitiger Abstinenz bei Zustand nach Polytoxikomanie. Der Kläger könne noch vollschichtig leichte Arbeiten verrichten. Die Sachverständige stellt eine Suchtanamnese fest "seit ca. 20 Jahren". Seit Februar 2001 (der letzten von mehreren Entzugsbehandlungen) sei der Kläger abstinent. Er nehme allerdings täglich ein Morphiumpräparat ein ohne die Tendenz zur Dosiserhöhung. Der Kläger habe nie eine Entwöhnungsbehandlung absolviert. Er habe lediglich sporadisch, derzeit offenbar regelmäßig, an Selbsthilfegruppen teilgenommen. Auf diesbezügliche Fragen oder Anregungen habe der Kläger "stereotyp" zu verstehen gegeben "man könne ihm nicht helfen". Er reagiere auf therapeutische Anforderungen "schnell mit einer Verstärkung der Gereiztheit und latenten Aggressivität". Die therapeutischen Möglichkeiten seien bei weitem nicht ausgeschöpft. Hierfür lasse sich jedoch "keine ausreichende Motivation zum derzeitigen Zeitpunkt eruieren".

Der Kläger legte daraufhin ein Attest des Allgemeinarztes Dr.R. vor über eine depressive Störung sowie eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit niedriger Frustrationstoleranz und starker Affektlabilität. Der Kläger sei dauernd arbeitsunfähig. In ihrer ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 08.10.2001 verneinte Frau Dr.A. eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Sie bleibt bei ihrem Gutachten.

Daraufhin beantragte der Kläger ein weiteres Gutachten gemäß § 109 SGG durch den Nervenarzt Dr.S. beauftragt. In seinem Gutachten vom 20.08.2002 beschreibt Dr.S. den Alkoholabusus. Seit der Entziehung 1996 in der Klinik W. gebe der Kläger an, "abstinent zu leben". Dr.S. kann dies aber offenbar nicht objektivieren: "Auch zurzeit eher massives Trinken zwei Flaschen Wein dazu noch ein Jägermeister täglich". In seiner Beurteilung stellt Dr.S. über die Diagnosen des Gutachtens Dr.A. hinaus vor allem noch folgende Gesundheitsstörungen fest: Frühkindliche Verhaltensstörungen, massiv explosives Verhalten, Depression mit suizidalen Gedanken. Laut Dr.S. ist "eine Arbeit auch bis drei Stunden nicht" möglich. Auch könne der Kläger maximal 50 m Wegstrecke zu Fuß ohne Pause zurücklegen. Danach müsse er eine Pause einlegen.

Die Beklagte beanstandete das Fehlen eines psychischen Befundes im Gutachten Dr.S. und hielt an ihrer bisherigen Auffassung fest.

Das Gericht bestellte zum weiteren Sachverständigen den Orthopäden Dr.M. , der nach ambulanter Untersuchung im Gutachten vom 10.11.2003 "die Darstellung einer massiven schmerzbegründeten Bewegungseinschränkung der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule ohne eindeutig feststellbare lendenwirbelsäulenseitbedingten Nervenwurzel- und Muskelreizerscheinungen" diagnostizierte. Der Sachverständige vermutet "eine vielleicht gar nicht so sehr bewusstseinsferne Verursachung".

Das Gericht holte sodann ein Gutachten des Nervenarztes Dr.L. ein. Dieser beschreibt in seinem Gutachten vom 15.03.2004 "Hinweise für erhebliches demonstratives Verhalten". Er sieht keinen Anhaltspunkt für eine schwere neurotische Entwicklung oder sonstige psychische Erkrankung. Er führt das geklagte Schmerzsyndrom auf "erhebliche funktionelle Symptomatik bzw. Verdeutlichungstendenzen" zurück. "Eine wesentliche Beeinträchtigung der Wegefähigkeit" kann Dr.L. ebenso wenig feststellen wie Einschränkungen in Bezug auf die zumutbare Arbeitszeit.

Mit Urteil vom 06.07.2004 wies das Sozialgericht die Klage ab. Bezüglich des orthopädischen Fachgebietes bestehe von Seiten der Gutachter Dr.M. , Dr.U. und Prof.Dr.P. Einigkeit, dass der Kläger noch acht Stunden täglich arbeiten könne. In nervenärztlicher Hinsicht sei das Gutachten Dr.S. nicht überzeugend. Dieses Gutachten enthalte Widersprüche zur Aktualität der Suchterkrankung wie auch zur Einschätzung der Wegefähigkeit. Von Seiten dieses Fachgebietes stützt sich das Urteil auf die Gutachten Dr.K. , Dr.A. und Dr.L ... Im Übrigen verweist das Sozialgericht auf die insbesondere von den gerichtlichen Sachverständigen beschriebenen demonstrativen Tendenzen des Klägers bei der Beschwerdeschilderung.

Am 02.08.2004 legte der Kläger gegen dieses Urteil Berufung ein. Er beanstandet, dass das Sozialgericht die psychiatrische Seite nicht hinreichend - im Sinn des Gutachtens Dr.S. - gewürdigt habe. Die Gerichtsgutachter Dr.M. und Dr.L. hätten sich bei ihren Aussagen nicht auf objektive Anhaltspunkte stützen können. Auch die Suchterkrankung sei nicht hinreichend gewürdigt. Insbesondere das Gutachten Dr.L. weise erhebliche Mängel auf. Das Gericht hätte ein weiteres psychiatrisches Gutachten, wie beantragt, einholen müssen.

Der Senat beauftragte den Nervenarzt Prof.Dr.W. mit einer Begutachtung des Klägers aufgrund ambulanter Untersuchung. Der Sachverständige stellt in seinem Gutachten vom 29.03./03.05.2005 eine nicht ganz widerspruchsfreie Suchtanamnese fest, insbesondere zur Frage, inwieweit längere "cleane" Zeiten vorlagen. Prof.Dr.W. diagnostiziert: - Iatrogen unterhaltene Opiatabhängigkeit bei bekannter Poly- toxikomanie auf dem Boden einer ausgeprägten emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung. - Restbeschwerden nach mehrmaligen lumbalen Bandscheibenoperationen. Prof.Dr.W. stützt sein Gutachten auf eine insgesamt rund 1 1/2-stündige Befragung inklusive Fremdanamnese durch die Mutter, die sich offenbar auch um die "Grundpflege" des Klägers kümmere. Die Polytoxikomanie des Klägers (Cannabis, Heroin und Alkohol) bestehe seit der Jugend. Der Kläger habe insgesamt etwa ein dreiviertel Jahr wegen eines Drogen- und wegen eines Führerscheindeliktes in Strafhaft gesessen. Prof.Dr.W. beschreibt eine Verschlechterung der Suchtsituation: 1998 habe offensichtlich noch kein Morphinabusus bestanden, lediglich die Einnahme von Opioiden. Seinerzeit sei der Kläger auch noch als kooperativ und überangepasst beschrieben worden. Auch die aktuelle nervenärztliche Begutachtung sei recht schwierig gewesen. Auf Nachfragen zu unangenehmen Details habe der Kläger verbal aggressiv reagiert, wobei er jedoch stets bemerkenswert gut steuerbar geblieben sei, dies insbesondere, wenn der Sachverständige den Abbruch der Untersuchung vorschlug. Der Sachverständige verwies auf "verschiedene Inkonsistenzen zwischen seinen Angaben und denen der Mutter", was die von ihm weitgehend negierten sozialen Kontakte anbelangt. Auch den regelmäßigen Cannabiskonsum habe er verschwiegen. Die Beurteilung des Leistungsvermögens falle schwer. Zumindest bis etwa 2001 habe der Kläger vollschichtig leichte Arbeiten verrichten können. Seit 2001 sei die Situation jedoch problematischer, da der iatrogen unterhaltene Opiatmissbrauch in den Vordergrund getreten sei. Hier erscheine es zunehmend schwieriger, zwischen Nicht-Können und Nicht-Wollen zu unterscheiden. Aber auch insoweit sieht der Sachverständige keinen Nachweis, dass der Kläger seit 2001 nicht mehr einer wirtschaftlich relevanten Tätigkeit habe nachgehen können. Dabei sei er sich "jedoch nicht sicher, ob und wie weit ich damit den tatsächlichen Funktionseinschränkungen des Klägers gerecht werde." Nachdem der Kläger erklärt habe, demnächst in eine stationäre psychiatrische Behandlung zu wollen, solle bei dieser Gelegenheit geklärt werden, ob die zu fordernde Motivation bestehe, seine Beeinträchtigungen willentlich zu überwinden, oder ob der Kläger die geklagten Funktionsstörungen dazu benutze, seine Polytoxikomanie zu zementieren. Diese Behandlung sollte jedoch in einer speziellen Suchtklinik erfolgen.

Der Kläger legte einen kernspintomographischen Befundbericht der Lendenwirbelsäule vom 08.06.2005 vor.

Am 01.09.2005 teilte der Kläger mit, dass der zunächst vorgesehene stationäre Aufenthalt in der Psychiatrischen Klinik Dr.S. nicht stattfinden werde, weil er von der Klinik als nicht erfolgversprechend angesehen werde. Laut Bericht der Privatnervenklinik Dr.S. befand sich der Kläger dort - einmal - vom 10.11. bis 10.12.2004 in Behandlung: "Insgesamt konnte er in etwas gebessertem Zustand nach Hause entlassen werden".

Der Sachverständige Prof.Dr.W. gab im Auftrag des Gerichts eine ergänzende Stellungnahme vom 07.10.2005 ab zu den neueren Befunden. Das Kernspintomogramm vom 08.06.2005 ergebe keine wesentlichen neuen Gesichtspunkte. Bei seiner Einschätzung der Leistungsfähigkeit handelte es sich nicht, wie der Klägerbevollmächtigte meine, lediglich um bloße Mutmaßungen. Es sei vielmehr so, dass er sich im Rahmen der Untersuchung nicht habe überzeugen können, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, zu arbeiten. Bezüglich des Kontaktes mit der Klinik Dr.S. fänden sich erhebliche Widersprüche, die den Eindruck von Inkonsistenz bezüglich der Motivation des Klägers weiter verstärkten. Wenn eine ausgeprägte depressive Störung vorliege, so sei unverändert ein stationärer psychiatrischer Aufenthalt anzuraten.

Der Kläger legte daraufhin einen Arztbericht Dr.K. vom 13.10.2005 vor, in der die Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule beschrieben wird und stationäre Reha-Maßnahmen für dringend notwendig gehalten werden.

Weiter vorgelegt wurde der Kurschlussbericht der Kur- und Reha-Klinik D. , wo sich der Kläger vom 09. bis 30.11.2005 zu einem stationären Aufenthalt befand. Bei den Diagnosen "Depressives Syndrom bei chronischem Schmerzsyndrom und Polytoxikomanie" wurde eine balneophysikalische Umstimmungstherapie verordnet: Moorbrei-Vollbäder, kombinierte manuelle Großmassagen, Arnika- und Heublumenbäder, Krankeneinzelgymnastik, heilgymnastische Bewegung im Hallenbad, die aber wieder abgesetzt wurden. Wegen der starken Depression und unter Schmerzen sei eine Arbeitsfähigkeit nicht wieder zu erwarten. Wegen der Chronizität sei eine Wiederholungskur in einem Jahr dringend anzuraten.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 14.12.2005 bemerkt Prof.Dr.W. zur Stellungnahme Dr.K. , dass die Depression von dieser lediglich am Rande erwähnt und auf die Morphin-Problematik mit keinem Wort eingegangen werde. Der gerichtliche Sachverständige hält nach wie vor eine Behandlung in einer auf Suchterkrankung spezialisierten Fachklinik für sinnvoll, wo insbesondere eine aktivierende Schmerzbewältigungstherapie erfolgen sollte. Eine lediglich physikalisch orientierte Rehabilitationsmaßnahme erscheine demgegenüber keinesfalls sinnvoll. In einer weiteren ergänzenden Stellungnahme vom 16.01.2006 zum Kurbericht vom November 2005 verweist Prof.Dr.W. darauf, dass der Kurbericht keinen verwertbaren neurologischen oder psychopathologischen Befund erkenne. Die Polytoxikomanie werde lediglich angesprochen, aber nicht weiter berücksichtigt. Zusammenfassend, so der Sachverständige, "entspricht diese Kurmaßnahme dem auch bisher mehrfach gezeigten Vermeidungsverhalten des Klägers, nicht die ärztlicherseits angeratenen Therapiemaßnahmen in Angriff zu nehmen, sondern irgendwelche Scheinbehandlungsversuche durchzuführen, die an dem eigentlichen Problem nichts ändern." Neue Aspekte ergäben sich nicht.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 06.07.2004 sowie des Bescheides vom 05.11.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.1999 zu verpflichten, anstelle der Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 15.05.1996 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts sowie die Prozessakte hingewiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Anwendbar sind die Vorschriften des Sechsten Sozialgesetzbuches in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (SGB VI a.F.), weil der Kläger einen Eintritt der Erwerbsunfähigkeit vor dem 01.01.2001 geltend macht.

Der Kläger ist nicht erwerbsunfähig im Sinne von § 44 SGB VI a.F., da er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch vollschichtig einsetzbar ist. Zu dieser Überzeugung ist bereits das Sozialgericht nach umfangreichster Beweiserhebung gelangt. Neben den mehrfachen Bandscheibenoperationen des Klägers steht dabei im Vordergrund - auch der ärztlichen Kontroversen - nicht in erster Linie mehr das orthopädische, sondern zunehmend das nervenärztliche Fachgebiet.

1. Denn orthopädischerseits haben sämtliche Gutachter im Verwaltungs- bzw. Klageverfahren ein vollschichtiges Leistungsvermögen bejaht (auch der Gutachter gemäß § 109 Prof.Dr.P.). Zweifellos ist die Leistungsfähigkeit des Klägers zwar infolge der mehrfachen Bandscheibenoperationen beeinträchtigt. Besonders wirbelsäulenbelastende Tätigkeiten sind dem Kläger sicher nicht zuzumuten. Jedoch werden von den Gutachtern übereinstimmend keine erheblichen Bewegungseinschränkungen der Wirbelsäule beschrieben, auch wenn vom Kläger teilweise anderes demonstriert wurde. Auch eine echte organische Ursache für das vielfach diagnostizierte Schmerzsyndrom haben die gerichtlichen Sachverständigen, trotz der Bandscheibenoperationen, nicht finden können. Sie sind sich vielmehr weitestgehend einig, dass beim Kläger erhebliche Verdeutlichungstendenzen - z.B. demonstrative, übertriebene Schmerzäußerung - vorliegen. Orthopädischerseits wird hier überwiegend von einer funktionellen Überlagerung gesprochen. Insofern sowie im Hinblick auf die in Jahrzehnten herausgebildete Polytoxikomanie ist das Krankheitsbild des Klägers mehr und mehr dem nervenärztlichen Fachgebiet zuzuordnen. Aber auch diesbezüglich ist durch umfangreiche Begutachtung geklärt, dass der Kläger nach wie vor erwerbsfähig ist.

2.1. Die nervenärztlichen Gutachter Dr.A. und Dr.L. haben schon im Klageverfahren überzeugend die demonstrativen und noch bewusstseinsnahen Verhaltensanteile beim Kläger herausgearbeitet und keinen Anhaltspunkt für eine gravierende psychische Erkrankung gesehen. Eine Borderline-Persönlichkeitsstörung, wie vom behandelnden Arzt Dr.R. diagnostiziert, konnten Dr.A. und Dr.L. nicht feststellen, wie im Übrigen keiner der im Laufe des Verfahrens gehörten psychiatrischen Sachverständigen. Bemerkenswerterweise ist der von den gerichtlichen Sachverständigen erhobene psychische Befund nicht gravierend pathologisch. Beispielhaft verwiesen sei auf die Befunderhebung durch Dr.A. , die den Kläger lediglich als "subdepressiv" sowie in der affektiven Resonanz mäßig eingeschränkt beschreibt bei im Übrigen weitestgehend normgerechtem psychischen Befund. Auffälliger sind die von Dr.A. wiedergegebenen Aussagen des Klägers zu seinen gesundheitlichen Beschwerden, ihren Ursachen und möglichen Besserungschancen. Die Sachverständige beschreibt eindrücklich die fehlende Motivation des Klägers, aktiv an der Verbesserung seiner Gesundheit mitzuarbeiten. In der Tat erscheinen die therapeutischen Möglichkeiten hier in keinster Weise ausgeschöpft - ein Umstand, den der Kläger aber offenbar nicht wahrhaben will und der ihn sogar zu gereizten Abwehrreaktionen veranlasst. Schon den Ausführungen von Dr.A. lässt sich entnehmen, dass beim Kläger zusehends das Suchtproblem in den Mittelpunkt seiner gesundheitlichen Problematik gerückt ist, einschließlich des therapeutisch verabreichten Morphiumpräparats. Insofern wäre eine Neuausrichtung der Therapie unbedingt erforderlich. Umso mehr deshalb, als eine fundierte Langzeit-Entwöhnungsbehandlung vom Kläger offenbar noch nie durchgeführt wurde. Zugleich wird die abwehrende Reaktion des Klägers auf therapeutische Anforderungen von Dr.A. - und ihr folgend dem Senat - auch als Anzeichen dafür gesehen, dass der Kläger insbesondere in Bezug auf eine psychischen Erkrankung - auch subjektiv - nicht unter besonders hohem Leidensdruck steht.

2.2 Die anders lautenden Aussagen des Dr.S. im Klageverfahren sind nicht überzeugend, da offensichtlich weitgehend und zu unkritisch auf die klägerischen Angaben gestützt. Der Senat hat erhebliche Bedenken gegen die Verwertbarkeit dieses Gutachtens, das zwar eine einigermaßen ausführliche Anamnese enthält, in dem aber eine kritische, objektive Würdigung der anamnestischen Angaben des Klägers praktisch völlig fehlt. Ein objektiver psychischer Befund ist laut Gutachten nicht erhoben worden; zumindest wird er nicht beschrieben. Auch die Aussage von Dr.S. zur Wegstreckenbeschränkung ist schon deshalb nicht verwertbar, da sie nicht begründet wird. Dies wäre umso mehr deshalb erforderlich gewesen, weil der Umfang der zumutbaren Wegestrecke mit "50 m" schon bemerkenswert niedrig angesetzt wird. Der Senat hat sich daher im Gegensatz dazu der Aussage der übrigen gerichtlichen Sachverständigen, vgl. etwa das Gutachten Dr.L. , angeschlossen, wonach die Wegefähigkeit des Klägers nicht erheblich beeinträchtigt ist.

2.3. Auch die Ermittlungen im Berufungsverfahren haben letztlich dieses Ergebnis bestätigt. Der nervenärztliche Gutachter Prof.Dr.W. hat zwar zunächst die Beurteilung des Leistungsvermögens des Klägers als äußerst schwierig angesehen. Auch er konnte sich aber nicht von der Aufhebung des Leistungsvermögens des Klägers überzeugen. Prof.Dr.W. hat in seinem Gutachten eine schwierige Untersuchungssituation aufgrund des klägerischen Verhaltens geschildert, keinesfalls aber einen gravierenden psychischen Befund erhoben, der etwa als richtungsweisende Verschlechterung im Verhältnis zur Vorgutachterin Dr.A. gewertet werden könnte. Der Senat sieht daher keinen Anhaltspunkt für eine schwerwiegende depressive Erkrankung. Auch die Suchterkrankung des Klägers hat noch kein rentenberechtigendes Ausmaß, wie die Sachverständigen praktisch übereinstimmend festgestellt haben. Insbesondere die von Prof. Dr.W. immer noch gefundene und hervorgehobene Steuerbarkeit des Klägers ist ein deutliches Indiz hierfür.

Diese Beurteilung hat Prof.Dr.W. in seinen ergänzenden Stellungnahmen noch verstärkt. In der Tat zeigt die Auswahl, die der Kläger im Rahmen ärztlicher Angebote trifft, dass er den Kern seiner Beschwerden, nämlich die Suchtproblematik, nicht anzugehen gewillt ist. Die Rehabilitationsmaßnahme in der Klinik D. war unter diesem Aspekt schon im Ansatz nicht zielführend. Die dortige Schwerpunktsetzung auf den Bereich der physikalischen Therapie erscheint umso erstaunlicher, als die Hauptdiagnose eines depressiven Syndroms gestellt wurde. Der Senat schließt sich insofern den Ausführungen des Sachverständigen Prof.Dr.W. in seiner ergänzenden Stellungnahme an und bewertet diese Therapie als Fortsetzung des klägerischen Vermeidungsverhaltens. Auch die Privat-Nervenklinik Dr.S. sah offenbar nach der Erstbehandlung im Dezember 2004 keinen Sinn in weiterer Behandlung. Einzig sinnvolle Rehabilitationsmaßnahme wäre eine langfristige Entwöhnungsmaßnahme, zu der der Kläger jedoch offensichtlich nicht die nötige Motivation mitbringt.

Fehlende Motivation und Vermeidungsstrategien deuten beim Kläger nach Auffassung des Senats doch auf eindeutige bewusstseinsnahe und finale Tendenzen hin und reduzieren das Gewicht, das seinen Erkrankungen beizumessen ist. Nach alledem ist der Kläger nach wie vor in der Lage, vollschichtig, bzw. mehr als sechs Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Er ist daher weder erwerbsunfähig im Sinne von § 44 SGB VI a.F. noch voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs.2 SGB VI n.F.

Über die schon bezogene Berufsunfähigkeitsrente hinaus hat der Kläger somit keinen Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente oder volle Erwerbsminderungsrente.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Dem entspricht auch die Kostenentscheidung (§ 193 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs.2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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