L 3 U 167/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 24 U 200/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 167/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.03.2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin gegen die Beklagte Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen hat.

Der 1937 geborene und am 04.05.1995 verstorbene Ehemann der Klägerin M. S. (S.) war bei der Firma P. H. AG, Zweigniederlassung S. , beschäftigt. Seine Unterkunft befand sich seit Oktober 1993 in einem Baucontainer an der Kläranlage K ... Nach einem Heimaturlaub in Kroatien trat er am 02.05.1995 um 16.00 Uhr die ca. 1.440 Kilometer lange Rückreise nach K. an. Am 04.05.1995 um 07.00 Uhr sollte er an der Kläranlage K. die Arbeit aufnehmen. Am 03.05.1995 wurde er gegen 21.40 Uhr von einem Pkw, der auf der B 508 von K. in Richtung H. unterwegs war, in K. im Bereich der Kreuzung K. Straße/M.straße mit der vorderen linken Fahrzeugfront erfasst. S. erlag den hierbei erlittenen schweren Verletzungen. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ergaben bei S. eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,47 o/oo. Der Arbeitgeber meldete der Beklagten den tödlichen Unfall am 10.06.1998.

Zur Aufklärung des Sachverhalts zog die Beklagte die Akte der Staatsanwaltschaft S. (21 Js. 375/95) bei und befragte die Fa. H. zu den Gesamtumständen des Unfalls. Mit Bescheid vom 12.02.1999 lehnte die Beklagte Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 03.05.1995 mit der Begründung ab, eine versicherte Familienheimfahrt habe nicht vorgelegen, denn S. habe sich zum Unfallzeitpunkt auf einem Abweg befunden. Aus unbekannten Gründen sei er aus dem Linienbus erst in K. ausgestiegen. Der Unglücksort habe sich somit nicht zwischen Wohnort und Unterkunft des S. befunden. Im Widerspruchsverfahren trug die Klägerin vor, der Abweg sei mit der Arbeit verbunden gewesen. Ihr Ehemann habe den Unfall auf dem Weg zur Arbeitsstätte erlitten. Mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ein örtlicher, zeitlicher und innerer ursächlicher Zusammenhang des Unfalls mit der Betriebstätigkeit sei nicht bewiesen.

Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht München - SG - (S 41 U 975/99) trug die Klägerin vor, ihr Ehemann sei bei der Reise nach K. offensichtlich einem Irrtum unterlegen und in ein Verkehrsmittel eingestiegen, welches ihn in die falsche Richtung gebracht habe. Zu dem Unfall sei es gekommen, als ihr Ehemann versucht habe, von der Linienbushaltestelle in Richtung H. schräg zur gegenüber liegenden Haltestelle in Fahrtrichtung nach K. zu kommen. Unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit, des Umstandes, dass er kaum Kontakte in Deutschland gehabt, er nur schlecht deutsch gesprochen und sich während der gesamten Tätigkeit auf der Baustelle aufgehalten habe, habe keine Veranlassung bestanden, sich abends nach 21.00 Uhr an anderer Stelle aufzuhalten. Es sei davon auszugehen, dass er erst bemerkt habe, den falschen Linienbus genommen zu haben, als die Fahrt durch die nahezu unbewohnte Gegend geführt habe. Er habe dann wohl versucht, wieder ein Fahrzeug zurück zu erhalten.

Das SG befragte den bei der Fa. H. beschäftigten N. A. als Zeugen, der angab, er könne sich nicht vorstellen, dass S. nach 21.00 Uhr noch jemanden habe besuchen wollen. Soweit er wisse, hätte S. zwei Haltestellen früher aus dem Linienbus aussteigen müssen, um zur Unterkunft zu gelangen. Ein Sparbuch des S. mit einem Guthaben von 33.000 DM sei nicht mehr gefunden worden. In der Unterkunft hätten sich keine persönlichen Gegenstände, kein Koffer und keine Tasche befunden. S. habe keine Freunde in S. gehabt, die er hätte besuchen können.

Mit Urteil vom 23.03.2000 wies das SG die Klage ab. S. habe sich zum Unfallzeitpunkt auf einem Abweg befunden. Es lasse sich nicht feststellen, dass der Weg mit der betrieblichen Tätigkeit in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang gestanden habe. Es könne nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass S. versehentlich zu weit mit dem Linienbus gefahren sei und nach dem Aussteigen zur Haltestelle in die Gegenrichtung habe gehen wollen. Andere Möglichkeiten könnten nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, auch unter Berücksichtigung des bei S. festgestellten alkoholisierten Zustandes.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung ein (L 3 U 357/00). Unter Berücksichtigung der Aussagen des Zeugen A. sei von einem versicherten Schadensereignis auszugehen. Nach verständlicher Betrachtungsweise komme hier lediglich in Betracht, dass ihr Ehemann irrtümlich zu weit gefahren sei. Er habe zum Unfallzeitpunkt das Gepäck dabei gehabt und sei vorher nicht in der Unterkunft gewesen. Es sei kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, weshalb ihr Ehemann zwei Stationen weitergefahren sein sollte. Ein privater Grund komme nicht in Betracht. Ihr Ehemann sei gegen Ende der Reise mehrfach umgestiegen. Er habe kurz nach der maßgeblichen Haltestelle festgestellt, dass er hätte aussteigen müssen.

Das Bayerische Landessozialgericht (BayLSG) führte eine weitere Vernehmung des N. A. durch, der im Wesentlichen die vor dem SG gemachten Angaben wiederholte und ausführte, in der Umgebung der Haltestelle befinde sich keine Kneipe etc., es bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass S. an irgend welchen Vergnügungen teilgenommen hätte. Er wisse, dass die Klägerin schon früher für die Reise Bargeld in den Mantel des S. eingenäht habe. Er vermute, dass das Sparbuch auf diesem Weg verschwunden sei, denn der Mantel des S. sei auch nicht mehr gefunden worden. Das Sparbuch sei gesperrt worden. Es habe niemand versucht, an das Geld heranzukommen. Mit Urteil vom 25.06.2002 wurde die Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist als unzulässig verworfen.

Am 29.10.2001 stellte die Klägerin einen Überprüfungsantrag (§ 44 SGB X) und verwies auf die Zeugenaussage des Zeugen N. A ... Mit Bescheid vom 12.07.2002 lehnte es die Beklagte ab, den Bescheid vom 12.02.1999 und den Widerspruchsbescheid vom 22.09.1999 zurückzunehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin Klage zum SG erhoben und beantragt, ihr unter Rücknahme des Bescheides vom 12.02.1999 und des Widerspruchsbescheides vom 22.09.1999 Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes ihres Ehemannes zu gewähren. Durch die Ausage des N. A. sei nachgewiesen, dass ihr Ehemann bei einem Wegeunfall ums Leben gekommen sei.

Das SG hat mit Urteil vom 10.03.2005 die Klage abgewiesen und sich den Ausführungen im Urteil des SG vom 23.03.2000 angeschlossen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe sich S. nicht auf dem Weg zu seiner Unterkunft, sondern auf einem unversicherten Abweg befunden. Zwar sei es möglich, dass S. wegen Übermüdung zu weit mit dem Linienbus gefahren sei und nach dem Aussteigen die Straße habe überqueren wollen, um zur Haltestelle in die Gegenrichtung zu gelangen. Dies sei aber nicht voll nachweisbar. Insbesondere könnten andere Möglichkeiten auch unter Berücksichtigung des alkoholisierten Zustandes des S. nicht ausgeschlossen werden. Die Angaben des N. A. würden auf Vermutungen beruhen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt mit der Begründung, N. A. habe ausführlich dargelegt, dass er aufgrund seiner Kenntnis der Persönlichkeit ihres Ehemanns sicher sei, dass dieser nicht absichtlich zu spät ausgestiegen sei. Die Ausführungen deckten sich mit den objektiven Feststellungen bei dem Unfall, wonach sich ihr Ehemann auf dem Weg zwischen Ausstiegsstelle und der gegenüberliegenden Einstiegstelle für die Rückfahrt befunden habe als sich der Unfall ereignet habe und er sein gesamtes Gepäck nicht vorher in die Unterkunft gebracht habe. Von Bedeutung sei, dass es in der betreffenden Richtung keine Vergnügungseinrichtung gegeben habe. Es handele sich hier nicht nur um Vermutungen. Das SG habe es unterlassen zu klären, ob aufgrund der festgestellten BAK mit einem alkoholbedingten Verpassen der richtigen Haltestelle zu rechnen sei.

Der Senat hat die Stadtverwaltung K. zur Ausgestaltung der öffentlichen Verkehrsverbindungen befragt und die zum Unfallzeitpunkt gültigen Fahrpläne beigezogen. Danach bestanden zwischen S. und K. eine Linienbusverbindung (Umsteigen in K. von Linie 1 zur Linie 75; Ankunft 20.57 Uhr, Abfahrt 21.00 Uhr) und eine direkte Linienbusverbindung zwischen S. und F. mit Ankunft in K. um 19.07 Uhr (Linie 82). Dieser Linienbus fuhr von K. nach F. erst wieder ab 22.12 Uhr. Außerdem gab es zwischen S. und K. eine direkte Bahnverbindung, wobei der letzte Zug um 20.16 Uhr in K. ankam. Zwischen K. und K. gab es acht Haltestellen für die Linienbus- und zwei Bahnhöfe für die Zugverbindung.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 10.03.2005 und des Bescheids vom 12.07.2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2003 zu verurteilen, den Bescheid vom 12.02.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 22.09.1999 zurückzunehmen und ihr Hinterbliebenenleistungen aus Anlass des Todes ihres Ehemannes M. S. vom 04.05.1995 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 10.03.2005 zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Er- gänzung des Tatbestands wird im Übrigen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und der Staatsanwaltschaft S. 21 Js. 375/95, der Akten des SG S 41 U 975/99 und des BayLSG L 3 U 357/00, der Akten des SG und des BayLSG zu diesem Verfahren sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Urteil des SG München vom 10.03.2005 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus Anlass des Todes ihres Ehemanns S. keinen Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen, weil dieser am 03.05.1995 nicht nachweisbar einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Beklagte hat es deshalb zu Recht abgelehnt, ihre frühere Entscheidung zurückzunehmen.

Nach § 44 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist ein unanfechtbar gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich ergibt, dass das Recht bei seinem Erlass unrichtig angewandt worden ist und aus diesem Grunde Leistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Eine Begrenzung der Prüfungs- und Beurteilungsverpflichtung der Beklagten und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist dabei im Verfahren nach § 44 SGB X nicht gegeben (BSG SozR 1300 § 44 Nr.4). Im Zuge der Überprüfung gemäß § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X unterscheidet sich die Rechtsanwendung trotz der Unanfechtbarkeit des früher erteilten Bescheides nicht von der, die einer Erstentscheidung zugrunde zu legen ist. Anzuwenden sind hier die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil sich der Unfall vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) ereignet hat (§ 212 SGB VII).

Die Beklagte hat bei Erteilung des Bescheides vom 12.02.1999 im Ergebnis das Recht richtig angewandt. Nach § 589 Abs.1 Nr.3 RVO i.V.m. § 590 RVO setzt die Gewährung von Witwenrente voraus, dass der Tod des Ehemanns durch einen Arbeitsunfall verursacht worden ist. Ein Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs.1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und §§ 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Als Arbeitsunfall gemäß § 550 Abs.1 RVO gilt auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und §§ 543 bis 545 genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ist dabei, dass das Verhalten des Versicherten, als sich der Unfall ereignet hat, in einem sachlichen Zusammenhang mit der Betriebstätigkeit steht, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere Zusammenhang ist dabei gegeben, wenn die Zurücklegung des Weges der Aufnahme der versicherten Tätigkeit bzw. nach Beendigung dieser Tätigkeit dem Erreichen der Wohnung bzw. Unterkunft dient (KassKomm-Ricke § 8 SGB VII Rndr.189 ff.). Eine Lösung vom Versicherungsschutz tritt aber bei einem Abweg ein. Ein Abweg ist jeder Weg, der aus eigenwirtschaftlichen Gründen vom Ziel weg oder über das Ziel hinaus führt. Dabei wird die Frage, ob bei irrtümlicher Zielüberschreitung Versicherungsschutz vorliegt, nicht einheitlich beurteilt. Teilweise wird Versicherungsschutz für jegliche Zielüberschreitung abgelehnt, nach anderer Auffassung wird Versicherungsschutz abgelehnt, sofern der Irrtum durch private Gründe bzw. persönliche Umstände des Versicherten bedingt ist (vgl. dazu KassKomm § 8 SGB VII Rndr.202 f. m.w.N.). Alle rechtserheblichen Tatsachen zur Begründung eines Unfallversicherungsschutzes bedürfen mit Ausnahme derjenigen, die einen Ursachenzusammenhang ergeben, des vollen Beweises, wobei nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten zu berücksichtigen sind (BSG Urteil vom 14.11.1984 - 9b RU 68/83).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist nicht ausreichend zu begründen, dass der Verkehrsunfall als Arbeitsunfall zu bewerten ist, weil der Weg, den S. zum Zeitpunkt des Unfalls zurücklegte, nicht nachweisbar in einem inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bei der Fa. H. stand. Nach den durchgeführten Ermittlungen hat S. am 02.05.1995 zwar einen versicherten Weg von seinem Heimatort in Kroatien nach Deutschland aufgenommen. Es ist aber nicht abschließend geklärt, wie und wann S. zu dem Unfallort gelangte und warum er sich dort aufhielt.

Nicht beantwortet sind die Fragen, welche Verkehrsmittel S. tatsächlich genutzt hat und zu welchem Zeitpunkt S. in K. bzw. K. tatsächlich ankam. Es liegt eine Auskunft der Fa. H. vor, nach der S. in seinem Heimatland zunächst mit einem Autobus, dann mit der Bahn und schließlich mit einem Linienbus gefahren sei. Objektive Anhaltspunkte für diese Annahme, insbesondere Fahrkarten liegen nicht vor. Das Gepäck wurde vernichtet. Die lange Zeitspanne von der Abfahrt des S. bis zum Unfallzeitpunkt von knapp 30 Stunden trägt nicht zur Aufklärung der Frage bei, welche Transportmittel S. tatsächlich nutzte. Möglich wäre, dass S. eine regelmäßige Autobusverbindung z.B. bis F. gewählt hatte und dann mit dem Linienbus oder der Bahn in Richtung S. weiterfuhr war. Nicht aufzuklären ist, welches Verkehrsmittel S. ab S. gewählt hat.

Dessen ungeachtet und sofern zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass S. tatsächlich zeitnah zum Unfallzeitpunkt in K. ankam und dann versehentlich in Richtung K. mit dem Linienbus nach erfolgtem Umsteigen weiterfuhr, bestehen unter Berücksichtigung der Linienbusfahrpläne folgende Möglichkeiten: Sofern er den Autobus Linie 1 um 20.22 Uhr gewählt hat, wäre er um 20.57 Uhr in K. angekommen. Eine Weiterfahrt mit diesem Linienbus war nicht möglich (Endstation). Um nach K. zu gelangen, wäre es für S. erforderlich gewesen, in den Linienbus der Linie 75 umzusteigen mit Abfahrzeit 21.00 Uhr. Dies wäre aber nur zu erklären, wenn S. eigentlich die Linie 82 nach F. hätte wählen wollen, was jedoch zu diesem Zeitpunkt objektiv nicht möglich war (nächste Abfahrt erst wieder um 22.12 Uhr). Fraglich ist dabei ohnehin, ob S. nach einer Ankunft um 20.57 Uhr nicht einen Fußweg zur Unterkunft gewählt hätte, weil sich auch die Haltestelle F. nicht nahe an der Unterkunft des S. befand. Sofern S. mit der Linie 75 nach K. fuhr, ist eine versehentliche Weiterfahrt - etwa wegen Übermüdung - auch unter Berücksichtigung der langen Reisezeit kaum nachvollziehbar, denn durch das notwendige Umsteigen musste S. wach gewesen sein. Außerdem fuhr der Linienbus in eine vom Ort der Unterkunft deutlich wegführende Richtung und es befanden sich zwischen K. und K. acht Bushaltestellen. Warum S. erst in oder vor K. bemerkt haben soll, in die falsche Richtung zu fahren, ist nicht erklärbar, zumal S., der bereits seit Oktober 1993 in K. arbeitete, über ein Mindestmaß an Ortskundigkeit verfügt haben müsste. Die Annahme, S. sei versehentlich mit dem Linienbus bis K. gefahren und habe nach dem Aussteigen versucht, den Linienbus in die entgegengesetzte Richtung zu nehmen, ist deshalb nicht wahrscheinlich, sondern allenfalls möglich.

Als weitere Möglichkeit kommt in Betracht, dass S. mit der Bahn bis K. hätte fahren wollen, das Aussteigen z.B. wegen einer aufgrund der langen Reise vorliegenden Unaufmerksamkeit, insbesondere einer Übermüdung versäumte und er deshalb erst nach weiteren zwei Stationen den Zug in K. verließ, um wieder mit dem Linienbus nach K. zurück zu fahren. Auch wenn zugunsten der Klägerin unterstellt wird, dass S. an diesem Tag im letzten Zug von S. nach K. fuhr, der in K. entsprechend dem Fahrplan um 20.16 Uhr ankam, ergibt sich trotzdem immer noch bis zum Unfallzeitpunkt eine Zeitlücke von einer Stunde und 24 Minuten. Objektive Anhaltspunkte, die diese Zeitlücke erklären könnten, liegen nicht vor, denn der Weg vom Bahnhof zur Bushaltestelle ist in relativ kurzer Zeit zurückzulegen. Es kann nur spekuliert werden, wie S. diese Zeit überbrücken hätte können. Für Erklärungen, der S. habe sich ausgeruht, er habe den verloren gegangenen Mantel gesucht oder er sei wegen einer für ihn fremden Umgebung bzw. wegen des Alkoholkonsums herumgeirrt, gibt es keinerlei Hinweise.

Sofern zugunsten der Klägerin weiter unterstellt wird, dass S. mit der Bahn in K. angekommen ist und sich nach dem Aussteigen aus dem Zug auf den Weg zur Linienbushaltestelle gemacht hat, um zurück nach K. zu fahren, wirft auch der unmittelbare Unfallhergang selbst nicht beantwortete Fragen auf. S. hätte dazu an der betreffenden Kreuzung die Straße überqueren müssen. S. wurde jedoch nicht im Bereich des Fußgängerüberwegs bzw. der Kreuzung angefahren, sondern als er sich abseits von der Kreuzung vom gegenüberliegenden Fahrbahnstreifen in Richtung K. auf den anderen Fahrbahnstreifen zubewegte, so dass er von der linken Front des PKW erfasst wurde. Die Bewegungsrichtung des S. zum Unfallzeitpunkt ergibt sich aus den Zeugenaussagen vor der Staatsanwaltschaft, die der Senat im Wege des Urkundenbeweises herangezogen hat. Der gehörte Zeuge M. R. , der mit seinem Motorrad zwei oder drei Fahrzeuge hinter dem PKW fuhr, der S. erfasste, sagte dementsprechend bei der polizeilichen Vernehmung aus, S. habe nicht direkt die Fahrbahn von links nach rechts überquert und sei auf der linken Fahrbahn in Gegenrichtung unterwegs gewesen. S. sei dann plötzlich aus seiner Sicht nach rechts gegangen und vor den Fahrzeugen vor ihm verschwunden.

Es verbleiben also erhebliche Zweifel, dass sich S. zum Unfallzeitpunkt auf einem versicherten Weg befunden hat, so dass nicht der volle Beweis geführt werden kann. Dieser setzt die volle Überzeugung einer Tatsache, das heißt die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit voraus (BSGE SozR 2200 § 548 Nr.38 m.w.N.). Nach Auffassung des Senat steht aufgrund des gegebenen Sachverhalts mit den vielfältigen Unwägbarkeiten nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass sich S. zum Unfallzeitpunkt auf einem versicherten Weg befand. Als bewiesene wesentliche Tatsachen bestehen allein der Abfahrtszeitpunkt am 02.05.1995 und der Unfallhergang als solcher und das Mitführen des Reisegepäcks. Die Aussagen des Zeugen N. A. und der Fa. H. beinhalten im Wesentlichen lediglich Vermutungen zu möglichen Absichten des S. und der Ausgestaltung dessen persönlichen Umfelds bzw. von sozialen Kontakten in Deutschland und können nicht ausreichend belegen, dass der Unfall tatsächlich in einem sachlichen Zusammenhang mit der Arbeitsstelle bei der Fa. H. steht.

Die Voraussetzungen, um einen versicherten Weg zur voller Überzeugung des Senats begründen zu können, sind selbst unter Anwendung der Grundsätze zum so genannten Beweisnotstand nicht erfüllt. Danach können Eigentümlichkeiten eines Sachverhalts in besonders gelagerten Einzelfällen Anlass sein, an den Beweis verminderte Anforderungen zu stellen. Dies bedeutet, dass das Gericht aufgrund weniger tatsächlicher Anhaltspunkte von einem bestimmten Geschehensablauf überzeugt sein kann. Einen solchen Ausnahmefall hat die Rechtsprechung bei einer unfallbedingten Erinnerungslücke des Verletzten (BSG Urteil vom 12.06.1990 - 2 RU 58/89) oder beim Tod eines Seemanns auf See aus unklarer Ursache ohne Obduktionsmöglichkeit (BSGE 19, 52, 56) angenommen. Von solchen Ausnahmefällen abgesehen sind nach den Grundsätzen der freien Beweiswürdigung typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten der versicherten Tätigkeit ergeben, ohnehin zu berücksichtigen. Es muss also nicht der genaue Unfallhergang bewiesen sein, wenn sonst nachgewiesene Umstände überwiegend auf einen Versicherungsfall hinweisen und die ernsthafte Möglichkeit anderer Geschehensabläufe ausgeschlossen erscheint (BSG Urteil vom 14.11.1984 - 9b RU 68/83). Hierbei darf das Tatsachengericht nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und hat das Gesamtergebnis des Verfahrens zu berücksichtigen. Es darf jedoch Beweisschwierigkeiten Rechnung tragen und tatsächliche bzw. natürliche Vermutungen sowie Anscheinsbeweise einbeziehen (KassKomm-Ricke, a.a.O., m.w.N.).

Zwar ist der Senat der Auffassung, dass hier, sofern tatsächlich eine irrtümliche Wegeabweichung vorgelegen hat, diese auch betrieblich bedingt gewesen und somit der erforderliche innere Zusammenhang des zurückgelegten Weges mit der versicherten Tätigkeit gegeben gewesen wäre. Denn bei einem ausländischen Arbeitnehmer ist gerade bei versehentlichen Abweichungen auf dem Weg von seinem Heimatort bis zur Betriebsstätte die besondere Situation der großen Entfernung und der erheblichen Reisedauer grundsätzlich zu berücksichtigen. Es ist aber aufgrund der durchgeführten Ermittlungen allenfalls unter Zuhilfenahme ausgedehnter Konstruktionshilfen und vielfältiger Unterstellungen zum Unfallzeitpunkt ein versicherter Weg des S. anzunehmen, so dass andere nicht versicherte Geschehensabläufe ebenso ernsthaft in Betracht kommen. Allein die Tatsachen, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt Reisegepäck mitgeführt und am Tag zuvor die Reise nach Deutschland angetreten hatte, können nicht die Anwendung der Grundsätze des Beweisnotstandes rechtfertigen und einen Versicherungsschutz begründen. Über wesentliche Einzelheiten zur Aufklärung der tatsächlichen Umstände, die dem Unfall vorausgegangen sind, liegen keinerlei verwertbare Angaben bzw. Aussagen vor und auch die bekannten äußeren Gegebenheiten begründen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich S. zum Unfallzeitpunkt auf einem versicherten Weg befunden hat. Ebenso denkbar ist, dass sich S. nicht auf einem versicherungsrechtlich geschütztem Weg befunden bzw. sich von diesem zwischenzeitlich gelöst hat. Darauf könnten die genannten Unwägbarkeiten bezüglich der Ankunft bzw. des Aufenthalts in K. - bei der Ankunft mit dem Zug im Bereich des Bahnhofs bzw. der Ortsmitte von K. und damit nicht in einer unbewohnten Gegend, wie dies von Seiten der Klägerin und des Zeugen N. A. vermutet wurde -, der verlorene Mantel mit dem Geldbetrag und dem Sparbuch oder auch der festgestellte Alkoholkonsum des S. hinweisen.

Ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall ist somit nicht nachzuweisen, so dass der Klägerin wegen des zum Tod ihres Ehemanns am 04.05.1995 führenden Unfalls vom 03.05.1995 keine Hinterbliebenenleistungen zustehen. Die Entscheidungen der Beklagten im Bescheid vom 12.02.1999 und vom 12.07.2002 sind zutreffend.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG München vom 10.03.2005 war somit zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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