L 14 R 67/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 RJ 873/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 67/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 303/06 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 21. Dezember 2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist eine Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit.

Der 1950 geborene Kläger, der nach eigenen Angaben eine Berufsausbildung nicht durchlaufen hat, verrichtete nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1971 verschiedene Hilfstätigkeiten. In der Zeit ab 01.08.1998 bezog er von der Beklagten eine befristete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, die zuletzt nach einem Vorderwandinfarkt am 01.02.2002 bis 28.02.2003 verlängert wurde. Der Antrag des Klägers auf Weitergewährung der Rente über diesen Zeitpunkt hinaus wurde nach einer Begutachtung durch den Internisten Dr. G. vom 12.03.2003 (Diagnosen: "Vorderwandinfarkt 2/2002, Stent LAD mit Erfolg, Hypokinesie apical-septal; Magenteilresektion B II 1982, gelegentliche Nüchternbeschwerden, lokalisiertes Lendenwirbelsäulensyndrom, Osteoporose, angedeutetes sensibles S1-Syndrom beidseits; mäßige Epicondylitis links; Restbeschwerden am linken Handgelenk nach früherem Arbeitsunfall") mit Bescheid vom 17.03.2003 abgelehnt, da der Kläger mit dem verhandenen Leistungsvermögen noch vollschichtige Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25.04.2003).

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) holte dieses Befundberichte der behandelden Ärzte Dr. N. und Dr. W. ein und erhob Beweis über die Gesundheitsstörungen und die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch ein Gutachten des Internisten, Psychotherapeuten und Sozialmediziners Dr. H. vom 19.07.2004. Der Gutachter diagnostizierte nach Untersuchung des Klägers eine Vielzahl von Gesundheitsstörungen, nämlich "coronare Herzkrankheit, Vorderwandinfarkt 2002, Stent-Implantation, leichte bis mäßige Einschränkung der linksventrikulären Pumpfunktion, Bluthochdruck, fortgesetzter Nikotinabusus; somatoforme Störung bzw. Somatisierungsstörung, Dysthymie, toxisch-nutritives Fehlverhalten, toxisch-nutritive Leberschädigung; anamnestisch angegebener Belastungsschmerz im linken Handgelenk nach Arbeitsunfall 1977 mit Radiusfraktur links, multiple Schmerzen am Stütz- und Bewegungsapparat ohne adäquaten Organbefund; Lungenemphysem, geringgradige Restriktion; Zustand nach Magenresektion B-II".

In Würdigung dieser Gesundheitsstörungen vertrat der Gutachter die Auffassung, der Kläger könne seit Antragstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig leichte Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, überwiegend im Sitzen verrichten. Nicht mehr zumutbar seien Heben und Tragen von Lasten, Arbeiten in Zwangshaltungen, anhaltendes Stehen, ferner Zeitdruck, Nacht- und Wechselschicht, taktgebundene Arbeiten, anhaltendes Sprechen, emotionale Belastung, Tätigkeiten mit besonderer Verantwortung und besonderen Anforderungen an die Aufmerksamkeit und das Konzentrationsvermögen; zu vermeiden seien ferner Arbeiten mit Zugang zu Alkohol. Der Sachverständige hielt die Einholung weiterer Gutachten nicht für erforderlich.

Aus einer in der Zeit vom 13.07.2004 bis 10.08.2004 erfolgten Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation u.a. zur Verbesserung der cardio-pulmonalen Leistungsfähigkeit wurde der Kläger als arbeitsfähig mit der Beurteilung eines mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens für leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne Schichtdienst (Heben und Tragen von Lasten bis 10 kg) entlassen.

Mit Urteil vom 21.12.2004 wies das SG, gestützt auf das seines Erachtens sorgfältige, ausführlich begründete und abgewogene Gutachten des Dr. H. , die auf Weitergewährung einer Rente über Februar 2003 hinaus gerichtete Klage ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach §§ 43 Abs.2, 44 Abs.2 i.V.m. 302 b Abs.1 Sätze 1 und 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der am 31.12.2000 geltenden Fassung; denn er sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Lage, vollschichtige Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auszuüben. Zwar sei die Leistungsfähigkeit des Klägers qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert, eine quantitative Leistungseinschränkung liege jedoch nicht vor. Weder aufgrund der Gesundheitsstörungen am Herzen noch von Seiten des Stütz- und Bewegungsapparates hätten sich gravierende Einschränkungen der Altersbelastbarkeit etwa für Hausarbeiten ergeben, der neurologische Untersuchungsbefund habe keine Auffälligkeiten gezeigt, und auch die Gesundheitsstörungen auf psychischem Gebiet könnten keine Einschränkungen des quantitativen Leistungsvermögens begründen. So habe der Gutachter weder Hinweise auf tiefer gehende depressive Verstimmungen noch Störungen der Vitalgefühle feststellen können. Durch die anderweitige Einschätzung des behandelnden Arztes Dr. N. im Befundbericht vom 24.06.2003 bzw. im Attest vom 22.11.2004 sehe sich das Gericht nicht veranlasst, die sorgfältig begründeten Ausführungen des unabhängigen Gerichtssachverständigen Dr. H. zu den sozialmedizinischen Schlussforderungen aus den erhobenen Befunden in Frage zu stellen. Auch sei die Einholung weiterer Gutachten nicht veranlasst gewesen, ebenso nicht die Einvernahme der behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Das SG legte weiter dar, dass der Kläger als ungelernter Arbeiter nach dem Mehr-Stufen-Schema des Bundessozialgerichts auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei. Der konkreten Benennung eines noch in Betracht kommenden Verweisungsberufes bedürfe es nicht. Die Benennung sei auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer schweren spezifischen Leistungsbehinderung erforderlich. Ein Anhalt für das Vorliegen von durch die Rechtsprechung dazu entwickelten sogenannten Katalogfällen (SozR 2200 § 1246 Nrn.30, 75, 81 etc.; SozR 3-2200 § 1247 Nr.8, § 1246 Nr.41) bestehe nicht.

Mit der Berufung wendet sich der Kläger gegen dieses Urteil. Er verweist auf ein Attest des behandelnden Nervenarztes Dr. N. vom 14.07.2005 (Diagnosen: chronisches LWS-Syndrom, anamnestisch Hinweise auf dysthyme Störung mit Somatisierungstendenzen), wonach sich trotz therapeutischer Bemühungen die Arbeitsfähigkeit bisher nicht habe wiederherstellen lassen.

Der Senat holte im Wege der erneuten Beweisaufnahme das neulogisch-psychiatrische Gutachten des Dr. K. vom 06.10.2005 ein. Der Gutachter diagnostizierte eine undifferenzierte Somatisierungsstörung sowie eine Dysthymie. Hinweise für eine schwere depressive Erkrankung von rentenrechtlich relevantem Ausmaß fanden sich bei seiner Untersuchung nicht. Er bezeichnete das Krankheitsbild als gut behandelbar und sah eine vollschichtige Leistungsfähigkeit des Klägers für leichte und mittelschwere einfache körperliche Arbeiten als gegeben an, etwa in seiner letzten Tätigkeit im Sicherheitsdienst. Nicht zumutbar seien auf Grund der psychischen Störungen geistig differenzierte Tätigkeiten, Arbeiten unter besonderem Zeitdruck sowie Akkord- und Schichtarbeiten.

Mit Beschluss vom 30.11.2005 lehnte der Senat einen Antrag des Klägers auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines bisherigen Bevollmächtigten im Hinblick auf das Ergebnis der Beweisaufnahme mangels hinreichender Erfolgsaussicht ab.

Der Kläger legte als Nachweis seiner fortbestehenden Behandlungsbedürftigkeit ein Attest des Dr. N. vom 28.03.2006 vor, worin es heißt, beim Kläger handle es sich diagnostisch um eine chronifiziert depressiv-dysthyme Störung mit ausgeprägter Somatisierungstendenz, ein chronisches funktionelles Cervikal- und Lumbalsyndrom sowie einen Verdacht auf Somatisierungsstörung; es bestehe ein Zustand nach Vorderwandinfarkt 2002, daneben eine arterielle Hypertonie, ein tablettenpflichtiger Diabetes mellitus und ein Zustand nach Magenteilresektion bei rezidivierenden Ulcera ventrikuli; verschiedene medikamentöse Behandlungsversuche hätten zu keiner wesentlichen Besserung des Beschwerdebildes geführt, der Kläger "sehe sich weiterhin nicht in der Lage, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen".

In der mündlichen Verhandlung legte der Bevollmächtigte des Klägers das Mandat nieder. Dieser übergab ein Attest des Orthopäden Dr. P. vom 05.04.2006 mit Angaben zu den im Zeitraum von August 2003 bis Januar 2006 erhobenen Befunden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 21.12.2004 sowie des Bescheides vom 17.03.2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.04.2003 zu verpflichten, ihm über Februar 2003 hinaus Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogenen Beklagtenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ) ist zulässig, sie erweist sich aber nicht als begründet.

Zutreffend hat das Erstgericht den geltend gemachten Rentenanspruch abgelehnt. Die von ihm dargelegten Voraussetzungen einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit nach den hier noch anzuwendenden Vorschriften der §§ 43, 44 SGB VI a.F. (vgl. § 302 b Abs.1 Sätze 1 und 2 SGB VI) liegen über Februar 2003 hinaus nicht vor, ebenso nicht die Voraussetzungen einer vollen oder teilweisen Erwerbsminderung im Sinne von § 43 Absätze 1 und 2 SGB VI n.F.

Zu Recht hat das SG sich bei seinen Feststellungen auf das auch nach Auffassung des Senats gründliche und ausführlich begründete Gutachten des Internisten, Psychotherapeuten und Sozialmediziners Dr. H. vom 19.07.2004 gestützt. Es hat sich sorgfältig mit dessen Darlegungen auseinandergesetzt und herausgearbeitet, dass der Kläger mit dem nach ärztlicher Auffassung verbliebenen Leistungsvermögen noch vollschichtige Tätigkeiten mit gewissen qualitativen Einschränkungen auf dem für ihn relevanten allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann.

Die weitere Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz hat dieses Ergebnis bestätigt. Der Sachverständige Dr. K. sah auf Grund der von ihm festgestellten Gesundheitsstörungen ebenfalls kein rentenrechtlich relevant eingeschränktes Leistungsvermögen. Er fand anlässlich seiner Untersuchung des Klägers auf neurologischem Gebiet keine funktionell relevanten Ausfälle, insbesondere ergaben sich keine Hinweise für eine Polyneuropathie. Diagnostisch ging er von einer undifferenzierten Somatisierungsstörung und einer Dysthymie aus, wobei er an Hand der Vorgeschichte im einzelnen belegte, dass sich trotz unterschiedlicher früherer Diagnosen zu keinem Zeitpunkt Hinweise für eine rezidivierende depressive Störung bzw. für eine endogene Depression ergeben hätten. Eine hochgradige Depression sei schon angesichts der über viele Jahre hinweg erfolgten identischen Medikation mit dem Antidepressivum Remergil (Dosierung 30 mg) unwahrscheinlich. Im Übrigen beschrieb der Gutachter eine nur geringe Veränderungsmotivation des Klägers, der sich mit seiner Situation arrangiert habe und keinen besonderen Leidensdruck zeige. Dabei sei das Krankheitsbild problemlos behandelbar.

Nach der Einschätzung des Gutachters konnte bzw. kann der Kläger über Februar 2003 hinaus leichte und mittelschwere einfache körperliche Arbeiten vollschichtig, nämlich acht Stunden täglich, verrichten. Geistig differenzierte Tätigkeiten sowie Arbeiten unter besonderem Zeitdruck, Akkord- und Schichtdienst sind nicht mehr zumutbar. In diesem Rahmen ist eine ausreichende Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit gegeben. Eine rentenrechtlich relevante Einschränkung der Wegefähigkeit ergab sich ebenfalls nicht.

Der Senat hält das Gutachten des Dr. K. für schlüssig und überzeugend und legt es seiner Entscheidungsfindung zugrunde. Weitere Begutachtungen erschienen angesichts der zuvor erfolgten umfassenden erstinstanzlichen Begutachtung nicht veranlasst. Insbesondere ergab sich durch die vom Kläger zuletzt noch vorgelegten Atteste der Nervenärzte Dr. K./Dr. N. vom 28.03.2006 und des Orthopäden Dr. P. vom 05.04.2006 keine Notwendigkeit zum Wiedereintritt in die Beweisaufnahme. Die degenerativen Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat bzw. die sonstigen orthopädischen Beschwerden waren bereits Gegenstand des Gutachtens des Sozialmediziners Dr. H. und wurden im Rahmen der aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen (leichte, kurzfristig auch mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung mit nur zeitweiligem Stehen, ohne häufige Zwangshaltungen oder häufiges Treppensteigen) ausreichend berücksichtigt.

Der Kläger kann nach alledem nach dem Auslaufen der Zeitrente wieder leichte und kurzfristig auch mittelschwere Arbeiten mit den genannten besonderen Einschränkungen vollschichtig verrichten und ist damit nicht berufsunfähig. Wie das Erstgericht bereits ausführlich dargelegt hat, ist er als ungelernter Arbeiter breit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Es ist angesichts der noch vollschichtigen Leistungsfähigkeit auch davon auszugehen, dass es entsprechende Tätigkeiten in ausreichender Zahl gibt. Der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedarf es dabei nicht. Es liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die die Benennung einer noch in Betracht kommenden Tätigkeit ausnahmsweise erforderlich machen würde. Die genannten qualitativen Einschränkungen werden durchweg bereits von der Beschränkung auf leichte Arbeiten erfasst und schränken den Arbeitsmarkt nicht darüber hinaus wesentlich ein.

Erst recht liegt bei noch vollschichtigem Restleistungsvermögen Erwerbsunfähigkeit, aber auch volle oder teilweise Erwerbsminderung nicht vor.

Bei dieser Sachlage konnte die Berufung keinen Erfolg haben. Sie war mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 Nrn. 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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