L 18 V 18/04

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 1 V 5/01
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 V 18/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Der 1925 geborene Kläger beantragte erstmals am 02.04.1955 Versorgung nach dem BVG. Nach Einholung versorgungsärztlicher Gutachten lehnte der Beklagte die Gewährung von Versorgungsleistungen mit Bescheid vom 22.12.1955 und Widerspruchsbescheid vom 02.02.1956 ab und stellte für Zwecke der Heilbehandlung als Schädigungsfolgen mit einer MdE in nicht rentenberechtigendem Grad fest: 1. Reizlose Splitternarbe an der linken Halsseite 2. Örtliche Durchblutungsstörungen an der rechten Ohrmuschel durch Kälteeinwirkung. Zu 1. hervorgerufen und zu 2. verschlimmert durch schädigende Einwirkung im Sinne des § 1 BVG.

Das anschließend beim Sozialgericht (SG) Würzburg geführte Klageverfahren (KOV 283/1956) - der Kläger wurde durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr.R. untersucht und begutachtet - endete durch klageabweisendes Urteil vom 12.03.1957; bestätigt durch Urteil des Bayer. Landessozialgerichts -BayLSG- vom 30.08.1960 (L 14 V 1689/57), Beschluss des Bundessozialgerichts -BSG- vom 26.10.1960 (10 RV 1243/60).

Den weiteren Antrag des Klägers vom 27.09.1995, mit dem er erneut die Erkrankungen Gelenkrheuma, Gelbsucht (Hepatitis A) und Erfrierungen 1. und 2. Grades an Ohren, Händen und Füßen als Schädigungsfolgen im Sinne des BVG geltend machte, lehnte der Beklagte wegen fehlender Mitwirkung des Klägers ab (Bescheid vom 29.01.1996 und Widerspruchsbescheid vom 22.04.1996). Die hiergegen erhobene Klage war erfolglos (Urteil des SG vom 13.03.1997, S 5 V 29/96). Im nachfolgenden Berufungsverfahren (L 18 V 51/97) erstattete der Internist Prof. Dr.K. ein Gutachten nach Aktenlage vom 26.01.1998. Auf Grund der Unterlagen aus den Jahren 1955 und 1957 konnte Prof. Dr.K. keine Folgen eines rheumatischen Fiebers bzw. des im Jahr 1943 erlittenen akuten Gelenkrheumas feststellen. Ausführungen zur Entwicklung einer chronischen Hepatitis nach der im Jahr 1944 erlittenen akuten Hepatitis konnte Prof. Dr.K. ohne Blutuntersuchung nicht treffen. Mit Urteil vom 06.05.1998 hob das BayLSG das Urteil des SG vom 13.03.1997 und die angefochtenen Bescheide des Beklagten auf. Die fehlende Mitwirkung des Klägers habe die Versagung der Leistung nicht rechtfertigen können. Hinsichtlich der begehrten Feststellung von Schädigungsfolgen und Zahlung einer Rente verwarf das BayLSG die Berufung als unzulässig, da insoweit eine Verwaltungsentscheidung der Beklagten fehle.

Im daraufhin erneut durchgeführten Verwaltungsverfahren holte der Beklagte Blutwerte des Klägers von dessen behandelnen Arzt ein und lehnte nach Einholung versorgungsärztlicher Stellungnahmen eine Neufeststellung mit Bescheid vom 04.09.1998 und Widerspruchsbescheid vom 10.12.1998 ab. Nachweise für eine chronische Leberentzündung hätten sich nicht ergeben. Im anschließenden Klageverfahren (S 9 V 39/98) stellte die vom SG zur Sachverständigen ernannte Internistin Dr.B. fest, dass kein Leberschaden nach der im Krieg durchgemachten Gelbsucht verblieben sei und die Gelenkrheumaschübe keine Funktionseinschränkungen hinterlassen hätten. Auch die Schwerhörigkeit beidseits könne nicht auf die Splitterverletzung am rechten Ohr zurückgeführt werden (Gutachten nach Aktenlage vom 09.08.1999). Nach Klageabweisung durch das SG (Urteil vom 11.10.1999) wies das BayLSG die Berufung mit Urteil vom 07.06.2000 (L 18 V 52/99) zurück. Weitere Schädigungsfolgen könnten nicht anerkannt werden, da der Kläger Folgen eines Gelenkrheumas, der durchgemachten Hepatitis A oder von Erfrierungen nicht nachgewiesen habe. Auch die beim Kläger bestehende Schwerhörigkeit sei nicht auf Kriegsereignisse zurückzuführen.

Auf den erneuten Antrag des Klägers vom 27.03.2001, eine "Kriegsopferrente und eine Abfindungsnachzahlung" zu gewähren, lehnte der Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 04.09.1998 im Wege des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) und die Gewährung von Beschädigtenversorgung ohne weitere Ermittlungen ab (Bescheid vom 12.04.2001 und Widerspruchsbescheid vom 30.04.2001). Der Bescheid vom 04.09.1998 sei zu Recht ergangen. Der Kläger habe keine Gesichtspunkte vorgebracht, die nicht schon in den vorhergehenden Verfahren ausreichend gewürdigt worden seien.

Am 09.05.2001 hat der Kläger Klage zum SG erhoben und die Anerkennung eines Gelenkrheumas, einer Hepatitis A, eines Gehörschadens und von Erfrierungen weiter verfolgt. Ihm sei rückwirkend ab 1978 eine Rente nach einer MdE von 25 vH zu gewähren. Der Beklagte sei weiter zu verurteilen, ihn mit orhtopädischem Schuhwerk zu versorgen.

Das SG hat die Versichertenakten des Beklagten sowie die Akten des SG zu den vorhergehenden Verfahren beigezogen und die Klage mit Urteil vom 11.05.2004 abgewiesen. Auf Grund der Urteile des SG vom 11.10.1999 und des BayLSG vom 07.06.2000 stehe fest, dass die beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen keine MdE in einem rentenberechtigtenden Ausmaß hervorrufen. Weitere Gesundheitsstörungen könnten nicht als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG anerkannt werden, da Folgezustände eines Gelenkrheumas, einer durchgemachten Hepatitis A oder von Erfrierungen nicht bestünden. Nicht zu entscheiden sei über die Versorgung des Klägers mit orthopädischem Schuhwerk, da es insoweit an einer anfechtbaren Verwaltungsentscheidung des Beklagten fehle.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers zum BayLSG. Er bringt erneut vor, dass er seit 1978 unter gesundheitlichen Dauerschäden leide. Diese seien auf Erkrankungen zurückzuführen, die er in den Jahren 1943 bis 1945 durchgemacht habe (Gelenkrheuma, Hepatitis A, Erfrierungen).

Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.05.2004 aufzuheben und unter Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 12.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2001 den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 04.09.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1998 zurückzunehmen und dem Kläger ab 1978 eine Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz nach einer MdE von 25 vH zu gewähren, sowie den Beklagten zu verurteilen, den Kläger mit orthopädischem Winterschuhwerk zu versorgen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf die Ausführungen im Verwaltungsverfahren sowie auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Akten des SG (S 10 Vs 156/77, S 9 V 1031/82, S 5 V 29/96, S 9 V 39/98) und des BayLSG (L 18 V 51/97, L 18 V 52/99) sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 12.04.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2001 ist rechtmäßig. Der Beklagte kann nicht verpflichtet werden, den Bescheid vom 04.09.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1998 auf den Antrag vom 27.03.2001 hin zurückzunehmen.

Liegt bereits eine bindende Verwaltungsentscheidung über die Schädigungsfolgen vor und erweist sich diese nachträglich als unrichtig, ist sie nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Die durch eine gerichtliche Entscheidung erfolgte Bestätigung des Verwaltungsaktes steht der erneuten Überprüfung dabei nicht entgegen (vgl BSG SozR 1500 § 141 Nr 2). Prüfungsmaßstab ist nicht die zweifelsfreie Unrichtigkeit der früheren Entscheidung, sondern es sind die gleichen Beweisanforderungen zu stellen, wie bei einer erstmaligen Prüfung (BSG SozR 3900 § 40 Nr 9).

Der Beklagte hat das Recht bei Erlass des Bescheides vom 04.09.1998 und des Widerspruchsbescheides vom 10.12.1998 nicht unrichtig angewandt und ist nicht von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung eines Gelenkrheumas, einer Hepatitis A, eines Gehörschadens und von Erfrierungen als Schädigungsfolgen. Eine Beschädigtenrente nach dem BVG steht ihm auch weiterhin nicht zu.

Nach § 1 Abs 1 BVG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen einer Schädigung auf Antrag Versorgung, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen und militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dabei müssen - wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts - die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d.h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 mwN). Insbesondere die einzelnen Glieder (Tatsachenkomplexe) der Kausal-(Ursachen-)Kette - bestehend aus schädigendem Vorgang, gesundheitlicher Schädigung und daraus resultierender gesundheitlicher Störung - bedürfen des Vollbeweises. Dagegen genügt für den Nachweis des (haftungsbegründenden) ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem schädigenden Ereignis und der gesundheitlichen Schädigung sowie des (haftungsausfüllenden) Ursachenzusammenhangs zwischen der gesundheitlichen Schädigung und der späteren gesundheitlichen Entwicklung (die "Schädigungsfolgen") die Wahrscheinlichkeit (aaO). Diese ist gegeben, wenn mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht.

Einer Versorgung steht bereits entgegen, dass die geltend gemachten Schädigungsfolgen, die im Zusammenhang mit den 1943 bis 1945 durchgemachten Erkrankungen stehen, beim Kläger nicht feststellbar sind. Der Senat hält insofern an der rechtskräftigen Entscheidung des BayLSG vom 07.06.2000 (L 18 V 52/99) fest. Das BayLSG hat darauf hingewiesen, dass beim Kläger Folgezustände des Gelenkrheumas nicht nachweisbar waren (Gutachten Prof. Dr.K. vom 26.01.1998) und die erlittene Hepatitis A folgenlos abgehielt war. Auf Erfrierungen zurückzuführende Gesundheitsschäden waren bereits bei der Untersuchung des Klägers im Jahr 1955 nicht mehr nachweisbar. Die Hörstörung des Klägers konnte nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Auch nach dem im vorhergehenden Klageverfahren (S 9 V 39/98) eingeholten Sachverständigengutachten waren Schädigungsfolgen nicht mehr feststellbar (Gutachten Dr.B. vom 09.08.1999).

Neue Tatsachen oder Beweismittel hat der Kläger nicht vorgebracht. Damit ist davon auszugehen, dass beim Kläger Folgezustände der durchgemachten Erkrankungen nicht vorliegen bzw. 1998 nicht vorgelegen haben.

Zutreffend hat das SG nicht über die Gwährung von orthopädischen Schuhen entschieden. Es fehlt an einer rechtsbehelfsfähigen Entscheidung des Beklagten und an der Durchführung des Vorverfahrens als Klagevoraussetzung, so dass die Klage insofern als unzulässig abzuweisen war.

Nach alledem ist die Entscheidung des SG nicht zu beanstanden und daher die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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