L 14 R 422/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 718/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 422/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 30.09.2000 hinaus bzw. ab 11.04.2001 nach zwischenzeitlicher Zahlung von Übergangsgeld.

Die 1963 in der Türkei geborene Klägerin, die seit dem sechsten Lebensjahr in Deutschland lebt, war hier bis 1995 als ungelernte Arbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt und anschließend arbeitsunfähig bzw. arbeitslos. Die Beklagte bewilligte nach einer im September 1998 erfolgten Operation eines Mammakarzinoms rechts mit anschließender Chemotherapie und Bestrahlung mit Bescheid vom 23.04.1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit vom 01.04.1999 bis 30.09.2000. Den Antrag auf Weitergewährung lehnte sie nach Bewilligung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation, die von der Klägerin am 10.04.2001 angetreten und am gleichen Tage abgebrochen worden war, sowie nach einer Begutachtung durch Dr.W. (Gutachten vom 27.07.2001, Diagnosen: "anhaltende affektive Störung, indifferenzierte Somatisierungsstörung, Minderbelastbarkeit des rechten Arms mit belastungsabhängiger Schwellneigung") mit Bescheid vom 23.08.2001 ab. Die Klägerin könne ab 11.04.2001 (nach Ende der Zahlung von Übergangsgeld) wieder vollschichtig leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten.

Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens erfolgte eine erneute gutachtliche Anhörung von Dr.W. vom 16.04.2002, die zu dem Ergebnis kam, dass sich gegenüber der Vorbegutachtung keine Änderungen ergeben hätten und die Klägerin in leichten Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mit den bekannten qualitativen Leistungseinschränkungen sechs Stunden und mehr einsatzfähig sei. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2002 zurückgewiesen.

Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Das SG holte aktuelle Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr.B. , Dr.B. und Dr.S. ein, ferner zog es einen Bericht der S.klinik über einen Aufenthalt der Klägerin vom 27. bis 28.02.2002 bei, ebenso die Schwerbehindertenakten des Versorgungsamts A. (GdB 50 wegen Erkrankung der rechten Brust, ab November 2001 GdB 60 wegen Erkrankung der rechten Brust und seelischer Störung) sowie die Klageakten S 11 SB 449/02 des Sozialgerichts Augsburg.

Es beauftragte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.A. mit der Erstellung des nervenärztlichen Gutachtens vom 26.02.2003. Diese diagnostizierte bei der Klägerin eine anhaltende depressive Störung bei familiärer Konfliktsituation und einen Zustand nach Brustoperation wegen Karzinoms und Lymphknotenausräumung mit Minderbelastungsfähigkeit des rechten Arms bei Schwellneigung. Sie vertrat die Auffassung, die Klägerin könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seit 30.09.2000 sechs Stunden täglich und mehr tätig sein. Schwere und mittelschwere Arbeiten seien allerdings nicht mehr möglich, ferner keine Arbeiten unter Zeitdruck, Einzel- und Gruppenakkord, fließband- und taktgebundene Arbeiten, Wechselschicht und Nachtarbeiten; auch müssten Tätigkeiten mit häufigem Heben und Tragen von Lasten ohne mechanische Hilfsmittel und Tätigkeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes voraussetzten, unterbleiben, ebenso Tätigkeiten unter Einwirkung von Kälte, Hitze und starken Temperaturschwankungen.

Auf Antrag der Klägerin erstellte der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Umweltmedizin Dr.L. gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten vom 07.10.2003, in dem dieser die Diagnosen erhob: "mittelschwere ängstlich gefärbte Depression vor dem Hintergrund einer eher zwanghaften Primärpersönlichkeit, Carpaltunnelsyndrom beidseits, rechtsbetont, vor dem Hintergrund einer diskreten axonalen Neuropathie nach Chemotherapie; Wirbelsäulensyndrom mit ausstrahlenden Beschwerden, mit Zervikobrachialgien und Zervikozephalgien; Schwellneigung des rechten Armes und Blutumlaufstörung nach Mammaamputation rechtsseitig und Lymphknotenetirpation". Der Gutachter führte dazu aus, die Depression bestehe seit Anfang der neunziger Jahre und sei zunehmend exazerbiert und fixiert. Man müsse eine endogene depressive Komponente annehmen, auch wenn diese sicherlich für die aktuelle Ausprägung des Beschwerdebildes nicht im Vordergrund stehe. Die Depression beeinträchtige die allgemeine Leistungsfähigkeit, die Konzentrations- und Gedächtnisfähigkeit, das Umstellungsvermögen, die Durchhaltekraft und die allgemeine Belastungsfähigkeit. Das schmerzhafte Wirbelsäulensyndrom und insbesondere auch die Folgen der Brustkrebsoperation engten die statische Belastbarkeit und die Befähigung zum Gebrauch des rechten Armes ein. Zwangshaltungen, Hebe- und Tragebelastungen seien nicht zumutbar, insgesamt könne die Klägerin auf dem Arbeitsmarkt weniger als drei Stunden täglich erwerbstätig sein, die aktuell durchgeführten Haushaltsarbeiten erfolgten auf Kosten der Gesundheit.

Zur anderen Auffassung der Gutachterin Dr.A. stellte Dr.L. fest, diese habe das Faktum einer positiven Familienanamnese und das Vorliegen einer Depression bereits vor der Krebserkrankung nicht berücksichtigt.

In ergänzenden Stellungnahmen vom 03.02.2004 und 25.02.2004 blieb Dr.L. auch im Hinblick auf Einwendungen des Ärztlichen Dienstes der Beklagten, die das Gutachten nicht für schlüssig hielt, bei dieser Bewertung. Die Beklagte hatte durch ihren Ärztlichen Dienst eingewandt, der Gutachter setze unzulässiger Weise bei der Klägerin subjektives Befinden mit einem psychiatrischen Befund gleich; diese führe trotz ihrer gesundheitlichen Störungen ein weitgehend normales Leben, zu einem bedeutsamen sozialen Rückzug sei es nicht gekommen, trotz des angeblich erheblichen Leidensdrucks habe die Klägerin mehrere stationäre Aufenthalte nach kurzer Zeit abgebrochen; die in ärztlichen Unterlagen zum Ausdruck gekommene Ambivalenz der Klägerin sei bei der Beurteilung nicht berücksichtigt worden.

Die Gutachterin Dr.A. nahm in einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.03.2004 zur Begrifflichkeit der laut Dr.L. vorliegenden endogenen Depression Stellung; sie widersprach der Annahme einer mittelschweren Depression durch Dr.L ... Diese sei aus den von ihm erhobenen Befunden nicht ableitbar. Entscheidend sei im Übrigen nicht die Diagnose als solche, sondern die funktionellen Auswirkungen und die Glaubwürdigkeit der dargestellten Defizite; diese Prüfung erfolge nach den allgemein gültigen Richtlinien der Gutachtenserstellung am besten durch die Schilderung des Tagesablaufs, wie in ihrem Gutachten geschehen. Die Leistungsbeurteilung des Dr.L. (absinkende Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich) sei für sie ebenfalls nicht schlüssig. Dr.A. blieb daher ebenfalls bei ihrer bisherigen Beurteilung.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 16.06.2004 ab. Es legte dar, dass ein Rentenantrag weder nach den §§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung noch nach §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 gültigen Fassung bestehe. Die Klägerin verfüge nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch über ein vollschichtiges Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seit 30.09.2000. Das SG stützte sich bei seiner Entscheidung auf das in Befunderhebung, Diagnosestellung und Bewertung der Leistungsfähigkeit nach seiner Auffassung gründliche und überzeugende Gutachten der Dr.A ... Danach bestehe eine anhaltende depressive Störung bei familiärer Konfliktsituation und ein Zustand nach Brustoperation wegen Karzinoms und Lymphknotenausräumung mit Minderbelastungsfähigkeit des rechten Armes bei Schwellneigung. Hierdurch seien (nur) mittelschwere und schwere Arbeiten, Tätigkeiten unter Zeitdruck und besonderer nervlicher Belastung, mit häufigem Heben und Tragen von Lasten, unter Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen, Zugluft und Nässe, sowie Tätigkeiten, welche die volle Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes voraussetzten, nicht mehr zumutbar. Dem Gutachten des Dr.L. habe sich das Gericht dagegen nicht anschließen können. Es sei wie Dr.A. der Auffassung, dass sich die Diagnose einer mittelschweren Depression nicht aus den von Dr.L. erhobenen Befunden ableiten lasse; auch sei nicht hinreichend gewürdigt worden, dass die Behandlungsmöglichkeiten bislang noch nicht ausgeschöpft seien und verschiedene stationäre Behandlungen von der Klägerin abgebrochen wurden; schließlich fehlten in seinem Gutachten die für eine sozialmedizinische Leistungsbeurteilung bedeutsamen Erhebungen zum Tagesablauf der Klägerin. Diese könne mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen noch körperlich leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich verrichten. Als ungelernte Arbeiterin sei sie auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zumutbar verweisbar, die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit sei nicht erforderlich. Jedenfalls seien einfache körperliche Verrichtungen, wie z.B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, wie sie in ungelernten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblicherweise gefordert würden, weiterhin zumutbar.

Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen dieses Urteil. Sie macht u.a. geltend, sie könne auch leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht verrichten, auch ihren Haushalt könne sie nur mit großer Hilfe bewältigen; sie könne sich nicht entspannen, schlafe wenig, laufe unruhig herum, sie habe eine panikartige Angst vor jeder medizinisch-stationären Einrichtung seit ihrer Krebserkrankung. Eine wesentliche Besserung sei durch psychopharmakologische Behandlung bisher nicht eingetreten. Sie vertritt die Auffassung, bei Vergleich der beiden im erstinstanzlichen Verfahren eingeholten Gutachten beruhe das Gutachten des Dr.L. auf eingehenderer Untersuchung mit umfangreicher Zusatzdiagnostik, er setze sich intensiver mit der Situation der Kläger auseinander als das nach ihrer Auffassung oberflächlichere Gutachten der Dr.A ...

Der Senat holte einen Befundbericht und ärztliche Unterlagen des Dr.B. ein ("Zustand nach Ablatio mammae rechts mit Axillendissektion wegen Karzinom 1998, austherapiert; kosmetisch absolut unbefriedigender Lokalbefund, reaktive Depression, unveränderte Beschwerden durch WS-Syndrom bei degenerativen Veränderungen; keine neuen Leiden"). Die Klägerin ihrerseits legte einen Bericht des Orthopäden Dr.P. vom 11.10.2005 ("Verdacht auf Carpaltunnelsyndrom rechts, Ganglion Mittelfinger rechts") und vom 25.07.2005 ("Carpaltunnelsyndrom rechts, Lumboischialgie rechts") vor.

Auf Veranlassung des Senats erstellte die Nervenärztin Dr.M. das psychiatrische Gutachten vom 10.01.2006. Sie erhob auf Grund ihrer Untersuchung der Klägerin die Diagnosen: - mittelschwere depressive Episode reaktiver Genese bei fami liärer Konfliktsituation und Zustand nach Brustoperation rechts wegen Karzinom 1998 (ICD 10: F 32.1) - Somatisierungsstörung (ICD 10: F 45.0) - Minderbelastbarkeit des rechten Armes mit belastungsabhängi ger Schwellneigung - Spannungskopfschmerz - lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle.

Die Gutachterin verwies auf erhebliche biografische und psychosoziale Belastungsfaktoren (Ehekonflikt, Auftreten einer bösartigen Tumorerkrankung 1998, Neigung zu depressiven Verstimmungen und Verlust an Lebensfreude schon vor diesem Ereignis), sie setzte sich sodann ausführlich mit den Vorgutachten durch Dr.W. , Dr.A. und Dr.L. auseinander und legte dar, dass das Gutachten des Dr.L. , das überwiegend subjektive Angaben der Klägerin wiedergebe und daraus auf eine schwere Depression schließe, nicht überzeugen könne; eindeutige Hinweise für eine Verschlechterung gegenüber den vorangegangenen Gutachten fänden sich bei Dr.L. nicht, ebenso keine genauen Angaben zum Antrieb, zur Psychomotorik, zum Denken und ebenso nicht zur Tagesgestaltung der Klägerin, die Feststellung, wonach die von der Klägerin durchgeführten Haushaltsarbeiten bereits zu Lasten der Restgesundheit gehen, sei nicht begründet und nicht nachvollziehbar. Nach den weiteren Ausführungen der Gutachterin ließen die vorhandenen Befundberichte behandelnder Nervenärzte eher auf gleichbleibende Befunde, nicht aber auf eine Verschlechterung schließen. Eindeutige Hinweise für eine endogene Depression fanden sich nicht, etwa tages- oder jahreszeitlich abhängige Stimmungsschwankungen, Zentralsymptome einer Depression wie Antriebshemmung, Suizidalität oder depressives Denken; wahrscheinlicher sei daher eine reaktive Genese der Depression im Zusammenhang mit psychosozialen Konflikten, die von der Klägerin derzeit nicht gelöst werden könnten, wobei eine anankastische Persönlichkeitsstruktur eine krankheitsunterhaltende Rolle spiele.

Gravierende objektive Einschränkungen der Belastbarkeit des rechten Armes fand die Gutachterin ebenfalls nicht. Das Lymphödem sei minimal ausgeprägt, gravierende funktionelle Einschränkungen der Beweglichkeit hätten sich nicht ergeben, dennoch sei eine gewisse Minderbelastbarkeit des rechten Arms mit belastungsabhängiger Schwellneigung bei der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung zu berücksichtigen: Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung und Krafteinsatz des rechten Armes seien nicht zumutbar.

Die Gutachterin, die aus den Angaben der Klägerin zur Alltags- und Freizeitgestaltung keine Hinweise für eine durchgehend vorhandene belangvolle Antriebsminderung entnehmen konnte und die Angaben zu Rezidivängsten als auf Grund der Situation nachvollziehbar und nicht von vornherein als psychopathologisch bezeichnete, kam in der sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung zu dem Ergebnis, dass körperlich leichte Arbeiten vollschichtig (acht Stunden täglich) zumutbar seien. Wegen der eingeschränkten nervlichen Belastbarkeit und auf Grund der Minderbelastbarkeit des rechten Armes seien dabei Tätigkeiten zu vermeiden, die mit besonderen Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit (Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht), mit Heben und Tragen schwerer Lasten, Einwirkung von Kälte, Hitze, starken Temperaturschwankungen verbunden seien und die volle Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes voraussetzten. Auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Montiererin sei weiter möglich, sofern diese qualitativen Einschränkungen berücksichtigt werden könnten, insbesondere keine besonderen Anforderungen an Kraft und Einsatz der rechten Hand und des rechten Armes gestellt würden. Einschränkungen bei der Umstellungsfähigkeit der Klägerin sowie bei der Zurücklegung von Wegen sah die Gutachterin nicht.

Die Klägerin wandte gegen das Gutachten im Wesentlichen ein, Dr.M. sei in etwa zu der gleichen Diagnosestellung wie Dr.L. im erstinstanzlichen Verfahren gekommen, die von ihr gezogene Schlussfolgerung des dennoch bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens sei dagegen nicht nachvollziehbar; dies auch deshalb, weil ein von Dr.M. erhobener testpsychologischer Zusatzbefund das Ergebnis einer schweren Depression gehabt habe und dieser subjektive Befund durch die im Rahmen der Fremdanamnese erhobenen Angaben des Ehemannes der Klägerin teilweise objektivierbar sei. Die Klägerin verweist weiter auf die von Dr.M. festgestellte Dauerbelastung durch Schwellneigung des rechten Armes sowie auf eine große Belastung durch massive Ängste in geschlossenen Räumen und die Tendenz zur Vermeidung sozialer Kontakte. Sie vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, sie wäre den Zwängen einer vollschichtigen beruflichen Tätigkeit wegen ihrer psychischen Befindlichkeit und auch ihrem regelmäßigen Medikamentenkonsum nicht gewachsen; das Gutachten Dr.M. , das dies nicht berücksichtige, sei deshalb im Ergebnis nicht schlüssig. Es müsse mindestens eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zugesprochen werden.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 16.06.2004 sowie des Bescheides vom 23.08.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2002 zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 SGG) ist zulässig, erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Es besteht kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit nach § §§ 43, 44 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung, ebenso nicht auf Rente wegen Erwerbsminderung nach §§ 43, 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung, nach dem Auslaufen der Zeitrente am 30.09.2000 bzw. dem Ende der übergangsgeldzahlung am 10.04.2001.

Dies steht auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz fest. Die Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie und Sozialmedizin Dr.M. hat in ihrem Gutachten vom 10.01.2006 auf Grund ihrer Untersuchung der Klägerin und nach intensiver Auseinandersetzung mit der in den Akten dokumentierten Vorgeschichte die Diagnose einer mittelschweren depressiven Episode reaktiver Genese bei familiärer Konfliktsituation und Zustand nach Brustoperation rechts wegen Karzinom 1998 gestellt, daneben im Wesentlichen eine Somatisierungsstörung und Minderbelastbarkeit des rechten Arms mit belastungsabhängiger Schwellneigung, Spannungskopfschmerz und lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden ohne neurologische Funktionsausfälle. Sie ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass der Klägerin über den 30.09.2000 hinaus körperlich leichte Arbeiten abwechselnd im Gehen, Stehen oder Sitzen vollschichtig (acht Stunden täglich) zugemutet werden können, wobei besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit (Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht) Heben und Tragen schwerer Lasten, Einwirkung von Kälte, Hitze und starken Temperaturschwankungen vermieden werden müssen und darüber hinaus Arbeiten nicht mehr in Betracht kommen, die die volle Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes voraussetzen, insbesondere besondere Anforderungen an Kraft und Einsatz der rechten Hand und des rechten Arms stellen. Sie hat damit im Wesentlichen die Beurteilung der Dr.A. in erster Instanz bestätigt, auf deren Auffassung auch das Erstgericht seine Entscheidung gestützt hat. Im Übrigen hat sie für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass der Einschätzung des Dr.L. in seinem Gutachten vom 07.10.2003 bezüglich des Vorliegens einer die Leistungsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich limitierenden endogenen Depression nicht zu folgen ist. Der Senat ist - wie auch das Erstgericht - der Auffassung, dass bei der Klägerin am ehesten von einer reaktiven Depression auszugehen ist, die zusammen mit der Minderbelastbarkeit des rechten Armes das Leistungsvermögen der Klägerin zwar beeinträchtigt, aber insgesamt noch leichte und psychisch nicht belastende Arbeiten mit gewissen weiteren qualitativen Einschränkungen zulässt. Er ist darüber hinaus davon überzeugt, dass entsprechende Tätigkeiten bei der Klägerin therapeutischen Effekt haben und helfen könnten, u.a. ihre geschilderte innere Unruhe und auch das Gefühl von Perspektivlosigkeit zu überwinden.

Der Senat hält das Gutachten der Dr.M. insgesamt für schlüssig und überzeugend. Die Einwendungen der Klägerseite im Schriftsatz vom 08.02.2006 erscheinen demgegenüber nicht begründet. Eine "Tendenz zu vagen Begriffen" vermag er nicht festzustellen. Das Vorbringen, Dr.M. komme in etwa zu derselben Diagnose wie Dr.L. in seiner korrigierenden bzw. klarstellenden ergänzenden Stellungnahme vom 03.02.2004 ("mittelgradige Depression") die von ihr daraus gezogene Schlussfolgerung eines dennoch bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens sei aber nicht nachvollziehbar, wird vom Senat nicht geteilt. Dr.M. hat vielmehr - anders als Dr.L. - ihre sozialmedizinische Leistungsbeurteilung ausführlich und nach vollziehbar begründet. Sie hat dabei insbesondere darauf hingewiesen, dass testpsychologische Zusatzbefunde, u.a. mittels Selbstbeurteilungsskalen, bei der Leistungsbeurteilung sehr kritisch zu würdigen sind, da sie nur das subjektive Erleben eines Betroffenen im Querschnitt abbilden und Motivations- und Kooperationsfaktoren eine entscheidende Rolle spielen. Sie hat dargelegt, dass sich aus den Angaben zur Alltags- und Freizeitgestaltung keine belangvolle Antriebsminderung ergibt, dass diese vielmehr - abgesehen von einer gewissen Perspektivlosigkeit - für eine aktive und körperliche Belastbarkeit sprechen. Die Gutachterin hat darüber hinaus eine gewisse Ambivalenz der Klägerin im Hinblick auf ein aktives Angehen ihrer Konflikte bei der Vermeidung von stationären Aufenthalten aufgezeigt und auf unbewusste Widerstände gegen Veränderungen ihrer persönlichen Situation auf Grund ihrer fixierten Rolle innerhalb der Familie (Kranken- bzw. Opferrolle, Ausdruck der Hilfsbedürftigkeit) hingewiesen. Sie hat auch die Minderbelastbarkeit des rechten Armes, die sich im Zusammenhang mit der psychischen Situation verstärkt auswirkt, in ausreichendem Umfang gewürdigt. Soweit die Klägerin weiter die Auffassung vertritt, die auch von der Gutachterin angesprochene Tendenz, soziale Kontakte zu vermeiden, führe ebenso wie das angesprochene konsequente Schonungsund Vermeidungsverhalten und die bestehenden Rezidivängste einschließlich des regelmäßigen Medikamentenkonsums zu einer zusätzlichen Einschränkung der Belastbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw. dazu, dass die Klägerin den Anforderungen an eine vollschichtige Tätigkeit nicht gewachsen wäre, ist dem entgegenzuhalten, dass die Gutachterin diese angesprochenen Aspekte in ihrem Gutachten erörtert und berücksichtigt hat und insgesamt zu einer für den Senat nachvollziehbaren und überzeugenden abwägenden Bewertung gelangt ist. Die Auffassung, das Gutachten sei im Ergebnis nicht schlüssig, ist daher nicht haltbar.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann die Klägerin nach Auslaufen der Zeitrente wieder leichte körperliche Arbeiten ohne schweres Heben und Tragen, ohne besondere nervliche Belastungen und ohne besondere Anstrengung des rechten Armes (insbesondere ohne Kraftanforderungen) täglich vollschichtig verrichten, darunter auch die (in den Voraussetzungen im Einzelnen nicht bekannte) letzte Tätigkeit als Montiererin, soweit sich dabei eine Überlastung des rechten Armes im Hinblick auf die Schweilneigung vermeiden lässt. Die Klägerin ist als ungelernte Arbeiterin auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes breit verweisbar. Es ist angesichts vollschichtiger Einsatzfähigkeit auch davon auszugehen, dass es genügend Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt gibt, die der verbliebenen Leistungsfähigkeit der Klägerin entsprechen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen, die die Benennung einer konkret noch in Betracht kommenden Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden, ist nicht gegeben. Die bestehenden Leistungseinschränkungen werden im Wesentlichen von dem Erfordernis der leichten körperlichen Arbeiten miterfasst. Soweit dies nicht der Fall ist, z.B. bezüglich der Einwirkung besonderer Witterungseinflüsse bzw. besonderer Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, hat das Erstgericht bereits zutreffend dargelegt, dass diese Leistungseinschränkungen in ihrer Gesamtheit nicht so weitgehend sind, dass nur noch eine theoretische Möglichkeit bestünde, einen leidensangemessenen Arbeitsplatz zu erhalten. Dies gilt auch für die Minderbelastbarkeit des rechten Armes der Klägerin. Sie ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme lediglich bei besonderer Belastung des rechten Armes relevant, so vor allem bei besonderer Kraftanstrengung, und damit in der Regel gerade nicht bei leichten körperlichen Arbeiten. Eine der Einarmigkeit vergleichbare Leistungseinschränkung (vgl. BSG in SozR 2200 § 1246 Nr.30) liegt jedenfalls nicht vor. Einfache körperliche Verrichtungen, wie Transportieren, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen, wie sie in ungelernten Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblicherweise gefordert werden, bleiben zumutbar. Ob der Klägerin allerdings ein entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, ist nicht entscheidungserheblich, da das Risiko der Arbeitsplatzvermittlung nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung abgedeckt wird.

Bei dieser Sachlage kann die Berufung keinen Erfolg haben. Sie ist mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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